Orient der Duft von Gewürzen, dampfenden Wasserpfeifen und Kaffee mit Kardamom;



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Transkript:

1 NDR Info Das Forum 24.06.2015 Der Orient brennt Im Mittleren Osten kämpft fast jeder gegen jeden Ein Essay von Björn Blaschke Orient der Duft von Gewürzen, dampfenden Wasserpfeifen und Kaffee mit Kardamom; Musik, zu der Frauen in glitzernden Pailletten-Kleidern und mit schwarz-funkelnden Augen ihre Hüften kreisen lassen; Sandstürme, Bazare, Kamel-Karawanen - Märchen aus Tausend-und-Einer- Nacht Diese Bilder stimmen heute weniger denn je Der Orient brennt. Immer mehr Länder des Nahen Ostens versinken in Krisen und Kriegen. Kriege nicht aller gegen alle aber Kriege vieler gegen viele; Kriege, in die die Türkei, Qatar, Israel, Ägypten und Russland verwickelt sind - und längst auch die USA, Großbritannien und Frankreich. Selbst Deutschland. In Syrien und im Irak bombardiert aus der Luft - unter der Leitung der US-Regierung - eine internationale Koalition Terroristen der Organisation, die sich Islamischer Staat, kurz IS, nennt. Die Bundesregierung schickt Waffen und Ausbildungspersonal an die Kurden im Nord- Irak, damit sie am Boden ihr Autonomiegebiet gegen den IS verteidigen können. Ständig präsent sind auch die Namen zweier Regionalmächte, die in die Konflikte der Region involviert sind; direkt oder indirekt: die Islamische Republik Iran und das Königreich Saudi-Arabien. Die Führungen der beiden Staaten treten als Widersacher auf, als Rivalen, als Kriegsgegner. Und sei es, dass sie sich dazu künstlich aufbauen Beispiel im Jemen: Den Huthis dort wirft Saudi-Arabien vor, der

2 verlängerte Arm des Iran zu sein. Der Kopf in Teheran habe es diesem, seinem Arm befohlen vorzumarschieren und die gewählte Regierung des Jemen zu stürzen. Ja, die Huthis sind eine Großfamilie ein Stamm, dessen Mitglieder zur jemenitischen Religionsgruppe der Zai diten gehört. Damit sind die Huthis schiitischmuslimisch. Schiitisch - vereinfacht gesagt - wie die Führung des Iran. Tatsächlich aber ist die za iditische Schia dichter am sunnitischen Islam als an dem der Polit- Kleriker in Teheran. Und bis heute sind die Saudis auch den Beweis schuldig geblieben, dass der Iran den Huthis in großem Maße hilft. Einige Waffenlieferungen vielleicht. Aber Unterstützung im großen Stil? Der Iran habe sich eingemischt; heißt es, sei die große Macht hinter den Huthis. Diesen Vorwurf erheben unter anderem die 22 Mitglieder der Arabischen Liga. Die Staats- und Regierungschefs verurteilten diese Einmischung des Iran im Jemen während ihres Gipfeltreffens im März im ägyptischen Badeort Scharm El Scheich. Gleichzeitig stellten sie sich hinter den Plan Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens, eine gemeinsame arabische Eingreiftruppe zu bilden; eine militärische Kraft, die bei regionalen Konflikten von den Mitgliedstaaten alarmiert und in Marsch gesetzt werden soll. Der Plan, eine arabische Eingreiftruppe zu bilden, ist vor allem eines: ein Signal Richtung Iran. Denn das meiste, was im Nahen Osten und in Nord-Afrika passiert, ist Ausdruck für die geostrategische Rivalität zwischen Riad und Teheran. Seit 2003. 2003 das Jahr, in dem amerikanische Streitkräfte und ihre Verbündeten in der so genannten Koalition der Willigen in den Irak einmarschierten. Der damalige US- Präsident George W. Bush hatte sich The New Middle East aufs Banner geschrieben: den Aufbau eines Neuen Nahen Osten. Tatsächlich stürzten er, seine politischen Vertrauten - und in deren Auftrag internationale Streitkräfte - die Führung rund um Saddam Hussein stürzten Saddam Hussein und damit die gesamte Region in eine Krise, deren Ende unabsehbar bleibt. Selbstverständlich stellt sich im Nachhinein immer die Frage, wann Entwicklungen ihren Anfang genommen haben: Sind die Ereignisse heute auf die französische und englische Kolonialzeit im Nahen Osten

