Gesetzliche Rentenversicherung



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Transkript:

Gesetzliche Rentenversicherung Günzburg, 14. Juni 2013 Georg Neurologische Klinik Städt. Klinikum Karlsruhe (unter Mithilfe von Bernhard Widder) Gesetzliche Rentenversicherung - Ursprung in der Sozialgesetzgebung Bismarcks - 1883 Krankenversicherungsgesetz - 1884 Unfallversicherungsgesetz - 1889 Gesetz zur Alters- und Invaliditätssicherung (Rentenversicherung) 2 1

Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung - 1889 Gesetz zur Alters- und Invaliditätssicherung (für die durch Alter oder Invalidität hervorgerufene Erwerbsunfähigkeit) Invaliditätsrente frühestens nach 5-jähriger Beitragszahlung Rentenanspruch für eine Altersrente mit Vollendung des 70. Lebensjahres Träger der Versicherung sind Landesversicherungsanstalten Finanzierung zu je einem Drittel von den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern und vom Reich - 1911 Zusammenfassung der die bis dahin geltenden Gesetze über die Krankheits-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersgesetzgebung zur Reichsversicherungsordnung (RVO) - 1975 Ersatz der RVO durch das Sozialgesetzbuch (SGB VI) Gesetzliche Rentenversicherung 3 Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung 4 2

Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung* - Heilbehandlung, Berufsförderung und andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit einschließlich wirtschaftlicher Hilfen - Renten wegen Alters - Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze - Renten wegen Todes - Witwen- und Witwerrentenabfindungen - Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung - Leistungen für Kindererziehung * gemäß 23 (1) SGB I 5 6 3

SGB VI - Gesetzgebung bis 31.12.2000-43 Rente wegen Berufsunfähigkeit... Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsminderung wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist... - 44 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit... Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel dermonatlichen Bezugsgrößeübersteigt... 7 SGB VI - Gesetzgebung bis 31.12.2000-43 Rente Vertrauensschutz wegen Berufsunfähigkeit 240 SGB VI:... Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsminderung Versicherte, die bei Inkrafttreten der wegen Krankheit Reform das oder 40. Behinderung Lebensjahr vollendet auf weniger als die Hälfte derjenigen haben von körperlich, (Geburtsdatum1.1.1961 geistig und seelisch oder gesunden Versicherten älter),haben mit ähnlicher weiterhin Ausbildung einen Anspruch und gleichwertigen auf Teilrente wegen Berufsunfähigkeit. Sie Kenntnissen erhalten und Fähigkeiten eine halbe Erwerbsminderungsrente, wegen wenn Erwerbsunfähigkeit sie in ihrem bisherigen oder gesunken ist... - 44 Rente... Erwerbsunfähig einem zumutbaren sind Versicherte, anderen Beruf die wegen nicht Krankheit oder mehr 6 Stunden täglich arbeiten können. Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel dermonatlichen Bezugsgrößeübersteigt... 8 4

Rechtsbegriffe und deren Definition Begriff Vorkommen Definition Arbeitsunfähigkeit (AU) Berufsunfähigkeit (BU) Gesetzliche u. private Krankenversicherung Gesetzliche Rentenversicherung Berufsunfähigkeits (Zusatz)Versicherung Vorübergehende Unfähigkeit zur Ausübung der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit Leistungsfähigkeit im bisherigen Beruf auf unter 6 Stunden gesunken und Geburtsdatum vor dem 2.1.1961 > 6 Monate bestehende Einschränkung im zuletzt ausgeübten Beruf von (meist) > 50 % Erwerbsunfähigkeit Soz. Entschädigungsrecht MdE > 90 v.h. Private Erwerbsunfähigkeitsversicherung Variable Definitionen (1-3 Stunden Leistungsfähigkeit, Pflegebedürftigkeit) Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Gesetzliche Unfallversicherung Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens Haftpflichtversicherung Zuletzt ausgeübter Beruf 9 SGB VI - Gesetzgebung seit 1.1.2001 - Teilweise Erwerbsminderung - Volle Erwerbsminderung 10 5

SGB VI - Gesetzgebung seit 1.1.2001 43 Rente wegen Erwerbsminderung -... Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. -... Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ausschließlich zeitlicher ( quantitativer ) Maßstab für die Beurteilung einer möglichen Erwerbsminderung 11 SGB VI - Gesetzgebung seit 1.1.2001 43 Rente wegen Erwerbsminderung -... Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. -... Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Leistungseinschränkung muss auf nicht absehbare Zeit vorliegen (Befristung von Renten auf jeweils 3 Jahre bis max. 9 Jahre) 12 6

Zusammenfassung (1) - Im Rentenverfahren macht der Gutachter Aussagen zum negativen und positiven Leistungsbild zu qualitativen Leistungseinschränkungen zu quantitativen Leistungseinschränkungen zur beruflichen Leistungsfähigkeit (abstrakt / ggf. im Beruf): 6 Stunden, 3 bis unter 6 Stunden, unter 3 Stunden - Er macht keine Aussagen zur Arbeits-, Erwerbs- oder Berufs(un)fähigkeit zu einer möglichen Erwerbsminderung zur Minderung der Erwerbsfähigkeit 13 SGB VI - Gesetzgebung seit 1.1.2001 43 Rente wegen Erwerbsminderung -... Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktesmindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. - Nicht relevant: Arbeitsmarktlage - Relevant: Unübliche Arbeitsbedingungen mit hierdurch verschlossenem Arbeitsmarkt 14 7

