Grundlagen der Geometrie

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Transkript:

Grundlagen der Geometrie Vorlesungsausarbeitung zum WS 2010/11 von Prof. Dr. K. Fritzsche

ii Inhalt 0 Grundlagen der Schulgeometrie 1 I Die Elemente : Inzidenz und Anordnung 9 1. Die deduktive Methode 9 2. Axiomatische Mathematik 15 3. Beweise und Konstruktionen 24 4. Das Axiom von Pasch 29 5. Modelle 40 II Die Elemente : Kongruenz und Stetigkeit 47 1. Bewegungen und Kongruenz 47 2. Das Kreisaxiom 58 3. Das Axiom von Archimedes 68 4. Neutrale Geometrie und Parallelenaxiom 75 5. Flächenmessung und Pythagoras 85 III Das Parallelenproblem 93 1. Beweisversuche 93 2. Die Hypothese vom spitzen Winkel 108 3. Aus Nichts eine Neue Welt 125 IV Hyperbolische Geometrie 135 1. Raumgeometrie 135 2. Der Parallelitätswinkel 143 3. Möbius-Transformationen 165 4. Das Poincaré-Modell 179 5. Projektive Geometrie 193 Literaturverzeichnis 212

Kapitel 0 Grundlagen der Schulgeometrie Wir beschäftigen uns zunächst nur mit ebener Geometrie. Dabei geht es um Punkte, Geraden und ihre Positionen zueinander. Folgende Bezeichnungsweisen sind üblich: Punkte werden mit Großbuchstaben bezeichnet: A, B, C, D,... Geraden werden mit Kleinbuchstaben bezeichnet: g, h, l, m, n,... AB bezeichnet die Verbindungsstrecke der Punkte A und B, manchmal auch die Gerade durch A und B. AB bezeichnet den von A ausgehenden Strahl in Richtung B. ABC bezeichnet das Dreieck mit den Ecken A, B und C, manchmal (in der Raumgeometrie) auch die Ebene durch A, B und C. Zwei Geraden schneiden sich in einem Punkt, oder sie sind parallel. Parallelität beinhaltet auch Gleichheit. Zwei verschiedene Geraden AB und AC bilden einen Winkel BAC. Winkel werden mit griechischen Buchstaben bezeichnet: α, β, γ,... Man unterscheidet: spitzer Winkel 90 180 rechter Winkel stumpfer Winkel gestreckter Winkel Zur Definition des rechten Winkels kommen wir später. Jetzt erst mal begnügen wir uns mit dem Winkelmesser. Nebenwinkel ergänzen sich zu 180 : Scheitelwinkel sind gleich: α β α α

2 0 Grundlagen der Schulgeometrie Von besonderer Bedeutung sind die Beziehungen zwischen Winkel an Parallelen. Hier unterscheidet man 1. F- oder Stufenwinkel sind gleich: 2. E- oder Ergänzungswinkel ergänzen sich zu 180 : 3. Z- oder Wechselwinkel sind gleich: In einem Dreieck ergeben die drei Winkel zusammen immer 180. Das ist ein zentraler Satz der euklidischen Geometrie. Ein beträchtlicher Teil der Vorlesung wird sich dem Problem widmen, was passiert, wenn dieses Ergebnis nicht mehr vorausgesetzt werden kann. C γ b a A α c β δ B Der Außenwinkelsatz besagt, dass ein Außenwinkel (z.b. δ) gleich der Summe der beiden nichtanliegenden Innenwinkel ist (hier also δ = α + γ). Man nennt ein Dreieck spitzwinklig, wenn alle drei Winkel spitz sind, bzw. rechtwinklig oder stumpfwinklig, wenn einer der drei Winkel ein Rechter oder stumpf ist. Ein Dreieck mit zwei gleichen Seiten (den Schenkeln ) nennt man gleichschenklig, ein Dreieck mit drei gleich langen Seiten nennt man gleichseitig. Bei einem gleichschenkligen Dreieck sind die an der dritten Seite (der Basis ) anliegenden

3 Basiswinkel gleich. Dementsprechend betragen alle Winkel im gleichseitigen Dreieck 60. Zwei Dreiecke heißen kongruent, wenn alle entsprechenden Seiten und Winkel gleich sind. Es gibt eine Reihe von Kongruenzsätzen, die besagen, dass man aus der Gleichheit dreier Größen schon auf die Kongruenz schließen kann. 1. SSS: Stimmen zwei Dreiecke in allen drei Seiten überein, so sind sie kongruent. 2. SWS: Stimmen zwei Dreiecke in zwei Seiten und dem von ihnen eingeschlossenen Winkel überein, so sind sie kongruent. 3. SSW: Stimmen zwei Dreiecke in zwei Seiten und einem anliegenden Winkel überein, so sind sie kongruent. 4. WSW: Stimmen zwei Dreiecke in einer Seite und den beiden anliegenden Winkeln überein, so sind sie kongruent. 5. SWW: Stimmen zwei Dreiecke in einer Seite, einem anliegenden Winkel und dem gegenüberliegenden Winkel überein, so sind sie kongruent. Konstruktionen werden heute in der Schulgeometrie mit dem Geo-Dreieck durchgeführt (also mit einem Lineal mit Maßeinteilung und einem Winkelmesser). In der klassischen euklidischen Geometrie geht es dagegen um Konstruktionen mit Zirkel und Lineal (ohne Maßeinteilung). Damit kommt der Kreis ins Spiel, in altmodischer Sprache der geometrische Ort aller Punkte, die von einem gegebenen Punkt M (dem Mittelpunkt) einen festen gegebenen Abstand (den Radius) haben. Mit Hilfe des Kreises, also des Zirkels, kann man einige wichtige Grundkonstruktionen durchführen: 1. Halbierung eines Winkels: Ein Kreis um den Scheitel A des Winkels trifft die Schenkel in zwei Punkten P 1, P 2. Die Kreise um P 1 bzw. P 2 mit gleichem Radius treffen sich in einem Punkt Q. Die Verbindungsgerade AQ ist die Winkelhalbierende. A P 1 P 2 Q Die drei Winkelhalbierenden eines Dreiecks treffen sich in einem Punkt, dem Mittelpunkt des Inkreises. Zum Beweis überlege man sich: Die Winkelhalbierende ist der geometrische Ort aller Punkte, die von den beiden Winkelschenkeln den gleichen Abstand haben.

