Marginalisierungstendenzen unter jugendlichen Spätaussiedlern Ergebnisse einer empirischen Untersuchung Forschungsgruppe Jugend- und Medienkultur (JMK) Universität Trier, FB IV Soziologie
Zuwanderung von Spätaussiedlern 1970-2007 400.000 350.000 300.000 250.000 200.000 150.000 Sonstige Rum änien Polen ehem. UDSSR 100.000 50.000 0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Zuwanderung Regierungsbezirk Trier: ca. 14.000
Eigene Studien mit Migrationsbezug 1.) Jugend im Stadt-Land-Vergleich (2000) Text: Tiefe Gräben und schmale Brücken 2.) Jugendliche Aussiedler (2003-2006) Text: Startschwierigkeiten in Deutschland 3.) Integrationsverläufe von Aussiedlern (2008-2009) Projektbeschreibung: Migrationsbiographien von Aussiedlern
Jugendliche Aussiedler: Forschungsnetzwerk
Integrationsbarrieren (Aus-)Bildungsbenachteiligung Sprachdefizite Nichtbeteiligung an Ausreiseentscheidung Sozial-räumliche Segregation Russische Mentalität und Identität
(Aus)Bildungs- benachteiligung
Bildung Einheimische und (Spät)Aussiedler im Vergleich (in %) 100% 80% 37 17 n = 102 60% 40% 52 33 Gymnasium Realschule Hauptschule 20% 0% 11 Einheimische 50 Aussiedler Quelle: eigene Erhebung 2004
Beschäftigung Einheimische und Migranten im Vergleich (in %) 100 80 60 40 80 50 32 67 n = 414 (Jugendliche in Erwerbsarbeit, Alter: 14-25 Jahre) Beruf mit Abschluss Beruf ohne Abschluss arbeitslos 20 0 20 14 6 18 13 Einheimische Aussiedler Ausländer Quelle: Jugendstudie 2001, Vogelgesang
Gründe für die (Aus)Bildungsbenachteiligung der Aussiedler Schulmüdigkeit (demotivierte Lernhaltung) verschiedene Unterrichtsformen Nichtanerkennung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen altersheterogene Einstufungspraxis Bildungserwartung der Eltern (materielle Orientierung / finanzielle Abhängigkeit) Sprachdefizite
Sprachdefizite
Interviewauszug: Sprachdefizit Der [jugendliche Aussiedler] saß immer nur alleine in der letzten Bank. Ein halbes Jahr saß er da und hat kein Wort verstanden. Irgendwann kam er dann nicht mehr. (Hauptschullehrer)
Sprache Familiensprache jugendlicher Aussiedler (in %) 100% 80% 12 2 37 60% 40% 20% 52 36 61 Deutsch Deutsch und Russisch Russisch Quelle: Dietz/Roll 1998 0% Beide Eltern deutschstämmig Nur ein Elternteil deutschstämmig
Nichtbeteiligung an Ausreiseentscheidung
Die mitgenommene Generation' unfreiwillige Ausreise der jungen Russlanddeutschen (Zitate) Ich wurde nicht gefragt, ob ich mit will nach Deutschland oder nicht. Mir ging es da wohl wie den meisten, wir wurden einfach mitgenommen! (Sascha, 19 Jahre) Meine Großeltern und meine Eltern haben immer von Zwangsumsiedlungen gesprochen. Aber was ist mir denn anderes passiert? (Natascha, 15 Jahre)
(Un)freiwillige Wohnsitzname Nachzugsmigration (Familie, Verwandtschaft, Religion) Man muss bedenken, dass für die Aussiedler die Familie und auch die Großfamilie der Ort ist, wo man Sicherheit bekommt in diesen unsicheren Zeiten. (Mitarbeiterin, Übergangswohnheim Osthofen) erzwungene Wohnsitzname (insbes. durch WoZuG) Staatliche Leistungen an einen Zwangsaufenthalt weit weg von Verwandten und Bekannten zu koppeln, war keine glückliche Entscheidung. (Leiter, Übergangswohnheim Osthofen)
Sozial-räumliche Segregation
Soziale Segregation: Aussiedler im Freundeskreis / in der Clique Ich habe nur russische Freunde. Ich glaube, wir verstehen uns untereinander einfach besser. Wir kommen alle aus Russland, sprechen die gleiche Sprache. Mit den Deutschen komme ich nicht so gut klar. (Swetlana, 17 Jahre)
Räumliche Segregation: Aussiedler in der Nachbarschaft (in %) 100% 17 n = 102 80% 60% 40% 20% 45 39 26 57 keine Aussiedler einige Aussiedler viele Aussiedler 0% 16 Einheimische Aussiedler Quelle: eigene Erhebung 2004
Wahl der Clique nach ethnischer Herkunft Einheimische Rang 1: Einheimische(r) Rang 2: Amerikaner(in) Rang 3: Italiener(in) Rang 4: Afrikaner(in) Rang 5: Aussiedler(in) Rang 6: Türke/in Aussiedler Rang 1: Aussiedler(in) Rang 2: Einheimische(r) Rang 3: Amerikaner(in) Rang 4: Italiener(in) Rang 5: Türke/in Rang 6: Afrikaner(in) Könntest du dir vorstellen, folgende Leute in deiner Clique zu haben? Quelle: eigene Erhebung 2004
Russische Mentalität t und Identität
Männerbild: Vater als Beschützer der Familie (in %) Männern sollte es erlaubt sein, Schusswaffen zu besitzen, um Familie und Eigentum zu beschützen 10 40 Man sollte sich mit körperlicher Gewalt gegen jemanden durchzusetzen, der schlecht über die Familie redet 18 54 Aussiedler Einheimische Ein Mann sollte bereit sein, Frau und Kinder mit Gewalt zu verteidigen 48 78 Quelle: eigene Erhebung 2004 0 20 40 60 80 100
Härte-Ideale: Zentrum russischer Werte Bei Schlägereien ist man z.b. die Härte der Russen nicht gewohnt. Diese schlagen mit voller Härte zu. Vielleicht, weil sie es nicht anders gewohnt sind, vielleicht weil sie damit auch einem russischem Ehrenkodex folgen und Macht und Männlichkeit demonstrieren müssen. Jugendpolizist, Bitburg Man hat dazu (zur Gewalt; W.V.) einfach eine andere Vorstellung als in Deutschland. Wenn man jemanden zusammenschlagen kann, ist man stark und wird respektiert. Es sind andere Werte wichtig. Alexander, 21 Jahre, Russlanddeutscher
Identität der jungen Aussiedler Was würdest du sagen, fühlst du dich eher...? (in %) 32 als Deutscher 63 5 als Fremder als irgend etwas dazwischen Quelle: eigene Erhebung 2004
Integration von Aussiedlern Barrieren und Hilfen Sprachdefizit niedriges (Aus)Bildungsniveau fehlende Lernmotivation Rollenunsicherheit / Mentalitätsunterschiede Rückzug in Russencliquen segregierte Wohnformen Nischenökonomie geschlossene religiöse Gemeinschaften Devianzspirale und (Selbst-) Marginalisierung Remigrationstendenzen Sprachkurse / auch Förderung der Erstsprache schulische und berufliche Qualifizierung Förderung von interkulturellem Lernen und Begegnung (Schule, Jugendeinrichtungen, Vereine) Multi-ethnisches bürgerschaftliches Engagement vor Ort Vernetzung / Kooperation von lokalen Institutionen, Vereinen, Initiativen (Netzwerkbildung) Von Eingliederungshilfen zu nachhaltiger Integration
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