3 zurückzuführen? Brachten die Folgen des Zusammenbruches der UdSSR Saddam Hussein dazu, 1990 in Kuwait einzumarschieren? Hat der danach folgende Krieg am Golf im Iran Großmachtgelüste geweckt? Es waren alles Wendepunkte und Einschnitte. Eines aber steht fest: Für die heutigen Krisen und Kriege im Nahen Osten war das Jahr 2003 entscheidend! Denn: In jenem Jahr haben die Amerikaner die Strukturen des Irak zerschlagen. Nach der islamischen Revolution im Iran, 1979, hatten die neuen Machthaber um Großayatollah Ruhollah Khomeini schnell damit begonnen, Einfluss in der Region zu nehmen. Am erfolgreichsten waren sie damit im Libanon, wo sie den Aufbau und die Bewaffnung der Hisbollah mit betrieben, einer schiitisch-islamischen Bewegung, deren Ideologie heute nach wie vor hauptsächlich auf einem basiert: dem so genannten Widerstand gegen Israel. Diesem Widerstand gegen Israel hatten sich auch der Assad-Clan in Damaskus und - seit der islamischen Revolution - die Führung in Teheran verschworen. So bildete sich in den 80er Jahren eine Achse heraus: Iran Syrien Libanon; der schiitische Halbmond, wie ihn manche Sunniten nennen. Im Irak bezog Saddam Hussein seit der islamischen Revolution stets Position gegen die Herrscher in Teheran. Deren Einfluss versuchte Saddam Hussein in seinem Land gering zu halten. Während des Iran-Irak-Krieges, 1980 bis 1988, sah sich der irakische Diktator sogar als Vorkämpfer gegen den iranischen Expansionsdrang und für die Interessen der arabischen Bruderstaaten und des Westens, wofür er von den USA auch Jahre lang hofiert wurde. Derweil verdächtigte Saddam Hussein ein sunnitischer Muslim - die Schiiten seines Landes, eine fünfte Kolonne der schiitischen Herrscher von Teheran zu sein. Teilweise zu Recht! Der Iran hatte nach der islamischen Revolution schiitischirakischen Oppositionellen Exil gewährt und junge Männer militärisch trainiert zunächst für den Kampf gegen den Irak; später - nach 1991, nach dem Krieg um Kuwait - für den Untergrundkampf gegen Saddam Hussein. Diese schiitischen Iraker schuldeten ihren Gönnern im Iran also einiges. 2003 begannen sie damit, diese Schuld abzutragen. Nach dem Sturz Saddam Husseins bauten die Amerikaner ein neues politisches System im Irak auf. Darin gewannen die

