Ältere Patienten unterschätzen die Risiken bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel



Ähnliche Dokumente
Ärzte verkaufen immer mehr Privatleistungen an gesetzlich Krankenversicherte

Ältere Frauen erhalten besonders häufig ungeeignete Arzneimittel

Jeder vierte Junge zur Einschulung in Sprachtherapie

Individuelle Gesundheitsleistungen werden vor allem Patienten mit hohem Einkommen angeboten

Krankenstand erneut gestiegen Psychische Erkrankungen verursachen die längsten Ausfallzeiten

Einstellungen älterer Menschen zur Arzneimitteltherapie

Jeder fünfte Junge braucht vor der Einschulung eine Sprachtherapie

WIdOmonitor: 20 Millionen gesetzlich Versicherte erhalten jährlich ein IGeL-Angebot

Pressemitteilung. Lesen, Schreiben, Sprachtherapie. Berlin, den 15. Dezember 2016

Medikamenteneinnahme. Tägliche Medikamenteneinnahme. Es nehmen täglich Medikamente ein und mehr *) % % % % % % insgesamt

Mitarbeitergesundheit leidet unter schlechter Unternehmenskultur

HIV-Therapie: Pharmaanbieter Gilead hält die Preise hoch

Pressemitteilung Berlin, 13. März 2019

Polypharmazie - Bringt weniger mehr?

!!!! !!!!!! Blutdruckwerte

Umfrage zum Thema Medikamente und Straßenverkehr

Faktenblatt POLYMEDIKATION. Definition. Häufigkeit der Polymedikation bei GKV-Versicherten. Medikationsplan nach 31a SGB V

Pressemitteilung. Städte im Ruhrgebiet mit den höchsten Fehlzeiten

ARZNEIMITTEL- VERORDNUNG

Patientensicherheit ReduPharm KREATIV

DOWNLOAD. Mein Taschengeld. Mathe-Aufgaben aus dem Alltag. Karin Schwacha. Downloadauszug aus dem Originaltitel:

Ursachen (unerwünschter) Polymedikation laut DEGAM-Leitlinie 3

Aktion "Gesunde Nachbarschaften" Weil wir uns am nächsten sind.

Unser Inhalt heute. 1) Arzneimittel - ein paar Zahlen, Daten, Fakten 2) Arzneimittel Nebenwirkungen Beispiele aus dem Alltag

Der Sprache auf die Sprünge helfen

ARZNEIMITTEL- VERORDNUNG

AOK- Heilmittel- Informations- System. Wer verordnet Heilmittel? Analyse der Heilmittelverordnungen des Jahres 2003 nach Facharztgruppen

Pressemitteilung. Fernpendeln belastet die Psyche

Polypharmazie im Alter: Eine Einführung

LEBEN MIT AML: MEINE PERSÖNLICHE CHECKLISTE

4.1.3 Arzneimittel. Abbildung 4.1.4

Jeder Versicherte erhält 1,5 Arzneimittel am Tag

Kein Mangel an Ärzten, sondern ungleiche regionale Verteilung

Vereinbarung zur Fortführung des Hausarztvertrages gemäß

1.003 Personen, die diesen Sommer schon Urlaub hatten Erhebungszeitraum: 10. bis 15. August 2012 statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte

Presseinformation. BARMER Arzneimittelreport 2018 / 10. Jahr in Folge

PATIENTENINFORMATION Medikamente im Krankenhaus

Pflege-Report: Generation 50 plus offen für neue Wohnund Versorgungsformen

Meine persönliche Checkliste

Hannover: Wirtschaftliche Situation und digitale Herausforderungen von Freiberuflern, Gewerbetreibenden und Handwerkern

Ältere Patienten erhalten häufig ungeeignete Arzneimittel

KRANKEN- UND PFLEGEVERSICHERUNG. Die elektronische Behandlungsinformation. Mit Sicherheit für Sie.

Gebrauchsinformation: Information für Patienten

Pillen-Mix mit Risiko

Toctino Bestätigungsformular für Patienten

Gesundheitstipps Fit bleiben 50plus

Weihnachtseinkäufe. 3. November 2014 n4418/30783 Le

Ältere Patienten erhalten häufig ungeeignete Arzneimittel

Faktenblatt POLYMEDIKATION. Definition. Häufigkeit der Polymedikation bei GKV-Versicherten. Medikationsplan nach 31a SGB V

LA!'jOTAG Rhe inland-p falz. vorlage.

Wirkstoff: Natriumchondroitinsulfat

Steigende Krankenstände in fast allen Branchen

Verbesserung der Patientensicherheit durch verbesserte Medikationssicherheit

Pressemitteilung. Berlin, 2. März Wissenschaftliches Institut der AOK

Engagiert Erfahren Erfolgreich. Hauptversammlung Umfrage Patientenwünsche Sachsen

Arzneimittelversorgungsmanagement

Gebrauchsinformation: Informationen für den Anwender. Lora-ADGC. Wirkstoff: Loratadin 10 mg, Tabletten

Der Bundesrat hat ferner die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.

