Referat für den Bundeskongress des Arbeitskreises Kritischer Juragruppen in Freiburg am 28.11.15



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Transkript:

Michael Moos Feindstrafrecht Referat für den Bundeskongress des Arbeitskreises Kritischer Juragruppen in Freiburg am 28.11.15 In den vergangenen 40 Jahren ist das Strafrecht mit den Paragraphen 129 a, 129 b zu einem Instrument im Kampf gegen den so genannten Terrorismus weiter entwickelt worden. War es 1974 der Kampf gegen RAF, Bewegung 2. Juni und andere bewaffnete Gruppierungen und deren politisches Umfeld, so ist es mit dem Paragraph 129 b seit August 2002 der Kampf gegen bewaffnete ausländische Vereinigungen. Ergänzt wurde das Instrumentarium noch 2009 durch den Paragraphen 89 a StGB, der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe stellt, eine außerordentlich weite Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle, wie Fischer im StGB Kommentar anmerkt. Dazu kam der Paragraphen 89 b, der die Aufnahme von Beziehungen zu Vereinigungen im Sinne der Paragraphen 129 a und b zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe stellt sowie der Paragraph 91 StGB, der denjenigen bestraft, der zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durch Schrift und Bild anleitet. Allen diesen Bestimmungen ist gemein, dass sie die Möglichkeit zur Bestrafung mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren eröffnen, ohne dass es zu einer konkreten Straftat gekommen sein muss. Ihre Bedeutung haben die Bestimmungen der Paragraphen 129 a, 129 b insbesondere als verfahrensrechtliche Bezugsnorm. Sie eröffnen Polizei und Staatsanwaltschaft weitreichende Befugnisse gegen all jene, die in das Fangnetz eines Ermittlungsverfahrens nach dieser Norm geraten. Erwähnt sei Paragraph 100 a Nr. 1, die Überwachung der Telekommunikation, Paragraph 100 c StPO, das Abhören und Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes in einer Wohnung, Paragraph 103 Abs. 1, der die Durchsuchung bei Personen ermöglicht, die in Kontakt stehen zum Beschuldigten, ohne selbst einer Straftat beschuldigt zu werden und Paragraph 112 StPO, der der es ermöglicht, Beschuldigte, die einer Straftat gemäß Paragraphen 129 a, b verdächtigt werden, ohne Haftgrund (Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr) in Untersuchungshaft zu nehmen. Auch die Ausschließung des Verteidigers gemäß Paragraph 138 a ist in 129 er Verfahren möglich, wenn er verdächtigt wird, zum Beispiel den Verkehr mit seinem Mandanten dazu zu missbrauchen, Straftaten zu begehen oder die Sicherheit einer Vollzugsanstalt erheblich zu gefährden. Das könnte zum Beispiel bereits dann der Fall sein, wenn er im Verdacht steht, eine versuchte Strafvereitelung zu Gunsten seines Mandanten begangen zu haben, wofür 1

zwar die verspätete Stellung eines Beweisantrags nach OLG Düsseldorf noch nicht ausreichend ist, möglicherweise aber nach der Kommentierung bei Fischer der Einsatz prozessual unzulässiger Mittel. Damit sind die 129 a, 129 b auch Ausgangspunkt für den möglichen Ausschluss unbotmäßiger Verteidiger. Erwähnt sei schließlich noch der Paragraph 163 d, die so genannte Netzfahndung, die es ermöglicht, an sogenannten Kontrollstellen nach Paragraph 111 Kontrollen durchzuführen. Die dabei erhobenen Daten können dabei gespeichert und verarbeitet werden. Schließlich ist in den Paragraphen 120,142 GVG auch eine Sonderzuständigkeit innerhalb der Justiz für diese Verfahren geregelt. Das Amt der Staatsanwaltschaft wird ausschließlich durch den Generalbundesanwalt ausgeübt, zuständig für die gerichtlichen Verfahren sind ausschließlich Staatsschutzsenate bei den Oberlandesgerichten. In Paragraph 129 b wird die Bekämpfung des inneren Feindes vermengt mit außenpolitischen Interessen der Regierung. Die Strafverfolgung nach Paragraph 129 b ist nämlich von einer Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz abhängig, sofern es sich um eine Vereinigung im Nicht EU Ausland handelt, also zum Beispiel bei der Verfolgung von in Deutschland lebenden Kurden, die wegen Mitgliedschaft in der PKK oder Unterstützung der PKK durch ihre in Deutschland ausgeübte politische Tätigkeit verfolgt werden. Die Bundesregierung entscheidet also darüber, ob derartige Verfahren nach 129 b StGB durchgeführt werden oder nicht. Ein mehr als deutlicher Hinweis auf den politischen Charakter dieser Strafbestimmung. Was aber ist eine terroristische Straftat? Nach wie vor enthält das deutsche Strafrecht keine explizit als terroristisch charakterisierte Straftat. Lediglich in der Überschrift des Paragraphen 129 a StGB taucht der Begriff»terroristische Vereinigung«auf. In der Bestimmung selbst wird die terroristische Vereinigung dadurch definiert, dass sie schwerste Straftaten bezweckt, wobei der Katalog dieser Straftaten im Laufe der Jahre immer wieder den politischen Erfordernissen angepasst wurde. Nachdem es etwa zu Sabotagehandlungen gegen Strommasten oder andere Einrichtungen von Energieversorgungsbetrieben oder Anlagen des öffentlichen Verkehrs gekommen ist, wurden die Paragraphen 305 und 300 5a StGB in den Katalog des 129 a mit aufgenommen. Eine Erweiterung dieses Katalogs ist selbstverständlich jederzeit durch den Gesetzgeber möglich. Nach Aufzählung dieser Katalogtaten ist dann noch das politische Momente enthalten, dass die Straftaten darauf abzielen müssen, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheb- 2

