2.1.4 Säulen der Barrierefreiheit



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2.1 Ausgangspunkt 21 Gebärdensprachfilme sind als synchronisierte Alternative für Multimedia ergänzend zu Untertiteln sinnvoll. Untertitel allein können oft nicht den vollen Umfang der Audio-Inhalte wiedergeben und zudem muss das Lesen in einer bestimmten Geschwindigkeit erfolgen. Auch für wichtige Anleitungen zur Bedienung von Funktionen können und sollen Gebärdensprachfilme berücksichtigt werden. Ein Hilfsmittel, vergleichbar mit einem Screenreader für Blinde, etwa ein Avatar für Gehörlose, ist allerdings aufgrund der Komplexität der Gebärdensprachen noch Zukunftsmusik. 2.1.4 Säulen der Barrierefreiheit Barrierefreiheit kann zahlreiche unterschiedliche Szenarien umfassen. Wie sollen Webentwickler oder Screendesigner, die womöglich zum ersten Mal vor den Anforderungen der Barrierefreiheit stehen, dennoch einen barrierefreien Auftritt für eine möglichst große Zielgruppe schaffen? Es ist nicht verwunderlich, dass Designer und Entwickler nach Checklisten verlangen. Checklisten können jedoch nur eingeschränkt zur Bewertung der Barrierefreiheit genutzt werden und decken nur eingeschränkt kontextabhängige Aspekte ab. Ein Problem ist, dass die vielfältigen Arbeitsweisen behinderter Nutzer in solchen Listen kaum berücksichtigt werden können und durch Nutzer- und Expertentests ergänzt werden müssen. Ein anderes Problem ist, dass die meisten Checklisten zu wenig»unterfüttert«sind. Checklisten, bei denen die einzelnen Erfolgskriterien nur»abgehakt«werden, können von Experten mit großer Prüfpraxis verwendet werden. Für Webentwickler, die sich erst in die Materie einarbeiten müssen, greifen solche Listen jedoch zu kurz, denn man muss die einzelnen Checkpunkte verstanden haben, um Einschränkungen der Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen richtig zu bewerten. Eine empfehlenswerte Checkliste ist die Accessibility Checkliste 2.0, erarbeitet von der»ag Accessibility Checkliste 2«. Sie basiert auf den Anforderungen der WCAG20 und enthält neben der Checkliste selbst die Originaltexte der Richtlinien, umfangreiche Begleitdokumente mit Erläuterungen, Code-Beispielen und Screenshots sowie Hinweisen zu Testtools. Die Checkliste steht in deutscher, französischer und italienischer Sprache zur Verfügung. Sie finden die Accessibility Checkliste 2.0 auf http://www.access-for-all.ch/checklist/ Ergebnisse einer Prüfung sollten selbstverständlich durch Experten- und Nutzertests ergänzt werden zum einen weil sich im Laufe eines Projekts eine gewisse Betriebsblindheit einstellen kann, zum anderen, um eine neutrale Expertenmeinung einzuholen. Schließlich würden Sie sich ja auch nicht selber eine TÜV-Plakette ausstellen, nur weil Sie die Kriterien für verkehrstüchtige Autos kennen. Im Folgenden werden sieben Säulen der Barrierefreiheit vorgestellt. Mit dem Verständnis dieser Themenkomplexe sind zumindest die groben Anforderungen der Barrierefreiheit umsetzbar. Die zugehörigen Fragestellungen rei-

22 2 Annäherung und Auseinandersetzung chen aber mit Sicherheit nicht aus, um die Barrierefreiheit eines Webangebots abschließend zu beurteilen. 2.1.4.1 Textorientierung Webseiten werden nicht nur in grafischen Browsern dargestellt. Wenn z.b. ein Screenreader eingesetzt wird, sind grafische Inhalte ohne geeignete Alternativtexte nicht verständlich. Gleiches gilt für Multimedia, wenngleich die Textorientierung in Videos und Flash-Anwendungen etwas komplexer ist als bei Grafiken: Neben Alternativtexten für grafische Inhalte und Objekte müssen Aspekte der Dynamik beachtet werden. Folgende Fragen müssen beantwortet werden, um die Anforderungen der Textorientierung zu erfüllen: Wenn Grafiken ausgeschaltet werden, kann die Seite dann im gleichen Umfang genutzt werden wie bei eingeschalteten Bildern? Wenn Multimedia