Das Ausbildungssystem der Polizei Nordrhein-Westfalen Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung im Fokus



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Transkript:

Das Ausbildungssystem der Polizei Nordrhein-Westfalen Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung im Fokus Eine Untersuchung zu Attributionen von Misserfolgen ausgeschiedener Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter im Fachbereich Polizeivollzugsdienst der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen Bachelor-Thesis vorgelegt von: Antonia Nicole Janßen geboren am: 20. April 1985 in Recklinghausen Kurs: GE P 11/06 Erstgutachterin/Betreuerin: PRin Heike Schultz Zweitgutachter: EPHK Ulrich Marwig Gelsenkirchen, den 23. Mai 2014

Abstract Die Polizei in Nordrhein-Westfalen schrumpft und altert. In den nächsten Jahren werden vermehrt eine größere Anzahl Polizistinnen und Polizisten in den Ruhestand versetzt. Um dem drastischen Personalschwund entgegenzuwirken, wurden die Einstellungszahlen der Neuzugänge stark angehoben. Jeder Mann und jede Frau bei der Polizei NRW wird benötigt. Dazu gehören auch die ausgeschiedenen Kommissaranwärterinnen und -anwärter, die im Fokus dieser Arbeit stehen. Verschiedene Untersuchungen und Studien wurden bereits durchgeführt, um die Ausbildungsqualität stetig optimieren zu können. Dabei handelt es sich größtenteils um quantitative Forschungen, wie z.b. Evaluationen von Studierenden bzgl. ihrer Dozentenschaft und den Bedingungen an den Polizeischulen. Aus einer Untersuchung des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten NRW geht hervor, dass der Großteil der ausgeschiedenen Anwärterinnen und Anwärter aufgrund nicht erbrachter Leistungen im theoretischen Modulbereich an der FHöV die Ausbildung vorzeitig beenden muss. Welche Ursachen hat der Misserfolg der Studierenden an der FHöV? Diverse Fragestellungen wurden ausgearbeitet, die die Basis der Untersuchung darstellen. Zwei ehemalige Kommissaranwärter wurden für diese Arbeit zu ihren Erfahrungen rund um ihr Studium und ihr Ausscheiden interviewt. Anhand von alltagspsychologischen Theorien, die sich mit Ursachenzuschreibungen (Attributionen) befassen, wurden die Ergebnisse der Interviews ausgewertet. Es wurden verschiedene Studien zu Attributionen im akademischen Leistungskontext vorgestellt und drei theoretische Ansätze anerkannter Attributionsforscher erläutert. Das Experteninterview und die qualitative Inhaltsanalyse wurden hier als Untersuchungsmethoden gewählt und vorgestellt. Die beiden ehemaligen Kommissaranwärter attribuierten ihren Misserfolg sehr unterschiedlich: Die eine Person sah die Ursachen ihres Scheiterns in mangelnder Lernleistung und hatte Schwierigkeiten damit, sich eigenständig selbst zu motivieren. Die andere Person betrachtete die negative Bewertung des Prüfungsgutachters als ursächlich für ihren Misserfolg. Beide Kommissaranwärter äußerten allerdings, dass sie der Unterricht im entsprechenden Fachbereich nicht zu eigener Lernleistung motiviert hätte. Im abschließenden Teil wird ein kurzer Überblick weiterer Forschungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Theoretische Grundlagen 4 2.1 Erläuterungen und Forschungsergebnisse 4 2.1.1 Was sind Attributionstheorien? 4 2.1.2 Attributionsforschung im Leistungskontext 6 2.1.3 Ausbildungswesen der Polizei Nordrhein-Westfalen 8 2.2 Fragestellungen 10 2.3 Attributionstheorien 12 2.3.1 Allgemeines 12 2.3.2 Kovariation nach Kelley 13 2.3.3 Weiners Dimensionen von Attributionen 15 2.3.4 Das akademische Selbstkonzept 17 3. Empirische Forschung 20 3.1 Methoden 20 3.1.1 Methodenwahl 20 3.1.2 Experteninterview 21 3.1.3 Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse 22 3.2 Interviewabläufe 23 3.2.1 Kurzberichte 23 3.2.2 Problematiken 24 3.2.3 Fehlerquellen 25 3.3 Ergebnisse 26 3.3.1 Auswertung Interview B 26 3.3.2 Auswertung Interview A 30 3.3.3 Zusammenfassung und Bewertung 33 3.3.4 Ratschläge an Studienanfänger 37 4. Diskussion 38 Literaturverzeichnis II Abkürzungsverzeichnis VI Eigenständigkeitserklärung VII Anlage A Interviewleitfaden Anlage B Interview B Anlage C Interview A I

1. Einleitung 1. Einleitung Es waren rund 700 Leistungsnachweise in Form von Klausuren und Hausarbeiten als nicht bestanden bewertet worden ( ) schließlich waren das 700 mögliche Rauswürfe (DPolG 2014: S. 5). Die Rede ist hier von Prüfungsleistungen aus dem Grundstudium der 1400 Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter des Einstellungsjahrgangs 2012 der Polizei in Nordrhein-Westfalen (NRW). Seit 2008 müssen angehende Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte in NRW ein Bachelorstudium absolvieren, um sich ihren Wunsch vom Polizeiberuf zu erfüllen. Eine dreijährige Modulausbildung, untergliedert in Theorie, Training und Praxis, führt schließlich zum Ziel. Auf diesem Weg müssen diverse Prüfungsleistungen erbracht werden, wobei jede Prüfung grundsätzlich nur ein Mal wiederholt werden darf. Nach der Reformierung des Studiengangs im Jahr 2012 (Ergebnisbericht Verzahnungsgremium 2011) werden diese Prüfungsleistungen fast ausschließlich in den theoretischen Modulen, also an den Standorten der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöVs), gefordert. Doch scheint in Anbetracht der oben aufgeführten Zahlen gerade hier die Problematik zu liegen. Im Durchschnitt ist jeder zweite Studierende durch eine seiner sechs geforderten Prüfungen im Grundstudium durchgefallen. Da kommt der Verdacht auf, dass die Bestenauslese durch das Auswahlverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Das ist besorgniserregend, denn wir wissen alle um den Personalschwund bei der Polizei (DPolG 2014: S. 5). Auch innerhalb unserer Polizei in NRW findet ein demografischer Wandel statt, vergleichbar mit dem in der gesamten Gesellschaft. Und die Auswirkungen sind in den Polizeibehörden spürbar. In meiner Dienststelle arbeiten noch 10 Kollegen Altersdurchschnitt: 54 (Lehmkuhl 2013: S. 45), so ein Polizeivollzugsbeamter in einem Interview für den FOCUS. Die zwei für das Interview verantwortlichen Reporter recherchierten im Rahmen ihres Artikels, dass spätestens 2017 ( ) bundesweit die Zahl der Beamten, die in den Ruhestand gehen (Lehmkuhl 2013: S. 45), steigen wird. Nach dem Altersstrukturbericht der Polizei NRW (MIK NRW 2011) von 2011 ist die Botschaft eindeutig: Die Polizei altert nicht nur, sie schrumpft auch. Die Politik reagiert mit erhöhten Einstellungszahlen. Wurden einst 500 (MIK NRW 2011) neue Anwärterinnen und Anwärter für den Polizeiberuf in NRW 1

