Ruhr-Universität Bochum. PD Dr. med. Michael Krismann. Dienstort: Augusta-Krankenanstalt. Abteilung: Institut für Pathologie



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Transkript:

Ruhr-Universität Bochum PD Dr. med. Michael Krismann Dienstort: Augusta-Krankenanstalt Abteilung: Institut für Pathologie Immunhistochemische Differentialdiagnose von kleinzelligen Lungenkarzinomen und epitheloiden Mesotheliomen Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität-Bochum vorgelegt von Janine Pohlmann aus Hattingen 2007

Dekan: Referent: Prof. Dr. med. G. Muhr PD Dr. med. M. Krismann Koreferent: Prof. Dr. med. A. Tannapfel Tag der mündlichen Prüfung: 29. Mai 2008

meinen Eltern gewidmet

Inhaltsverzeichnis 3 1 Einleitung 6 1.1 Geschichtlicher Überblick 6 1.2 Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Pleura und der angrenzenden Strukturen 8 1.2.1 Histogense 10 1.2.2 Gefäßversorgung, Lymphbahnen und Nerven 11 1.2.3 Funktionen der Pleura 12 1.3 Epidemiologie und Inzidenz 13 1.4 Maligne Mesotheliome 15 1.4.1 Klinische und radiologische Befunde, Therapie und Prognose 15 1.4.2 Makroskopische Befunde 23 1.5 Asbest 25 1.5.1 Historischer Überblick 25 1.5.2 Fasertypen 27 1.5.3 Charakteristische Eigenschaften der Fasern und Pathogenese 28 1.5.4 Vorkommen und Verbrauch von Asbest 31 1.6 Andere ätiologische Aspekte 33 1.7 Berufskrankheit Mesotheliom 35 1.8 Primäre pulmonale kleinzellige Karzinome 36 1.9 Sekundäre Pleuratumoren 40 1.10 Metastasierungsverhalten der sekundären Tumoren der Pleura 42 1.11 Immunhistochemie zur Sicherung der Diagnose maligner Pleuratumoren 43 2 Fragestellung 45 3 Materialien und Methoden 46 3.1 Materialien 46 3.1.1 Mesotheliome 47 3.1.2 Kleinzellige Tumore 49 3.2 Methoden 50 3.2.1 TMA-Technik 50 3.2.2 Färbevorgang 55

Inhaltsverzeichnis 4 3.3 Verwendete Antikörper 58 3.3.1 CD 56 59 3.3.2 Thyreoidaler Transkriptionsfaktor (TTF1) 60 3.3.3 CK 5/6, CK MNF 116 61 3.3.4 Calretinin 62 3.3.5 Ki-67 63 3.4 Beurteilung der Reaktionsmuster 64 3.4.1 Sensitivität 68 3.4.2 Spezifität 68 3.4.3 positiver-/negativer prädiktiver Wert 68 3.4.4 Statistische Aussagen 69 4 Ergebnisse 71 4.1 Alters- und Geschlechtsverteilung 71 4.1.1 Gesamtkollektiv 71 4.1.2 Teilkollektiv der männlichen Patienten 72 4.1.3 Teilkollektiv der weiblichen Patienten 73 4.2 Ergebnisse hinsichtlich der Vergleichbarkeit von TMA-Schnitten versus Originalschnitten 74 4.3 Ergebnisse der immunhistochemischen Untersuchungen 76 4.3.1 TTF1 77 4.3.2 Zytokeratine (MNF 116 und CK 5/6) 80 4.3.3 CD 56 85 4.3.4 Calretinin 89 4.3.5 Ki-67 92 4.4 Einsatz von Markerkombinationen 96 4.4.1 TTF1 und CD 56 97 4.4.2 CK MNF 116 und CK 5/6 98 4.4.3 Calretinin und CK MNF 116 99 4.4.4 TTF1, CD 56 und Ki-67 100 4.4.5 TTF1 und CK MNF 116 102

Inhaltsverzeichnis 5 4.4.6 CD 56 und TTF1 103 4.4.7 TTF1 und Calretinin 104 4.4.8 Calretinin und CD 56 105 4.5 Kasuistische Beispiele 108 4.5.1 Pseudomesotheliomatös wachsendes kleinzelliges Karzinom 108 (Fall 105) 4.5.2 Fraglicher Fall eines Pleuramesothelioms (Fall 6 F) 110 5 Diskussion 113 5.1 Allgemeine Betrachtungen zum methodischen Vorgehen 113 5.1.1 Qualitätskontrolle 115 5.1.2 TMA-Technik 116 5.1.3 Heterogenität epitheloider Mesotheliome und kleinzelliger Karzinome 117 5.2 Immunhistochemische Untersuchungen 119 5.2.1 Thyreoidaler Transkriptionsfaktor (TTF1) 120 5.2.2 Zytokeratine 124 5.2.3 CD 56 133 5.2.4 Calretinin 136 5.2.5 Ki-67 139 5.3 Anwendung von Markerkombinationen zur differentialdiagnostischen Abgrenzung epitheloider Mesotheliome und kleinzelliger Karzinome 142 6 Zusammenfassung 146 6.1 Einleitung 146 6.2 Material und Methoden 146 6.3 Ergebnisse 146 6.4 Diskussion 148 7 Literaturverzeichnis 149

1 Einleitung 6 1 Einleitung 1.1 Geschichtlicher Überblick Erstmals beschrieben wird die Existenz eines bösartigen Tumors der serösen Häute im Jahre 1767 von Joseph Liteutaud (Brockmann und Müller, 1991). Dennoch wird meist erst die Arbeit von Wagner aus dem Jahre 1870 als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Tumorentität angesehen. Schon 1906 berichtete Auribault über den Tod von Arbeitern, die in den Jahren 1890-1895 in einer Asbestspinnerei und Weberei gearbeitet hatten. 1908 wurde über 30 Arbeiter berichtet, die ebenfalls in der asbestverarbeitenden Industrie beschäftigt waren und zwischen 1894 und 1906 wegen progredienter Schwindsucht behandelt worden waren (Neumeister et al., 2001). Zu diesem Zeitpunkt wurde noch kein Zusammenhang zwischen Asbest und den Erkrankungen der Arbeiter hergestellt, obwohl Asbest 1902 in die Liste gesundheitsgefährdender Stäube aufgenommen worden war. Vielmehr war man der Ansicht, die rasch zum Tode führende Erkrankung sei auf Kalkstaub und die damit einhergehende Anfälligkeit für Tuberkulose zurückzuführen. In den folgenden Jahren wurden in verschiedenen Ländern der Welt Untersuchungen bezüglich bösartiger Pleuratumoren durchgeführt und versucht, erste ätiologische und pathogenetische Erkenntnisse zu gewinnen. Eine einheitliche Terminologie wurde erst 1931 von Klemperer und Rabin mit der Abgrenzung eines benignen lokalisierten und eines malignen diffusen Mesothelioms eingeführt. Schon zu diesem Zeitpunkt war eine große histologische Vielfalt des Pleuramesothelioms bekannt und von Klemperer und Rabin auf die Pluripotenz der Mesothelzellen zurückgeführt worden. Heute wird die Gruppe der malignen Mesotheliome in lokalisierte maligne und diffuse maligne Formen aufgeteilt, wobei letztere in epitheloide, biphasische und sarkomatoide Typen eingeteilt werden (Brockmann und Müller, 1991).