WICHTIGE ASPEKTE DER MEDIKAMENTENABGABE. Dr. med. Lukas Weilenmann, FMH Allgemeinmedizin Psychiatrische Klinik Zugersee und Centramed Zug

LEBEN MIT AML: MEINE PERSÖNLICHE CHECKLISTE

Inhaltsverzeichnis. Bibliografische Informationen digitalisiert durch

Therapie mit Acitretin-haltigen Arzneimitteln: Was Sie wissen müssen

Gebrauchsinformation: Information für Patienten

LEBEN MIT AML: MEINE PERSÖNLICHE CHECKLISTE

Pille zur Verhütung: Ärzte verordnen jungen Frauen weniger Präparate mit höherem Risiko

Umfrage. Bürgerbeteiligung zur Ortsumgehungsstraße Waren an der Müritz. Ergebnisbericht. Juli TNS Emnid. Political Social

Ihr Arzt hat Ihnen VIMPAT verschrieben

S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

GKV-Arzneimittelindex: So viele teure neue Medikamente wie nie zuvor

Zu Risiken und Nebenwirkungen: Lesen Sie die Packungsbeilage?

VALDOXAN (Agomelatin)

1.012 Erwerbstätige, Schüler und Studenten Erhebungszeitraum: 3. bis 11. Juli 2014 statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte

PACKUNGSBEILAGE 1. WAS IST DAFALGAN UND IN WELCHEM FALL WIRD ES VERWENDET?

Allergien. Ergebnisse einer telefonischen Repräsentativbefragung. 15. Februar 2012 q2339/26088 Le/Bü

Assessment: Gemeinsame Einschätzung

PATHOS PATIENTEN-THERAPIE-OPTIMIERUNGS-SYSTEM Unser Beitrag zur Steigerung der Effizienz und Qualität in der Arzneimittelversorgung

NÖGKK: Vorsicht Wechselwirkung Pillenmix birgt Gefahren

Arzneimittelmarkt: Selbstmedikation im Fokus Ergebnisse einer Repräsentativ-Umfrage unter GKV-Versicherten

Cholesterinsenker sind nicht schädlich für das Gedächtnis. - Schützen sie sogar vor der Vergesslichkeit?

Kostenlose Angebote zur Sexualerziehung in der Schule

Datensicherheit im Internet

Risiken der Polymedikation besser beherrschen

Arzneimittelrabattverträge der AOK

Arzneimittelmanagement als Bestandteil bedarfsgerechter Therapie

Risiko Multimedikation - Sachstand und Handlungsansätze

AMTS-Datenmanagement Arzneimitteltherapiesicherheit. Fachanwendung der Gesundheitskarte (egk)

Gute Noten für die medizinische Versorgung in Deutschland

Die Rente mit 63 - Deutlich stärkerer Handlungsdruck für sächsische Unternehmen

Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung. Medikationsanalyse. Leitlinie Kommentar Arbeitshilfe. Stand der Revision:

1.003 Personen, die diesen Sommer schon Urlaub hatten Erhebungszeitraum: 12. bis 16. August 2013 statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte

Risiken der Polymedikation besser beherrschen

Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) Multimorbidität als Trigger für Polypharmazie Risiken der Arzneimitteltherapie

Transkript:

Pressemitteilung Wissenschaftliches Institut der AOK HAUSANSCHRIFT Rosenthaler Str. 31 D-10178 Berlin POSTANSCHRIFT Postfach 11 02 46 D-10832 Berlin TELEFON +49 30 34646-2393 FAX +49 30 34646-2144 INTERNET www.wido.de Berlin, 21. Juni 2012 E-MAIL wido@wido.bv.aok.de Wenn fünf Pillen und mehr normal sind Ältere Patienten unterschätzen die Risiken bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel Berlin. Rund ein Viertel der über 65-Jährigen nimmt regelmäßig fünf oder mehr ärztlich verordnete Arzneimittel ein. Bei fast jedem fünften dieser Patienten befindet sich darunter ein Medikament, das für ältere Menschen als potenziell ungeeignet gilt. Häufig kommen noch frei verkäufliche Produkte zur Selbstmedikation dazu, von denen der Arzt gar nichts weiß. Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Medikamentencocktails unterschätzen die meisten Patienten, so eine aktuelle Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Nur ein Viertel der von uns Befragten mit Polymedikation weiß, dass es bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel eher zu Nebenwirkungen kommt, sagte WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Ärzte und Apotheker müssen die Patienten besser über Arzneimittelrisiken aufklären. Ältere Menschen, die mehrere Medikamente einnehmen, sind den altersspezifischen Risiken der Arzneimitteltherapie und Vielfachmedikation besonders ausgesetzt. Ausgerechnet bei ihnen ist das Risikobewusstsein jedoch eher gering, so Geschäftsführer Jürgen Klauber bei der Vorstellung der neuen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Für diese wurden in einer repräsentativen Erhebung 1.000 GKV-Versicherte ab 65 Jahren zu Arzneimittelverbrauch, Arzneimittelrisikobewusstsein, Therapietreue und erlebter Arzneimittelberatung befragt. Laut WIdO-Studie nahmen etwa 87,1 Prozent der GKV-Versicherten über 65 Jahre in den letzten drei Monaten ärztlich verordnete Arzneimittel ein. Rund ein Viertel von ihnen (27,4 Prozent) kommt auf fünf oder mehr verordnete Packungen und bewegt sich damit im Bereich der Polymedikation. Von diesen Patienten nehmen 17,2 Prozent Arzneimittel ein, die für ältere Menschen als potenziell ungeeignet gelten und Seite 1 von 5

Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 2 von 5 deshalb auf der Priscus-Liste stehen. Dazu kommt, dass fast ein Drittel der Patienten mit Polymedikation (30,4 Prozent) rezeptfreie Arzneimittel selbst zukauft (siehe Abbildung 1). Die WIdO-Studie deckt große Informationslücken bei den betroffenen Menschen auf. Nur knapp ein Viertel der Patienten mit Polymedikation (21,9 Prozent) ist sich bewusst, dass ältere Menschen anfälliger für unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind. Fast jeder zweite Patient mit Polymedikation (49,3 Prozent) weiß nicht, dass es bei der Einnahme mehrerer Medikamente verstärkt zu Nebenwirkungen kommen kann (siehe Abbildung 2). Die Risiken der Arzneimitteleinnahme verschärfen sich, wenn die vom Arzt verordnete Therapie nicht eingehalten wird. Ein knappes Fünftel der Patienten mit Polymedikation gibt an, manchmal die Einnahme der Medikamente zu vergessen. Andere hören ganz auf, sagte Klauber. So verzichten 7,3 Prozent der Befragten zum Teil auf ihre Medikamente, wenn sie sich besser fühlen. 6,6 Prozent gaben an, die Medikamenteneinnahme manchmal einzustellen, wenn sie sich nach der Einnahme schlechter fühlen (siehe Abbildung 3). Häufig wissen weder Arzt noch Apotheker, was ein Patient einnimmt und ob er sich an die Therapie hält. Umso wichtiger wäre es, dass sie die Patienten umfassend zu Arzneimittelrisiken beraten, so Jürgen Klauber. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass die weitaus meisten Patienten ihrem behandelnden Arzt hinsichtlich der verordneten Medikamente vertrauen (71,2 Prozent). Doch im Alltag scheint die Beratung älterer Menschen mit Polymedikation verbesserungsfähig zu sein. Nur etwa die Hälfte der Befragten (49,3 Prozent) sagt, dass ihr Hausarzt sie schon einmal auf die Risiken der Mehrfacheinnahme von Arzneimitteln angesprochen hat (siehe Abbildung 4). Lediglich 41,2 Prozent der betroffenen Patienten hat der Arzt danach gefragt, ob weitere Medikamente eingenommen werden. Die entsprechenden Prozentsätze für den Berater in der Apotheke liegen sogar noch deutlich darunter (32,5 Prozent bzw. 15,7 Prozent). Die Verordnung von Priscus-Arzneimitteln an ältere Menschen mit Polymedikation wurde vom Hausarzt nur in knapp der Hälfte der Fälle (44,7 Prozent) beratend begleitet; bei Abgabe in der Apotheke liegt der Wert sogar nur bei 19,1 Prozent der Patienten. Ärzte und Apotheker haben es in der Hand, das Risikobewusstsein der Patienten zu schärfen. Sie können damit auch die Therapietreue erhöhen. Dieses Potenzial sollten sie nutzen, fordert Klauber. So sind sich Pa-

Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 3 von 5 tienten, die sich an eine Arzneimittelberatung erinnern können, der Risiken der Altersmedikation eher bewusst und gaben an, seltener die Medikamenteneinnahme zu vergessen. Mehr Infos im Internet: Der WIdOmonitor 1/2012 steht unter http://www.wido.de/wido_monitor_1_2012.html mit weiteren Ergebnissen zum Download bereit. Pressekontakt: Wissenschaftliches Institut der AOK Herr Klaus Zok Tel.: 030 34646 2134 Fax: 030 34646 2144 E-Mail: wido@wido.bv.aok.de

Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 4 von 5 Abbildung 1 Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung nach Anzahl verordneter Arzneimittel Abbildung 2 Risikobewusstsein bei Befragten mit Polymedikation* *Polymedikation: Dauerhafte Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten innerhalb eines Quartals

Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 5 von 5 Abbildung 3 Therapietreue bei Befragten mit Polymedikation Abbildung 4 Beratungserfahrung bei Befragten mit Polymedikation