1. Einleitung eingestellt, so wurden die Zahlen stetig erhöht: 2011 stellte NRW 1100 1 Kommissaranwärterinnen und -anwärter ein, 2012 waren es schon 1400 (Liedtke 2012: S. 6) Studienanfänger. Mittlerweile wird die Anzahl der Neuzugänge davon abhängig gemacht, wie viele Kommissaranwärterinnen und -anwärter im vorherigen Jahrgang bereits ausgeschieden sind. 2013 erhöhten sich dadurch die Einstellungen nochmals auf insgesamt etwa 1470 (Jäger 2013). Durch diese flexiblen Anpassungen sollen die Verluste aufgefangen werden, jedoch ist die Zahl der möglichen Stellen zurzeit auf maximal 1500 begrenzt (MIK Starterlass 2014). Zurzeit können die jährlichen Pensionierungen der Kollegenschaft in NRW noch aufgefangen werden, es gibt sogar knapp mehr Neuzugänge, als Personen, die in den Ruhestand versetzt werden. Doch spätestens ab dem Jahr 2018 (MIK NRW 2011: S. 3) wenden sich die Zahlen (1663 Pensionierungen inklusive sonstiger Abgänge). Desto wichtiger ist es, möglichst keine Verluste in Bezug auf die Neueinstellungen zu verzeichnen. Aus den oben zitierten 700 nicht bestandenen Prüfungen resultierten letztendlich 60 ausgeschiedene Studierende (LAFP NRW 2014: S. 2). Alle ausgeschiedenen Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter stehen für einen Misserfolg in zweierlei Hinsicht: Zum einen stellen sie für die Polizei NRW einen großen Verlust dar, wo doch jeder Mann bzw. jede Frau benötigt wird. Andererseits geht wertvolle Zeit für diejenigen Personen verloren, die aufgrund nicht erbrachter Leistungen aus der Ausbildung ausscheiden mussten und ihren Traum vom Polizeiberuf nicht verwirklichen konnten. Fraglich ist, aus welchen Gründen Kommissaranwärterinnen und -anwärter ausscheiden und wie man ein Ausscheiden während der Ausbildung zukünftig vermeiden bzw. die Zahlen zumindest deutlich senken kann. Das anfangs eingebrachte Zitat könnte ein erster Hinweis sein, weshalb sich schließlich der Fokus dieser Arbeit auf das theoretische Modul richtet, also das Studium an den FHöVs. Diese Arbeit gliedert sich in vier Hauptbereiche auf: Einleitung, Theoretische Grundlagen, Empirische Forschung und Diskussion. In der Theorie wird zunächst der Begriff Attributionstheorie erläutert, anschließend werden Studien aus dem Bereich der Attributionsforschung und die Entwicklung des Ausbildungswesens der Polizei NRW der letzten Jahre vorgestellt. Darauf basierend werden in den theoretischen 1 Gemäß dem Kenntnisstand der Erstellerin, die in diesem Jahrgang ihre Ausbildung absolviert. 2

1. Einleitung Vorüberlegungen wesentliche Fragestellungen formuliert und deren Erkenntnisinteresse erläutert. Anschließend werden drei Attributionstheorien und ihre Anwendung in Bezug auf diese Forschungsarbeit vorgestellt. In dem Abschnitt Empirische Forschung werden die Methoden präsentiert und der Forschungsverlauf dokumentiert. Als Untersuchungsmethode wurde unter anderem das Experteninterview gewählt. Es wurden insgesamt zwei Interviews mit ausgeschiedenen Kommissaranwärtern geführt, die im Anhang der Arbeit angefügt wurden. Im Anschluss werden die Forschungsergebnisse mit ihren Schlussfolgerungen präsentiert. Die Arbeit endet dann mit der Diskussion. Hier werden die Ergebnisse kurz diskutiert und weitere, dadurch aufgeworfene Forschungsfragen angesprochen. 3

2. Theoretische Grundlagen 2. Theoretische Grundlagen 2.1 Erläuterungen und Forschungsergebnisse 2.1.1 Was sind Attributionstheorien? In der Psychologie werden wissenschaftliche Theorien herangezogen, um Sachverhalte zu erklären, vorherzusagen und sie zu kontrollieren. Es dreht sich also um das Verhalten und Erleben von Individuen. Dieses Vorgehen findet sich aber nicht nur in den Wissenschaften wieder, sondern auch jede Frau und jeder Mann auf der Straße versucht, ihr oder sein eigenes Verhalten, aber auch das anderer Personen zu erklären. Es besteht deshalb die Grundannahme, dass jeder Mensch ein naiver Psychologe ist, der über eigene psychologische Theorien verfügt. Harold Kelley beschreibt diese naive Wissenschaft als Alltagspsychologie: Die [Alltagspsychologie] enthält die Meinungen der gewöhnlichen Leute über ihr eigenes Verhalten und das anderer Personen sowie über die voraus laufenden Bedingungen und die Konsequenzen dieses Verhaltens (Kelley 1992: S. 4). Fritz Heider 2 (1958) war einer der Ersten, der dazu aufgefordert hat, die Alltagspsychologie in die wissenschaftliche Psychologie mit aufzunehmen. Er führte dafür zwei Gründe an: 1. Die Alltagspsychologie leitet unser gesamtes Verhalten an. Wenn ein Mensch glaubt, dass seine Handlinien seine Zukunft vorhersagen, muss dieser Glaube berücksichtigt werden bei dem Versuch, bestimmte Erwartungen und Handlungen zu erklären (Heider 1977: S. 14). Deshalb spielt es keine Rolle, ob diese theoretischen Annahmen einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würden. Das folgende Beispiel soll das Verständnis für die Alltagspsychologie untermauern: Mein Kind erhält eine mangelhafte Note in der Schule. Im ersten Fall gehe ich davon aus, dass es sich zu wenig angestrengt und zu wenig gelernt hat. Im zweiten Fall erkläre ich die schlechte Note damit, dass die Prüfungsfragen unangemessen schwer waren. Im ersten Fall würde ich mich über mein Kind ärgern und zukünftig mehr Anstrengung von ihm erwarten. Im zweiten Fall würde ich mich vielleicht auch ärgern, aber eher über die Prüfungserstellerin oder den 2 Heider entwickelte das Prinzip der naiven Handlungsanalyse, dass auf der Grundannahme vom naiven Psychologen basiert. Er klassifizierte dafür die Kausalattributionen nach vier Faktoren, die entweder auf die Person oder die Situation zurückführen. Demnach sind für ein psychologisches Ereignis sowohl die Fähigkeit (stabil) und Anstrengung (variabel) einer Person, als auch die Aufgabenschwierigkeit (stabil) und der Zufall (variabel) ursächlich (Heckhausen 2010: S. 401ff.). 4