1 Einleitung 7 Trotz zahlreicher weiterer Veröffentlichungen über maligne Pleuratumoren und die Assoziation mit dem universellen Werkstoff Asbest, die erstmals von Gloyne und Weiss 1935 in Großbritannien in Bezug zur Ätiologie dieses Tumors gesehen wurde (McDonald und McDonald,1996), wenig später auch von Nordmann u.a., erlangte die Existenz eines Mesothelioms als eigene Tumorentität erst mit der Arbeit von Wagner et al. (1960) breite Anerkennung. Auch eine epidemiologische Bestätigung der Vermutung von Gloyne und Weiss im Hinblick auf die induzierende Wirkung von Asbest konnte von Wagner et al. erfolgen. Eine auffällige Verbindung zwischen Asbestexposition und dem Auftreten von Pleuramesotheliomen wurde bei Minenarbeitern in der nordwestlichen Kapprovinz von Südafrika festgestellt. Wagner bezeichnete die pathologische Veränderung als tuberkelähnliches Lymphom der Pleura (Wagner et al., 1960). Seitdem wurde vor allem in den Industrienationen bis heute durch den weit verbreiteten Einsatz von Asbest besonders nach dem zweiten Weltkrieg eine Zunahme der Mesotheliominzidenz beobachtet. Dennoch erfolgte die Anerkennung des Pleuramesothelioms als Berufskrankheit erst 1977 mit der Folge, dass immer mehr Verdachtsfälle schon zu Lebzeiten gemeldet und auch anerkannt wurden.

1 Einleitung 8 1.2 Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Pleura und der angrenzenden Strukturen Im 1. Embryonalmonat entwickelt sich, ausgehend vom Ektoderm, das extraembryonale Mesoderm. Es ist vorwiegend aus kubischen Zellen aufgebaut, aus denen das spätere Mesothel (Deckepithel) hervorgeht, und kleidet als parietales Mesoderm die Außenwand und als viszerales Mesoderm die Innenwand der Zölomhöhle, der Vorläuferin der Körperhöhlen, aus. Mit fortschreitender Differenzierung des Bronchialsystems entwickelt sich dann aus dem viszeralen Blatt des Mesoderms die Pleura viszeralis, welche die spätere Lunge, ausgenommen den Hilus und die Stelle von der das Lig. pulmonale abgeht, vollständig bedeckt (Langmann, 1985). Sie setzt sich auch in den Fissurae interlobares der Lunge fort. Mit zunehmender Vergrößerung der Lungenanlagen und der Pleurahöhlen bekommen diese schließlich Kontakt mit dem Herzen und der Thoraxwand. Diese wird von der Pleura parietalis ausgekleidet, die aus dem parietalen Blatt des Mesoderms entstanden ist (Moore und Persaud, 1996). Die beiden Pleurablätter gehen am Lungenstiel ineinander über (Rauber und Kopsch, 1987). Sowohl die Lungenoberfläche als auch die seitliche Thoraxwand sind also in gleicher Weise von einer serösen Haut bedeckt. Zwischen den Pleurablättern befindet sich ein weniger als 20 µm breiter Spaltraum, der mit 3-5 ml einer hyaluronsäurereichen Flüssigkeit gefüllt ist. Viszerale und parietale Pleura bestehen mikroskopisch aus 5 verschiedenen Schichten: Mesothelschicht mit Basalmembran sehr dünne Schicht submesothelialen Bindegewebes äußere elastische Grenzlamelle Pleurahauptschicht innere elastische Grenzlamelle

1 Einleitung 9 Die Pleuradeckschicht, das Mesothel, besteht aus einer einschichtigen Lage flacher bis kubischer Zellen, die im apikalen Bereich einen dichten Mikrovillibesatz aufweisen. Diese sind von einer sog. Glykokalix, einer Gleitschicht, umgeben, die eine hohe Affinität zu Hyaluronsäure besitzt und das Gleiten der beiden Pleurablätter während der Atemexkursion erleichtert (Herbert, 1986). Die Zellen der Mesothelschicht verformen sich während der Atembewegung und sind durch Desmosomen miteinander verbunden (Müller, 1994). Das Mesothel ist von der darunterliegenden Pleurahauptschicht durch eine Basalmembran separiert. Die Pleurahauptschicht ist aus kollagenem Bindegewebe mit einzelnen mesenchymalen Zellen aufgebaut, sie wird zum Mesothel durch eine äußere elastische Grenzlamelle, zur Lunge durch die innere, straffer entwickelte elastische Grenzlamelle abgegrenzt (Müller, 1983). Sowohl Blut- und Lymphgefäße als auch Nerven verlaufen in der Pleurahauptschicht. Die Struktur der Pleura parietalis ist der der Pleura viszeralis sehr ähnlich, dennoch gibt es einige funktionelle und strukturelle Unterschiede. Während die Pleura visceralis der Lungenoberfläche fest anliegt, ist die Pleura parietalis mit der Brustwand durch eine Bindegewebsschicht (Fascia endothoracica) verschieblich verbunden (Waldeyer und Mayet, 1979). Mikroskopisch lassen sich in der Pleurahauptschicht der Pleura parietalis keinerlei elastische Schichten belegen, und nur in einigen Abschnitten befinden sich ausgeweitete Lymphgefäße, die direkt mit der Pleurahöhle in Verbindung stehen und in der Lage sind, Partikel bis Erythrocytengröße (8,4 µm) aufzunehmen. Sowohl die Pleura parietalis als auch die Pleura viszeralis besitzen transsudative und resorptive Fähigkeiten, allerdings ist die resorptive Leistung der Pleura parietalis deutlich größer.

1 Einleitung 10 1.2.1 Histogenese Wie aus der Embryonalentwicklung deutlich wird, entstammen sowohl die hochdifferenzierten Zellen des Mesoderms als auch die mesenchymalen Zellen des submesothelialen Bindegewebes demselben Ursprungsgewebe. Aus diesem Grunde liegt die Vermutung nahe, dass epitheloide Pleuratumoren, die mikroskopisch die Zellen des Mesothels imitieren und sarkomatoide Tumoren, deren Erscheinungsbild dem der spindelförmigen Zellen des submesothelialen Bindegewebes weitgehend entspricht, ebenfalls aus einer gemeinsamen Stammzelle entstehen. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen hat sich mit der Klärung dieser Frage befasst. Der obigen Argumentation folgend sind viele Autoren der Meinung, dass beide Tumorentitäten sich aus einer Stammzelle des Mesothels entwickeln (Stosiek und Goertchen, 1986). Demgegenüber steht eine Reihe von Forschern, die der Ansicht sind, sowohl epitheloide als auch sarkomatoide Mesotheliome entstünden aus Subserosazellen. (Brockmann et al., 1991). Die abschließende Klärung der Frage nach ihrer Histogenese ist bis dato weiterhin unklar.

1 Einleitung 11 1.2.2 Gefäßversorgung, Lymphbahnen und Nerven Die Blutversorgung der Pleura parietalis erfolgt hauptsächlich über Intercostal- und Zwerchfellarterien, im Pericardbereich über die Aorta, wohingegen die Pleura viszeralis von Pulmonal- und Bronchialarterien mitversorgt wird. Die Gefäße verlaufen in der bindegewebigen Pleurahauptschicht. Über Sammelvenen gelangt das Blut in die interlobulären Venen, um dem Körperkreislauf wieder zugeführt zu werden. Zusätzlich führt die Pleurahauptschicht ein dichtes System von Lymphgefäßen. Sie befinden sich vorwiegend entlang der peripheren Grenze zum umgebenden Lungengewebe und münden schließlich in die interlobulären Lymphbahnen der Lunge. Die Pleura parietalis besitzt Stomata, über die sie direkt mit der Pleurahöhle in Verbindung steht und somit den Abtransport auch größerer Partikel aus dem Pleuraspalt in die Brustwand gewährleistet. Im kaudalen Bereich sowie im Bereich des Zwerchfells ist die resorptive Leistung aufgrund der Häufung der Stomata am höchsten. Ihr Durchmesser beträgt im Durchschnitt 1,2 µm, kann sich aber durch eine Dehnung im Zuge der Einatmung bis um das Zehnfache erweitern. Es wird verständlich, weshalb sich Partikel, darunter auch Asbestkörper, bevorzugt in diesen Bereichen der Pleurablätter ansammeln. Die Phagozytoseaktivität der Pleuradeckzellen ist gering. Die Pleura viszeralis besitzt im Gegensatz zur Pleura parietalis keine sensiblen Fasern, letztere wird sensibel von Ästen des Nervus phrenicus und von Intercostalnerven innerviert. Die Pleura viszeralis wird durch Äste des N. vagus und der sympathischen Nerven innerviert, die auch die Bronchien versorgen (Müller, 1983).

