Pressekonferenz, 26. März 2007, Berlin Die Schuldenlawine stoppen Statement Prof. Dr. Michael Hüther Direktor Institut der deutschen Wirtschaft Köln Es gilt das gesprochene Wort.
1. Die Schuldenlawine Auf Deutschland rollt eine gewaltige Schuldenlawine zu. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft Köln mit dem Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität zu Köln (FiFo) durchgeführt hat. In der Expertise Ein weiter Weg für Deutschland wurde die zukünftige Entwicklung der Staatsverschuldung prognostiziert, der notwendige Konsolidierungsbedarf ermittelt und Ansätze erarbeitet, mit denen sich die Schuldenlawine stoppen lässt. Die Berechnungen zeigen: - Wenn die deutsche Finanzpolitik so weitermacht wie bisher, wird der öffentliche Schuldenstand bis zum Jahr 2050 auf 239 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. In diesen Schulden sind die Zahlungsverpflichtungen des Staates für die Sozialversicherungen die so genannten impliziten Schulden eingerechnet. - Die gesamtstaatliche Neuverschuldung würde im Jahr 2050 schätzungsweise 11 Prozent des BIP betragen. Dass die Aussichten so dramatisch schlecht sind, ist die Folge einer über Jahrzehnte betriebenen Schuldenpolitik. Seit den siebziger Jahren fehlt der Politik der Wille, auf die Droge der öffentlichen Kreditaufnahme zu verzichten. Auch die jüngste Vergangenheit war hier keine Ausnahme: Zwischen 2002 und 2005 lag die Neuverschuldung viermal hintereinander über der vom Maastrichter Vertrag vorgegebenen Grenze von 3 Prozent des BIP. Die deutsche Finanzpolitik hat dadurch im Ausland viel von ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt. 1
Im vergangenen Jahr hat Deutschland mit einer Kreditaufnahme in Höhe von schätzungsweise 2 Prozent des BIP erstmals seit 2001 wieder das Maastrichter Neuverschuldungskriterium erfüllt. Doch wir sollten uns nicht bequem zurücklehnen. Das heißt nur: Der Schuldenberg wächst etwas langsamer als in der Vergangenheit. Deutschland hat nach Jahren der öffentlichen Kreditaufnahme mittlerweile einen gewaltigen Schuldenberg angehäuft: Allein zwischen 2002 und 2006 stiegen die Staatsschulden von 60,3 Prozent des BIP auf gut 68 Prozent (Tabelle 1). Damit liegt die Verschuldung um mehr als 8 Prozentpunkte über dem zweiten Maastricht-Kriterium. Insgesamt summieren sich die öffentlichen Schulden inzwischen auf rund 1.500 Milliarden Euro. Die Pro-Kopf- Verschuldung beträgt 18.297 Euro. 2. Der Handlungsdruck Wieso muss diese Schuldenpolitik ein Ende finden und Deutschland seine Ausgaben nachhaltig kürzen? Aus unserer Sicht gibt es darauf mehrere Antworten: Demografischer Druck: Die Bevölkerung altert. Im Jahr 1970 waren erst 19 Prozent des Bundesbürger älter als 60 Jahre, 2050 werden es schätzungsweise 39 Prozent sein (Tabelle 2). Die Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflegeleistungen nehmen daher unweigerlich zu. Für die Pflege der Senioren beispielsweise wendet Deutschland derzeit 1 Prozent der Wirtschaftsleistung auf, im Jahr 2050 wird es mit 2 Prozent schon doppelt so viel sein (Tabelle 3). Unterm Strich klettern sämtliche demografieabhängigen 2
