Informatik an einer Waldorfschule



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Transkript:

Horst F. Wedde/Thomas Beielstein Informatik an einer Waldorfschule Ziele, Erfahrungen, Perspektiven Es gilt an den Schulen fast immer noch der Grundsatz, es gehe darum,»den Computer«gemäß überholter Konzepte (elementare imperative Sprachen, Schaltwerksentwurf nach v. Neumann schem Konzept)»verstehen«zu lernen. Die Curricula, die dies festschreiben, sind älteren Datums und häufig von Menschen formuliert und propagiert worden, die Informatik gar nicht von innen (z.b. aus einem vollen Studium, geschweige aus der Forschung) kennen oder begleitet haben. Diese allgemeine Ausrichtung steht auch noch Pate bei den jetzigen Lehrkonzepten für Waldorfschulen. 1 Im übrigen spricht eine einseitig auf elementare Programmierung oder den Entwurf logischer Hardware-Funktionen gerichtete Ausbildung nur die seltenen Talente an, was solchen Unterricht nur im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften effektiv macht. Da es nun von Anfang an ein erklärtes Ziel der Waldorfschulen war, dass in 1 Lászlo Böszörményi, Informatik in der (Waldorf-)Schule,»Erziehungskunst«2/97; Gottfried Straube, Computer in der Schule, http://www.gottfried.no/articles/curry_ ty.html. Vgl. Valdemar Setzer und Lowell Monke, Computer in Education: Why, When, How, Technical Report RT-MAC-9508, Dept. of Computer Science, University of São Paulo, Juli 1995 Foto Beielstein 678

Foto Straube ihnen keine einseitig ausgebildeten Spezialisten herangezogen werden was sich auch direkt aus den Lehrplanangaben ablesen lässt 2, ergibt sich eine erstaunliche Kongruenz zwischen den obigen, aus rein fachlichen Überlegungen gewonnenen Gesichtspunkten 3 und den Grundbestrebungen der Waldorfpädagogik. Daraus lassen sich Vorgaben zur Gestaltung des Informatikunterrichts an (Waldorf-)Schulen entwickeln. Bereits ab der 8./9. Klasse sollten im Unterricht organisatorische Prozesse und Zusammenhänge behandelt werden. Dabei trifft man zwangsläufig und in Zukunft immer beherrschender auf Anwendungsgegebenheiten, die ohne Computereinsatz nicht zu bewältigen sind. Bei der Zusammenarbeit an diesen Problemstellungen kooperieren Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten und entwickeln durch die Kooperation für sich selbst neue Qualitäten. Diese Vorgehensweise soll im Folgenden anhand einzelner Erfahrungsbeispiele aus der Waldorfschule verdeutlicht werden. 2 Rudolf Steiner, Erziehungskunst Methodisch-Didaktisches, GA 294, Dornach 6 1990, S. 163:»Wir sollten daher die einzelnen Unterrichtsgegenstände gegen das Ende der Schulzeit hin in umfassendem Sinne so verwenden zu einer sozialen Bildung des Menschen Das heißt, wir sollten nicht unterlassen, aus den physikalischen naturgeschichtlichen Begriffen heraus, die wir gewonnen haben, das Kind in den Gang wenigstens ihm naheliegender Betriebssysteme einzuführen. Das Kind sollte im allgemeinen mit dem 15. und 16. Jahr einen Begriff bekommen haben von dem, was in einer Seifenfabrik oder in einer Spinnerei vor sich geht.«3 Horst F. Wedde, Das Zeitphänomen Computer der Sinn einer undurchschaubaren Technologie für die Menschheit; in diesem Heft, S. 668 ff. apple 679