4 0 Grundlagen der Schulgeometrie 2. Halbierung einer Strecke: Um die Strecke AB zu halbieren, schlägt man Kreise mit gleichem Radius um A und B, die sich in zwei Punkten P 1 und P 2 treffen. Die Verbindungsgerade von P 1 und P 2 trifft AB im Mittelpunkt der Strecke. P 1 A B P 2 Die Geraden, die durch eine Ecke eines Dreiecks und die Mitte der gegenüberliegenden Seite gehen, nennt man Seitenhalbierende. Die drei Seitenhalbierenden eines Dreiecks treffen sich in einem Punkt, dem Schwerpunkt des Dreiecks. 3. Errichten einer Senkrechten: Um in einem Punkt P die Senkrechte zu einer gegebenen Geraden zu errichten, schneidet man die Gerade mit einem Kreis um P. So erhält man zwei Punkte P 1, P 2. Die Kreise um P 1 und P 2 mit gleichem Radius schneiden sich in einem Punkt Q. Die Gerade durch P und Q ist die gesuchte Senkrechte.

5 Q P 2 P P 1 Errichtet man im Mittelpunkt einer Seite eines Dreiecks die Senkrechte, so erhält man eine Mittelsenkrechte. Die drei Mittelsenkrechten eines Dreiecks treffen sich in einem Punkt, dem Mittelpunkt des Umkreises. Beim Beweis beachte man, dass die Mittelsenkrechte zu einer Seite der geometrische Ort aller Punkte ist, die von den beiden Endpunkten der Seite den gleichen Abstand haben. 4. Fällen des Lotes: Um von einem Punkt P außerhalb einer Geraden g das Lot auf g zu fällen, zeichnet man einen Kreis um P, der g in zwei Punkten P 1 und P 2 trifft. Zwei Kreise um P 1 und P 2 mit gleichem Radius treffen sich in einem Punkt Q, und die Gerade durch Q und P ist das gewünschte Lot. P P 1 P 2 Q Fällt man in einem Dreieck von einer Ecke das Lot auf die gegenüberliegende Seite, so erhält man eine Höhe. Die drei Höhen eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt, dem Höhenschnittpunkt. Zum Beweis: Zieht man durch die drei Ecken des gegebenen Dreiecks ABC Parallelen, so bilden diese ein größeres Dreieck, das sich aus vier zu ABC kongruenten Dreiecken zusam-

6 0 Grundlagen der Schulgeometrie mensetzt. Die Höhen des ursprünglichen Dreiecks sind die Mittelsenkrechten des großen Dreiecks. Man kann nun auch zu den Kongruenzsätzen jeweils Verfahren angeben, wie man aus den gegebenen drei Stücken das Dreieck konstruieren kann. Auf die Sätze von Thales und Pythagoras gehen wir später ein. Erinnert werden soll hier noch an die Strahlensätze: Zwei sich in einem Punkt P schneidende Geraden m und n werden von zwei parallelen Geraden p und q in Punkten A, A bzw. B, B getroffen. B A P A B Dann gilt: 1. P A : AB = P A : A B 2. P A : P B = P A : P B 3. AA : BB = P A : P B Trifft eine Gerade einen Kreis mit Mittelpunkt M, so gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Die Gerade berührt den Kreis in einem Punkt P, ist also die Tangente an den Kreis im Punkt P. Dann steht der Radius MP auf der Tangenten senkrecht.

7 M P 2. Die Gerade schneidet den Kreis in zwei Punkten P und Q. Man nennt P Q eine Sehne. Das Lot vom Mittelpunkt M auf die Sehne halbiert die Sehne und den Zentrumswinkel P MQ. M P Q Ist R ein Punkt auf der Peripherie des Kreises, so nennt man den Winkel P RQ einen Peripheriewinkel über der Sehne P Q. Jeder solche Peripheriewinkel ist halb so groß wie der Zentrumswinkel über der Sehne. M R P Q Beim Beweis beachte man, dass MP, MQ und MR Radien sind und dass deshalb in der Figur mehrere gleichschenklige Dreiecke auftreten.