econstor zbw www.econstor.eu



Ähnliche Dokumente
Das zweite Griechenland-Hilfspaket: Der Bundestag sollte zustimmen (unter Bedenken )

Working Paper Gründungen und Liquidationen im Jahr 2006 in Deutschland. Working Paper, Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn, No.

Research Report Kritische Darstellung der theoretischen Grundlagen zum Bildungscontrolling bei verhaltensorientierten Personalentwicklungsmaßnahmen

Öffentliche Finanzen in Griechenland. Dafür was sich ein Land konsumtiven Ausgaben leisten kann, ist das BIP pro Kopf ein guter Maßstab.

Provided in Cooperation with: Macroeconomic Policy Institute (IMK) at the Hans Boeckler Foundation

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Wir machen neue Politik für Baden-Württemberg

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

Finanzen. Gesamtausgaben steigen in Niedersachsen unterdurchschnittlich. Kräftiger Anstieg der Sachinvestitionen in Niedersachsen

Allensbach: Das Elterngeld im Urteil der jungen Eltern

der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei

EU und Euro am Abgrund Teil 8

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

1. Fabrikatshändlerkongress. Schlussworte Robert Rademacher

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

1. Weniger Steuern zahlen

Gutes Leben was ist das?

DAS PARETO PRINZIP DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Mobile Intranet in Unternehmen

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Die Chance des Jahres bei Unternehmensanleihen?

Alle Schlüssel-Karten (blaue Rückseite) werden den Schlüssel-Farben nach sortiert und in vier getrennte Stapel mit der Bildseite nach oben gelegt.

Was ist das Budget für Arbeit?

Rede im Deutschen Bundestag. Zum Mindestlohn. Gehalten am zu TOP 17 Mindestlohn

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Das Geschäftsklima gibt saisonbedingt leicht nach

Letzte Krankenkassen streichen Zusatzbeiträge

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

Zusatzmaterialen zur Folge 06. Sparen bis zum Untergang? Reformpolitik in der Krise

Verjährungsfalle Gewährleistungsbürgschaft. -Unterschiedliche Verjährungsfristen für Mängelansprüche und Ansprüche aus der Gewährleistungsbürgschaft

Mehr Geld verdienen! Lesen Sie... Peter von Karst. Ihre Leseprobe. der schlüssel zum leben. So gehen Sie konkret vor!

50 Fragen, um Dir das Rauchen abzugewöhnen 1/6

Rohstoffanalyse - COT Daten - Gold, Fleischmärkte, Orangensaft, Crude Oil, US Zinsen, S&P500 - KW 07/2009

ConTraX Real Estate. Büromarkt in Deutschland 2005 / Office Market Report

Elternzeit Was ist das?

Bankenunion: Illusion der Kontrolleure?

Hinweise in Leichter Sprache zum Vertrag über das Betreute Wohnen

Anleitung über den Umgang mit Schildern

Resultate 2. Umfrage «Reformakzeptanz Altersvorsorge 2020»

Wie kann Ihr Unternehmen von Leadership Branding profitieren?

Deutschland-Check Nr. 35

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

ratgeber Urlaub - Dein gutes Recht

Statuten in leichter Sprache

Deutschland-Check Nr. 34

Projektmanagement in der Spieleentwicklung

Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele

Privatanleger erwarten anhaltend negative Realzinsen

Schutz vor Insolvenzanfechtung

B: bei mir war es ja die X, die hat schon lange probiert mich dahin zu kriegen, aber es hat eine Weile gedauert.

Makro-Tutoriums-Blatt 5. Die Geldnachfrage und die LM-Kurve

BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

Outlook. sysplus.ch outlook - mail-grundlagen Seite 1/8. Mail-Grundlagen. Posteingang

Wichtiges Thema: Ihre private Rente und der viel zu wenig beachtete - Rentenfaktor

So funktioniert Ihr Selbstmanagement noch besser

Wir machen uns stark! Parlament der Ausgegrenzten

100 Mikrokredite und Abschluss der Pilotphase. Ruedi Winkler, Präsident Verein GO! Ziel selbstständig

S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

Referentenentwurf Alterssicherungsstärkungsgesetz

Grußwort Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Produktpiraterie

Kulturelle Evolution 12

Zwischenablage (Bilder, Texte,...)