1 Einleitung 12 1.2.3 Funktionen der Pleura Es existieren drei wesentliche Funktionen der Pleura: Durch ihre große Oberfläche und den interpleuralen Flüssigkeitsfilm wird eine leichtere Beweglichkeit der Lungen gewährleistet. Zusätzlich wird durch den Flüssigkeitsfilm eine verschiebliche Haftung zwischen Pleura viszeralis und Pleura parietalis erreicht. Zudem besitzt die Pleura, besonders die Pleura viszeralis, eine Art Stützfunktion gegenüber dem leichten elastischen Lungengewebe, das gewissermaßen zwischen den Blättern der Pleura viszeralis aufgespannt ist. Durch den dichten Abschluss zum Lungengewebe, den die Pleura gewährleistet, herrscht in der Pleurahöhle ein stetiger negativer Druck von 0,4-0,8 kpa. Hierdurch wird ein Kollaps der Lungen in der Expirationsphase vermieden (Lee und Olak, 1994).

1 Einleitung 13 1.3 Epidemiologie und Inzidenz Das maligne Pleuramesotheliom als hochmaligner Tumor der serösen Häute ist eine in der Normalbevölkerung selten zu diagnostizierende Neoplasie. Die Inzidenz variiert zwischen einem und 15 Fällen pro einer Million Einwohner (Neumann et al., 2001, Müller et al., 2003). Bei stattgehabter Asbestexposition dagegen nimmt die Häufigkeit der diagnostizierten Fälle erheblich zu. Studien gehen von sechs bis elf Erkrankten pro 100 Exponierten aus, sodass man von einem Signaltumor bei Asbestexposition spricht (Müller et al., 2003, Konietzko et al., 2000). Tatsächlich kann bei 70-90% der Erkrankten von einer meist beruflich bedingten Asbestexposition ausgegangen werden (Krismann und Müller, 2000). Andere Studien nehmen sogar an, dass nahezu 100% aller Mesotheliome durch Asbest und andere biobeständige Fasern kritischer Länge hervorgerufen werden, wenn die Gefährdung in der Umwelt und im privaten Bereich mitberücksichtigt wird (Konietzko et al., 2000). Allerdings ist es mitunter schwierig, eine eindeutige Asbestexposition zu eruieren, da zwischen Exposition und Manifestation der ersten Symptome eine durchschnittliche Latenzzeit von 35 Jahren liegt, wobei hier Abweichungen zwischen 10 und 60 Jahren vorkommen können. Der jüngste Mesotheliompatient verstarb mit 36 Jahren (Drechsel-Schlund et al., 2003). Dies ist wahrscheinlich auf eine Exposition im Kindesalter zurückzuführen. Der Altersmedian der Patienten liegt im Allgemeinen zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr, wobei Männer weitaus häufiger betroffen sind als Frauen, die 13-22% der Fälle ausmachen (Neumeister et al., 2001, Bittmann und Wöckel, 2003). Dies ist anhand der Tatsache zu erklären, dass in den sog. Staubberufen zum überwiegenden Teil Männer tätig gewesen sind. Das Risiko einer Asbeststaubexposition war in handwerklichen Berufen, etwa im Isolier- Bau-, Metall- und Elektrohandwerk oder den Asbestzementprodukte herstellenden Industriezweigen, besonders hoch (Woitowitz et al., 1989). Im Gegensatz zum asbestassoziierten Lungenkrebs gibt es bei der Entstehung asbestassoziierter Mesotheliome keine Schwellendosis. Vielmehr können auch

1 Einleitung 14 kurze Expositionzeiten nach entsprechender Latenzzeit Mesotheliome verursachen. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften berichteten 2003 über eine Textilarbeiterin, die nach einer Exposition von drei Wochen an einem Mesotheliom erkrankte und daran verstorben war. Hain et al. verwiesen 1984 auf einen Patienten, der nach einer entsprechenden Latenzzeit nach nur zweiwöchiger Exposition im beruflichen Bereich an einem Mesotheliom erkrankt war. Im Allgemeinen liegt aber eine über mindestens zwei Jahre sich erstreckende Exposition im beruflichen oder urbanen Bereich vor (Hain et al., 1984). Im Jahre 2004 wurden im Deutschen Mesotheliomregister 780 neue Patienten mit einer Mesotheliomerkrankung erfasst, im selben Jahr wurden 808 Berufskrankheiten nach Ziffer 4105 anerkannt (Butz, 2004). Im Vergleich dazu waren es 1988 nur 168 Fälle (Neumann et al., 2001), was einerseits daran liegt, dass diese vergleichsweise seltene Erkrankung auch außerhalb spezialisierter Zentren immer häufiger diagnostiziert wird, andererseits aber auch an einer Zunahme der Erkrankungshäufigkeit. Da in Deutschland der maximale Asbestverbrauch zwischen 1965 und 1980 stattfand (Krismann und Müller, 2000), ist das Maximum der Inzidenz nach entsprechender Latenzzeit zwischen 2010 und 2015 (Coenen und Schenk, 1990) zu erwarten. Seit den 80er Jahren nimmt der Asbestverbrauch stetig ab. Obwohl schon 1979 die gesundheitsschädigende Wirkung bekannt war, konnte erst nach einem langwierigen Prozess über viele Jahre, und nachdem geeignete Ersatzstoffe zur Verfügung standen, in einigen Industrieländern ein Herstellungs- und Verwendungsverbot durchgesetzt werden. In Deutschland erfolgte das Verbot 1993. Seitdem ist eine Verarbeitung nur noch mit Sondergenehmigungen weiterhin zulässig, oder wenn der Umgang im Rahmen von Abbruch- Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten nicht zu vermeiden ist (Merget, 2005). Dennoch werden v.a. in den sog. Schwellenländern (z.b. China) noch immer jährlich etwa 2.5 Mio. Tonnen Asbest gewonnen und verwendet.