2. Theoretische Grundlagen Prüfungsersteller. Mein Kind hingegen würde ich vermutlich trösten. Mein Erleben und Verhalten wird also durch meine Ursachenzuschreibungen beeinflusst. 2. Die wissenschaftlichen Theorien sind für jeden greifbar. Sie stehen in Lehrbüchern und Fachzeitschriften. Die Alltagspsychologie hingegen steht weder auf dem Papier geschrieben, noch ist sie dem naiven Psychologen direkt bewusst. Deshalb sollten diese intuitiven Annahmen analysiert und beschrieben werden (Meyer 2003: S. 5). Heider ist damit als ein bedeutender Vorreiter bzgl. der Attributionsforschung zu nennen. Auf der von ihm formulierten Differenzmethode 3 bauen diverse andere Forscher ihre Konzepte auf, u.a. der Psychologe Harold Kelley 4. Heider geht davon aus, dass Handlungsergebnisse insbesondere von vier Ursachen abhängig sind: Von der Macht (Fähigkeit) und der Motivation (Anstrengung) einer handelnden Person, von der Schwierigkeit einer Aufgabe und dem Zufall, also wie systematisch etwas ist (Meyer 2003: S. 5). Fraglich ist, wie wir im Alltag zu Schlussfolgerungen gelangen, sowohl zu unserer eigenen Person, als auch hinsichtlich anderer Personen und unseren täglichen Ereignissen. Die Attributionsforschung greift diese Frage als Gegenstand auf. Der Begriff Attribution stammt aus dem Lateinischen (attribuere = zuschreiben) und bedeutet in etwa so viel wie das Zuschreiben von Ursachen. Attributionen sind Meinungen oder Überzeugungen über die Ursachen von psychologischen Ereignissen und Sachverhalten. (Meyer 2003: S. 6) Grundsätzlich ist noch zu sagen, dass es in der Attributionsforschung zwei Gruppen von Theorien gibt: Attributionstheorien und attributionale Theorien. Attributionstheorien befassen sich damit, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und wie wir zu Ursachenzuschreibungen gelangen, also dem Zustandekommen von Attributionen. Die attributionalen Theorien hingegen erklären, wie sich diese Ursachenzuschreibungen auf unser Erleben und unser Verhalten auswirken (Rudolph 2009: S. 112). Die folgende Abbildung verdeutlicht den Gegenstand der Attributionstheorien und attributionaler Theorien: 3 Nach Heider wird diejenige Ursache als verantwortlich für einen Effekt betrachtet, die vorhanden ist, wenn auch der Effekt vorhanden ist und die nicht vorhanden ist, wenn der Effekt nicht vorhanden ist. Ursache und Effekt treten also gemeinsam auf oder bleiben gemeinsam aus (Kovariation) (Rudolph 2009: S. 118). 4 Das Kovariationsprinzip nach Kelley wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch vorgestellt. 5

2. Theoretische Grundlagen (Abbildung aus Meyer 2003: 7, nach Meyer 1978 und Kelley 1980) 2.1.2 Attributionsforschung im Leistungskontext In diversen Studien im Schulbereich wurde bereits untersucht, welche Faktoren die Attributionen von Leistungen beeinflussen. Drei solcher Forschungsansätze werden nun vorgestellt, um einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Auswirkungen unterschiedliche Arten von Attributionen auf uns haben. Außerdem dienten die bereits gewonnenen Erkenntnisse der Formulierung der Forschungsfragen und dem Finden geeigneter Untersuchungsmethoden. Bei den Forschungen wurde untersucht, welchen Einfluss Lehrende auf Attributionen ihrer Schülerschaft haben, welche Auswirkungen unterschiedliche Attributionsstile auf Leistungen haben und welche Bedeutung Motivation und Erfolgserwartungen auf Erfolg und Misserfolg im Leistungskontext haben. Ein erster Forschungsansatz geht auf Graham (1991) zurück, der herausstellte, dass oftmals Lehrerinnen und Lehrer ihrer Schülerschaft verdeutlicht, welche Ursachen sie in ihren Leistungen sehen. Führt ein Lehrer den Misserfolg seines Schülers auf seine mangelnde Fähigkeit zurück, wird dieser vermutlich Mitleid mit ihm haben. Erfolgt eine Attribution auf mangelnde Anstrengung, wird der Lehrer tendenziell mit Ärger reagieren. Die Ursache, die der Lehrer nun dem Misserfolg zuschreibt, überträgt er durch seine Reaktionen auf den Schüler. Ärger oder Mitleid des Lehrers dienen somit als Informationsquelle und der Schüler attribuiert entsprechend. Ähnlich verhält es sich mit Lob und Tadel. Barker und Graham (1987) bestätigen in ihrer Studie, dass Anstrengung und Fähigkeit oftmals kompensatorisch wahrgenommen werden. Wer eine gute Leistung erzielen möchte und nicht über ausreichende Fähigkeiten verfügt, der muss sich anstrengen. Lob und Tadel werden nun als Reaktionen auf die Anstrengung wahrgenommen. Wer viel Anstrengung investiert, wird anschließend gelobt. Dies impliziert, dass diejenige Person viel Lob erhält, die sich angestrengt hat, aber auch gleichzeitig über mangelnde Fähig- 6

2. Theoretische Grundlagen keiten verfügt. Umgekehrt lässt sich der selbe Effekt auf Tadel übertragen. Eine weitere Möglichkeit für Lehrer, die Selbsteinschätzung ihrer Schüler zu beeinflussen, besteht darin, ungewollte Hilfe anzubieten. Dadurch entsteht der Eindruck, die Aufgaben könnten ohne fremde Hilfe nicht gelöst werden (Attribution auf mangelnde Fähigkeit). Auch dieser Effekt wurde in Studien bestätigt (Graham 1990). Eine weitere Untersuchungsfrage beschäftigt sich damit, ob Menschen dazu tendieren, bestimmte Attributionsmuster zu bevorzugen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Attributionsstilen. Wer dazu neigt, die Ursachen negativer Ereignisse den persönlichen, globalen und stabilen Dimensionen 5 zuzuschreiben, hat eher einen pessimistischen Attributionsstil ( Ich kann machen, was ich will, ich schaffe das nie. ). Der optimistische Attributionsstil zeichnet sich dadurch aus, spezifische und variable Attributionen vorzunehmen ( Ich hatte einfach Pech in dem Moment. ). Peterson (1990) hat in einem Überblicksartikel Studien zusammengefasst, die einen Zusammenhang zwischen schlechten Leistungen (Noten) und einem pessimistischen Attributionsstil nachweisen. Ein Forschungsfeld befasst sich mit den Auswirkungen auf die Leistungen, wenn Misserfolge auf mangelnde Fähigkeiten attribuiert werden. Die Leistungen würden in diesem Fall nachlassen, da sich die Person langfristig betrachtet weniger anstrengt ( Ich kann es eh nicht. ) und noch mehr Misserfolge erzielt. Gerade im Bereich der Motivationsforschung wurden bislang diverse Studien durchgeführt (Försterling 1985). Um bessere Leistungen zu erzielen, fand Weiner (1986) heraus, dass Attributionen auf variable Faktoren förderlich sind. Als Konsequenz werden mittlerweile Attributions-Trainings eingesetzt, um zukünftige Erfolgserwartungen und die Motivation zu steigern. Sieht eine Person z.b. die Ursache ihres Misserfolgs stets in ihren stabilen, mangelhaften Fähigkeiten, wird ihr im Laufe des Trainings immer wieder vermittelt, dass ihre Misserfolge auf mangelnder (variabler) Anstrengung basieren. So entdeckt sie mit der Zeit, dass sie selbst die Möglichkeiten besitzt, positive Leistungen zu erzielen, indem sie mehr Anstrengung aufbringt. Auf diesem Wege können sowohl Anstrengung als auch Motivation gesteigert werden. 5 Eine Erläuterung der Dimensionen erfolgt in Kapitel 2.3.3. 7