Ausgangspunkt dieser Arbeiten war, dass Thomas Beielstein 1995 mit der Aufgabe betraut wurde, für den Informatikunterricht der»blote Vogel«-Schule in Witten ein Konzept zu entwickeln. Abgesehen davon, dass keine materiellen und finanziellen Mittel zur Verfügung standen (was sich im Nachhinein sogar eher als Vorteil darstellte), fand er keinen zeitgemäßen, den wirklichen Problemen und Anforderungen der heutigen Schülergeneration entsprechenden Lehrplan vor. Der an staatlichen Schulen übliche und von einigen Waldorfschulen übernommene, aber im Kern nicht modifizierte Ansatz, ausgehend von einfachen logischen Schaltungen einen Computer Stück für Stück zusammenzusetzen und dann gegen Ende der Schulzeit Anwendungsprogramme (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation o.ä.) aufzurufen, entsprach nicht seinen Vorstellungen und schon gar nicht dem Bedürfnis der von ihm zu unterrichtenden Schüler. Ausgangspunkt für einen zeitgemäßen Informatikunterricht waren für ihn das Phänomen und die Auswirkungen des Computereinsatzes in der Gesellschaft. Anschließend sollte dann in einem zweiten Schritt daran gegangen werden, durch eine vertiefende analytische Betrachtung die Funktionsweise der Computer zu untersuchen. Dies sollte jedoch immer in lebendigem Kontakt mit menschlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, anwendungstechnischen Gegebenheiten geschehen. Es geht auch nicht darum, dass alle Schüler die Funktionsweise des Computers vollständig verstehen, 4 sondern es sollen neue Formen eines beweglichen Denkens erübt werden, um komplexe Prozesse steuern zu können. Konkret hieß dies für die»blote Vogel«-Schule: Vorstellungen zu Hard- und Software mussten entwickelt, diese mussten beschafft und installiert und ein 4 Siehe Anm. 2 Der erste»computerraum«eine Abstellkammer (Fotos Beielstein) 680

Feldmessen in Tschechien, 10. Klasse geeigneter Raum eingerichtet werden. Da dies in Arbeitsgruppen geschah, erlernten die beteiligten Schüler nicht nur die Auseinandersetzung mit Hardware und Betriebssystem- und Anwendungs-Software, sondern eigneten sich auch organisatorisches und finanzielles Geschick an. Die Zusammenarbeit fand klassenstufenübergreifend statt, so dass Schüler aus der 9. mit Schülern aus der 12. Klasse zusammenarbeiteten. Geprägt durch die Erfahrungen aus dem Studium der Mathematik und Informatik an der Universität Dortmund, die konkreten Unterrichtssituationen und nicht zuletzt durch den Kontakt mit den Schülern, entwickelte Thomas Beielstein einen lebendigen, in das Konzept der Schule integrierten Informatikunterricht, der in vielen Bereichen neue Ansätze beinhaltet und z.t. Altbekanntes auf den Kopf stellt. Anhand einzelner Projekte werden im Folgenden die durch die Computertechnologie bedingten neuen Arbeitsformen beschrieben. Kooperation: Feldmesspraktikum 10. Klasse Auf Anfrage des Böhmerwaldmuseums im tschechischen Kasperske Hory (Bergreichenstein) wurde eine Kapellenruine aus dem 12. Jahrhundert vermessen. Die dabei erhobenen Daten sollten die Ausgangsbasis für eine Restauration liefern. Nachdem die in Waldorfschulen im Rahmen des Feldmesspraktikums üblichen Vorbereitungen durchgeführt waren, wurde offensichtlich, dass die 681