1 Einleitung 15 1.4 Maligne Mesotheliome 1.4.1 Klinische und radiologische Befunde, Therapie und Prognose Die klinische Symptomatik ist in frühen Erkrankungsstadien meist uncharakteristisch. Eines der ersten, und führendes Symptom ist ein schlecht zu lokalisierender thorakaler, einseitiger, meist dumpfer Schmerz, oft atemabhängig mit gleichzeitiger Manifestation eines einseitigen Pleuraergusses und Dyspnoe. Des Weiteren klagen etwa ein Drittel der Patienten über einen begleitenden Reizhusten. Mit Fortschreiten der Erkrankung kommen typische Symptome wie Abgeschlagenheit, Fieber, Gewichtsverlust und Nachtschweiß hinzu. In Spätstadien ist häufig eine zur Seite gebeugte, schmerzbedingte Schonhaltung der Patienten zu beobachten (Neumeister et al., 2001). Die zum Teil sehr starken Schmerzen sind Folge des infiltrativen Wachstums des Tumors in Brustwand und Muskulatur und die dadurch eingeschränkte Beweglichkeit der Lungen während der Atemexkursion. Greift der Tumor auf das Mediastinum über und infiltriert das Perikard, kommt es dort zur Ergussbildung mit typischer klinischer Symptomatik. Bei bereits weit fortgeschrittenem Wachstum findet man zwar einen Befall der mediastinalen Lymphknoten, eine hämatogene Metastasierung findet sich dagegen erst spät. Zur Sicherung der Diagnose kommen invasive und nicht invasive Maßnahmen zur Anwendung: Radiologisch und computertomographisch zeigt ein Mesotheliom neben einem einseitigen Pleuraerguss, der bei vielen Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose vorliegt, oftmals ein ungleichmäßiges arkadenförmiges Wachstum, welches sich in Form eines Begleitschattens an den vom Erguss nicht überdeckten Anteilen der Thoraxwand darstellt. In späten Stadien sind besonders im basalen Bereich zum Teil massive knollenartige Verschattungen und Verschwartungen der betroffenen Seite zu diagnostizieren. Eine Ausbreitung zur Gegenseite erfolgt meist erst in späten Stadien (Calavrezos und Hain, 1982).

1 Einleitung 16 Da es mittels hochauflösender Computertomographie (HRCT) möglich ist, Strukturen bis zu 3 mm darzustellen, ist es denkbar, auch Mesotheliome in sehr frühen Stadien zu diagnostizieren, was bei den sog. Hochrisikogruppen im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Bedeutung sein kann (Hering et al., 1993). Um ein Frühmesotheliom handelt es sich nach Müller, wenn sicher eine noch frühe Infiltration auf beurteilbare Areale der Pleurahauptschicht beschränkt bleibt, es sich also um ein pt1(a) Stadium handelt. Nach Bauer (1993) sind nachsorgende Untersuchungen dann durchzuführen, wenn die Auslöseschwelle am Arbeitsplatz überschritten wurde, und eine Asbeststaubexposition länger als drei Monate vorlag. Ab einem Wert von 15000 F/m³ besteht die Pflicht zur Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen. Laut Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVGB) erwiesen sich die Mortalitätsraten für die Diagnose Mesotheliom speziell bei den Beschäftigten der Asbesttextil- sowie der Asbestzementprodukte herstellenden Industrie und der verarbeitenden Handwerksberufe als sehr hoch (Woitowitz et al., 1989). Im Rahmen der Hochrisikogruppen- Identifikation sollten die relevanten Zeitdaten der Asbesteinwirkung (Beginn der Exposition und Dauer), ebenso wie das Lebensalter der Patienten berücksichtigt werden, da das Risiko sich mit zunehmender Dauer der zurückliegenden Einwirkzeit erhöht. Die Auswertung von Studienergebnissen führt zu der Annahme, dass das Lebensalter zwischen 60 und 65 Jahren ein für diese Erkrankung prädestinierter Lebensabschnitt zu sein scheint, auch wenn die Einwirk- und Latenzzeiten eine viel breitere Streuung vermuten lassen (Drechsel-Schlund et al., 2003).

1 Einleitung 17 Eine neuere Methode zur Diagnosesicherung ist die Positronenemissionstomographie (FDG-PET). Mit einer Genauigkeit von bis zu 92% gelingt die Unterscheidung zwischen gutund bösartigen Prozessen. Zudem bestehen auch in der Darstellung mediastinaler Lymphknotenmetastasen, deren frühzeitige Diagnose im Rahmen eines multimodalen Therapieschemas große prognostische Bedeutung erlangt, einige Vorteile gegenüber dem CT oder dem MRT (Neumeister et al., 2001). Die beschriebenen Befunde sind nicht spezifisch für das maligne Pleuramesotheliom, besonders im Hinblick auf die häufige Metastasierung anderer Tumorentitäten in die Pleura. Aufgrund mehrerer Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass trotz vielfältiger bildgebender Untersuchungsmethoden zur Diagnosesicherung zu Lebzeiten in den allermeisten Fällen eine videogestützte Thorakoskopie nötig ist, die die Beurteilung sämtlicher Pleuraflächen unter direkter Sicht erlaubt und den Patienten kaum belastet (Dienemann, 2005). Allerdings sollten wegen der noch an anderer Stelle zu erwähnenden großen Heterogenität mehrere Proben von verschiedenen Abschnitten entnommen werden. Eine blinde Pleurabiopsie hat dagegen nur eine Sensitivität von unter 50%, da Mesotheliome der Pleura oft in den distalen Bereichen der parietalen/ diaphragmalen Pleura auftreten, die für eine Biopsie schwer zugänglich sind (Konietzko et al., 2000). Als weitere diagnostische Maßnahme kommt schließlich die Pleurapuktion in Betracht, wobei jedoch auch hier nur in 35-50% der Fälle der definitive Nachweis maligner Zellen im Exsudat gelingt. Eine negative Zytologie kann also keinesfalls ein Mesotheliom ausschließen (Müller et al., 2003). Eine Bronchoskopie mit anschließender histologischer oder zytologischer Untersuchung kommt beim erforderlichen differentialdiagnostischen Ausschluss eines peripheren Bronchialkarzinoms in Betracht (Calavrezos und Hain, 1982). Aufgrund der oben geschilderten Symptome, die lange Zeit unspezifisch bleiben, werden die meisten Pleuramesotheliome in bereits weit fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert, weshalb besonders pallativen Therapiemaßnahmen große Bedeutung zukommt.

1 Einleitung 18 Die Pleurektomie oder die Entfernung größerer Tumormassen zur Schmerzlinderung kann indiziert sein. Auch die Pleurodese mit Tetracyclinen oder Talkum ist bei rezidivierenden Pleuraergüssen sehr wirkungsvoll. Beide Substanzen sind in ihrer Wirkung einander gleichwertig (Müller et al., 2003). Angaben zur kurativen Radiotherapie sind selten. Sie wird von den meisten Autoren kritisch beurteilt, da die großen Strahlenfelder und die notwendigerweise hohen Dosen zu erheblichen Nebenwirkungen führen können, sie ist jedoch als Schmerztherapie sehr wirkungsvoll (Mezger, 2000, von Bültzingslöwen, 1996). Erhebliche Bedeutung hat sie in der Bestrahlung von Punktionsstellen bei vorangegangener Biopsie, Punktion oder Drainage erlangt, da der Tumor in diesen Bereichen oftmals nach außen wächst. Eine chirurgische Intervention wird im Allgemeinen nur bei Patienten mit einem Stadium I oder frühem Stadium II und gleichzeitig gutem Allgemeinzustand zu vertreten sein, was zum Zeitpunkt der Diagnose nur bei weniger als 30% der Patienten zutrifft. Die potentiell kurative, erweiterte Pleuropneumonektomie im Sinne einer radikalen Resektion des gesamten Tumors mit angrenzenden Strukturen wie Diaphragma und Perikard (sog. P3D) ist möglich, jedoch mit einer hohen Morbidität belastet. 25% der Patienten erleiden ernsthafte Komplikationen (Müller et al., 2003). Mit limitierten Eingriffen wie Dekortikation und Pleurektomie, liegt die postoperative Mortalität zwar nur bei 2%, allerdings werden sie letztlich nur in pallativer Absicht durchgeführt, da ein vollständiges Entfernen aller malignen Zellen unmöglich ist. Letztlich ist immer ein Abwägen zwischen den Nachteilen fehlender Radikalität und den Nebenwirkungen chirurgischer Maßnahmen nötig, v. a. da in neueren Studien nachgewiesen wurde, dass die Überlebenszeit entscheidend vom Tumorstadium und weniger von der Art des Eingriffs bestimmt wird. Das Pleuramesotheliom konnte bis dato durch eine Chemotherapie kaum beeinflusst werden, der Einsatz schien nur bei raschem Fortschreiten mit klinischen Symptomen gerechtfertigt zu sein (Michael et al., 2001). In einigen neueren Studien sind jedoch gewisse Erfolge mit Pemetrexed vor allem in Kombination mit Cisplatin dokumentiert worden (Müller et al., 2003, Eberhardt, 2004).