eingesetzt wird, gibt es Beschreibungen der visuellen Inhalte und Textabschriften der auditiven Inhalte? Sind diese ggf. auch mit den multimedialen Inhalten synchronisiert? Gerade der zweite Aspekt kann komplex werden, vor allem wenn es sich um interaktive Multimedia handelt. Auch geht es hier nicht alleine um Nutzer, die den Inhalt nicht sehen können, sondern auch um gehörlose Nutzer, die z.b. die Inhalte von Podcasts nicht nutzen können und auf Textalternativen angewiesen sind. 2.1.4.2 Kontraste und Farben Die Wahrnehmung am Bildschirm kann durch ein vermindertes Sehvermögen stark beeinträchtigt sein. Bei diesem Themenkomplex sind folgende Fragen relevant: Wenn in einem beliebigen Browser ein eigenes Farbschema eingestellt wird, sind alle Informationen einschließlich Highlighting, Warnungen und andere Hervorhebungen gut erkennbar? Genügen alle Farbkombinationen den Anforderungen an ausreichende Kontrastverhältnisse? 2.1.4.3 Skalierbarkeit Ist ein Nutzer auf stark vergrößerte Schriften angewiesen, so wird er ein Vergrößerungssystem einsetzen. Wenn jedoch»nur«eine etwas größere Schrift gewünscht ist, dann benötigt er skalierbare Schriften mit anpassbarem Layout. Die Zoomfunktionen der Browser allein sind nicht ausreichend. Vielmehr sind folgende Kriterien zu erfüllen: Die Nutzer müssen die voreingestellte Schriftgröße aller Texte, einschließlich Texten in Eingabefeldern, verändern können.

2.1 Ausgangspunkt 23 Bei geringer Bildschirmauflösung und/oder vergrößertem Text muss jeder Textblock ohne horizontales Scrollen lesbar sein. Es muss sich um ein flexibles Layout handeln, das sich bei Kombinationen von Schriftvergrößerung und geringeren Bildschirmauflösungen anpasst. 2.1.4.4 Linearisierbarkeit Am Bildschirm sind Kopfzeile, Navigation und Inhalt meist klar durch Position, Farbe und andere Gestaltungsmerkmale unterscheidbar, in linearer Software wie einer Sprachausgabe wird der komplette Inhalt jedoch sequenziell aufbereitet. So kann es passieren, dass z.b. eine Kopfzeile und eine umfangreiche Navigation dazu führen, dass der Inhalt»sehr weit hinten«zu finden ist. Diesem Problem entgegnen Screenreader, Vergrößerungssysteme, Browser und andere Hilfsmittel durch erweiterte Funktionen zum Springen innerhalb einer Seite und ermöglichen dadurch eine strukturelle Navigation mit der Tastatur. Obwohl ein strukturierter Seitenaufbau mit Überschriften, Listen und Absätzen Voraussetzung einer barrierefreien Nutzung ist, muss auch die Reihenfolge der Inhalte in sich schlüssig sein. Deshalb müssen die folgenden beiden Fragen positiv beantwortet werden: Ist bei ausgeschaltetem Layout (CSS und Tabellen) jede Seite genauso nachvollziehbar wie bei eingeschaltetem Layout? Steht eine strukturelle Navigation vor allem bei umfangreicheren Seiten zur Verfügung, damit einzelne Seitenbereiche gezielt angesteuert werden können? 2.1.4.5 Geräteunabhängigkeit und Dynamik Die Geräteunabhängigkeit ist ein Hauptziel der Barrierefreiheit. Eng verknüpft mit der Linearisierbarkeit spielt dabei die Bedienbarkeit des Webangebots mit der Tastatur eine wichtige Rolle. Kritisch sind in diesem Zusammenhang vor allem dynamische Skripte und andere clientseitige Anwendungen. Auch wenn die Barrierefreiheit von JavaScript-Anwendungen ein Fass ohne Boden werden kann, muss man zumindest die folgenden Fragen mit»ja«beantworten können: Ist mit der Tastatur eine gleichwertige Bedienung des Inhalts wie mit der Maus möglich? Können bei dynamischen Veränderungen z.b. durch JavaScript auch die neuen Inhalte mit der Tastatur angesteuert werden? Ist die Seite ohne JavaScript zugänglich und vollständig nutzbar und sind die Inhalte, die mit JavaScript in die Seite geladen werden, ebenfalls barrierefrei? Sind alle Inhalte, die nicht nativ im Browser dargestellt werden, wie Flash, Java-Applets, aber auch PDF, ebenfalls barrierefrei?