4 Schiiten, die die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ausmachen, an politischer Macht. Und die meisten Schiiten-Führer des Irak ob pro-amerikanisch oder antiamerikanisch gehörten zu jenen, die der Iran einst gefördert hatte, was dem Iran im Irak Einfluss gab. Das machte wiederum Saudi-Arabien nervös und trieb das Königshaus dazu, gegen den Iran vorzugehen. Zum Beispiel im Libanon, wo das saudische Königshaus über den Hariri-Clan einen indirekten Zugriff auf die Wirtschaft hatte und noch immer hat: Rafiq el Hariri, Sohn eines einfachen Orangen-Bauern, war einst nach Saudi-Arabien gegangen, wo er das Vertrauen des Königshauses gewann. Dann kehrte er als einer der reichsten Männer der Welt in den Libanon zurück. 1990, nach dem Ende des Bürgerkrieges, investierte er in den Wiederaufbau seiner Heimat und wurde zweimal Regierungschef. 2005 wurde Rafiq el Hariri bei einem spektakulären Sprengstoffattentat umgebracht. Nach wie vor ist nicht erwiesen, wer hinter der Tat steckt. Immer wieder heißt es, auch die syrische Führung sei in den Anschlag verwickelt, genauso wie Mitglieder der Hisbollah. Hariri, der Freund von Saudi- Arabien, sei den Freunden des Iran ein Dorn im Auge gewesen. Es geht - wie bei so vielem auf der Welt auch zwischen dem Iran und Saudi- Arabien vor allem um Macht: Wer mehr Einfluss hat, kann seine Ideologie besser verbreiten und seine Position in der Region stärken, auch wirtschaftlich. Darüber hinaus ist eine konfessionelle Komponente nicht von der Hand zu weisen: der Iran ist ein schiitisch geprägter Staat; einer, dessen Gründer es geschafft haben, nach der islamischen Revolution die sogenannte Herrschaft der Rechtsgelehrten zu errichten. Ihnen gegenüber stehen die Wahhabiten Saudi-Arabiens, Vertreter eines puritanischen, sunnitischen Islam, dessen strenge Anhänger meinen, dass die Schiiten Abtrünnige sind, Häretiker, Ungläubige - Feinde, die bekämpft werden dürfen und müssen. Der Anfang des Jahres verstorbene König Abdullah von Saudi-Arabien hatte versucht, diese Haltung zu mildern und sunnitisch-schiitische Spannungen abzubauen. Mit wenig Erfolg. Allzu oft werden bis heute in Saudi-Arabien antischiitische Predigten gehalten; Hassreden. Dabei unterscheidet sich die Position, die extreme Wahhabiten zu den Schiiten einnehmen, kaum von der der Terroristen al- Qaidas oder des IS. Und deshalb auch dürfte die eine oder andere Petro-Dollar-

5 Million in Richtung dieser Netzwerke gegangen sein, zum Beispiel zur Zeit der US- Besatzung im Irak, um die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten anzuheizen. Solche Vorwürfe bestreitet das Königshaus in Saudi-Arabien vehement. Dass private Sponsoren islamistischen Terroristen vom Schlage al-qaidas und des IS Geld zukommen lassen, gilt aber als sicher. Lange blieb das Kräfteverhältnis ausgeglichen. Der Iran hatte Partner und Einflusszonen innerhalb und außerhalb der Region; dasselbe gilt für Saudi-Arabien Dann aber begannen im Frühjahr 2011 die Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Bahrain, Syrien und im Jemen. Manche Diktatoren wurden abgesetzt; andere sind nach wie vor an der Macht. Und: Ende 2011 zogen die USA ihre letzten Soldaten aus dem Irak ab. Zurück blieb der Eindruck, dass sie nichts mehr mit dem Nahen Osten zu tun haben wollten. Auch deshalb haben die iranischen und die saudischen Herrscher ihre Aktivitäten in der Region noch einmal verstärkt. So finanziert Saudi-Arabien in Syrien Rebellen gegen Präsident Bashar al-assad; in Opposition zu den Iranern und auch den Libanesen der Hisbollah, die Assad beiseite stehen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Herrscher von Riad die Politik in der Region offensiv angehen, ist der Jemen. Das Königshaus ist dem gewählten Präsidenten Abd Rabbo Mansour Hadi beigesprungen, einem Sunniten. Kurzerhand haben die Saudis im März eine Allianz geschmiedet. Seither bombardieren ihre Luftwaffe und die anderer sunnitischer Regime Stellungen der schiitischen Huthis. Und dann der Plan zu der besagten gemeinsamen arabischen Eingreiftruppe Zeichnet sich also als Gegenstück zu dem häufig so bezeichneten Halbmond der Schiiten - ein Halbmond der Sunniten ab? Eine Achse sunnitisch geführter Staaten? Oder doch nur eine Koalition, die gegebenenfalls einem weiteren Vormarsch von Terrororganisation wie IS entgegentreten könnte? Die Führung Saudi-Arabiens wirkt derzeit oft so, als versuchte sie durch Großaktionen davon abzulenken, dass Irans Einfluss zunimmt. Beispiel Irak: Im Juni 2014 überrannten die Terroristen des IS ganze Landstriche, vertrieben die regulären Sicherheitskräfte und nahmen in einem Handstreich die zweitgrößte Stadt des Irak ein, Mossul. Die iranische Führung reagierte: Sie sorgte dafür, dass