1 Einleitung 19 Als Konsequenz dieser Entwicklung wurde kürzlich die Kombinationstherapie mit Pemetrexed und Cisplatin als erster chemotherapeutischer Behandlungsstandard für das Pleuramesotheliom von der FDA für die USA zugelassen (Tomek und Manegold, 2005). Die Prognose der malignen Pleuramesotheliome ist trotz einiger Fortschritte bezüglich Diagnose und Therapie in den letzten Jahren außerordentlich schlecht. Obwohl Mesotheliome im Vergleich zu den Lungenkarzinomen langsam wachsen, liegt die mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung zwischen 12 und 15 Monaten (Neumann et al., 2001), wobei Frauen durchschnittlich länger leben als Männer (Hartmann und Schütze, 1992). In seltenen Fällen konnte aber über ungewöhnlich lange Überlebenszeiten berichtet werden (Wong et al., 2002). Die längste Überlebenszeit, die im Deutschen Mesotheliomregister bekannt ist, beträgt 19 Jahre. (Neumann et al., 2001) Law et al. konnten 1983 in einer Studie eine kürzere Überlebenszeit von Patienten mit nachgewiesener Abestexposition im Vergleich zu Patienten ohne Exposition feststellen. Insgesamt scheint die Tumorhistologie neben dem Tumorstadium bei Diagnosestellung ein signifikanter Prognosefaktor zu sein, wobei der epitheloide Subtyp mit einer Überlebenszeit von 14,2 Monaten die beste Prognose hatte, gefolgt vom biphasischen (8,3 Monate) und dem sarkomatoiden Typ (6,1 Monate) (Hartmann und Schütze, 1992, Schirren et al., 1998). Auch das Alter der Patienten hat einen Einfluss auf die mittlere Überlebenszeit. Hartmann und Schütze sind sogar der Ansicht, es beeinflusse die Prognose weit stärker als der histologische Subtyp. Demnach lebten unter 60-jährige Patienten mit einer Überlebenszeit von durchschnittlich 16 Monaten signifikant länger als Patienten, die älter als 60 Jahre waren (6,7 Monate). In derselben Untersuchung konnte gleichzeitig eine längere Überlebenszeit von Frauen bei gleicher Altersverteilung festgestellt werden. Das wichtigste die Prognose beeinflussende Kriterium bleibt jedoch das Tumorstadium zum Zeitpunkt der Diagnose. Aus diesem Grunde sollte vor jeder Therapie das Stadium mittels TNM-Klassifikation so exakt wie möglich ermittelt werden.

1 Einleitung 20 Tabelle 1: TNM-Klassifikation maligner Pleuramesotheliome (6. Auflage 2004) pt1 pt1a pt1b pt2 pt3 Ipsilaterale parietale Pleura Nur Pleura parietalis Pleura parietalis und fokale Beteiligung der Pleura viszeralis Ipsilaterale Pleura mit mindestens einem der folgenden Merkmale: Konfluierender Tumor der viszeralen Pleura, Zwerchfellinfiltration, Lungenparenchyminfiltration Ipsilaterale Pleura mit mindestens einem der folgenden Merkmale: Infiltration der fascia endothoracica, des mediastinalen Fettgewebes. Einzelner Tumorherd mit Thoraxwandinfiltration. Nicht transmurale Pericardinfiltration. Potentiell resektabler Tumor pt4 Ipsilaterale Pleura mit mindestens einem der folgenden Merkmale: Diffuse oder multifokale Infiltration des Thoraxwandweichteilgewebes, Rippeninfiltration, transdiaphragmale Zwechfellinfiltration, Infiltration anderer Mediastinalorgane, direkte Ausbreitung auf kontralaterale Pleura,Infiltration der Wirbelsäule, transmurale Pericardinfiltration, maligner Pericarderguß, Myokardinfiltration, Infiltration des Plexus brachialis PN0 PN1 Keine regionalen Lymphknotenmetastasen Metastase(n) in ipsilateralen bronchopulmonalen und/oder ipsilateralen Hiluslymphknoten PN2 PN3 PMx Metastase(n) in subcarinalen und/oder ipsilateralen Lymphknoten entlang der A. mammaria interna oder in mediastinalen Lymphknoten Metastase(n) in kontralateralen mediastinalen Lymphknoten, solchen entlang der kontralateralen A. mammaria interna, kontralateralen Hilus- und/oder ipsioder kontralateralen Skalenus- oder supraklavikulären Lymphknoten Das Vorhandensein von Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden PM0 PM1 Keine Fernmetastasen Fernmetastasen vorhanden

1 Einleitung 21 Charakteristisch für die Histologie der malignen Mesotheliome ist die große Heterogenität ihrer Wachstumsmuster untereinander und sogar innerhalb eines Tumors. Nach der WHO-Klassifikation von 2004 werden drei verschiedene Wachstumstypen des malignen Pleuramesothelioms unterschieden: Vorwiegend epitheloide Mesotheliome Vorwiegend sarkomatoide Mesotheliome Biphasische (gemischte) Mesotheliome Ein vorwiegender Subtyp wird immer dann angegeben, wenn die zweite Tumorkomponente weniger als 10% der gesamten Tumorzellen ausmacht (Müller und Krismann, 2004). Diese Einteilung geht noch auf Klemperer und Rabin zurück (Brockmann und Müller, 1991). Der epitheloide Subtyp tritt am häufigsten auf. Bei den Tumorzellen handelt es sich um polygonale bis flach zylindrische, epithelähnliche Mesothelzellen. Sie können sehr verschiedene Wachstumsmuster aufweisen: azinär, papillär, tubulär, solide oder zystisch. Sarkomatoide Mesotheliome bestehen aus spindeligen Zellformen, und ähneln den mesenchymalen Zellen der Pleurahauptschicht. Sie sind überwiegend parallel angeordnet, aber auch wirbelartige Anordnungen von Fasern und Tumorzellen kommen vor. In die Gruppe der sarkomatoiden Mesotheliome ist auch das desmoplastische Mesotheliom einzuordnen, das sich durch eine ausgeprägte Kollagenfaserproduktion und Zellarmut auszeichnet. Beim biphasischen Subtyp kommen in unterschiedlichen Anteilen sarkomatoide und epitheloide Tumorzellen nebeneinander vor.

1 Einleitung 22 Die definitive Zuordnung eines Mesothelioms zu einem der beiden erstgenannten Subtypen ist kritisch zu sehen, wenn nur kleinere Biopsieproben eines ausgedehnten Tumors der Klassifikation zu Grunde liegen. Sehr häufig kommen in verschiedenen Bereichen eines Pleuramesothelioms beide Subtypen in unterschiedlichen Anteilen vor.