Mustervortrag zum Foliensatz Rente ab 67 stoppen Soziale Alternativen durchsetzen!

mehrmals mehrmals mehrmals alle seltener nie mindestens **) in der im Monat im Jahr 1 bis 2 alle 1 bis 2 Woche Jahre Jahre % % % % % % %

Gelassenheit gewinnen 30 Bilder für ein starkes Selbst

Meinungen zu nachhaltigen Geldanlagen

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Welches Übersetzungsbüro passt zu mir?

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Rettungspaket für Griechenland - EFSF - ESM

Lichtbrechung an Linsen

Die neue Aufgabe von der Monitoring-Stelle. Das ist die Monitoring-Stelle:

4. Das neue Recht der GmbH ein Überblick

Sparen in Deutschland - mit Blick über die Ländergrenzen

NEUE REGELUNG DES ZUGEWINNAUSGLEICHES BEI DER SCHEIDUNG AB

WIR MACHEN SIE ZUM BEKANNTEN VERSENDER

Häufig gestellte Fragen zum Thema Migration

Modul 2 Nur eine Unterschrift, nur ein Klick?! Verträge- Rechte und Pflichten

DNotI. Fax - Abfrage. GrEStG 1 Abs. 3 Anteilsvereinigung bei Treuhandverhältnissen. I. Sachverhalt:

Kinderarmut. 1. Kapitel: Kinderarmut in der Welt

Nicht ein Schuldenschnitt, ein Wachstumsprogramm wäre der richtige Weg

Handbuch. NAFI Online-Spezial. Kunden- / Datenverwaltung. 1. Auflage. (Stand: )

BUCHHALTUNG BUCHFÜHRUNG WO IST ER EIGENTLICH? - DER UNTERSCHIED?

Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung Was ändert sich? Was bleibt?

Fremdwährungsanteil bei Tilgungsträgerkrediten bei 86 % eine Analyse der Fremdwährungskreditstatistik 1

Schuldenbarometer 1. Q. 2009

Privatinsolvenz anmelden oder vielleicht sogar vermeiden. Tipps und Hinweise für die Anmeldung der Privatinsolvenz

Workflows verwalten. Tipps & Tricks

Glaube an die Existenz von Regeln für Vergleiche und Kenntnis der Regeln

Anspar-Darlehensvertrag

Qualität und Verlässlichkeit Das verstehen die Deutschen unter Geschäftsmoral!

Dann zahlt die Regierung einen Teil der Kosten oder alle Kosten für den Dolmetscher.

Steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten nutzen

Info zum Zusammenhang von Auflösung und Genauigkeit

Video-Thema Manuskript & Glossar

Ergebnis und Auswertung der BSV-Online-Umfrage zur dienstlichen Beurteilung

Schnellstart - Checkliste

Transkript:

econstor www.econstor.eu Der Open-Access-Publikationsserver der ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft The Open Access Publication Server of the ZBW Leibniz Information Centre for Economics Matthes, Jürgen Article Ein differenzierter Blick auf das zweite Griechenland- Hilfspaket Wirtschaftsdienst Suggested Citation: Matthes, Jürgen (2012) : Ein differenzierter Blick auf das zweite Griechenland-Hilfspaket, Wirtschaftsdienst, ISSN 1613978X, Springer, Heidelberg, Vol. 92, Iss. 3, pp. 169-172, http://dx.doi.org/10.1007/s10273-012-1356-5 This Version is available at: http://hdl.handle.net/10419/97673 Nutzungsbedingungen: Die ZBW räumt Ihnen als Nutzerin/Nutzer das unentgeltliche, räumlich unbeschränkte und zeitlich auf die Dauer des Schutzrechts beschränkte einfache Recht ein, das ausgewählte Werk im Rahmen der unter http://www.econstor.eu/dspace/nutzungsbedingungen nachzulesenden vollständigen Nutzungsbedingungen zu vervielfältigen, mit denen die Nutzerin/der Nutzer sich durch die erste Nutzung einverstanden erklärt. Terms of use: The ZBW grants you, the user, the non-exclusive right to use the selected work free of charge, territorially unrestricted and within the time limit of the term of the property rights according to the terms specified at http://www.econstor.eu/dspace/nutzungsbedingungen By the first use of the selected work the user agrees and declares to comply with these terms of use. zbw Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Leibniz Information Centre for Economics