2. Theoretische Grundlagen 2.1.3 Ausbildungswesen der Polizei Nordrhein-Westfalen Seit dem Jahr 2000 bietet die Polizei NRW nur noch die Ausbildung in den gehobenen Dienst an. So konnte man mittels erfolgreich abgeschlossenem Diplomstudiengang den Dienst als Polizeikommissarin oder Polizeikommissar beginnen. Im Jahr 2008 wurde der Studiengang zwecks Internationalisierung und Europäisierung in einen Bachelor- Studiengang verändert. Doch über die Zeit hinweg blieb ein wesentlicher Faktor der Ausbildung bestehen: Das Lernen in Modulen. Es bestehen drei Module 6 (Theorie, Training, Praxis), die grundsätzlich im Wechsel absolviert und mit Prüfungen abgeschlossen werden müssen. Das theoretische Modul wird über die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung geleitet und findet als Studium an sieben Standorten in NRW statt. Das berufsbezogene Training wird über das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) geregelt und findet an drei Standorten (den Polizeischulen) statt. Zusätzlich gibt es zehn Ausbildungsbehörden in NRW, die mit diversen Kooperationsbehörden die Studierenden für ihre Praktikumszeiten in die Kreispolizeibehörden schicken. 2012 wurde dann der Bachelor-Studiengang erstmalig reformiert. Dafür gab es unterschiedliche Gründe: Die Einstellungszahlen wurden von 1100 auf 1400 Kommissaranwärterinnen und -anwärter erhöht. Dies führte u.a. dazu, dass zusätzliche Kapazitäten bei den drei Ausbildungsträgern geschaffen werden mussten. Kritisiert wurde auch der häufige Wechsel zwischen den drei Teilbereichen (Ergebnisbericht Verzahnungsgremium 2011). Bis 2012 bestand die Ausbildung aus einem Grundlagenmodul und vier Fachmodulen. In jedem Modul (mit Ausnahme des Grundlagenmoduls) fand jeweils ein Wechsel zu den verschiedenen Teilbereichen (Theorie, Training, Praxis) statt, so dass insgesamt 17 Mal der Standort der Studierenden verlagert wurde. Um dem entgegenzuwirken, wurden die einzelnen Theorie-, Trainings- und Praxisphasen verlängert. Dadurch konnte die Zahl der Wechsel auf 11 reduziert werden (Ergebnisbericht Verzahnungsgremium 2011). Gleichzeitig wurden dadurch die Ausbildungsträger entlastet und der organisatorische Aufwand minimiert. Auch die hohe Anzahl an Prüfungen wurde minimiert. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten in allen Teilbereichen Prüfungen abgelegt werden. Seit 2012 existieren grundsätzlich nur noch Leistungsabnahmen im Studium an den FHöVs (MIK NRW 2013). Der Studiengang wurde durch die Akkreditierungsagen- 6 Hinzu kommt noch das TSK (Training sozialer Kompetenzen), was lediglich als kleinerer Teilbereich zu betrachten ist, aber genauso mit einer erfolgreichen Prüfung bestanden werden muss. 8

2. Theoretische Grundlagen tur ACQUIN (Zeitner 2013: S. 2) untersucht und die Reformierung 2012 wurde ohne Auflagen akkreditiert. Um weiterhin die Bedingungen für alle Beteiligten optimieren zu können, finden regelmäßig Evaluationen 7 statt. Dabei bewerten die Studierenden in Fragebögen sowohl die Lehrkräfte der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, die sie während ihrer Studienzeiten kennenlernen durften, als auch die Abläufe an den Standorten des LAFP. Auf diesem Weg sollen Schwachstellen im System möglichst frühzeitig erkannt und ihre Beseitigung vorangetrieben werden. Ein Kritikpunkt von Seiten der Studierenden 8 ist die hohe Prüfungsdichte innerhalb der gesamten Ausbildung. So wurden viele Prüfungen in den Bereichen Training und Praxis bereits herausgenommen (MIK NRW 2013). Die Studierenden haben dadurch zum einen weniger Leistungsnachweise zu erbringen und gewinnen zum anderen wichtige berufspraktische Tage, an denen keine Prüfungen mehr abgehalten werden müssen. Außerdem entfällt ein hoher organisatorischer Aufwand, der Kapazitäten für andere Aspekte schafft. Desweiteren wurde eine Untersuchung (LAFP NRW 2013) durchgeführt, die sich mit den im Auswahlverfahren geprüften Kompetenzen auseinander setzt. Die Ergebnisse sollten einen Hinweis darauf geben, ob bereits im Auswahlverfahren optimal gefiltert wird oder ob es möglich ist, bereits an diesem Schritt anzusetzen, um möglichst frühzeitig ein Ausscheiden von Kommissaranwärterinnen und -anwärtern zu verhindern. Es wurde untersucht, ob der erreichte Rangordnungswert im Auswahlverfahren Aussagekraft hat bzgl. eines erfolgreichen Absolvierens der Ausbildung. Dabei wurde zwar festgestellt, dass Personen mit einem hohen Rangordnungswert fast ausschließlich gute Leistungen in der Ausbildung erzielen. Umgekehrt konnte allerdings nicht bestätigt werden, dass ein niedriger Rangordnungswert auch eher zu schlechten Leistungen oder gar einem Ausscheiden aus dem Polizeiberuf führt. Die Studie hat aber ergeben, dass am Häufigsten in der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Personen aus dem Polizeiberuf ausscheiden, ganz besonders im Grundlagenmodul (mittlerweile Grundstudium). Die in der Einleitung zitierten Zahlen (700 nicht bestandene Leistungen im Grundstudium) werden somit durch die Erkenntnisse bestätigt. Doch woran liegt das? 7 Die Erkenntnis stammt aus dem Erfahrungsbestand der Erstellerin, die an einigen dieser Evaluationen selbst teilgenommen hat. 8 Die Erkenntnis stammt aus dem Erfahrungsbestand der Erstellerin, die aus Gesprächen mit Mitstudierenden stammen. 9

2. Theoretische Grundlagen 2.2 Fragestellungen Aktuelle Erkenntnisse zum Ausbildungswesen der Polizei NRW geben lediglich oberflächliche Auskünfte: Daraus geht zwar hervor, dass ein Ausscheiden aus dem Polizeiberuf in den meisten Fällen auf nicht bestandenen Prüfungsleistungen in den FHöVs basiert, es ist jedoch unklar, woran das liegt. Evaluationen an den FHöVs vermitteln nur bedingt einen Eindruck von dem, was die Studierenden dort erleben und welchen Prozess sie durchlaufen. Wesentlich ist insbesondere der Faktor, dass bisher noch nie mit ausgeschiedenen Kommissaranwärterinnen und -anwärtern über ihren Misserfolg gesprochen wurde. Ihre Erfahrungen könnten von großem Nutzen sein, um bisher möglicherweise unentdeckte Problematiken aufzuspüren und ggf. zukünftig die Situation der Studierenden zu optimieren. Dafür ist es wichtig, diese Situation wirklich zu kennen, doch in dieser Hinsicht bestehen erhebliche Informationsdefizite. Von Interesse sind dabei genau die Attributionen, die die ausgeschiedenen Kommissaranwärterinnen und -anwärter beeinflusst haben, so dass es letztendlich zum Misserfolg gekommen ist. Über die Medien gelangen einige Kommentare von Studierenden an die Öffentlichkeit. Ein Artikel aus dem Magazin FOCUS berichtet 2013 kritisch von der Ausbildung der Polizei NRW: Von allem erfahre ich etwas, aber immer zu wenig. (Lehmkuhl 2013: S. 47). Auch im Polizeispiegel bemängeln die Studierenden die Stofffülle im Grundstudium (DPolG 2014: S. 5). Fraglich ist zum einen, ob tatsächlich das Lernpensum für den jeweiligen zeitlichen Rahmen (jeweils ein paar Monate Modulausbildung an den FHöVs) zu hoch ist. Dieser Aspekt könnte aber auch in engem Zusammenhang mit dem Selbststudium der Studierenden stehen. Möglicherweise ist nicht die Stofffülle das Problem, sondern zu wenig Eigenleistung außerhalb der regulären Studienzeiten an den FHöVs. Ein Studium soll grundsätzlich auch die Fähigkeit vermitteln, sich selbst neues Wissen anzueignen, so dass ein lebenslanges Lernen gefördert wird. Es könnte sein, dass die Studierenden diese Fähigkeit nur erschwert entwickeln können, da die Förderung nicht ausreicht. Auch das gemeinsame Lernen untereinander in Lerngruppen kann ausschlaggebend sein. Das Lernen mit Gleichgesinnten kann das Selbstbewusstsein und die Motivation stärken. Zumindest setzt man sich vielleicht zwangsläufig regelmäßiger mit dem Lernstoff auseinander, um in der Gruppe mithalten zu können. Gerade im Polizeiberuf spielt die Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Nicht ohne Grund wird bereits mit dem Slogan Teamwork live geworben. Das Verhältnis der Studierenden untereinander sollte also ebenso Beachtung in der Untersuchung finden. 10