1 Einleitung 23 1.4.2 Makroskopische Befunde Beim malignen Pleuramesotheliom werden lokalisierte und diffuse Formen unterschieden, wobei erstere ausgesprochen selten sind, breitbasig von der Pleura ausgehen und durch infiltrierendes, destruierendes Wachstum mit nur unvollständiger Kapsel charakterisiert sind (Brockmann und Müller, 1991). Einige Autoren sind der Ansicht, dass die diffusen Formen ihren Ausgang von der parietalen Pleura nehmen und sich dann charakteristischerweise in den anatomisch gegebenen Räumen entlang der parietalen und viszeralen Pleura sowie den interlobulären Septen ausbreiten (Boutin, 1989). Prädilektionsstellen scheinen die basalen, zwerchfellnahen Bereiche zu sein, von wo aus der Tumor in caudocranialer Richtung wächst (Vogt-Moykopf et al., 1987). In Frühstadien bilden sich multiple weiße, kleine Knötchen zunächst oft in der Pleura parietalis, die mit Fortschreiten der Erkrankung zu millimeter- bis zentimeterdicken Tumormassen konfluieren und die Lunge schließlich zirkulär umschließen und komprimieren. Häufig finden sich aufgrund einer unvollständigen Obliteration der Pleurahöhle und infolge rezidivierender Ergüsse abgeschlossene, unterschiedlich große, zystische Hohlräume. Die Grenze zum Lungengewebe wird meist lange scharf toleriert (innere elastische Grenzlamelle). Erst in späten Stadien kommt es bei Mesotheliomen vom epitheloiden Subtyp zu einer Infiltration des Lungenparenchyms, sarkomatoide Mesotheliome dagegen neigen schon früh zu einer Infiltration in das Lungengewebe (Krismann und Müller, 2000). Demgegenüber kommt es häufig entlang von Stichkanälen nach bioptischen Eingriffen zu einer Ausbreitung durch die Brustwand. Die Konsistenz des Tumors ist fest bis sehr fest, seine Schnittfläche grau- weiß bei sarkomatoiden Formen, bei epitheloider Differenzierung ist die Konsistenz infolge Hyaluronidaseexpression fadenziehend.

1 Einleitung 24 Durch lokal infiltratives Wachstum kann es zum Befall der Mediastinalorgane und der Thoraxwand kommen, ein Befall der kontralateralen Pleura ist nicht selten, aber meist nur in Endstadien zu beobachten. Über das Zwerchfell und die serösen Häute des Abdomens wächst der Tumor in seltenen Fällen per continuitatem direkt ins Peritoneum vor. In weit fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung kann es darüber hinaus zu Rippenarrosionen infolge eines massiven Befalls der Intercostalmuskulatur kommen. Es besteht eine Koinzidenz zwischen dem Auftreten hyaliner Pleuraplaques und Mesotheliomen. Erstere sind bei über 50% der Patienten zu diagnostizieren, dabei handelt es sich um weiße, flach erhabene, faserreiche Fibrosen in rippenparalleler Anordnung v.a. der Pleura parietalis. Bevorzugt treten sie im Zentrum tendineum des Zwerchfells und in den posterio- lateralen Abschnitten in Höhe der 7. bis 10. Rippen auf. Sie entwickeln sich in 70% der asbestassoziierten Fälle (Krismann und Müller, 2000) infolge jahrelanger Enzündungsreaktionen als Reaktion auf intrapleural liegende Asbestfasern, sind aber nicht als Präneoplasien maligner Mesotheliome zu werten (Brockmann und Stolpe, 1991), sondern können vielmehr als Brückenbefunde einer meist jahrelangen Asbestexposition betrachtet werden (Hain et al., 1984). Maligne Pleuramesotheliome bleiben nur in 18% der Fälle lokal begrenzt, eine Metastasierung in die mediastinalen und pulmonalen Lymphknoten ist sehr häufig. Der Obduktionsbefund zeigt in 50-75% der Fälle ein Übergreifen des Tumors auf die kontralaterale Pleura (Brockmann, 1992, Law et al., 1982). Eine hämatogene Metastasierung findet sich zwar in 50% der Fälle, die Metastasen sind jedoch bis auf einzelne Ausnahmen klein, häufig ohne klinische Relevanz und werden deshalb erst bei der Obduktion erkannt. Mit abnehmender Häufigkeit sind bei der Fernmetastasierung epitheloider Pleuramesotheliome folgende Organe bzw. Organsysteme betroffen: kontralaterale Pleura (50%), ipsilaterale/kontralaterale Lunge (jeweils 40%), Leber (20%), Myokard (20%), Peritoneum, Milz, Haut (jeweils 10%) (Scharmach et al., 2005). Epitheloide Mesotheliome metastasieren bevorzugt in die hilären und mediastinalen Lymphknoten, während sich die Mesotheliome vom sarkomatoiden Subtyp relativ früh auf hämatogenem Weg ausbreiten und sich klinisch ähnlich wie Sarkome verhalten (England et al., 1989).

1 Einleitung 25 1.5 Asbest 1.5.1 Historischer Überblick Der Werkstoff Asbest ist schon seit der Steinzeit bekannt, dies belegen asbestfaserhaltige Keramik- und Töpferwaren, die im Sudan und in der Nähe heutiger Asbestminen in Finnland gefunden wurden und die auf die Jahre 2500 v. Chr. datiert werden. Auch im alten Griechenland, und im Ägypten der Pharaonenzeit wurde es aufgrund seiner vielfältigen Materialeigenschaften verwendet und geschätzt. Plutarch (120-46 v. Chr.) erwähnt ein Material namens Asbest, welches zu Garn gesponnen und im Feuer gereinigt werden könne (Neumeister et al., 2001). Im Altertum baute man Asbest bevorzugt im Mittelmeerraum ab, später auch in Russland und nach Entdeckung großer Vorkommen im 19 Jh. auch in Südafrika und Kanada. Eine kommerzielle Nutzung ist erstmals aus dem Jahre 1720 belegt, wonach Peter der Große asbestverarbeitende Fabriken im Ural bauen ließ. Im Zuge der Industrialisierung und der großen Nachfrage wurde ab Ende des 19.Jh. Asbest in großen Mengen aus Kanada und Südafrika importiert, das Importmaximum wurde in den 70er Jahren des 20. Jh. mit 200 000 Tonnen erreicht. In den folgenden Jahren nahm der Rohasbestimport zwar ab, dennoch wurden 1988 noch über 55000 Tonnen verarbeitet (Raithel et al., 1996). Die größten asbestverarbeitenden Fabriken in Deutschland befanden sich in Hamburg, Hannover, Dortmund und Frankfurt (Böhme, 1951). In den neuen Bundesländern gehörte Dresden neben Magdeburg und Halle- Bitterfeld zu den Städten mit der höchsten Asbestbelastung (Katschinski und Müller, 1994). Eine gesundheitsschädigende Wirkung ist seit Anfang des vorigen Jahrhunderts bekannt, es wurden Fälle von Asbestose beschrieben. Es folgten weitere Untersuchungen und auch tierexperimentelle Studien um einen ätiologischen Zusammenhang zwischen pathologischen Veränderungen und Asbestexposition zu sichern. Dennoch traten erste Unfallverhütungsvorschriften, die zulässige Höchstgrenzen der Staubkonzentration angaben, erst im Jahre 1973 in Kraft.

1 Einleitung 26 Seit 1993 herrscht ein allgemeines Herstellungs- und Verarbeitungsverbot in Deutschland und neuerdings in der ganzen EU. Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten werden zukünftig die wesentlichen asbeststaubgefährdenden Tätigkeiten darstellen, für deren Ausführung umfassende Schutzvorschriften gelten. Dennoch ist die Gefährdung durch Asbest noch nicht gebannt, da global Produktion und Verwendung sogar wieder zunehmen (Baader und Schittly, 2004). Somit besteht aufgrund der weltweiten Handelsbeziehungen weiterhin ein gewisses Gefährdungspotential, und nur ein weltweites Verbot kann verhindern, das es auch in der Zukunft zu weiteren Todesfällen kommt, obwohl die Gefahren heute sehr gut bekannt sind.

