Bremische Kernarbeitsnormenverordnung Wie funktioniert sozialverantwortliche Beschaffung in der bremischen Verwaltungspraxis? Dr. Kirsten Wiese, Düsseldorf, 27.1.2015
Gliederung Vorschriften und Empfehlungen Praxis Ausblick/Probleme 1
Vorschriften und Empfehlungen Bremisches Gesetz zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe - Tariftreue- und Vergabegesetz (2009) Kernarbeitsnormenverordnung (2011), Rundschreiben mit Muster Ergänzende Vertragsbedingungen Kernarbeitsnormen (2011), Gesprächsleitfaden (2012). 2
Tariftreue - und Vergabegesetz 9 Mindestlohn (1) Öffentliche Aufträge werden nur an solche Unternehmen vergaben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten, abgesehen von Auszubildenden, bei der Ausführung von Leistungen ein Entgelt in Höhe des Mindestlohns [ ] zu zahlen. (gegenwärtig 8,80 ) (2) Der öffentliche Auftraggeber fordert die Erklärung nach Absatz 1 nicht wenn der Auftrag für Wirtschaftsteilnehmer aus mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union von Bedeutung ist. [ ] 3
Tariftreue- und Vergabegesetz 18 Abs. 1: Soziale, innovative und umweltbezogene Anforderungen an Auftragnehmer können gestellt werden, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen. >>> Ermächtigungsnorm für die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien in Bau-, Liefer-, und Dienstleistungsaufträgen, für alle Produkte und Leistungen Geltung: Oberhalb und unterhalb der EU-Schwellenwerte. 4
Tariftreue- und Vergabegesetz 18 Abs. 2 Bei der Vergabe von Bau-, Liefer oder Dienstleistungen ist darauf hinzuwirken, dass keine Waren Gegenstand der Leistung sind, die unter Missachtung der in den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind. [ ] 5
Tariftreue- und Vergabegesetz 19 Abs. 1 Bei der Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen müssen Umwelteigenschaften einer Ware berücksichtigt werden. >> Problem: wann ist eine Umwelteigenschaft berücksichtigt? 6
Kernarbeitsnormenverordnung Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen muss (nur) verlangt werden bei Kauf von 1. Arbeits- und Dienstbekleidung, Stoffen oder sonstigen Textilwaren, 2. Naturstein, soweit nicht die Verwendung gebrauchter Materialien beabsichtigt ist, 3. Tee, Kaffee, Kakao, 4. Blumen, 5. Spielwaren oder Sportbällen. 7
Kernarbeitsnormenverordnung Verankerung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen in der Ausschreibung als ergänzende Vertragsbedingung; im Leistungsverzeichnis Hinweis auf diese ergänzende Vertragsbedingung; Nachweis über Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen ist erst nach Zuschlagserteilung bei Lieferung der Waren erforderlich; aber bereits bei Angebotsabgabe muss Bieter*in erklären, wie der Nachweis im Fall der Zuschlagserteilung erbracht wird. 8
Kernarbeitsnormenverordnung Nachweis über Einhaltung der ILO-Normen muss erbracht werden durch ein aktuelles Siegel, Label oder Zertifikat oder den Nachweis der Mitgliedschaft in einer Initiative gemäß einer vom öffentlichen Auftraggeber herausgegebenen Liste oder durch ein gleichwertiges Siegel, Label, Zertifikat oder Mitgliedschaft (Bieter*in muss Gleichwertigkeit belegen.) oder Eigenerklärung, wenn Zertifikat nicht vorhanden. 9
Zulässige Zertifikate Arbeits- /Dienstbekleidung, Stoffe und sonstige Textilwaren: Fair Wear Foundation, Ethical Trade Initiative, Fair Labour Association, Social Accountability International Standard 8000, Global Organic Textile Standard Naturstein und Natursteinprodukte: Fair Stone, WGDN (Werkgroep Duurzame Natuursteen), Xertix Tee-, Kaffee- und Kakaoprodukte: Fairtrade, Rainforest Alliance, 4C Association 10
Zulässige Zertifikate Blumen: Fairtrade, Rainforest Alliance, Flower-Label- Program Spielwaren und Sportbälle: Fairtrade, Social Accountability International Standard 8000, ein Zertifikat nach dem ICTI- Kodex und gleichwertige >> Zulässige Zertifikate etc. sind in den Muster-Ergänzenden Vertragsbedingungen aufgelistet 11
Eigenerklärung zu ILO-Kernarbeitsnormen Wenn marktgängige Siegel etc. objektiv nicht verfügbar sind: Ich erkläre, dass bei der Gewinnung oder Herstellung der Ware die Vereinbarung nach Ziffer 1 der ergänzenden Vertragsbedingungen Kernarbeitsnormen ILO eingehalten wurde. Informationen über die Gewinnung der Rohstoffe und die Herstellung der Ware sowie eine Liste der hieran beteiligten Unternehmen werde ich auf Verlangen unverzüglich vorlegen. Ich informiere mich regelmäßig über die Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung und/oder der Herstellung der Ware. [ ] 12