2. Theoretische Grundlagen Ein ganz wesentlicher Punkt sind natürlich die Prüfungen an sich und alles, was damit einhergeht. Auch hierzu veröffentlichte der Polizeispiegel sein Resümee: Besonders eine Klausur wurde scheinbar von vielen Studierenden vom zeitlichen Rahmen als kaum zu bewältigen bewertet (Polizeispiegel 2014: S. 5). Im Allgemeinen scheinen gerade die Anforderungen der Klausuren den Studierenden sehr hoch zu sein, zumindest entsteht dieser Eindruck nach mündlichen Berichten von Mitstudierenden. Es könnte allerdings auch sein, dass sich Studierende nicht ausreichend vorbereitet fühlen auf ihre Prüfungen (Lehmkuhl 2013: S. 47). Möglicherweise fühlen sich die Studierenden auch unter Druck gesetzt. Ob dies durch zu viele Prüfungen geschieht oder ob andere Gründe dahinter stecken, gilt es herauszufinden. Fraglich ist, wie die Dozentenschaft ihre Unterrichtseinheiten nutzt, um z.b. Lösungsstrategien für Klausuraufgaben und damit auch ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Prüfungsangst kann ebenso ausschlaggebend sein für eine nicht erbrachte Leistung. Desweiteren könnte hinter dem Ausscheiden aus der Ausbildung ein Mangel an Eigenleistung stecken. Womöglich fehlt es an dem ausschlaggebenden Funken Motivation, um sich erfolgreich durch das Studium zu arbeiten. Auch hierzu berichtete der Polizeispiegel, dass allgemein die Meinung bestünde, man wolle niemanden durchfallen lassen, weshalb man theoretisch auch mit wenig Leistung die Prüfungen bestehen würde (DPolG 2014: S. 6). Demnach wäre es nicht wichtig, ob sich jemand anstrengt oder nicht. Letztlich spielen Noten vielleicht keine bedeutende Rolle, so dass nur das Bestehen der Prüfungen entscheidend ist. Als Letztes sollen hier private Gründe aufgeführt werden, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Ausbildung stehen. Alles, was sich im Familien- und Freundeskreis abspielt, beeinflusst mindestens auch indirekt das Berufsleben. Bestehen Krankheiten oder gab es kürzlich einen Todesfall einer nahestehenden Person, wirkt sich das unmittelbar auf die geistige Verfassung aus. Außerdem könnte es sein, dass jemand die Ausbildung gar nicht mehr beenden, sondern ausscheiden möchte. Da kann es angenehmer sein, eine Prüfungsleistung nicht zu erbringen, anstatt bei einem freiwilligen Ausstieg die Ausbildungsvergütungen an das Land NRW zurück zu erstatten. Verschiedene Aspekte rund um den Misserfolg ausgeschiedener Kommissaranwärterinnen und -anwärter werden in Augenschein genommen: 11

2. Theoretische Grundlagen 1. Die Personen selbst werden betrachtet, ihre Leistungen, ihre Motivation, ihre Fähigkeiten. 2. Das Verhältnis zu den Mitstudierenden und zu der Dozentenschaft wird hinterfragt, ebenso alles rund um die Unterrichtsgestaltung. 3. Außerdem werden die Prüfungen und möglicher Leistungsdruck untersucht. 4. Es wird nach Gründen außerhalb der Ausbildung gesucht, die möglicherweise Einfluss auf den Misserfolg hatten. Es soll ergründet werden, wie die soziale Situation der Studierenden aufgebaut ist bzw. wie der soziale Prozess verläuft, bis es letztendlich zu einem Scheitern und einem Ausscheiden aus dem Polizeiberuf kommt. Mit dem Wissen um die Ausgangssituation soll dieser Misserfolg zukünftig verhindert bzw. die Durchfallquote verringert werden. Bei dieser Fragestellung ist es naheliegend, zunächst diejenigen zu befragen, die den Prozess bereits durchlaufen haben, also Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter, die aus der Ausbildung ausgeschieden sind. Ihr Wissen dient hier als Untersuchungsgrundlage. Sie selbst werden sich vermutlich nach ihrem Ausscheiden Gedanken dazu gemacht haben, wie es so weit kommen konnte. Womöglich kennen sie bereits die Ursachen für ihr Scheitern. Ihre Ursachenforschung wurde anhand von Theorien der Alltagspsychologie untersucht. Wie das funktioniert, wird im weiteren Verlauf erläutert. 2.3 Attributionstheorien 2.3.1 Allgemeines In diesem Abschnitt werden drei Attributionstheorien vorgestellt, anhand derer die Forschungsfragen untersucht wurden. Warum diese Theorien hier Anwendung finden, wurde bereits erläutert, doch um zu wissen, wie sie angewendet werden können, müssen u.a. ihr Sinn und Zweck bekannt sein. Es wurden zwei Theorien gewählt, die allgemeinere Anwendung finden, also nicht nur im Leistungskontext anzuwenden sind. Gleichzeitig dienen diese Theorien anderen Forschern als anerkannte Grundlage für eigene Konzepte 9. Es handelt sich um das Kovariationsprinzip nach Kelley und um Weiners Dimensionen von Kausalattributionen. Der dritte theoretische Ansatz ist das akademische Selbstkonzept. Da der Fokus der Arbeit auf den Misserfolg in Prüfungssituationen 9 Z.B. von Cheng und Novick 1990 weiterentwickelt und erweitert. 12