1 Einleitung 27 1.5.2 Fasertypen Asbest ist ein Oberbegriff für zwei Gruppen von natürlich vorkommenden, silikatischen Mineralien mit charakteristischer feinfaseriger Struktur: die Serpentinasbeste und die Amphibolasbeste, wobei sich letztere in mehrere Untergruppen gliedern lassen. Serpentinasbest: Chrysotil (Weißasbest) Amphibolasbest: Krokydolith (Blauasbest) Amosit (Braunasbest) Tremolit Aktinolith Antophyllit Die wirtschaftlich bedeutendsten Asbestarten waren Chrysotil mit einem Anteil von 90-95% und Krokydolith mit einem Anteil von 5-10% am Gesamtverbrauch (BGFE, 2001).

1 Einleitung 28 1.5.3 Charakteristische Eigenschaften der Fasern und Pathogenese Die chemische Zusammensetzung der einzelnen Gruppen unterscheidet sich in einigen Punkten, was ihre verschiedenen Eigenschaften bedingt. Die Amphibolasbeste zum Beispiel gehören zu den Kettensilikaten, ihre Fasern sind gerade, starr und stäbchenförmig, in Bezug auf die Säurebeständigkeit sind sie dem Serpentinasbest weit überlegen. Dieser ist aufgrund seines schichtgitterartigen Aufbaus weicher, besser spinnbar und sehr hitzebeständig (Böhme, 1951). Seine Fasern sind gekrümmt, feiner und, bedingt durch den komplexen chemischen Aufbau, hohlfaserig. Je nach geforderten Materialeigenschaften wurde entweder die eine oder andere Gruppe von Asbest verwendet. Das unterschiedliche gesundheitliche Gefährdungspotential ist auf diese chemisch- physikalischen Eigenschaften zurückzuführen. Zwar können alle kommerziell verfügbaren Faserarten im Tierexperiment Lungenkrebserkrankungen hervorrufen, jedoch gilt Chrysotil als wesentlich weniger gefährlich als Krykodolit und Amosit (McDonald und McDonald, 1996). Dies ist auf die bessere Löslichkeit und Biegsamkeit seiner Fasern zurückzuführen, eine Elimination im Gewebe ist leichter möglich. Amphibolfasern sind starrer und zu lang, um von Alveolarmakrophagen phagozytiert zu werden. Die Abhängigkeit der Pathogenität der Fasern von ihren geometrischen Abmessungen gilt als bewiesen, demnach steigt deren kanzerogene Potenz mit zunehmender Länge und Abnahme des Durchmessers (Bauer, 1993). Kanzerogen sind demnach Fasern mit einem Durchmesser von höchstens 1 µm und einer Länge von mindestens 3 µm. Es soll eine besonders hohe kanzerogene Potenz gegeben sein, wenn ihr Durchmesser weniger als 0,2 µm und ihre Faserlänge mehr als 10 µm beträgt. Im Wesentlichen erreichen die Asbestfasern den Pleuraspalt auf lymphatischem Wege, wo es zu einer Aktivierung von Lymphocyten und Gewebsmakrophagen kommt, die ihrerseits aufgrund der Faserlänge nicht in der Lage sind, die Fasern vollständig zu umschließen und zu phagozytieren. Durch die Ausschüttung von Zytokinen werden Fibroblasten und andere Zielzellen stimuliert und es kommt un-

1 Einleitung 29 ter Umständen zur Auslösung chronisch entzündlicher, fibrotischer und tumoröser Prozesse. Eine genaue Übersicht zu den immunologischen Vorgängen findet man bei Kagan und Brody (1996). Die Fasern verbleiben im Gewebe und es kommt durch Anlagerung einer eisenhaltigen Proteinhülle zur Bildung von Asbestkörpern. Es handelt sich hierbei um eine Art Schutzvorrichtung des Organismus gegenüber der mechanischen Reizung der Asbestfasern (Böhme, 1951). Pseudoasbestkörper sind im Gegensatz dazu morphologisch ähnliche Gebilde, die nicht auf die Inhalation von Asbest, sondern anderer faserförmiger Mineralien (z.b. Glaswolle) zurückzuführen sind (Woitowitz et al., 1986). Eine Abgrenzung kann schwierig sein, da beide Gebilde eine eisenhaltige Proteinhülle aufweisen. Die Klärung ihrer Herkunft ist nur durch eine Lungenstaubfaseranalyse mittels lichtmikroskopischer und elektronenmikroskopischer Untersuchung möglich. Abbildung 1: Asbestkörperchen zentral im Lungenparenchym, eisenhaltige Makrophagen in der Nachbarschaft (Berlinerblau-Färbung).

1 Einleitung 30 Das griechische Wort asbestos (= unauslöschlich, unvergänglich) bezeichnet bereits die wichtigsten Materialeigenschaften. Asbest ist chemisch sehr beständig, unterliegt nicht dem natürlichen Vorgang der Korrosion, ist nicht brennbar, säureresistent und eignet sich hervorragend als Isoliermaterial. Charakteristisch für Asbest ist die leichte Spaltbarkeit in einzelne Fasern, die eingeatmet werden und auf diesem Wege Lunge und Pleura erreichen. Dieses Verstaubungsverhalten ist weit stärker ausgeprägt als bei allen künstlichen mineralischen Fasern. Allerdings erlaubt die unter Mineralien selten anzutreffende feinfaserige Struktur, Asbestfasern zu verspinnen, zu weben und in die Länge zu ziehen, was wiederum die Materialeigenschaften von Produkten mit Asbestzusatz für die Bereiche Brandfestigkeit, Wärme-/Hitzebeständigkeit, Zugfestigkeit/Elastizität, Chemikalienbeständigkeit und Isolation (Wärme und Elektrizität) erheblich verbesserte.

1 Einleitung 31 1.5.4 Vorkommen und Verbrauch von Asbest In der Natur sind Asbestvorkommen weltweit verbreitet. Chrysotilvorkommen befinden sich vor allem in Kanada, Russland und Südafrika. Krokydolith und Amosit werden in Südafrika und Italien abgebaut, Anthophyllit in Finnland und Tremolit wird vorwiegend in China und Italien gefunden. In Deutschland befinden sich geringe Vorkommen als Nebenbestandteile in anderen Gesteinen (Sauerland, Harz). Vielfach wird Asbest im Tagebau gewonnen, aber auch ein Abbau im Stollenbetrieb ist möglich. Es gilt als belegt, dass es in der Vergangenheit kaum einen industriellen und handwerklichen Bereich gab, in dem nicht wenigstens zeitweilig mit Asbest und asbesthaltigen Materialien umgegangen wurde. Entsprechend vielfältig sind die Berufsgruppen, die im Laufe ihres Berufslebens asbestexponiert gewesen sein können: Sie umfassen Dachdecker, Kfz- Mechaniker, Isolierer, Elektriker ebenso wie Arbeiter in Kraftwerken, der chemischen und metallverarbeitenden Industrie sowie der Textilindustrie und des Schiffbaus. Die mit Abstand stärkste Gefährdung ist im Umgang mit Asbestzement und schwach gebundenen Asbestfasern, wie sie zur Isolierung von Lüftungsrohren und Stahlkonstruktionen bis Mitte der 70er Jahre obligat verwendet wurden, zu sehen (Schrab et al., 2000). Unter den beruflich asbestexponierten Personengruppen stehen Isolierer zusammen mit Werftarbeitern an erster Stelle. Auch in der Textilindustrie bei der Herstellung asbesthaltiger Schutzkleidung und im Baugewerbe bei der Herstellung und Verarbeitung von Asbestzement wurden sehr hohe Staubbelastungen erreicht. Durch die breite Verwendung von Asbest kann von einer allgemeinen Umweltbelastung ausgegangen werden, so dass sich nahezu bei jedem Menschen Asbestfasen in der Lunge nachweisen lassen, auch wenn er keinen direkten Umgang mit diesem Material hatte.