6 Regierungschef Nouri al-maliki sein Amt niederlegte, und sie schickte Waffen sowie Militärberater, die die schiitisch-irakische Milizen befehligen. Für den Iran ein unschätzbarer Sieg. Zwar hatte Teheran nach 2003 an Einfluss im Irak gewonnen. Aber aufgrund des acht Jahre währenden iranisch-irakischen Krieges war trotzdem ein gewisses Misstrauen geblieben jedenfalls auf der Ebene der einfachen irakischen Schiiten, die nicht zu einer der Milizen oder Parteien ihres Landes gehörten. Seit dem vergangenen Jahr aber, seit die Iraner damit begannen in Zusammenarbeit mit den USA - den Irakern gegen den IS zu helfen, seit sie Militärberater und Waffen schicken, ist es anders: Teheran hat heute mehr als nur Einfluss in Bagdad: Teheran hat irakische Herzen erobert! Das Königshaus von Saudi-Arabien ist dagegen im Irak schwach. Sei es mit, sei es ohne Vorsatz. Wahrscheinlich könnte es auf die sunnitisch-irakischen Stämme einwirken, in deren Landstrichen der IS besonders aktiv ist. Die arabischen Familienbande reichen über fast alle nationalstaatlichen Grenzen hinweg; die Groß- Clans Saudi-Arabiens haben zumeist Ableger im Irak und umgekehrt. Das Königshaus könnte also mit Gewissheit dafür sorgen, dass einige Großfamilien der Sunniten im Irak aktiv gegen den IS vorgehen. Stattdessen schließen sich dem IS immer noch ganze Stämme an. Aber, so vermuten Analytiker, das Königshaus lässt den IS im Irak lieber toben. Aus Sicht der Saudis ist es besser, wenn die Militanten woanders aktiv sind als im Königreich: an der Grenze zum Iran, vor den Toren Bagdads, der Hauptstadt des Irak, die in der Hand von Schiiten ist Gleichwohl nutzt auch Teheran seinen Einfluss nicht, auf die irakischen Schiiten in dem Sinne einzuwirken, dass sie endlich den sunnitischen Irakern eine angemessene Beteiligung am gemeinsamen Staat anbieten Nein, die Sunniten sehen sich immer noch von ihren schiitischen Landsleuten und Teheran diskriminiert. Weshalb manche im IS die bessere Alternative sehen zur Regierung in Bagdad. Die Situation im Nahen Osten ist seit einigen Monaten so verfahren wie selten zuvor. Der von den USA einst angestrebte New Middle East, der Neue Nahe Osten, ist zu dem geworden, was die Hisbollah 2006, nach dem sogenannten Juli- Krieg gegen Israel, auf einem ihrer Plakate vorhergesagt hat: The New Middle Beast. Die