lich zu beeinträchtigen und dadurch einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Bereits die Schwierigkeit, den Tatbestand begrifflich eindeutig zu fassen macht deutlich, dass es sich hier um eine Bestimmung handelt, die mit dem Tatbestand sonstiger Strafbestimmungen im StGB nichts zu tun hat und von der politischen Zweckbestimmung diktiert ist. Das bereits erwähnte Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdende Gewalttaten vom 30. Juli 2009 verlagert die Strafbarkeit noch weiter in das Vorfeld terroristischer Straftaten. Paragraph 89 a StGB ist wie Paragraph 129 a Eingangstor für die Anordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen wie zahlreiche weitere strafprozessuale Befugnisse. Auch hier besteht die wesentliche Bedeutung der Vorschrift darin, dass umfangreiche Ermittlungen durchgeführt werden, die letztlich möglicherweise wegen ganz anderer Straftaten geführt werden sollen. Die Bestimmung des Paragraphen 89 a Abs. 2 Ziffer eins zeigt besonders deutlich auf, wie das Strafrecht ohne feste Tatbestandsmerkmale in politische Willkür transformiert werden kann. Danach kann mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden, wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er nicht nur etwa sich im Umgang mit Schusswaffen unterweisen lässt, sondern auch in»sonstigen Fertigkeiten«, die der Begehung einer der in Abs. 1 genannten Straftaten die eines Tötungsdeliktes oder einer Geiselnahme dienen können. Zöller schreibt in seinem Aufsatz»Terrorismusstrafrecht«im Strafverteidiger 2012,371:»damit werden auch ganz alltägliche Verhaltensweisen wie der Besuch einer Kampfsportschule, das absolvieren der Führerscheinprüfung, die Grundausbildung bei der Bundeswehr oder die abendliche Joggingrunde vom Gesetzeswortlaut erfasst, da die dabei erworbenen Fähigkeiten jedenfalls theoretisch auch für spätere terroristische Aktivitäten von Vorteil sein können«. Bestraft werden soll also die Vornahme abstrakt gefährlicher Verhaltensweisen, die möglicherweise später einmal in eine terroristisch motivierte Straftat münden können aber eben nicht müssen. Auf diese Weise kann weiter eine Vielzahl von Personen in strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen einbezogen und dadurch in ihren Rechten beschnitten werden. Nach diesem Exkurs zu Paragraph 89 a wieder zurück zu den Organisationsdelikten der Paragraphen 129 a, 129 b. Ebenso unscharf wie der Begriff der terroristischen Begehungsweise ist der der Vereinigung. Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH ist darunter ein auf Dauer angelegter freiwilliger Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwe- 3