Staatsausgaben zwischen 2005 und 2050 von 23,6 Prozent des BIP auf 26,5 Prozent. Gerade für den Bund hat das tiefgreifende Konsequenzen: Er wird künftig mehr Steuermittel an die Sozialversicherungen überweisen müssen. Wenn der Bund die Leistungen nicht effizienter bereitstellt und an manchen Stellen kürzt, dann wird in Zukunft immer weniger Geld für zukunftssichernde Investitionen etwa in Bildung oder Infrastruktur zur Verfügung stehen. Schrumpfender finanzpolitischer Handlungsspielraum. Die wachsenden Zinslasten engen den finanzpolitischen Handlungsspielraum zunehmend ein. Anfang der neunziger Jahre musste der Bund 12 Prozent seiner Steuereinnahmen für Zinszahlungen verwenden, im abgelaufenen Haushaltsjahr 2006 waren es bereits mehr als 19 Prozent (Tabelle 4) und das trotz niedriger Zinsen. Sollte das durchschnittliche Zinsniveau der Bundesschulden auch nur um 1 Prozentpunkt steigen, müsste der Bund zusätzlich 2,3 Milliarden Euro im Jahr für den Zinsendienst ausgeben. Internationale Erfolge mit dem Schuldenabbau. Erfahrungen anderer Länder belegen, dass gerade sinkende Staatsausgaben gut für die Wirtschaft sind. Irland beispielsweise hat über einen rigorosen Konsolidierungskurs die öffentliche Defizitquote von 10,5 Prozent des BIP im Jahr 1986 in Überschüsse von zuletzt 1,2 Prozent in 2006 verwandelt. Diese mutige Reformpolitik zahlte sich in höherem Wachstum und mehr Beschäftigung aus. Auch Spanien und Großbritannien liefern eindrucksvolle Beispiele dafür, dass eine Reduzierung der öffentlichen Ausgabenquote Wachstum und Beschäftigungsaufbau nicht bremsen, sondern das Gegenteil bewirkt. 3
3. Die Strategien zum Schuldenabbau All das sind triftige Gründe, auch in der Bundesrepublik den Haushalt zu konsolidieren und die Schulden abzutragen. In unserer Studie haben wir dafür zwei Ansätze erarbeitet: Effizienzsteigerungen. Der Staat lässt in Deutschland eine Menge Effizienzpotenziale ungenutzt. Das heißt: Viele staatliche Leistungen müssen nicht gekürzt werden sondern der Staat könnte die gleichen Leistungen für weniger Geld erbringen. Wäre beispielsweise das deutsche Gesundheitssystem so effizient wie das spanische, ließen sich mittelfristig 21 Milliarden Euro pro Jahr einsparen ohne das die Gesundheitsleistungen eingeschränkt würden. Ähnliche Effizienzreserven gibt es im Bildungssystem, in der Infrastruktur, der öffentlichen Verwaltung und der Armutsabsicherung. Würde sich Deutschland in all diesen Bereichen an den effizientesten Ländern orientieren, könnte der Staat seine jährlichen Ausgaben um insgesamt mehr als 80 Milliarden Euro kürzen ohne, dass die Bürger schlechtere oder weniger öffentliche Leistungen erhielten (Tabelle 5). Diese Strategie hat zudem einen entscheidenden politischen Vorteil: Sie greift nicht auf breiter Front in Besitzstände ein und wird daher in der Öffentlichkeit deutlich weniger Widerstand hervorrufen als andere Konsolidierungsbemühungen. Subventionsabbau. Angesichts des enormen Handlungsdrucks kommt die Politik allerdings auch nicht umhin, Vergünstigungen zurückzufahren. Aus unserer Sicht sollten vor allem Agrarsubventionen gestrichen werden. Dazu zählen etwa die Zuschüsse an die landwirtschaftliche Unfall- und Krankenversicherung sowie die Mineralölsteuervergünstigung für Landwirte. Insgesamt ergibt sich in diesem Bereich ein Einsparpotenzial von 3,6 Milliarden 4
Euro pro Jahr. Darüber hinaus sollten Verkehrssubventionen wie der ermäßigte Umsatzsteuersatz im öffentlichen Personennahverkehr wegfallen. Auf diesem Feld kann der Staat weitere 2,1 Milliarden Euro einsparen. Auf den Prüfstand gehören zudem die Entfernungspauschale sowie die Steuerbefreiung für haushaltsnahe Diensteistungen. Allein diese vier Beispiele eröffnen dem Staat ein Einsparpotenzial von zusammen knapp 10 Milliarden Euro pro Jahr. Der Co-Autor der Studie, Herr Dr. Michael Thöne vom Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität zu Köln, wird Ihnen jetzt die beeindruckenden Ergebnisse der Tragfähigkeitsanalyse vorstellen und damit vor Augen führen, dass eine Vertagung der notwendigen Konsolidierung die Sache für alle Steuerzahler nur noch teurer macht. 5