7 Region wirkt wie ein großes Biest, das von der Leine gelassen und nicht mehr zu bändigen ist. Weil es so einfach und eingängig ist, wird die religiöse Komponente wird verstärkt in den Vordergrund geschoben; der Konflikt Schiiten/Sunniten mehr denn je betont. Dabei geht es nach wie vor um eines um Macht. Und je deutlicher sich ein vertragsfähiger Kompromiss in den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm abzeichnet, desto verhärteter erscheinen die Positionen; insbesondere die Saudi- Arabiens: Das Königshaus befürchtet, dass es ins Hintertreffen gerät, wenn Teheran und Washington zusammenkommen; dass die USA den Iran als Hegemonialmacht in der Region anerkennen und Saudi-Arabien in gleichem Maße unwichtiger wird. Denn: Eine Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran würde über kurz oder lang dazu führen, dass iranisches Öl wieder ungehindert auf den Weltmarkt fließt und dass der Iran als Handelspartner wieder interessant wird. Und vor allem wäre ein Volk von gut 75 Millionen Menschen entfesselt ; ein Volk, dessen Menschen relativ gut ausgebildet sind, den Willen haben, sich und ihr Land voranzubringen; Menschen, die sich als Abkömmlinge einer Jahrtausende alten Kultur sehen All das, was die Saudis nicht von sich sagen können. Eifersucht - eine Antriebskraft der Politik in Riad. Klar ist, dass eine Lösung der Spannungen in der Region nicht von außen kommen kann; allzu oft sind entsprechende Versuche bereits gescheitert. Der Neue Nahe Osten des George W. Bush war dabei nur ein Versuch unter vielen Einen Lösungsansatz könnte es jedoch tatsächlich bereits geben: im Libanon! Am 25. Mai 2014 endete die Amtszeit des ehemaligen libanesischen Staatspräsidenten. Seither seit mehr als einem Jahr und Dutzenden Wahlgängen ist der Posten frei; ist noch immer kein Nachfolger gefunden. Was darauf zurückzuführen ist, dass die beiden maßgeblichen politischen Blöcke im Libanon die Fronten repräsentieren, die sich im gesamten Nahen Osten auftun: der eine Block blickt nach Iran; der andere nach Saudi-Arabien. Der Iran und Saudi-Arabien zeigen im Libanon über ihre Stellvertreter, wie einflussreich sie sind. Sie zeigen aber auch, dass sie nicht überall Stellvertreter- Kriege führen müssen. Im Libanon haben sie sich offensichtlich darauf geeinigt, dass

8 die Waffen ruhen. Möglicherweise nicht um des lieben Friedens willen, sondern weil sie andernorts schlicht allzu beschäftigt sind. Gleichsam geht vom Libanon ein wichtiges Signal aus: Koexistenz ist ein Weg selbst wenn über einen längeren Zeitraum ein Staatsoberhaupt fehlt. Und das bedeutet, dass religiös verbrämte Machtansprüche nicht in einen konfessionellen Konflikt münden müssen... Drei Szenarien zeichnen sich für den Nahen Osten ab: Erstens es läuft alles weiter wie derzeit; ein Bürgerkrieg hier, ein Bürgerkrieg dort. Oder zweitens die Region bricht auseinander und zwar entlang der konfessionellen Linien. Es würden ein sunnitischer Staat entstehen, ein schiitischer, ein kurdischer und so weiter. Das, was sich im Kleinen bereits im Irak abzeichnet. Das dritte Szenario besteht darin, dass sich die Regionalmächte darauf verständigen, einander zu akzeptieren. Saudi-Arabien erkennt den Iran als Hegemonialmacht an und umgekehrt. Es muss nicht sofort Frieden herrschen, doch es könnte sich eine Koexistenz entwickeln Wie im Libanon. Nur wenn Saudi-Arabien und der Iran einander als gleichwertige Kräfte in der Region anerkennen, wäre auch ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien absehbar. Der Iran hat mehr als einmal signalisiert, dass es auf Präsident Bashar al-assad verzichten könnte allerdings nicht auf Syrien. Damit ist vielerlei gemeint: Syrien als zusammenhängender Staat; Syrien das Verbindungsglied zum Libanon und so weiter. Das heißt aber auch, dass Assads Abgang mit Einwilligung des Iran vorstellbar wäre. Sollte es also zur Besiegelung des Atom-Kompromisses zwischen Teheran und Washington kommen, könnte im Vertragsanhang durchaus ein wie auch immer geartetes Ende Assads festgeschrieben werden. Ja, die Militanten Islamisten von al-qaida und dem IS wären immer noch ein Problem Aber dann eben ein gemeinsames von Saudi-Arabien, Iran und allen anderen in der Region. Illusorisch? Utopisch? Phantastisch? Sicherlich, aber es gibt keinen anderen Ausweg aus der Sackgasse.

9 Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z. B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.