cke verfolgen und sich als einheitlicher Verband fühlen. Dabei bereitet es erhebliche Probleme, den Begriff der Vereinigung scharf von anderen Organisationsformen wie dem der Mittäterschaft, vor allem aber von dem der Bande abzugrenzen. Von europäischer Ebene wird nun seit geraumer Zeit verlangt, die Anforderungen an das Vorliegen einer Vereinigung stark abzusenken. Nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24.10.2008 wird lediglich gefordert, ein auf längere Dauer angelegter organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Festgelegte Rollen für die Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur der Organisation werden nicht mehr gefordert, auf die interne Gruppenstrukturierung kommt es nicht mehr an. Es genügen zwei Personen die sich zusammenschließen zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung. Es bleibt abzuwarten, welche Anforderungen an den Vereinigungsbegriff in Zukunft gestellt werden. In jedem Falle ist auch hier die Tendenz einer deutlichen Ausweitung der Strafbarkeit festzuhalten. Auf eine weitere Problematik weist die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu der faschistischen»brotherhood radio«website aus dem Jahr 2011 hin. (BGH NStZ 2011,577). Das Landgericht Berlin hatte alle Mitglieder der kriminellen Vereinigung automatisch als Mittäter an den von einzelnen Vereinigungsmitgliedern begangenen Straftaten wie Volksverhetzung betrachtet, so dass jedes Mitglied der Vereinigung alleine wegen der Mitgliedschaft für Straftaten anderer Mitglieder als Mittäter einstehen sollte. Der 3. Strafsenat hat dies bemängelt und auf die dogmatische Unabhängigkeit des Paragraphen 25 Abs. 2 StGB (Mittäterschaft) hingewiesen und betont, dass der Zusammenschluss in einer kriminellen Vereinigung nicht die Folge haben könne, dass»jede von einem Vereinigungsmitglied begangene Tat den anderen Mitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des Paragraphen 25 Abs. 2 StGB zugerechnet«wird. Genau diese Gruppenhaftung wurde aber bei zahlreichen Mordanklagen gegen RAF Mitgliedern praktiziert. Damals hatte der Bundesgerichtshof keine rechtlichen Bedenken ins Feld geführt. Gleichwohl möchte man sagen, dass es positiv ist wenn festgestellt wird, dass auch nicht über den Umweg der Paragraphen 129 ff eine Gruppenhaftung für fremdes Unrecht zulässig sein kann. Es bleibt aber dabei, dass die Struktur der Organisationsdelikten durchaus den Weg für derartige Konstruktionen einer Gruppenhaftung eröffnet (vergleiche Eidam, Organisationsdelikte, Strafverteidiger 2012, Seite 346) und damit die für unser Strafrecht grundlegenden Strukturen eines Individualstrafrechts aushebelt. 4

Was macht nun zusammenfassend die Paragraphen 129 a, 129 b StGB tauglich als Feindstrafrecht? Es ist zum einen die Loslösung vom Tatstrafrecht, das für die Feststellung von Schuld den Nachweis individueller Straftaten verlangt. Ein Verteilen von Flugblättern, die Durchführung einer Veranstaltung, politische Aktivitäten im Rahmen der Grundrechte der Artikel 5 und 8 GG, können auf dem Umweg über die behauptete Werbung für eine oder Unterstützung einer terroristischen Organisation bzw. Mitgliedschaft in einer zu einem strafbaren Verhalten werden. Wie ich noch am Fall des Kurden Mehmet A., vom OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der PKK zu 3 Jahren 6 Monaten verurteilt wurde exemplarisch zeigen kann, können diese politischen Aktivitäten, die später als Beweise für die behauptete Mitgliedschaft i.s.d. Paragraphen 129 a, b vom Gericht aufgeführt werden, in aller Öffentlichkeit und mit Kenntnis der Behörden stattgefunden haben. So zeigt sich, dass die Organisationsdelikte eine rechtliche Grauzone bilden, in welcher die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit zunehmend verschwimmt. Dann entspricht die Struktur der Organisationsdelikte den Aufgaben eines Feindstrafrechtes, weil sie jederzeit anpassungsfähige Waffen im Kampf gegen den inneren Feind darstellen, einerseits durch die Möglichkeit der Ausweitung des Straftatenkatalogs andererseits durch geringere Anforderungen an den Begriff der Vereinigung. Die Kritik in der Rechtswissenschaft an den neu eingeführten Tatbestand des 129 war in den siebziger und achtziger Jahren vehement. Nach Einführung des 129 b klang diese bereits ab und besonders auffällig war, dass Kritik an den neuen Strafbestimmungen der Paragraphen 89 a ff. trotz der immer weiteren Vorverlagerung der Strafbarkeit kaum zu vernehmen war. Umso wichtiger ist es, dass sich kritische Juristen wieder verstärkt diesen Delikten widmen, sie kritisieren und sich nicht durch terroristische Gewalttaten wie die von Paris zum Schweigen bringen lassen. Dem AKJ sei deshalb gedankt dafür, dass auf dem diesjährigen Bundeskongress die Möglichkeit besteht, diese Diskussion zu führen. Michael Moos, 25.11.2015 5