erforderlichen Datenmengen ohne Unterstützung durch ein Tabellenkalkulationsprogramm in der erforderlichen Zeit nicht effektiv erfasst und verarbeitet werden konnten. Insgesamt mussten mehr als 100 Messpunkte erfasst werden. Zu jedem Messpunkt wurden folgende Daten erhoben: Höhe über NN, Winkel und Abstände zu benachbarten Punkten. Das zu vermessende Areal war relativ groß und hügelig, zudem von unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit (Wiese, Waldboden, Sumpf), so dass die Messungen schwierig durchzuführen waren. Zu Beginn wurden alle Schüler mit der Aufgabenstellung vertraut gemacht. Sie entwickelten selbstständig Tabellenblätter zur Aufnahme der gemessenen Daten. Anschließend wurden die Schüler in fünf Arbeitsgruppen eingeteilt, die unabhängig voneinander ihre lokalen Daten erhoben. Sie mussten ihre Daten für die Gesamtkarte zusammentragen und abgleichen. In jeder Arbeitsgruppe gab es einen Hauptverantwortlichen, der für die Planung, Zusammenstellung der Arbeitsgeräte, Datenerfassung und Koordination mit den anderen Gruppen verantwortlich war. Die Kooperation zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen ging so weit, dass einzelne Gruppen Aufgaben der anderen Gruppen übernahmen, falls diese überlastet waren. Die Arbeitsgruppen tauschten gegenseitig Ergebnisse aus und versuchten gemeinsam, Messfehler und Unstimmigkeiten zu beseitigen, so dass ein Eingreifen durch die Lehrer nicht erforderlich war. Deren Rolle beschränkte sich im Wesentlichen darauf, Hintergrundinformationen zur Verfügung zu stellen. Die Datenmenge konnte durch das Tabellenkalkulationsprogramm verwaltet und zur weiten Bearbeitung durch ein CAD-Programm für eine 3D- Modellierung verwendet werden. Dieses Vorgehen führte dazu, dass an uns das Angebot herangetragen wurde, im darauffolgenden Jahr weitere Flurstücke zu vermessen. Diese sollten dann in einem tschechischen Ingenieurbüro weiterverarbeitet werden, um lokale Karten zu erstellen. Zusammenfassend zeigte sich, dass das verteilte Arbeiten ohne zentrale Steuerung erfolgreich war, so dass innerhalb der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit große Datenmengen bearbeitet werden konnten. Lästige und zeitraubende Datenverwaltungstätigkeiten wurden mit dem Computer erledigt, 682 Installation der Wetterstation

so dass mehr Zeit für konzeptionelle und planerische Inhalte zur Verfügung stand. Die Schüler arbeiteten eigenverantwortlich in den jeweiligen Gruppen mit. Durch die komplexen Aufgabenstellungen innerhalb der einzelnen Gruppen wurde jeder Schüler gefordert und konnte seine Fähigkeiten einbringen. Auch schwächere bzw. mathematisch oder computertechnisch nicht so sehr begabte Schüler konnten sich einbringen, so dass es während der gesamten Arbeitsphase keine Außenseiter gab. Kontakte zu anderen Schulen: Wetterstation Bei der Auswertung der Wetterdaten (Fotos Beielstein) Seit 1995 nimmt die Waldorfschule»Blote Vogel«am GLOBE-Projekt (http:// www.globe.gov) teil. Parallel zur Wetterdatenerfassung von Hand werden dabei die Daten (Parameter: Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Helligkeit, Luftverschmutzung/Radioaktivität) mittels einer computergesteuerten Wetterstation aufgenommen und per Internet auf einen Computer der NASA übertragen. Die weltweit erhobenen Daten werden täglich visualisiert, so dass Klimaschwankungen und Folgen von Umweltkatastrophen (Tschernobyl, El Niño) analysiert werden können. An der Installation der Wetterstation in der Schule war der gesamte Kurs beteiligt. Es wurde eine Wetterstation von Conrad-Elektronik aufgebaut, da aus anderen Schulen positive Erfahrungen mit ihr vorlagen. Für zukünftige Projekte wäre es erstrebenswert, auch die Messgeräte zusammen mit den Schülern zu bauen. Im zweiten Teil des Projektes wurden die Schüler in Gruppen eingeteilt, die jeweils einen der Parameterbereiche aus der Meteorologie bearbeiten (s. o.). Anschließend wurden in Form von Referaten die Themen von den Schülern bearbeitet. Dazu wurden neben Lehrbüchern zur Meteorologie auch Informationen aus dem Internet herangezogen. In einem weiteren Schritt werden die Daten einerseits von Hand erhoben und aufgezeichnet, andererseits werden die automatisch erfassten Wetterdaten an die NASA übermittelt. Zusammen mit den Daten von mehreren hundert weltweit verteilten GLOBE-Schulen werden die Wetterdaten tagtäglich visualisiert und stehen den Schülern zur Verfügung. Das GLOBE-Projekt ermöglicht eine Kommunikation von Schülern und Wissenschaftlern weit über Landesgrenzen hinweg. Des Weiteren können zeitliche Klimaschwankungen abgerufen und analysiert werden, so dass dieses Material auch für andere Unterrichtsfächer wie 683