Übliche und unübliche Bedingungen - BSG Großer Senat vom 19.12.1996 -GS 2/95: Es genügt, dass das Restleistungsvermögen des Versicherten körperlich mittelschwere oder leichtere Arbeiten erlaubt (z.b. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen), wie es bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert wird. - BSG vom 1.3.1984-4 RJ 43/83: Es besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Darunter fallen nicht die "üblichen" Leistungseinschränkungen wie z.b. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungenan das Seh-, Hörund Konzentrationsvermögenerfordern. 15 Volle EM bei unüblichen Bedingungen und Fehlen einer Verweistätigkeit 1. Betriebsunübliche Pausen - BSG vom 6.6.1986-5b RJ 42/85: Bei einem auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten, der auch zusätzliche Arbeitspausen von zweimal 15 Minuten täglich einlegen muss, bedarf es der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit. - Hessisches LSG vom 25.3.1992 - L 6/13 J 1581/86: Sind dem Kläger zwecks regelmäßiger Einnahme der Mahlzeiten alle 2,5 bis 3 Stunden, d.h. ca. 3mal während eines 8-stündigen Arbeitstages Pausen von ca. 15 Minuten Dauer einzuräumen, so bedeutet diese Notwendigkeit, dass der Arbeitsmarkt für den Kläger unter diesen Umständen bei Berücksichtigung der Arbeitszeitordnung als verschlossen angesehen werden muss, da solche Arbeitplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in nennenswertem Umfang zur Verfügung stehen. => Konkrete Verweistätigkeit gar nicht mehr erforderlich 16 8

Volle EM bei unüblichen Bedingungen und Fehlen einer Verweistätigkeit 2. Eingeschränkte Wegefähigkeit BSG vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, nach einem generalisierenden Maßstab. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.b. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.b. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs. Benennung einer konkreten Verweistätigkeit erforderlich 3. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen BSG vom 1.3.1984-4 RJ 43/83 Zusammentreffen mehrerer Leistungseinschränkungen, die nicht bereits von dem Erfordernis körperlich leichte Arbeit erfasst werden, so dass sie als ungewöhnlich anzusehen sind. BSG vom 23.5.2006 - B 13 RJ 38/05 R Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch keine allgemein gültigen Anforderungen aufgestellt werden. Der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Benennung einer konkreten Verweistätigkeit erforderlich 9

Qualitative Leistungseinschränkungen I - Probleme des Bewegungs- und Stützapparates Heben, Tragen und Bewegenleichter, mittelschwerer und schwerer Lasten Verrichtung von Arbeitsleistungen im Bücken und Knien Arbeitsverrichtung in Zwangshaltungen, einseitigen Körperhaltungen Arbeitsbedingungen mit schwankenden oder extremen Temperaturen Arbeitsleistungen unter Beeinflussung von Erschütterung, Vibrationen, Nässe und Zugluft - Probleme der Stand- und Gangsicherheit Verrichtung von Arbeitsleistungen mit Ersteigen von Treppen, auf Leitern und Gerüsten Verrichtung von Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr, Eigen- und Fremdgefährdung (z.b. Absturzgefahr, laufende Maschinen, Starkstrom) 19 Qualitative Leistungseinschränkungen II - Arbeitszeitverteilung in Schichtarbeit (Wechselschicht, Früh- und Spätschicht mit und ohne Nachtschicht) Erbringung von Arbeitsleistungen unter besonderem Zeitdruck (Akkord, Fließband) psychische Belastbarkeit im Bereich des Konzentrationsvermögens, der Reaktionsschnelligkeit, der Ausdauer, der Zuverlässigkeit, des abstrakten Denkvermögens, des perspektivischen Handelns, der Umstellungsfähigkeit, der Kritikfähigkeit, des Durchsetzungsvermögens, der Anpassungsfähigkeit, des Verantwortungsgefühls, der Kontakt- und Teamfähigkeit Kontakt mit Publikum, Kunden 20 10

Migrantenurteil BSG vom10.12.2003 -B 5 RJ 64/02 R: Bei Prüfung, ob eine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, ist der nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder Minderbegabung beruhende Analphabetismus eines im Ausland aufgewachsenen Versicherten zu berücksichtigen, wenn er sicher festgestellt ist und das weite Feld der Tätigkeiten, welche die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erfordern, aufgrund der hinzugetretenen Leistungseinschränkungen nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht mehr offen steht. nurmehr körperlich leichte Tätigkeiten ohne Heben + kaum Ausdrucksmöglichkeiten in der deutschen Sprache =? 21 Volle EM bei unüblichen Bedingungen und Fehlen einer Verweistätigkeit 4. Schwere spezifische Leistungsbehinderung Sonderfall, der für denjenigen Versicherten zutrifft, bei denen bereits eine einzige schwerwiegende Leistungseinschränkung ein weites Feld von Einsatzmöglichkeiten versperrt. Beispiele * - Einäugigkeit oder Einarmigkeit - Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit einer Hand - Anfallsleiden Migräne (?) * Sozialmedizinisches Glossar der Deutschen Rentenversicherung 2008 22 11