2. Theoretische Grundlagen besonders im Zusammenhang mit den FHöVs gerichtet ist, soll eine spezielle Theorie zu Attributionen im Leistungskontext mit heran geführt werden. Die in den Theorien aufgeführten Ursachen bzw. Kausaldimensionen dienten als Grundlage für diese Forschungsarbeit. Sie finden sich in dem ausgearbeiteten Interviewleitfaden wieder und dienten auch als Grundlage für die Auswertung der durchgeführten Interviews. 2.3.2 Kovariation nach Kelley Der amerikanische Psychologe Kelley formulierte das Kovariationsprinzip, welches als grundlegend gilt. Zum einen handelt es sich um ein allgemeines Prinzip, das auf beliebige psychologische Ereignisse angewendet werden kann. Zum anderen dient es als Hilfsmittel, um bereits gebildete Kausalüberzeugungen zu überprüfen und ggf. zu korrigieren (Meyer 2003: S. 13 f.). Anhand Kelleys Methode werden gemeinsame Veränderungen (Kovariationen) von einem psychologischen Ereignis mit seinen möglichen Ursachen überprüft. Die Ursachenzuschreibung eines Ereignisses erfolgt mit derjenigen Ursache, die über die Zeit hinweg mit dem Ereignis kovariiert (Kelley 1973: S. 108). Es werden Informationen und Prozesse systematisiert, aufgrund derer Attributionen entstehen. Die Ursache eines Ereignisses wird dann in der Person, in der Situation oder im Zufall gefunden. Folgendes Beispiel: Wenn ich Misserfolg hatte, macht es für mich einen Unterschied, ob in der gleichen Situation auch andere Personen Misserfolg hatten und ob es viele oder nur wenige Personen waren. Außerdem ist es für mich von Bedeutung, ob ich in ganz anderen Situationen ebenfalls keinen Erfolg habe und ob ich früher in ähnlichen Situationen erfolgreich war oder nicht (Rudolph 2009: S. 121). Um herauszufinden, welche Ursache (unabhängige Variable) das Ereignis beeinflusst hat, wird beobachtet, ob das Ereignis (abhängige Variable) wieder eintritt, wenn sich die möglichen Ursachen ändern. Dafür sind allerdings mehrere Beobachtungen notwendig, um ausreichend Informationen sammeln zu können. Die Informationen werden dann drei Klassen 10 zugeordnet: 10 Die Zuordnung zu den drei Klassen macht deutlich, dass eine Fülle von Informationen notwendig ist, um anhand dieser Methode Ursachenzuschreibungen vorzunehmen. Möglich sind solche Beobachtungen z.b. durch Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schülerschaft (Konsensus) über einen längeren Zeitraum (Konsistenz) bei verschiedenen Aufgaben (Distinktheit) beurteilen. 13

2. Theoretische Grundlagen 1. Konsensus: Tritt das Ereignis nur bei dieser Person ein oder auch bei anderen? Ein hoher Konsensus würde bedeuten, dass das Ereignis bei allen anderen Personen ebenfalls eintritt (alle Personen haben die Prüfung nicht bestanden). 2. Distinktheit: Tritt das Ereignis nur in einer Entität (Situation) auf oder aber bei vielen? Bei hoher Distinktheit tritt das Ereignis nur für eine Entität auf (Person hat nur in Mathematikprüfungen Misserfolg, nicht aber generell bei Prüfungen). 3. Konsistenz: Tritt das Ereignis nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ein oder zu vielen verschiedenen? Hohe Konsistenz bedeutet keine Kovariation zwischen dem Ereignis und dem Zeitpunkt (Person hat in Mathematikprüfungen immer wieder Misserfolg). Treten die Kovariationsinformationen in bestimmten, idealtypischen Mustern auf, sind Attributionen auf die Person, die Entität oder den Zufall möglich. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Informationsklassen nicht nur niedrig und hoch ausgeprägt sein können, sondern als ein Kontinuum betrachtet werden müssen. Außerdem können nicht stets Rückschlüsse auf nur eine Informationsklasse geführt werden, sondern auch Kombinationen zwischen den Klassen sind möglich. Einen Eindruck von Attributionen auf die Person und auf die Entität vermittelt folgende Übersicht (Rudolph 2009: S. 124). Auf der linken Seite der Abbildung sieht man eine Kovariation zwischen einem Effekt und einer Person. Die Person erzielt dabei immer einen bestimmten Effekt, dafür aber bzgl. aller verfügbaren Entitäten. Auf der rechten Seite zeigt die Abbildung das umgekehrte Kovariationsmuster. Alle Personen erzielen einen bestimmten Effekt, aber nur bzgl. einer einzigen Entität. 14

2. Theoretische Grundlagen Eine weitere Variante ist die Attribution auf den Zufall, welche allerdings aus Sicht der Attributionstheorien eher uninteressant ist, weil sie es nicht ermöglicht, unsere Umwelt zu verstehen und vorherzusagen. Bei der Zufallsattribution kovariiert das Ereignis mit allen drei Klassen, wie bei einem Lottogewinn (Rudolph 2009: S. 121-124): Eine Person (niedriger Konsensus) gewinnt ein Mal in ihrem Leben (niedrige Konsistenz) bei einem bestimmten Gewinnspiel (hohe Distinktheit). 2.3.3 Weiners Dimensionen von Attributionen Nach Weiner werden Handlungsergebnisse danach bewertet, ob sie positiv oder negativ sind. Am Ende dieser Bewertung stehen dann ergebnisabhängige Emotionen. Kommt es z.b. zu einer negativen Bewertung, entstehen Gefühle wie Frustration oder Traurigkeit. Außerdem sucht man gleichzeitig nach der Kausalität für das Ergebnis. Weiner beginnt die Suche allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen: entweder ein Ergebnis tritt 1. unerwartet auf oder es ist 2. wichtig oder es wird 3. negativ bewertet. Nach der kausalen Suche entstehen dann die Ursachenzuschreibungen bzw. die Kausalfaktoren (z. B. der Misserfolg nach mangelnder Anstrengung). Die Faktoren werden dann sogenannten Kausaldimensionen zugeordnet, von denen vier eine besondere Bedeutung haben: Lokation: Hier wird darin unterschieden, ob eine Ursache in der Person selbst begründet wird (internal) oder in äußeren Umständen (external). Stabilität: Damit ist gemeint, ob eine Ursache über die Zeit hinweg stabil ist oder sich verändert (variabel). Kontrollierbarkeit: Beinahe selbsterklärend ist diese Eigenschaft. Entweder ist eine Ursache kontrollierbar oder eben nicht (unkontrollierbar). Globalität: Eine Ursache kann auf viele Situationen generalisiert werden (global) oder sie wirkt nur in ganz bestimmten Situationen (spezifisch). 15

2. Theoretische Grundlagen Die obere Abbildung (Försterling 2009: S. 131, Weiner 1971: S. 2) soll veranschaulichen, wie die Dimensionen Lokation (Personabhängigkeit) und Stabilität im Zusammenhang mit Ursachenzuschreibungen wirken. Grundsätzlich geht Weiner davon aus, dass die Fähigkeit einer Person eine stabile Ursache ist, die in der Person verankert ist. Zumindest sind Fähigkeiten eher Faktoren, die langfristig beeinflusst werden können. Die Anstrengung, die eine Person zum Lösen einer Aufgabe aufbringt, ist dagegen variabel. Relativ kurzfristig kann die Anstrengung erhöht werden, wenn eine Person dies für notwendig hält, um eine anstehende Aufgabe zu meistern. Gerade im Bezug auf die zu erwartende Aufgabenschwierigkeit wird die Anstrengung oftmals angepasst. Die Konsequenzen der Ursachenzuschreibungen hängen nach Weiner davon ab, wie stabil und global ein Ursachenfaktor eingeschätzt wird. Je stabiler und globaler die Ursache, desto verfestigter werden die eigenen Erwartungen an zukünftige, ähnliche Situationen. Wird die Ursache instabil eingeschätzt, so werden zukünftig eher andere Handlungsergebnisse erwartet. Die Vorhersage von Ergebnissen wäre damit bei vorhandener Instabilität nicht möglich. Allerdings ist der Ansatz von Weiner nicht ausreichend durchdacht, denn der Zusammenhang von Attributionen und Erwartungen ist vielschichtiger. So ist der Faktor Anstrengung zwar instabil, aber kontrollierbar. Wenn ein Schüler aufgrund mangelnder Anstrengung schlechte Noten erhält, wird er zukünftig die gleichen Ergebnisse erwarten, solange er seine Anstrengung nicht erhöht. Genauso beeinflussen Attributionen die Gefühle 11 (Heckhausen 2010: S. 390-394). 11 Wenn ich meinen Erfolg auf internale Ursachen (Anstrengung, Fähigkeit) zurückführe, fühle ich Stolz und Selbstachtung. Habe ich Misserfolg und führe ihn auf kontrollierbare und internale Ursachen (mangelnde Anstrengung) zurück, fühle ich mich schuldig. 16