DOI: 10.1007/s10273-012-1356-5 Analysen und Berichte Jürgen Matthes Ein differenzierter Blick auf das zweite Griechenland-Hilfspaket Der Bundestag hat dem zweiten Rettungspaket für Griechenland am 27. Februar 2012 zugestimmt. Dabei wurde viel Kritik laut. Unter anderem befürchteten einige Abgeordnete, der endgültige Einstieg in die Transferunion sei nun besiegelt. Außerdem wurden Stimmen lauter, die einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone forderten. Der Autor prüft diese Einwände aus verschiedenen Perspektiven. Angesichts der prekären wirtschaftlichen und politischen Lage in Griechenland bleiben keine wirklich guten Alternativen. Die Wahl besteht nur noch zwischen Skylla und Charybdis: Viel Kritik steht im Raum. Es werde gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen und so der Einstieg in die Transferunion endgültig besiegelt. Die privaten Gläubiger müssten bluten, während sich die öffentlichen an Griechenland schadlos hielten. Der Schuldenschnitt sei eine Einladung an die anderen Krisenstaaten, ihrerseits nach Erleichterungen zu rufen. Und es herrscht Skepsis über die Verlässlichkeit der griechischen Reformversprechen. Zudem werden gewagte Forderungen aufgestellt. Griechenland solle aus der Währungsunion austreten und die neue Währung stark abwerten lassen. 1 Die zu erwartenden wirtschaftlichen Turbulenzen könnten mit öffentlichen Geldern abgefedert werden, danach sei bald mit einer wirtschaftlichen Erholung zu rechnen. Vieles davon hat einen wahren Kern, doch erscheint manche Interpretation zu pessimistisch, manche Empfehlung zu unbedacht und gefährlich. Vor diesem Hintergrund ist die Herausforderung an die Politik extrem hoch, in dieser terra incognita den richtigen Weg zu finden. Die folgenden differenzierenden Argumente sollen dafür eine Handreichung sein. gen, dass die Kollateralschäden für Griechenland und Ansteckungseffekte für andere Staaten begrenzt bleiben. Dahinter steckt sehr viel Finesse im Detail, obwohl die Technokraten in der EU hier zuvor keine nennenswerte Erfahrung hatten. Es ging beispielsweise darum, das griechische Bankensystem funktionsfähig zu halten und die EZB zu schützen. Griechenlands Schuldenlast wird auf diese Weise davor bewahrt, massiv zu eskalieren. Ob das ausreicht, um die Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen, ist allerdings nicht gesichert und hängt vor allem von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung dort ab. Die Beteiligung privater Investoren ist gerade in Deutschland lange Zeit mit großem Nachdruck gefordert worden, damit die Anleger in Zukunft vorsichtiger agieren. Das ist nun erreicht. Umso mehr verwundert es, wenn manche Beobachter, die dies besonders stark propagierten, nun die privaten Investoren zu bedauern scheinen. Von dieser Seite wird auch kritisiert, dass sich die öffentlichen Gläubiger einschließlich der Notenbanken eine Vorzugsbehandlung eingeräumt haben. Diese Kritik ist durchaus angebracht. Denn sie schafft in der Tat rechtliche Unsicherheit und könnte die Rückkehr der Krisenländer unter dem Rettungsschirm an den Finanzmarkt erschweren. Wie gravierend dies in Zukunft wirklich sein wird, muss freilich abgewartet werden. Doch wäre der Schuldenschnitt mehr Licht als Dunkel Der Schuldenschnitt in Griechenland ist zunächst einmal ein bemerkenswerter Schritt. Es scheint gelungen, die historisch größte Umschuldung so auf den Weg zu brin- 1 T. Peter: Innenminister Friedrich rät Griechenland zu Austritt aus der Euro-Zone, Zeit Online vom 25.2.2012, http://www.zeit.de/politik/ deutschland/2012-02/friedrich-griechenland-euro; H.-W. Sinn: Griechen schaffen es nicht im Euro, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.2.2012, S. 11. Jürgen Matthes, Dipl.-Volkswirt, leitet das Referat Internationale Wirtschaftsordnung am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln). ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 169

