Typische Klausurfragen: Gestaltungsmissbrauch nach 42 AO [Abgabenordnung] In Deutschland gilt der Grundsatz der Handlungsfreiheit, dh: Jeder darf grundsätzlich die für ihn steuerlich günstigste Gestaltung wählen. Bsp: Der private Verkauf einer Immobilie ist nach 10 Jahren steuerfrei, davor unterliegt er der ESt. Keiner kann einem verbieten die 10 Jahre abzuwarten, um alle Erträge steuerfrei zu kassieren. Um Steuervermeidung nicht Tür und Tor zu öffnen, hat der Gesetzgeber mit 42 AO der Gestaltungsfreiheit eine Grenze gezogen: Definition von Gestaltungsmissbrauch nach 42 Abs. 2 AO (im Gesetz anmarkern!): Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Kennzeichen des Gestaltungsmissbrauchs: Eine lebensfremde und ungewöhnliche Sachverhaltsgestaltung ( abwegige Kniffe und Schliche 1 ), die keinem erkennbaren Zweck außer der Steuervermeidung dient. Angemessene Rechtsgestaltungen verfolgen ihr Ziel normalerweise auf gradlinige und nachvollziehbare Art und Weise. Die Folge des Missbrauchs bestimmt 42 Abs.1 S.3 AO (anmarkern!): Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs ( ) so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Dh, der Sachverhalt wird so besteuert, als sei eine angemessene, lebensnahe Gestaltung gewählt worden. 1 Tipke/Lang (1996). S. 160 1
Klassische Klausurbeispiele: 1. Überkreuzvermietung regelmäßig ein Fall des Gestaltungsmissbrauchs Quelle: Marx et al. (2008) Unternehmensbesteuerung, Seite 57 Sachverhalt: Heinze H und Müller M haben benachbarte, identische Reihenhäuser gebaut. Problem: Hauseigentum ist teuer! Die wichtigsten Kosten sind die Zinskosten der Finanzierung (= Zinsen ), der Wertverlust des Hauses durch Abnutzung (= Afa ) sowie Steuern, Gebühren und Abgaben (= sonstige Werbungskosten ). Als Eigentümer eines selbst bewohnten Hauses sind dies alles Kosten der Lebensführung ( 12 Nr. 1 EStG) und damit steuerlich grundsätzlich nicht abzugsfähig. (Versuch einer) Lösung: Heinze und Müller vermieten sich ihre Häuser gegenseitig. Als Vermieter sind Zinsen, Afa und sonstige Werbungskosten steuerlich abzugsfähig. Die eingenommene Miete unterliegt der ESt. Die Überkreuzvermietung als Steuersparmodell könnte gelingen, wenn die Kosten der Vermietung die Einkünfte übersteigen. Die negativen Einkünfte mindern dann die zu zahlende ESt. Aber: Die Gestaltung ist missbräuchlich, da es außer der Steuerersparnis keinen einleuchtenden Grund für diese lebensferne Sachverhaltsgestaltung gibt. Abwandlung: H baut sein Haus in Hamburg, M in München. Kurz darauf wird H nach München und M nach Hamburg beruflich versetzt. Da es jetzt außersteuerliche Gründe für die gegenseitige Vermietung gibt (H und M möchten in der Nähe ihrer Arbeitsstelle wohnen), liegt kein Gestaltungsmissbrauch vor. Einfaches Zahlenbeispiel für Heinze und Müller (ein anderes findet sich in den Vorlesungsfolien) zur Berechnung des möglichen Steuervorteils bei Überkreuzvermietung: Der Trick : Man wähle für Miete, Afa, Zins und übrige Werbungskosten (=WK) einfache Werte (zb konstant 10.000 ). 2
H M Mieteinnahmen 10.000 10.000 - Zinsen - 10.000-10.000 - Afa - 10.000-10.000 - übrige WK - 10.000-10.000 SUMME - 20.000-20.000 Steuerersparnis bei 8.000 Grenzsteuersatz 40 %(Heinze) Steuerersparnis bei Grenzsteuersatz 25 %(Müller) 5.000 Bei jedem positiven Grenzsteuersatz (und damit in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle) entsteht eine Steuerersparnis, solange einem das Finanzamt nicht drauf kommt. Falls das geschieht, werden die Steuerbescheide korrigiert und die zu wenig gezahlte ESt nachgefordert. Die Besteuerung geschieht dann also so, als ob eine lebensnahe Sachverhaltsgestaltung (jeder wohnt im eigenen Haus und nicht im gleichen Haus seines Nachbarn) gewählt worden wäre. 3