24 2 Annäherung und Auseinandersetzung 2.1.4.6 Verständlichkeit, Navigation und Orientierung Barrierefreiheit umfasst viele Aspekte der Verständlichkeit, Navigation und Orientierung, und zwar aus der Sichtweise verschiedener Nutzergruppen. Für einen ersten Eindruck sind folgende Fragen hilfreich: Sind Navigationsleisten vorhanden und sind sie schlüssig und konsistent? Werden vor allem auf größeren Webangeboten Orientierungshilfen, z.b. eine Hilfe oder eine Übersicht, angeboten? Sind die Texte im Hauptinhaltsbereich und der Navigation allgemein verständlich? Werden für Suchfunktionen auch phonetische Suchanfragen bearbeitet und gibt es Fehlerkorrekturen bei Formulareingaben? Ist die Sprache des Inhalts richtig angegeben, damit Sprachausgaben sie korrekt vorlesen können? Außerdem muss die Frage nach der Bereitstellung von Inhalten in Leichter Sprache und Gebärdensprache gestellt werden. Diese Anforderung ergibt sich aus der Definition der Barrierefreiheit. 2.1.4.7 Strukturierte Inhalte Der korrekte Einsatz von HTML-Strukturelementen fördert die Nutzbarkeit vor allem in linearen Medien, da sie ein strukturelles Navigieren ermöglichen. Zudem müssen komplexere HTML-Konstrukte wie Tabellen, Formulare oder auch Listen korrekt ausgezeichnet werden, um mit Screenreadern sinnvoll interpretiert werden zu können. Deswegen sollten zusätzlich zu den unter»linearisierbarkeit«aufgeführten Fragen noch die folgenden gestellt werden: Wurde die Semantik in HTML für Überschriften, Absätze, Listen usw. durchgängig für alle Inhalte beachtet? Haben alle Formularelemente geeignete Beschriftungen? Sind Überschriften in Datentabellen korrekt mit den Datenzellen verknüpft? Die sinnvolle Strukturierung der Inhalte ist die Grundlage für die Trennung von Inhalt (HTML), Präsentation (CSS) und Verhalten (JavaScript bzw. DOM-Scripting). Diese Trennung der verschiedenen Ebenen ist wiederum Basis für die Standardkonformität eines Webangebots und ein nachweisbares Qualitätsmerkmal der Barrierefreiheit. 2.1.5 Barrierefreiheit für alle? Obwohl bestimmte Anforderungen der Barrierefreiheit einen hohen konzeptionellen und finanziellen Aufwand bedeuten können, sind die meisten Anforderungen überschaubar. Meist fehlt es nur am erforderlichen Wissen darüber, warum Inhalte auf eine bestimmte Art und Weise umzusetzen sind. Barrierefreies Webdesign hat eine große Schnittmenge zwischen Barrierefreiheit im eigentlichen Sinne und Nutzbarkeit im Allgemeinen. Beispielsweise

2.1 Ausgangspunkt 25 kann ein standardkonformer Webauftritt ebenso gut in der Sprachausgabe eines blinden Nutzers wie auf einem handelsüblichen mobilen Gerät genutzt werden. Jedoch wird die Nutzbarkeit auf mobilen Endgeräten durch die Trennung von Inhalt und Layout erreicht. Die Barrierefreiheit für Screenreader-Nutzer zeigt sich hingegen insbesondere in semantisch korrektem HTML. Das bedeutet, dass ein standardkonformes Webangebot nicht nur für Browser, sondern mit zusätzlichen CSS auch für mobile Endgeräte optimiert werden kann. Screenreader benötigen hingegen optimierte Strukturen mit Überschriften und anderen HTML-Elementen. Beides die Trennung von Inhalt und Layout sowie die Semantik sind Aspekte der Standardkonformität. Von Barrierefreiheit profitieren viele Menschen, denn neben der technischen