1 Einleitung 32 Neumann et al. gehen ab einem Wert von > 22 Asbestkörpern pro cm³ Lungengewebe von einer erhöhten Asbestbelastung aus (Neumann et al., 2001). Eine über diesen Wert hinausgehende Belastung ist auch bei Personen, die in der Nähe asbestverarbeitender Fabriken oder Asbestminen lebten, festzustellen. Senyigit et al. berichteten 2000 über ein vermehrtes Auftreten von Mesotheliomen in einigen Bereichen der südlichen Türkei als Folge der Umgebungsbelastung. Auch wurden hier asbesthaltige Produkte als Reinigungsprodukte im Haushalt verwendet. Auch im Trinkwasser lassen sich aufgrund asbesthaltiger Leitungssysteme in Deutschland Belastungen von einer bis elf Mio. Fasern pro Liter feststellen. Bisher konnte jedoch diesbezüglich keine erhöhte Inzidenz von Krebserkrankungen des Verdauungstraktes nachgewiesen werden. (Müller und Krismann, 1996).

1 Einleitung 33 1.6 Andere ätiologische Aspekte Künstliche Mineralfasern werden zum Teil als Asbestersatzmaterialien verwendet, es handelt sich dabei um amorphe Silicate mit andersartiger Faserstruktur. In Tierversuchen konnten Malignome lediglich nach intraperitonealer Instillation, nicht aber nach inhalativer Exposition hervorgerufen werden. Respondek et al. berichteten 1993 über tierexperimentelle Ergebnisse bezüglich der fibrogenen und neoplastischen Potenzen von sogenannten Rockwool- Fasern. Es handelt sich dabei um künstlich aus Basaltgestein hergestellte Mineralfasern. Im Vergleich zu Asbest waren die fibrogenen Auswirkungen gering, und es konnten keinerlei neoplastische Zellen nachgewiesen werden, was in Anbetracht der nur 10 monatigen Versuchsdauer und der Latenzzeiten, die bei Pleuramesotheliomen üblicherweise vorkommen, nicht verwunderlich ist. Bis dato ist eine abschließende Aussage bezüglich des Gefährdungspotentials, das von künstlichen Mineralfasern ausgeht, nicht möglich. Neben Asbest kommt in der Gruppe der Mineralien natürlichen Ursprungs nur noch dem Erionit, einem faserförmigen Zeolith, eine kanzerogene Wirkung zu (Müller, 2005). In einigen Gegenden der Türkei besteht eine Erionitexposition aus der natürlichen Umgebung. Sehr hohe Erkrankungsraten wurden in den sogenannten Zeolith- Dörfern von Kappadokien festgestellt, deren Bewohner in Häusern aus diesem faserförmigen Vulkangestein lebten. Im Mesotheliomregister Bochum sind Fälle von ehemaligen türkischen Gastarbeitern bekannt, die an einem Mesotheliom erkrankten und bei denen eine berufliche Exposition nicht nachgewiesen werden konnte. Für die Kombination von Rauchen und Asbest konnte bezüglich der Entwicklung von Mesotheliomen kein Kausalzusammenhang festgestellt werden. Allerdings wiesen Selikoff und Hammond schon in den 70er Jahren epidemiologisch ein um das Hundertfache erhöhte Lungenkrebsrisiko für Raucher nach, die gleichzeitig asbestexponiert waren (Selikoff und Hammond, 1975).

1 Einleitung 34 Rauchen allein erhöhte das Risiko an einem Lungentumor zu erkranken um das bis zu 25- fache. Ein synkanzerogener Effekt tritt auch bei der Kombination von Asbest und Strahlung auf (Kotschy-Lang, 2001). Neben Mineralien natürlichen und künstlichen Ursprungs wird auch der Einfluss radioaktiver Strahlung und Thorotrastapplikation (ein früher gebräuchliches Kontrastmittel) als Ursache für eine Mesotheliomentstehung diskutiert. Auch konnten in verschiedenen Studien DNA Sequenzen des SV40 in bis zu 60% der Mesotheliome festgestellt werden. Müller berichtete 2005, dass in 57% der Mesotheliome, die alle vom epithelialen Subtyp waren, DNA Sequenzen des SV 40 gefunden werden. Erstmals gelang der Nachweis 1994. Die Tatsache, dass zwischen 1955 und 1961 mit dem SV 40 Virus verseuchte Poliomyelitis- Impfstoffe im Umlauf waren, ließen den Verdacht eines erhöhten Risikos für bestimmte Tumoren (u.a. auch für Mesotheliome) in den betroffenen Jahrgänge aufkommen. Allerdings sind diese Zusammenhänge noch nicht vollständig verstanden und Gegenstand aktueller Forschungsprojekte.

1 Einleitung 35 1.7 Berufskrankheit Mesotheliom Die Inhalation von Asbeststaub kann zu einer Lungenfibrose, der sog. Asbestose, zu einem Lungenkarziom, zu einem Mesotheliom der Pleura, des Peritoneums und des Pericards, oder zu einem Larynxkarzinom führen. Mit einem Anteil von 70% an der Gesamtzahl der zu entschädigenden berufsbedingten Krebserkrankungen nimmt Asbest unter den kanzerogenen Arbeitsstoffen mit weitem Abstand die Spitzenposition ein (Rösler et al., 1994). Woitowitz bezeichnet es als die bedeutendste, krebserzeugende Arbeitsnoxe (Woitowitz et al., 1986). Theoretisch kann jede Asbestfaser kritischer Abmessung Auslöser eines Mesothelioms sein. Es existiert keine Schwellendosis. Die Erkrankung an einem malignen Pleuramesotheliom wird von den Berufsgenossenschaften auch nach nur einmaliger beruflicher Exposition anerkannt, da es als gesichert gilt, dass es infolge einer kurzfristigen bis zu 30 Jahre zurückliegenden Einatmung hoher Faserkonzentrationen (z. B. kommt es bei der mechanischen Bearbeitung von Asbestplatten zu Faserkonzentrationen von bis zu 50 Mio. Fasern/m³ im Staub) zur Inkorporation in Lunge und Pleura kommen kann (Muhle et al., 1998). Die Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten erfolgte in der ehemaligen DDR 1972, in der Bundesrepublik sogar erst 1977. Weit früher wurde 1936 die Asbestose, und 1943 bösartige Lungentumoren bei gleichzeitiger Asbestose in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt. Seit 1992 ist der Nachweis sogenannter medizinischer Brückenbefunde (asbestassoziierte Lungen- oder Pleuraveränderungen) zur Anerkennung eines asbestassoziierten Lungenkarzinoms nicht mehr zwingend erforderlich. Vielmehr wird eine Kausalität auch bejaht, wenn der Betroffene mehr als 25 sogenannte Faserjahre einer beruflichen Exposition ausgesetzt war. Ein Faserjahr entspricht einer achtstündigen täglichen Einwirkung über ein Jahr von 10 6 F/m³ der kritischen Abmessungen (Länge > 5µm, Durchmesser <3 µm, Länge zu Durchmesserverhältnis mindestens 3:1) über einen Zeitraum von mindestens 240 Arbeitstagen (Bauer et al., 1997). Seit 1993 können auch die Mesotheliome des Perikards unter der Listennummer 4105 der Berufskrankheitenverordnung entschädigt werden.