ordnungspolitische Aufschrei wohl zu Recht noch größer gewesen, wenn man keine Vorzugsbehandlung eingeführt hätte. Dann wären die europäischen Steuerzahler zur Kasse gebeten worden und die EZB hätte sich am Schuldenschnitt beteiligen und damit Staatsfinanzierung betreiben müssen. Eine problemfreie Lösung gab es in diesem Fall nicht. Schließlich kann mit gewisser Rechtfertigung befürchtet werden, dass von dem für Griechenland vergleichsweise reibungslos orchestrierten Schuldenschnitt problematische Anreize auf andere Eurostaaten ausgehen. Das harte Vorgehen gegenüber Griechenland mit Blick auf die umfangreichen Reformbedingungen vor der Auszahlung des zweiten Hilfspaketes und die Einrichtung eines Sperrkontos sollen wohl eine Abschreckungswirkung haben. Austritt aus der Währungsunion birgt hohe Risiken Weil es der griechischen Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit und exportgetriebenem Wachstum fehlt, wären aus theoretischer Sicht die Wiedereinführung einer eigenen Währung und deren folgende deutliche Abwertung in der Tat ratsam. Doch drohen bei einem solchen Schritt sehr schwer kalkulierbare Ansteckungseffekte auch auf die großen Länder Spanien und Italien. Am Finanzmarkt könnten Erwartungen aufkommen, dass diese Länder bei einer Verschlechterung ihrer Schuldentragfähigkeit auch den Euro aufgeben könnten. Das große Problem dabei ist, dass die Zinsen auf die Anleihen dieser Staaten stark steigen würden, wenn die Investoren wieder Wechselkursrisiken einpreisten. Denn ein Großteil der von den Eurostaaten begebenen Anleihen sind nach nationalem Recht ausgestellt, in Spanien nach Angaben der Deka Bank 2 knapp die Hälfte und in Italien 100%. Im Falle eines Euro-Austritts könnten diese Anleihen mit einfachem Parlamentsbeschluss auf die neue eigene Währung umgestellt werden, die danach wohl deutlich abwerten würde. Das würde für die Besitzer dieser Anleihen herbe Verluste mit sich bringen. Dieses Risiko könnten sie daher am Finanzmarkt einpreisen. Es besteht dann die Gefahr, dass der resultierende starke Zinsanstieg eine sich selbst erfüllende Prophezeiung schafft, weil er die Schuldentragfähigkeit der Krisenländer tatsächlich in Frage stellen würde. Italien aber könnte 2 K. Junius: Austritte aus der EWU: Was passiert, wenn?, in: Volkswirtschaft Spezial, Nr. 7, DekaBank, Frankfurt a.m. 2010. mit den derzeit verfügbaren Rettungsstrategien