Kompatibilität mit verschiedenen Endgeräten ist die Flexibilität der Webinhalte ein grundlegendes Prinzip der Barrierefreiheit. Webinhalte sollen unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen und -vorlieben genügen und unterschiedlichen Konstellationen gerecht werden. So können auch Nutzer ohne Behinderung mit barrierefreien Angeboten besser umgehen, etwa wenn sie nicht auf dem neuesten Stand der Technik sind, zeitweise durch einen Unfall einen Computer nicht auf die gewohnte Weise bedienen können oder altersbedingte Schwierigkeiten bei der Computernutzung haben. Abb. 2 6 Zielgruppenmissverständnis Barrieren, die durch die einzelnen Behinderungen festgestellt werden, sind stets auch individuell geprägt. Gleichzeitig gibt es durch die Behebung der Barrieren nicht nur einen Vorteil für Nutzer mit Behinderung, sondern auch Vorteile für Nutzer ohne Behinderung.»Die Behinderten«gibt es so als Nutzergruppe nicht, deshalb sind Menschen mit Behinderungen auch nicht gezielt zu bedienen. Vielmehr ordnet sich die Heterogenität unter den Menschen mit Behinderungen der allgemeinen Heterogenität aller Nutzer unter. Abb. 2 7 Zielgruppenverständnis

26 2 Annäherung und Auseinandersetzung Folgende Beispiele zeigen, wie alle Nutzer von barrierefreien Webangeboten profitieren: Gerade junge Menschen greifen mit verschiedenen mobilen Endgeräten und entsprechend kleinen Displays auf Webseiten zu. Standardkonformität, d.h., die Trennung von Inhalt (ausgezeichnet mit HTML) und Layout (ausgezeichnet mit CSS), ebenso wie Nutzbarkeit ohne JavaScript sind dabei wichtige Voraussetzungen. Neben Handy und Organizer ist Standardkonformität auch für den Zugang vom Flugzeug, aus der Bahn oder aus dem Auto wichtig. Darüber hinaus spielt die Bedienung ohne Maus eine Rolle. Diese Aspekte sind auch für blinde Menschen wichtig, denn Screenreader sind ähnlichen Einschränkungen wie mobile Geräte unterworfen. Übersichtlichkeit und Navigationshilfen wie Pfadangaben zur aktuellen Position innerhalb eines Webauftritts (Breadcrumbs), Sitemaps, Suchfunktionen u. Ä. gemeinsam mit einem konsistenten Design sind sowohl Aspekte der Gebrauchstauglichkeit im Allgemeinen als auch Forderungen der Barrierefreiheit. Je nach Browser fördern außerdem Relationen zwischen Dokumenten die Orientierung. Die zurzeit am stärksten wachsende Nutzergruppe ist die der Senioren. Bei dieser Gruppe kann man im Gegensatz zu den üblicherweise jüngeren Webentwicklern in der Regel nicht davon ausgehen, dass sie mit den neuesten Konventionen vertraut sind, über die erfahrene Nutzer nicht nachdenken müssen. Für Senioren sind u.a. vergrößerbare Schriften sowie das Vermeiden von blinkenden und sich bewegenden Elementen für die Nutzbarkeit wichtig. Dynamische Elemente wie Laufschriften sind schwieriger zu lesen, können ablenken und erschweren vor allem»langsamlesern«den Zugang zu Texten. Eine möglichst leichte und verständliche Sprache spielt bei kognitiven Einschränkungen eine Rolle. Verständliche Texte sind aber auch für Migranten und andere ausländische Nutzer, z.b. Austauschstudenten, wichtig. Es kommt darauf an, unterschiedliche Sprachkompetenzen durch gut strukturierte und leicht erfassbare Inhalte sowie das Vermeiden von Abkürzungen zu berücksichtigen. Leicht verständliche