Ökologie und Geographie zur Verfügung steht. Die Schüler arbeiteten engagiert an den ihnen zugeteilten Aufgabengebieten. Die Verknüpfung von praktischem Arbeiten und der anschließenden theoretischen Analyse führte dazu, dass jeder Schüler eine Aufgabenstellung vorfand, in die er sich intensiv einarbeiten konnte. Die Schüler waren gut für das Projekt zu motivieren. Sie erlernten den Umgang mit verschiedenen Softwareprodukten (Textverarbeitung zur Dokumentation, Tabellenkalkulation zur Datenerfassung, Web-Browser zur Recherche). Auch hier nimmt die erfasste Datenmenge ein solches Ausmaß an, dass eine Auswertung von Hand kaum möglich und somit eine computerbasierte Arbeitsweise unumgänglich ist. Dieses Projekt zählt zu den wenigen, in denen ein pädagogisch sinnvoll zu begründender Einsatz des Internets auch für Schüler möglich ist, da eine sachlich begründete Verbindung auf internationaler Ebene zu anderen, am GLOBE-Projekt teilnehmenden Schülergruppen und Wissenschaftlern stattfindet. Bei dieser Art der Zusammenarbeit geht es nicht nur um Kommunikation, sondern auch um Kooperation. Kontakte zur Wirtschaft: Betriebspraktikum 10. Klasse Das Konzept der»blote Vogel«-Schule sieht eine praxisorientierte Ausbildung vor. Die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer sind eng vernetzt und weisen ein einheitliches Konzept auf (von den Phänomenen zur gedanklichen Durchdringung): Eine wissenschaftlich, theoretisch geprägte Auseinandersetzung mit ökologischen Problemstellungen in den Klassen 11 und 12 fußt auf intensiven Erfahrungen, die z.b. im Forstpraktikum und Gartenbauunterricht der Mittelstufe gemacht wurden. An das Forstpraktikum in der 7. Klasse schließen sich das Landwirtschaftspraktikum (9. Klasse), das Feldmesspraktikum (10. Klasse), das Betriebspraktikum (10. Klasse), das Sozial- und das Industriepraktikum (11. Klasse) an. Das dreiwöchige Betriebspraktikum ermöglicht den Schülern, einen Einblick in betriebliche Abläufe zu gewinnen. Sie müssen in dieser Zeit im Betrieb mitarbeiten und Berichte schreiben. Dadurch erfahren sie anhand ihrer eigenen Tätigkeit die Arbeitsabläufe in mittelständischen Betrieben. Hinsichtlich des Betriebspraktikums halten wir folgende Vertiefung und Erweiterung für erstrebenswert: Im Rahmen eines sich an das Betriebspraktikum anschließenden Softwarepraktikums suchen die Schüler den Betrieb erneut auf, allerdings unter einem anderen Gesichtspunkt: Sie sollen die innerbetrieblichen Abläufe (Bestellwesen, Lagerhaltung, Inventur usw.) modellieren, die Zusammenhänge zwischen einzelnen Abteilungen erfassen und am Computer darstellen. Es soll deutlich werden, wie die einzelnen Abteilungen auf eine computergesteuerte Planung angewiesen sind, die auf verteilten kooperierenden technischen Prozessen basiert. Das heißt, der Betrieb funktioniert nicht wie ein zentral gesteuertes globales System mit verschiedenen Parametern, sondern durch lokal unabhängige Prozesse, die u. U. starken Schwankungen ausgesetzt sind (kurzfristige 684