der Eurozone nicht aufgefangen werden. Und ein italienischer Staatsbankrott würde wohl das gesamte internationale Finanzsystem in seinen Grundfesten erschüttern. Dieses Risiko ist prohibitiv. Man mag einwenden, dass Ansteckungseffekte unwahrscheinlicher geworden sind, weil die Zinsen auf italienische und spanische Staatsanleihen zuletzt deutlich gesunken und die Finanzmärkte offenbar weniger ängstlich sind. Doch kann sich das aller Erfahrung nach schnell ändern, etwa wenn die Rezessionen in diesen Ländern noch tiefer ausfallen als erwartet. Darüber hinaus hat die Eurozone mit den Reformkursen dieser Länder und der Liquiditätsflutung der Bankenmärkte durch die EZB nahezu ihre letzten Trümpfe aus dem Ärmel gezogen. Damit gelang es, die prekäre Lage Ende 2011 zu beruhigen, als selbst die belgischen und französischen Zinsen stiegen und die Sorge um einen Zusammenbruch der Eurozone aufflammte. Bei einer erneuten Zuspitzung der Lage und einer starken Verkaufswelle von italienischen Staatsanleihen blieben möglicherweise nur noch massive EZB-Ankäufe am Sekundär- oder gar Primärmarkt, die weder ökonomisch sinnvoll noch rechtlich zulässig wären. Ein Euro-Austritt Griechenlands bringt eine weitere Form der Ansteckungsgefahr mit sich. Denn in anderen Krisenstaaten könnte es bei einer Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit zu Bank Runs und damit zu einem Zusammenbruch des Bankensystems kommen. Mit Blick auf das griechische Beispiel würden die Menschen möglicherweise auch einen Euro-Austritt mit folgender Abwertung fürchten. Es droht dann die Gefahr, dass sie frühzeitig ihre Eurokonten räumen, um ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. Eine Einlagengarantie könnte theoretisch diese Sorge mindern, doch wäre ein solches Versprechen der ohnehin schon finanziell überlasteten Krisenstaaten kaum glaubwürdig. Wie verlässlich sind die griechischen Reformversprechen? Die Austrittsoption könnte die Verhandlungsposition der Troika aus EU, EZB und IWF theoretisch schwächen. Denn die Drohung, die Auszahlung des zweiten Hilfspakets zu verweigern, erscheint nur wenig glaubwürdig, weil Griechenland dann im Zuge eines ungeordneten Staatsbankrotts auch aus dem Euro austreten kann. Diese Anreizkonstellation lässt in der Tat gewisse Sorgen um die mittelfristige Belastbarkeit der griechischen Reformversprechen aufkommen. 170 Wirtschaftsdienst 2012 3