2. Theoretische Grundlagen Die Einordnung der Ursachenfaktoren zu den Dimensionen geschieht gem. Meyer wie folgt: Erstens: Es ist in der Regel nicht die Ursache per se, welche bestimmte Wirkungen auf das Verhalten und Erleben hat, sondern vielmehr die Einordnung der Ursache auf den genannten Dimensionen. Zweitens: Wenn behauptet wird, dass sich kausale Dimensionen auf Erleben und Verhalten auswirken, dann ist stets die von der erklärenden Person vorgenommene Dimensionierung von Ursachen gemeint (das heißt: die subjektive Einordnung einer Ursache auf den genannten Dimensionen) und nicht die von einer außen stehenden Person oder vom Wissenschaftler bzw. der Wissenschaftlerin vorgenommene Dimensionierung (Meyer 2003: S. 13). Gerade in Bezug auf die Fähigkeit einer Person ist die subjektive Einordnung durch sie zu erkunden. Wenn Weiner grundsätzlich davon ausgeht, dass die Fähigkeit stabil ist, so kann doch eine andere Person diesen Faktor variabel einordnen. Die Einordnung der Person ist dann entscheidend, denn ihre Attributionen sind schließlich Forschungsgrundlage. 2.3.4 Das akademische Selbstkonzept 12 Eine Person, die sich in einer akademischen Leistungssituation befindet, z.b. dem Schreiben einer Klausur, fragt sich vielleicht, ob sie die Aufgaben lösen kann und wie ihre eigenen Fähigkeiten zum Bestehen dieser Situation ausgestaltet sind. Wenn diese Fragen aufkommen, können sie sich sowohl ganz allgemein auf die Intelligenz der Person beziehen, als auch auf spezielle Fähigkeiten, die hier ggf. von Nöten sind. Die Beurteilungen der eigenen Person bzgl. ihrer Fähigkeiten sind Gegenstand diverser Theorien 13. Diese Fähigkeiten können sich auf unterschiedliche Kompetenzen beziehen, für diese Arbeit sind die im Leistungsbereich von Interesse. Das akademische Selbstkonzept (Dickhäuser 2002) befasst sich mit Leistungen in der Schule oder an der Universität. Um verstehen zu können, wie das akademische Selbstkonzept funktioniert, müssen grundlegende Bedingungen bekannt sein: Wovon ist es abhängig, dass eine Person glaubt, sie sei begabt genug (um ein Studium beispielsweise zu bestehen) oder eben nicht? Diverse Autoren haben zwei mögliche Arten von Beurteilungen aufgestellt, wobei Bezugsnormen herangezogen werden, um Rückschlüsse auf eigene Fähigkeiten zu ermöglichen. 12 Dieser Abschnitt orientiert sich an der Ausarbeitung von Simone Lazarus (2007). 13 Das Selbstkonzept der Begabung von Kukla 1972 oder das Fähigkeitsselbstkonzept von Schöne, Dickhäuser, Spinath und Stiensmeier-Pelster 2003 sind hier beispielhaft zu nennen. 17

2. Theoretische Grundlagen Heckhausen (1974) führt die soziale Bezugsnorm auf. Viele Leistungssituationen finden im sozialen Kontext statt. So kommt es dazu, dass sich eine Person entsprechend mit seinen Konkurrenten (gemeint sind Kommilitonen, Klassenkameraden u.ä.) vergleicht. Oftmals wird dieses Vorgehen durch die Vergabe von Noten unterstützt. Ein Schüler fragt sich dann womöglich, wie er im Vergleich zu seinen Klassenkameraden in der letzten Deutscharbeit abschneidet. So könnte dieser Schüler besonders stolz auf seine gute Note sein, wenn fast kein anderer Klassenkamerad diese Note erreicht hat. Als weitere Möglichkeit nennt Heckhausen (1974) die individuelle Bezugsnorm. Um die eigene Fähigkeit einzuschätzen, vergleicht eine Person frühere Leistungen mit dem aktuellen Ergebnis. Die Person fragt sich dann, wie sie ähnliche Situationen in der Vergangenheit gemeistert hat. Wenn erneute Leistungssituationen gleicher Art auf die Person zukommen, wird sie vermutlich entweder schlussfolgern, dass sie die Situation erfolgreich bewältigen wird, da es in der Vergangenheit ähnlich verlief. Oder sie macht sich ggf. Sorgen, da diese spezielle Situation ihr bisher immer Schwierigkeiten bereitet hat. Fraglich ist, ob eine Bezugsnorm zu bevorzugen ist. Orientiert sich eine Person an der individuellen Bezugsnorm, dann könnte es sein, dass sie ihre Ergebnisse und Leistungen im Vergleich zu bspw. anderen Kommilitonen unrealistisch einschätzt. Folglich würde sie vielleicht nötige Änderungen im eigenen (Lern-) Verhalten nicht vornehmen. Wenn hingegen eine Person sich an der sozialen Bezugsnorm orientiert, fehlt es ihr möglicherweise an einer objektiven Beurteilung. Zum Beispiel könnte sie eine ausreichende Leistung in einer Prüfung erbracht haben. Die gesamten Ergebnisse dieser Prüfungen könnten aber durch den Gutachter positiv manipuliert worden sein, um den Gesamtdurchschnitt zu optimieren. Dies ist ein Vorgehen, das erfahrungsgemäß regelmäßig Anwendung findet. Verlässt sich die Person nun auf ihre Fähigkeiten (für diese Prüfung haben sie schließlich ausgereicht), könnten sie in der nächsten Situation zu gering sein, sollten die anderen Kommilitonen im Durchschnitt besser abschneiden und damit keine Anpassung durch den Gutachter erfolgen. Eine Studie von Festinger (1954) zu den Bezugsnormen hat ergeben, dass eine Person, die möglichst exakt herausfinden möchte, wie intelligent sie ist, zwar einen Intelligenztest macht, doch die absolute Ergebnispunktzahl ist für diese Person allein nicht aussa- 18