Modetrends wie z.b. Sonnenschutzbrillen für die Sonnenfinsternis im August 1999) und im Zusammenspiel teilweise nicht vorhersehbare Effekte hervorrufen (Stichwort: Verteilte Systeme). Zusammenfassende Beobachtungen Die Schüler sind heutzutage in der Lage, technische Abläufe und Zusammenhänge intuitiv zu durchschauen, und übertreffen damit die Fähigkeiten der Erwachsenen deutlich. Der Einzelne besitzt allerdings nur eine partielle Kompetenz, er muss bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben auf die anderen zugehen. Dabei kann er den anderen seine Hilfestellung anbieten, er nimmt im Austausch dafür ihre Hilfe in Anspruch. Es findet ein prozesshaftes Hin und Her statt, bei dem es auch auf Zwischentöne in der Kommunikation ankommt. Dies sollte vorurteilsfrei und unvoreingenommen geschehen, so dass Schüler mit unterschiedlichen Interessen intensiv in einem Projekt zusammenarbeiten und dabei persönliche Sympathien und Antipathien keine Rolle spielen. Bereits 1991 beschrieb Magadalena Zoeppritz 5 aus Sicht einer Programmiererin eine ähnliche Beobachtung.»Insofern enthält es [das Programmsystem] mehr, als wir einzeln darüber wissen, und jedenfalls mehr, als wir im Bewusstsein haben.«das Bild des Informatikers, der als»hacker«isoliert von der Aussenwelt Programme entwickelt, muss demnach grundlegend revidiert werden. Gleichzeitig war zu bemerken, dass die Schüler sich immer weniger von Vortrags- als vielmehr von kooperativen oder kollaborativen Unterrichtsformen angesprochen fühlen. Das betrifft alle Unterrichtsfächer. (Es ist ein beileibe nicht auf Waldorfschulen beschränktes Problem, dass die heutigen Lehrer darauf nicht vorbereitet sind.) Wir sehen hier nicht nur ein Drängen nach aktiver, verantwortlicher Mitarbeit, das nicht enttäuscht werden sollte, sondern ein Lernverhalten, das kooperative Arbeitsformen benötigt. Wenn der Informatikunterricht sich auf die aus der Entwicklung der überpersönlichen Sozialität hervorgehenden Impulse zur kooperativen Mitarbeit einlässt, so kann das einen beispielgebenden Einfluss auf andere Unterrichtsfächer haben. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, denken wir an einen Curriculum-Entwurf, der von Erfahrungen in kooperativen/kollaborativen Arbeitsformen und -umgebungen (Praktika) allmählich vorrückt zu computertechnischen Fragen und Perspektiven in Projekten. In der 9./ 10. Klasse könnte die Erfahrung, das Ergreifen von betrieblichen/ organisatorischen Abläufen stehen, wobei menschliche/soziale oder wirtschaftliche Zusammenhänge im Vordergrund stünden. In der 11. Klasse wären bei betrieblichen Praktika die computertechnischen Einflüsse der eingesetzten Systeme auf die Steuerung der betrieblichen Vorgänge erstmalig zu bearbeiten, und zwar in je nach (wechselnder) Aufgabenstellung dynamisch konfigurierten Untergruppen. Diese sollten mindestens einen Com- 5 Magdalena Zoeppritz, Von der Arbeit mit Computern,»Erziehungskunst«, Heft 1/1991 685