Inhalte sind auch für Netzneulinge hilfreich und fördern den Einstieg in die Webnutzung. Textalternativen für Grafiken und multimediale Inhalte sind für Menschen mit Sinnesbehinderungen (Blindheit, Gehörlosigkeit) wichtig. Von solchen Texten profitieren aber auch weitere Nutzergruppen. Schließlich sind hier Suchmaschinen zu nennen: Transkriptionen und Alternativtexte helfen dem Webanbieter, indem sowohl interne Suchfunktion als auch externe Suchmaschinen damit»gefüttert«werden können. Zu beachten ist, dass das, was für die eine Nutzergruppe eine Verbesserung der Nutzbarkeit bedeutet, für andere Nutzergruppen die Voraussetzung dafür ist, dass sie überhaupt mit einem Medium arbeiten können. Gerade das Web

2.2 Barrierefreiheit nervt 27 bietet Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit, selbstständig an der Gesellschaft teilzuhaben. Die klassischen Barrieren bei Print, Audio und Video können im Web aufgehoben werden. Die Gruppe der älteren Nutzer ist besonders zu beachten. Die Internetnutzung stieg in der Gruppe der über 50-Jährigen von 15,5% (2001) auf 44,9% im Jahr 2009; 6 den größten Zuwachs verzeichnet die Gruppe der 60- bis 69-Jährigen. Die Senioren sind außerdem durch ihre hohe Kaufkraft als Nutzergruppe z.b. für Internetshops relevant. Immerhin 7,3% verfügen über ein Nettoeinkommen von 4000 Euro und mehr. 2.2 Barrierefreiheit nervt Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der manche Webdesigner Barrierefreiheit umsetzen, lehnen andere Barrierefreiheit ab. Gegenargumente enthalten meist den Hinweis auf Kosten-, Design- oder Terminvorgaben. Bei den Anforderungen der Barrierefreiheit handelt es sich aber um Qualitätsmerkmale, die durch Nutzeranforderungen und daraus abgeleitete Webstandards und Gesetze geprägt sind. Webdesigner müssen in jedem Webprojekt verschiedene Kriterien beachten. Seien es Ansprüche an Design, Terminvorgaben oder die Einhaltung des Budgets: Die Qualität einer Dienstleistung wird durch verschiedene Anforderungen von Auftraggeber und Nutzer definiert. Die Qualität von grafischem Design, Standardkonformität, Gebrauchstauglichkeit oder Barrierefreiheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur mit den Anforderungen der Auftraggeber, sondern vor allem mit denen der Nutzer übereinstimmen muss. Stimmen Merkmale und Anforderungen nicht überein, wird ein entsprechend geringeres Qualitätsniveau des Webauftritts feststellbar sein. Idealerweise wird schon von vornherein ein gutes Maß der Anforderungen aus dem Bereich der Barrierefreiheit beachtet. Webentwickler haben da die besten Chancen, denn das, was»unter der Haube«im Code steht und Barrierefreiheit fördert, interessiert am Tag der Veröffentlichung nur wenige. Schwieriger wird es, wenn das Thema nachhaltigen Eingang finden soll. Bei Konzeption und Design, aber auch wenn es um Anpassungen im Redaktionssystem geht, treten häufig dieselben Einstellungen ans Licht und werden dieselben Argumente ins Feld geführt, die die Umsetzung von Barrierefreiheit verhindern oder erschweren. Einige typische Vorurteile werden in den folgenden Abschnitten geschildert. 6. Vgl. Initiative D21, Die zentralen Ergebnisse des (N)ONLINER Atlas 2009, URL: http://www.initiatived21.de/category/nonliner-atlas/zentrale-ergebnisse-2009 (Abruf 5.9.2009).