2. Theoretische Grundlagen gekräftig. Erst in einer Vergleichsgruppe erhält das Ergebnis eine Position (Intelligenzquotient-Wert in einer vergleichenden Liste) und wird damit interpretierbar. So muss ein jüngerer Mensch eine höhere Punktzahl erreichen, als ein älterer Mensch, um den selben Intelligenzquotient-Wert zu erreichen. Die Konsequenzen der Selbsteinschätzung sind vielschichtig. So hat u.a. Seligman 14 herausgefunden, dass eine Person die Entwicklung von Depressionen begünstigt, wenn sie ihren Misserfolg auf eigene Fähigkeiten zurückführt. Doch wie kommt es zu solchen Auswirkungen? Hat eine Person ein hohes akademisches Selbstkonzept, wird sie eine positive Einstellung zu ihren eigenen Fähigkeiten haben. Folglich wird sie vermutlich in schwierigen Situationen größere Ausdauer zeigen und so lange lernen, bis sie eine komplizierte Materie durchdrungen hat. In der Regel resultieren daraus gute Leistungen und die Person empfindet Stolz. Umgekehrt wird eine Person mit einem niedrigen akademischen Selbstkonzept bei schwierigen Aufgaben vermutlich schneller aufgeben, da sie von ihren eigenen Fähigkeiten nicht überzeugt ist. Letztendlich resultieren daraus schlechtere Leistungen, denn die Materie wurde nicht durchdrungen und Gefühle wie Versagensangst und Hilflosigkeit können sich einstellen. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass die subjektive Erfolgserwartung bzgl. anstehender Leistungsüberprüfungen die Ausdauer hinsichtlich der Bearbeitung einer Aufgabe beeinflusst. Je mehr Erfolg ich erwarte, desto ausgiebiger werde ich mich um die Lösung einer Aufgabe bemühen und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich letztlich der Erfolg einstellt. In einer Untersuchung von Robins und Beer (2001) stellte sich heraus, dass ein positives Selbstkonzept tatsächlich bessere Leistungen einbringt. Doch eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und zu hohe Erwartungen führen langfristig hingegen eher zu Hilflosigkeit, da die Gefahr besteht, den Erwartungen dauerhaft nicht zu entsprechen. 14 Hierbei handelt es sich um das Konzept der erlernten Hilflosigkeit (Abramson 1978). 19

3. Empirische Forschung 3. Empirische Forschung 3.1 Methoden 3.1.1 Methodenwahl Bei der Darstellung des aktuellen Forschungsstandes hat sich herausgestellt, dass bereits diverse quantitative Untersuchungen bzgl. der Optimierung des Studienganges und dem Misserfolg der Studierenden (LAFP NRW 2013) durchgeführt wurden, bisher aber noch keine qualitativen. Qualitative Aspekte sollen in dieser Arbeit in den Blick genommen werden. Dazu wurde als Untersuchungsmethode das Experteninterview gewählt, da menschliche Aspekte herausgearbeitet werden sollen, die durch quantitative Methoden nicht erfasst würden. Das Experteninterview zählt zu den qualitativen Methoden, da keine massenhaften, statistischen Daten erfasst und ausgewertet werden. Es werden vielmehr qualitative, tiefer gehende Untersuchungen weniger Fälle durchgeführt, die detaillierte Erkenntnisse hervorbringen sollen. Dabei dient das Experteninterview nicht dazu, den speziellen Einzelfall der Expertinnen und Experten darzustellen. Vielmehr soll man Rückschlüsse ziehen oder Vergleiche aufstellen können, so dass für diese Untersuchung die soziale Situation anderer Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter in der selben Lage (dem Misserfolg bei Prüfungen und dem Ausscheiden aus dem Polizeiberuf) rekonstruiert werden kann. Es geht also darum, Kausalzusammenhänge zu erkennen, d.h. Ursachen herauszuarbeiten und außerdem gegenüberzustellen, welche bestimmte Wirkungen sie hervorrufen (Gläser 2010: S. 25). Anhand dieser Rekonstruktion soll es möglich sein, die Wahrscheinlichkeit vom Auftreten spezifischer Ergebnisse (dem Misserfolg der Studierenden) beim Vorliegen einer bestimmten Ausgangssituation (die soziale Situation an den FHöVs) hervorzusagen. Statistische Daten sind hingegen separierte, oberflächliche Fakten, die zwar einen Ist-Zustand widerspiegeln können, aber keine Informationen über die Ursachen dieses Ist-Zustandes liefern. Als Ergebnis der hier gewählten Erhebungsmethode stehen schließlich die Interviewprotokolle als Rohdaten. Diese werden mittels einer qualitativen Auswertungsmethode weiter verarbeitet, generiert und interpretiert. Diverse Methoden stehen zur Auswahl, von der freien Interpretation von Texten bis hin zu ihrer Kodierung (Gläser 2010: S. 44). Das hier eingesetzte Verfahren orientiert sich an der qualitativen Inhaltsanalyse, die in Deutschland mit dem Namen Philipp Mayring verbunden wird. Gläser und Laudel 20

3. Empirische Forschung (2010: S. 44) haben sich für ihr Verfahren von Mayring (2007) inspirieren lassen, welches als Grundlage für die hier eingesetzte Methode dient. Gemäß dem Ethik-Kodex der deutschen Soziologen wurden die befragten Personen bereits bei der Kontaktaufnahme über Zweck und Ziel des Interviews informiert, woraus sich ihre Einwilligung hierzu ergeben hat. Den Personen wurde mitgeteilt, dass sie zu ihren Erfahrungen rund um ihr Ausscheiden aus dem Polizeiberuf befragt würden und ihre Eindrücke für die Untersuchung dabei von Bedeutung seien. Ziel der Untersuchung sei es, die Qualität der Ausbildung in den Fokus zu nehmen und ein Ausscheiden von Kommissaranwärterinnen und -anwärtern zukünftig zu minimieren. 3.1.2 Experteninterview Zur Untersuchung der ausgearbeiteten Fragestellungen wurden Interviews mit zwei Experten durchgeführt. Diese Methode soll zunächst vorgestellt werden, um dann die konkrete Anwendung für diese Arbeit aufzuzeigen. Grundsätzlich handelt es sich um eine Methode der empirischen Sozialforschung. Empirisch bedeutet zwar, dass die gewonnenen Erkenntnisse auf Erfahrung beruhen, wie z. B. Beobachtungen. Doch stützen sich Forschungsfragen auf Theorien, anhand derer schließlich Rückschlüsse aus den gemachten Beobachtungen gezogen werden können (Gläser 2010: S. 24). Hier wird mit einem Leitfadeninterview mit vorbereiteter Frageliste (Leitfaden) gearbeitet. Die Frageliste dient dabei als Richtschnur, um schließlich alle Antworten zu erhalten, die zur Untersuchung der Forschungsfragen wichtig sind. Dabei sind Reihenfolge und Formulierungen der Fragen nicht verbindlich, da ein Interview möglichst einem natürlichen Gesprächsverlauf gleich kommen soll. Genauso soll es möglich sein, spontan Nachfragen stellen zu können, um Fragen vollständig zu beantworten (Gläser 2010: S. 42). Da die Nachfragen spontan entstehen, können sie im Vorfeld nicht im Leitfaden aufgeführt werden. Der Leitfaden orientiert sich an den Forschungsfragen. Fraglich ist nun, was man unter dem Begriff Experte versteht und was Expertinnen und Experten zu solchen macht. Expertinnen und Experten sind nicht als Objekt einer Untersuchung zu betrachten, sondern vielmehr als Zeuginnen und Zeugen eines im Fokus stehenden Sachverhalts oder Prozesses (Gläser 2010: S. 12). Im Interesse stehen 21