Gemischte Erfolgsbilanz bisher Zwar ist die bisherige Reformbilanz Griechenlands insgesamt gemischt und nach einem beherzten Beginn erlahmte der Eifer ab Mitte 2011. Gleichwohl weist der fünfte IWF-Review 3 des Griechenlandprogramms durchaus auch wichtige Erfolge aus. So sind die Staatsausgaben stärker zurückgegangen als ursprünglich vorgesehen war. Die Primärausgaben (ohne Zinsen) sanken zwischen 2009 und 2011 (Schätzung) um rund 17% wenngleich von hohem Niveau. (Für Deutschland entspräche das einer Größenordnung von etwa 170 bis 180 Mrd. Euro.) Die Staatsausgabenquote ging in diesem Zeitraum von über 48% auf rund 43% des BIP zurück, obwohl die Wirtschaftsleistung kräftig schrumpfte. Zwar wurden die Defizitziele nicht erreicht, da sich die Staatseinnahmen wegen der tiefen Rezession deutlich schlechter entwickelten als angenommen. Gleichwohl sank das Primärdefizit zwischen 2009 und 2011 von 10% auf rund 2,5% des BIP. Bei den Strukturreformen ist ebenso einiges bereits auf den Weg gebracht worden: Der zuvor hohe Kündigungsschutz, der als Einstellungsbarriere für Arbeitslose wirkt, ist gesenkt worden. Der administrative Aufwand für die Genehmigung von Unternehmensgründungen und großen Investitionsprojekten ist drastisch gesenkt worden. Öffnungsklauseln von Branchentarifverträgen und mehr Dezentralisierung durch ein stärkeres Gewicht von Firmentarifverträgen sind beschlossen, es fehlt aber noch an der Nutzung dieser neuen Möglichkeiten. Bei weiteren Reformen mangelt es ebenfalls noch an durchgreifenden Erfolgen in der wirtschaftlichen Praxis oder an der Umsetzung im Parlament oder der Verwaltung. Stärkerer Reformdruck und mehr Kontrollen in Zukunft Die Eurogruppe hat daher zu Recht mit verschiedenen Maßnahmen den Reformdruck erhöht. 3 IMF: Greece Fifth Review Under the Stand-By-Arrangement, IMF Country Report, Nr. 11/351, Washington DC, Dezember 2011. Noch bevor das Hilfspaket endgültig beschlossen wird, muss Griechenland eine lange Liste von prior action, also von vorher zu erbringenden Reformmaßnahmen beschließen. Inzwischen hat das griechische Parlament beispielsweise weiteren Kürzungen im lange Zeit großzügigen Rentensystem und im als teuer und ineffi - zient geltenden Gesundheitssystem zugestimmt. Um zu gewährleisten, dass diese von der griechischen Verwaltung in Zukunft besser umgesetzt werden, sollen noch mehr EU-Experten dauerhaft die Mitarbeiter in den griechischen Ministerien beraten und überwachen (ohne freilich Weisungsrechte zu haben). Darüber hinaus schränkt die Einrichtung eines Sperrkontos zur Sicherstellung des Schuldendienstes die Souveränität des griechischen Staates weiter ein. Dieses Vorgehen ist richtig, es bleibt aber abzuwarten, inwieweit die Maßnahmen ausreichen. Letztlich wird sich die Verhandlungsposition der Troika deutlich stärken, wenn sich Italien und Spanien so weit reformiert haben, dass ihre Schuldentragfähigkeit nicht mehr in Frage steht und somit Ansteckungseffekte sehr viel unwahrscheinlicher werden. Mit dem zweiten Hilfspaket wird auch Zeit für die Erreichung dieses Ziels gekauft. Ein weiteres Risiko droht bei den anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland. Denn jüngste Umfragen zeigen, dass die beiden großen Traditionsparteien Pasok und NeoDimokratia an Zustimmung verlieren und eine Koalition beider Parteien möglicherweise keine eigene Mehrheit haben wird. Stattdessen erstarken Parteien am linken Rand des politischen Spektrums, die dem Reformprogramm bislang kritisch gegenüberstehen. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob diese Parteien in der Regierung dem internationalen Druck widerstehen würden, der dann massiv auf sie einwirken würde. Ist der Weg in die Transferunion unausweichlich? Die Erfolgsaussichten des zweiten Hilfspaketes sind gemischt. Sie hängen vor allem davon ab, dass das Wachstum in Griechenland in ein bis zwei Jahren wieder ausreichend anspringt. Zudem muss die Regierung das Konsolidierungsziel erreichen, mittelfristig einen ausreichend hohen Primärüberschuss zu erzielen. Einem Land mit fragwürdigen Zukunftsaussichten neue Kredite in erheblichem Umfang zu gewähren, erweckt den Anschein, gutes Geld schlechtem hinterher zu werfen und das in ein Fass ohne Boden. Zuweilen ist gar vom Einstieg in die Transferunion die Rede. ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 171