puterexperten enthalten, der den anderen Teilnehmern bei der Erledigung der Untergruppenaufgabe eine Hilfe wäre. In der 12. Klasse wäre denkbar, dass ein großer Teil der Klasse in ein Projekt eingebunden wäre, aus dem die in den Waldorfschulen üblichen Jahresarbeiten der Beteiligten flössen, derart dass Selbstständigkeit/Kompetenz bzgl. der Einzelleistung nötig wäre, aber gleichzeitig auch Gruppenarbeit die zur Bewältigung nicht nur der Gesamtaufgabe, sondern auch der Einzelleistungen gebraucht würde. Als Beispiel nehme man ein größeres Theaterprojekt, wo Regie, Bühnenbild und -einrichtung, Sprachgestaltung, Musik, Beleuchtung, Rollenentwurf und -führung von Untergruppen in hoher Eigenverantwortung bewältigt würden. Nicht nur wäre die Beleuchtung computergesteuert, auch der Bühnenbild- bzw. Kulissenentwurf könnte wegen der erweiterten Möglichkeiten des Computereinsatzes so geschehen, dass eine größere oder schnellere bzw. komplexere Beweglichkeit und Bewegungsführung der Bühnenaustattung erreicht werden könnten. Man kann sich denken, dass hier Computer-Unterstützungsfunktionen und Versatzstück-/Kulissenentwurf flexibel aufeinander abgestimmt würden. Bis zu diesem Punkte wäre die Computersteuerung schon sehr ehrgeizig, gemessen an professionellen Standards. Noch anspruchsvoller, aber auch interessanter (wenn Talente vorhanden sein sollten) wäre es, die Steuerungsfunktionen interaktiv zu machen (hilfreicher Eingriff des Regisseurs während der Aufführung). In jedem Fall ginge es darum, sehr breit gestreute Kompetenz einzubinden, derart dass alle von der Expertise der anderen profitierten, aber selbst auch zu Entwurf und Ausführung substantiell beitrügen. Letztlich würden alle, wenn schon nicht eine Einsicht, so doch ein Erleben der anderen professionellen Vorgänge durch ihre eigenen substantiellen Verdienste bis in die Fingerspitzen bekommen. Sie würden 686 Feldmessen in Tschechien (Fotos Beielstein)

die anderen Menschen auf eine unvergleichlich intime, obwohl überpersönliche Art erfahren. Unbeschadet solcher weitgreifender Visionen kann aber jetzt schon festgestellt werden, dass Waldorfschulen gerade aus dem Verzicht auf einseitigen Leistungsanspruch und Spezialistentum für die erwähnten Projekte, ja für einen zukunftsgerichteten Informatikunterricht besonders gut gerüstet sind. In ihnen spielen Lernen und Arbeiten in und durch die menschliche Gemeinschaft eine herausragende Rolle. Es wird alles darauf ankommen, Menschen auf die Zeit in 30 bis 40 Jahren so vorzubereiten, dass sie eine Art (erweiterten) Sinn dafür entwickeln, dass sie das Wesentliche wahrnehmen, insbesondere das Virtuelle vom Realen in der dann vorherrschenden Computerform unterscheiden können. Dabei kann man schon heute sagen, dass in wenigen Jahren die jetzt gängigen Hardwareund Softwarekonzepte verschwunden sein werden, 6 hingegen alle Menschen aktiv in diese Technologie eingebunden sein werden. Diesem Ziel dient schon die heutige Universitätsausbildung; die oben vorgeschlagene bzw. praktizierte Informatikausbildung in der Schule geht direkt darauf ein. Zum Autor: Thomas Beielstein, geb. 1966, Dipl.-Mathematiker, Nebenfach Informatik (Universität Dortmund), Ausbildung zum Waldorflehrer (Institut für Waldorfpädagogik Witten-Annen), Mitarbeit beim Lehrstuhl für Systemanalyse (Universität Dortmund), mehrjährige Tätigkeit als Klassenbetreuer, Mathematik- und Informatik- lehrer in der Oberstufe der Waldorfschule Witten-Annen (Blote Vogel Schule), momentan Mitarbeit im Sonderforschungsbereich 531 (»Design und Management komplexer technischer Prozesse und Systeme mit Methoden der Computational Intelligence«). 6 Communications of the ACM, Vol. 43 No. 3 (March 2000), Special Section on Perceptual User Interfaces 687