Zusammenfassung (2) Regelmäßig Anerkennung einer vollen Erwerbsminderungsrente trotz vollschichtiger Leistungsfähigkeit (6 Stunden) bei a) eingeschränkter Wegefähigkeit b) Erfordernis betriebsunüblicher Pausen c) Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen d) schwerer spezifischer Leistungsbehinderung trotz 3 bis unter 6 Stunden Leistungsfähigkeit bei a) einjähriger Arbeitslosigkeit ohne Vermittelbarkeit b) einem Alter von 60 Jahren und mehr c) Vorliegen einer Schwerbehinderung (GdB 50) 23 Aufgaben des Rentengutachters 24 12

1. Positives Leistungsbild Welche konkreten Berufe sind zumutbar, welche nicht? - Vorsicht mit Berufen, die dem Gutachter nicht detailliert bekannt sind - Berufsbilder können sich im Laufe der Jahre verändern - Beschränkung auf allgemein geläufige Berufe wie Tankstellenpächter, Hotelrezeption, Berater im Baumarkt usw. 25 2. Negatives Leistungsbild Kenntnis der Konsequenzen bei - Summierung ungewöhnlicher eistungseinschränkungen - schwerer spezifischer Leistungsbehinderung - eingeschränkter Wegefähigkeit - betriebsunüblichen Pausen 26 13

3. Quantitative Leistungsbeurteilung 3 bis unter 6 Stunden Leistungsfähigkeit führt zu voller Erwerbsminderungsrente bei - einjähriger Arbeitslosigkeit ohne Vermittelbarkeit - Alter 60 Jahre - Schwerbehinderung mit GdB 50 4. Aussagen zur Dauer und Prognose der Leistungseinschränkungen: - Rente nur bei wenigstens 6monatiger Dauer der Gesundheitsstörungen - Nach neuem Recht grundsätzlich zunächst Zeitrente 27 Mitwirkungspflichten des Versicherten SGB I 65 - Grenzen der Mitwirkung - Behandlungen und Untersuchungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, die mit erheblichen Schmerzenverbunden sind, oder die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, können abgelehnt werden. SGB I 66 - Folgen fehlender Mitwirkung... Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen... Minderung der Erwerbsfähigkeit... beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten... nicht nach..., kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. 28 14

Mitwirkungspflichten des Versicherten SGB I 65 - Grenzen der Mitwirkung - Behandlungen und Untersuchungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, die mit erheblichen Schmerzenverbunden sind, oder die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, können abgelehnt werden. SGB I 66 - Folgen fehlender Mitwirkung... Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen... Minderung der Erwerbsfähigkeit... beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten... nicht nach..., kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung BSG vom20.10.2004 -B 5 RJ 48/03 R der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Für das tatsächliche Vorliegen von Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerberdie (objektive) Beweislast. 29 Gutachterliche Überzeugungsbildung Sowohl Gesundheitsstörungen als auch hieraus resultierende Funktionsstörungen müssen zur Überzeugung des Gutachters bestehen. - Beweismaß Definition Subjektive Gewissheit bzw. ohne vernünftige Zweifel : Subjektive Gewissheit ( Vollbeweis ) mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen ( 286 ZPO) 30 15

Gutachterliche Überzeugungsbildung - Plausible, nachvollziehbare oder am ehesten anzunehmende Funktionsstörungen haben in Gutachten nichts zu suchen! - Gutachterliche Überzeugungsbildung : Beschränkung auf 3 gutachterliche Aussagen! Versicherter ist überzeugt, dass er aufgrund seiner Funktionsstörungen beeinträchtigt ist - Gutachter ist überzeugt, dass die geklagten Funktionsstörungen bestehen und willentlich oder durch Therapie nicht (mehr) überwunden werden können - Gutachter ist überzeugt, dass die geklagten Funktionsstörungen bestehen, aber willentlich oder durch Therapie überwunden werden könnten - Gutachter ist nicht überzeugt, dass die Funktionsstörungen tatsächlich in dem geklagten Umfang bestehen => Anerkennung, während Therapie befristete Anerkennung, keine Anerkennung von Versicherungsleistungen 31 Zusammenfassung (3) - Beweislast des Rentenantragstellers für das tatsächliche Vorliegen der geklagten Funktionsstörungen, die Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft oder mit ärztlicher Hilfe, deren Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit - Beweismaß ist der Vollbeweis zur subjektiven Gewissheit - Überzeugungsbildung als Hauptaufgabe des Gutachters von unüberwindbaren Funktionsstörungen überzeugt nicht davon überzeugt 32 16