2. Kettenschenkung normalerweise kein Gestaltungsmissbrauch Sachverhalt: Dies ist Familie Reich: Manfred Reich, Frauke Reich und Sohnemann Sönke (also: M, F, S für Mann, Frau und Sohn). Manfred Reich (M) möchte seinem Sohn Sönke (S) 470.000 schenken. Wir müssen an dieser Stelle ein wenig Theorie lernen: Im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) gibt es drei Steuerklassen ( 15 ErbStG), die nach dem Verwandtschaftsverhältnis bestimmt werden. Dh, je nachdem, in welchem Verwandtschaftsverhältnis (hier) der Schenker und Beschenkte stehen, gelten andere Freibeträge und Steuersätze. Im Grundsatz gilt hierbei: Je näher das Verhältnis, desto höher der Freibetrag und desto niedriger der Steuersatz. Erbschaften / Schenkungen innerhalb der Familie werden also steuerlich bevorteilt. Das Steuersparmodell Kettenschenkung nutzt diese unterschiedlichen Freibeträge. Die Grundidee ist folgende: Die Schenkungssumme (470.000 ) wird in mehrere Beträge aufgeteilt und in mehreren Raten verschenkt. Dadurch kann man die Freibeträge mehrfach ausnutzen und die Steuerbelastung (hier: bis auf 0 ) reduzieren. Variante 1: Direkte Schenkung (keine Kettenschenkung) M S: 470.000 (lies: M schenkt S 470.000 ) Freibetrag (Elternteil an Kind): 400.000 ( 16 Abs. 2 Nr.2 ErbStG) Es werden 7% Schenkungssteuer auf die restlichen 70.000 fällig ( 19 Abs. 1 ErbStG). In der gewählten Schenkungssumme i.h.v. 470.000 ist eine Eselsbrücke für Freibetrag und Steuersatz schon eingebaut: 400.000 Freibetrag + 70.000 (Steuersatz 7%). In der Klausur durftet ihr bisher immer das Zahlenbeispiel frei wählen. Schenkungssteuer für Variante 1: M S: 470.000 7% auf (470.000 Schenkung - 400.000 Freibetrag)= 0,07 * 70.000 = 4.900 4
Variante 2: Kettenschenkung Aufsplittung der Schenkung in zwei Teile: 1. Schenkung M S: 400.000 Die 1. Schenkung ist in Höhe des Freibetrags, dh es fällt keine Steuer an. 2. Schenkung M F: 70.000 400.000 wurden bereits erfolgreich (=steuerfrei) von M an S verschenkt; es fehlen noch 70.000. Die 2. Schenkung in Höhe des Restbetrags 70.000 von M an F ist (weit) unter dem Freibetrag für Schenkungen zwischen Ehegatten (500.000, 16 Abs. 2 Nr.1 ErbStG), dh auch die 2. Schenkung ist steuerfrei. 3. Schenkung F S: 70.000 Die restlichen 70.000 sind jetzt bei F, sollen aber zu S. F schenkt die 70.000 an S weiter. Auch diese Schenkung ist unterhalb des Freibetrags für Schenkungen zwischen Eltern und Kindern (400.000, siehe oben) und damit steuerfrei. Im Ergebnis wurden die 470.000 also nicht direkt geschenkt, sondern aufgesplittet und über einen Umweg (nämlich über F) an S geschenkt. Durch die geschickte Ausnutzung der Freibeträge fallen so keine Steuern an. Diese Gestaltung wird normalerweise nicht als Gestaltungsmissbrauch gewertet. Es handelt sich um rechtlich verschiedene Schenkungsvorgänge, wenn folgende Bedingungen eingehalten werden: 1. (am wichtigsten!) Der zwischengeschaltete Mittelsmann (Frau Reich) darf nicht verpflichtet sein, das erhaltene Geld weiter zu verschenken. 2. Der Mittelsmann sollte das Geld nicht sofort an Sönke Reich weiterschenken, sondern ein paar Wochen warten. 5