Die Rechtfertigung dieser Einschätzung hängt freilich entscheidend davon ab, ob Griechenland dauerhaft den Schuldendienst auf die Kredite leistet oder ob die Schuldenlast immer weiter steigt, sodass es auch gegenüber den öffentlichen Gläubigern irgendwann die Forderungen kürzen muss. Erst dann würden die europäischen Steuerzahler nennenswert zur Kasse gebeten werden, weil sie für die Rückzahlung der Anleihen einstehen müssten, die die EFSF (später der ESM) aufgenommen haben, um die Kreditzahlungen an Griechenland zu finanzieren. Solange Griechenland sich die Zinsen leisten kann, solange die Zinssätze auf griechische Kredite mindestens so hoch sind wie auf die Anleihen von EFSF oder ESM und solange keine Kürzung der öffentlichen Forderungen erfolgt, fließen keine direkten Transfers zulasten der europäischen Steuerzahler. Um all dies möglichst zu gewährleisten, wurden die Kredithilfen für Griechenland auf 15 bis 30 Jahre gestreckt. Denn erst langfristig wird das Land wieder mit reformiertem Wachstumsmodell, verbesserter Wettbewerbsfähigkeit und tragfähigen Schulden an den Finanzmarkt zurückkehren können. Damit besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der europäischen Hilfsstrategie gegenüber Griechenland, Portugal und Irland auf der einen und dem deutschen Länderfinanzausgleich auf der anderen Seite. Bei letzterem werden keine Kredite, sondern echte Transfers quasi Geldgeschenke an defizitäre Bundesländer, wie Bremen oder das Saarland, überwiesen. Zudem fließen die Summen in Deutschland nicht wie bei den Euro- Krisenstaaten gegen Reformbedingungen, sondern ohne jegliche Auflage. Von einer derartigen Transferunion ist die Eurozone weit entfernt. 4 Ausblick Damit die Finanzhilfen nicht in ein Fass ohne Boden fließen, muss es gelingen, die öffentliche Schuldenquote möglichst bald zu stabilisieren. Möglicherweise stehen die Chancen dafür nicht so schlecht wie befürchtet. Denn wenn es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht und auch, unterstützt durch eine allmählich effektivere Finanzverwaltung, die Steuereinnahmen steigen, könnte sich das Budget womöglich schneller als erwartet erholen, weil die Staatsausgaben bereits stark gesunken sind. Doch auch dies ist zweifellos eine Hoffnungsbuchung. 4 J. Matthes: Transferunion, in: Das Wirtschaftsstudium, Bd. 40, Nr. 10, 2011, S. 1315. Wenn dagegen die griechische Politik ihre Reformversprechen nicht einhält oder die Wirtschaftsleistung noch stärker sinkt als erwartet, dürfte dieses Ziel nicht schnell genug erreichbar sein. Deshalb ist es zum einen nun notwendig, den Reformdruck auf Griechenland aufrecht zu erhalten. Wie schon erläutert, ist hier mit dem zweiten Reformpaket offensichtlich eine neue konsequente Haltung eingekehrt. Zudem geht es darum, die kurz- und mittelfristigen Wachstumskräfte zu stärken. Die vielfältigen im Reformprogramm aufgeführten Strukturreformen dienen auf mittlere Frist dazu, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu erhöhen. Auf sie ist bislang im Vergleich zur Konsolidierung zu wenig Gewicht und offenbar auch zu wenig Reformdruck gelegt worden. Das wird sich mit dem zweiten Hilfspaket zu Recht ändern. 5 Um das kurzfristige Wachstum nicht zu sehr zu dämpfen, wird der Konsolidierungsdruck leicht gestreckt auch dies ist richtig. Mit Blick auf öffentlich geförderte Investitionen ist die Europäische Investitionsbank (EIB) schon sehr aktiv und sollte durch eine Kapitalaufstockung dabei unterstützt werden, dies auch weiter tun zu können. Die für Griechenland noch verfügbaren EU-Strukturfondsmittel in Höhe von offenbar rund 15 Mrd. Euro gilt es ebenfalls schnell zu mobilisieren. Die Aufstockung der EU-Task-Force in Griechenland kann auch dazu dienlich sein. 6 Darüber hinaus geht es darum, heimische und ausländische Investitionen zu mobilisieren. Die bereits erreichte Reform der Genehmigungsprozeduren kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Doch angesichts der düsteren Konjunkturperspektiven sind Investoren derzeit schwer zu finden. Es stellt sich die Frage, ob das Konzept einer Exportwirtschaftszone mit einfachem Steuerrecht und effektiver wirtschaftsfreundlicher Bürokratie hier möglicherweise weiterhelfen kann, wobei zunächst die Kompatibilität mit dem EU-Recht zu klären wäre. 5 H. Zemanek, A. Belke, G. Schnabl: Current account balances and structural adjustment in the euro area, in: International Economics and Economic Policy, 7. Jg. (2010), H. 1, S. 83-127; OECD: Going for Growth, Paris 2012. 6 B. Marzinotto: The numbers behind the New EU Growth Fund, Bruegel, http://www.bruegel.org/publications/publication-detail/ publication/684-the-numbers-behind-a-new-eu-growth-fund/. 172 Wirtschaftsdienst 2012 3