Überprüfung der Eigenerklärung nach Vertragsschluss Bieter/-innen, die Eigenerklärung abgegeben haben, müssen während der Vertragslaufzeit zur Beantwortung von Fragen über Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Herstellung der zu liefernden Ware, zu den Lieferanten und zur Art der Informationsbeschaffung aufgefordert werden. 13
Gliederung Vorschriften und Empfehlungen Praxis Ausblick/Probleme 14
Einkauf als Herausforderung für die Praxis Politische Ziele sind noch keine Einkaufsstrategien! Management by Richtlinien allein reicht nicht, Rückkopplung wichtig! Ausbau zentraler Einkaufskapazität und -kompetenz Aufbau ökologischer und sozialer Produkt- und Marktkompetenz auch außerhalb der Kernverwaltung: Hochschulen, 100%- Gesellschaften u.a. Definition der relevanten Märkte, relevante Marktteilnehmer*innen mit ggf. Alternativprodukten identifizieren Aufbau Einkaufscontrolling 15
Zentraler Einkaufs-Dienstleister Immobilien Bremen mit Warengruppenportfolio: 3.000 Artikeln, 25 Mio. im Jahr Bürobedarf, EDV-Verbrauchsmaterial, Papier Büromaschinen, Druck- und Vervielfältigungsmaschinen Mobiliar und Wandtafeln Reinigungsbedarf Drogerie-, Hygiene-, Sanitärartikel nicht leitungsgebundene Brennstoffe (Heizöl) Feuerlöscher und Wandhydranten inkl. Wartung, Löschdecken Strom + Gas (ohne Netzentgelte + Abgaben) In Umsetzung: und Arbeitsschutzkleidung, Stoffe und Textilwaren Entsorgungsdienstleistungen Elektrogeräte 16
Ökologischer Ziele in der praktischen Umsetzung Alle Artikel von Immobilien Bremen haben einen Ökologisierungsprozess durchlaufen: Überprüfung und Anpassung des Rahmenvertragsbestandes Beratung durch Umweltressort bei neu auszuschreibenden Rahmenverträgen Produkte werden im elektronischen Einkaufskatalog mit entsprechenden Siegeln und Zertifikaten hinterlegt: Multiplikatoreffekt: Beschaffungskonferenzen 17
ILO-Kernarbeitsnormen in der praktischen Umsetzung Einkauf der in der Kernarbeitsnormenverordnung festgelegten Produkte ist noch nicht vollständig auf die Beachtung von ILO-Kernarbeitsnormen umgestellt: - Einkauf der festgelegten Produkte ist wenig zentralisiert; - Nicht für jeden Bedarf ILO-Kernarbeitsnormenalternative Aber Erfolge bei - Holzmöbeln (obwohl Holz nicht in Kernarbeitsnormenverordnung genannt) - Persönlicher Sicherheitsausstattung von Mitarbeiter*innen des Umweltbetriebes 18
Sensibilisierung, Schulung, Beratung Seminare, Schulungen, Workshops in Zusammenarbeit mit NGOs für Einkäufer*innen seit 2009 Beratung zu sozialen und ökologischen Kriterien der Beschaffung Verwaltungsinternes Projekt Aktiver öffentlicher Einkauf wirtschaftlich, ökologisch, sozial seit 2009 EU-gefördertes Landmark-Projekt 2011-2014; Beirat für sozial und ökologisch verantwortungsvolles Verwaltungshandeln; Austausch mit anderen Kommunen und NGOs Unternehmensdialoge 19
Unternehmensdialog Der Markt ist nicht per se einfach da! Seit 2011 Unternehmensdialoge mit Fokus auf sozialen und ökologischen Anforderungen Sowohl Einzel- als auch Gruppengespräche mit Unternehmen Vergaberechtliche Einordnung: formal kein Teil des Vergabeverfahrens, sondern Markterkundung! Transparenz über öffentliche Beschaffungsziele Realistische Einschätzung des Marktes Im Anschluss an den Unternehmensdialog ggf. Änderung der Vergabeunterlagen 20
Gesprächsleitfaden für Unternehmensdialog Ist potentieller Bieter Hersteller/Produzent, Großhändler/Wiederverkäufer etc. Ist ein Manager für Überprüfung der Einhaltung sozialer und ethischer Standards für das Produkt XY zuständig? In welchem Land wird das Produkt XY hergestellt? Findet die Produktion des Produktes XY ausschließlich in eigenen Produktionsstätten statt? 21
Gliederung Vorschriften und Empfehlungen Praxis Ausblick/Probleme 22
Wie weiter? gegenwärtig keine Stelle für sozial-verantwortliche Beschaffung, zugleich sind noch nicht alle Beschaffungsstellen hinreichend sensibilisiert und geschult; nicht zu allen Produkten gibt es eine ökologische und ILO- Kernarbeitsnormen-Alternative; Aber: durch bisherige Verwaltungsaktivitäten und geschaffene Rechtsvorgaben hinreichend Verwaltungsmitarbeitende, Politiker/innen, NGOs die einen ökologischen und sozial-verantwortlichen Einkauf wollen, so dass eine entsprechende Umstellung des Einkaufs als Ziel bleibt. Großer Erfolg in 2013: Ausschreibung von Hardware durch Dataport mit Anforderung Konzept Sozialverantwortliche Beschaffung 23
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Kirsten Wiese Referat für überregionale Finanzangelegenheiten Die Senatorin für Finanzen Freie Hansestadt Bremen Rudolf-Hilferding-Platz 1 28195 Bremen Tel: 0421 361 82307 kirsten.wiese@finanzen.bremen.de 24