Leistungsgerechte Vergütung für ambulante Pflegedienste Deutscher Pflegekongress am 13. Mai in Berlin Prof. Dr. Heinz Rothgang Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Zum Einstieg: Drei Grundfragen 1. Was wird vergütet? Die Vergütungseinheit Einzelleistung Leistungskomplexe Fallpauschalen 2. Wie wird vergütet? Das Vergütungsverfahren Marktpreisbildung Verhandlungspreise Administrierte Preise 3. Woran bemisst sich die Vergütung? Die Vergütungshöhe Selbstkosten? Zuzüglich Gewinn? Vergleichspreise? Durchschnittliche Selbstkosten im Markt? Prof. Dr. Heinz Rothgang 2
Ziele der Vergütungsfindung Leistungsgerechte Preise Struktur Gleich aufwändige Leistungen sollen gleich vergütet werden Höherer Aufwand muss zu höheren Preisen führen Niveau Vergütung soll Kosten bei wirtschaftlicher Leistungserstellung decken Vergütung muss angemessenen Gewinn enthalten, um Weiterentwicklung zur erlauben (Investitionen), aber nicht mehr Vergütung soll wettbewerbsneutral sein gleiches Spielregeln für alle Anbieter Vergütungsfindung soll dynamisch effizient sein und Rationierungsanstrengungen fördern Prof. Dr. Heinz Rothgang 3
Überblick I. Vergütungseinheit II. III. IV. Vergütungsverfahren Vergütungshöhe Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 4
I. Vergütungseinheit (1/4) Grundannahme im SGB XI: Pflege ist homogenes Gut ( allgemein anerkannter Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse ( 11 I, 28 III, 69, 87 III, 113a I SGB XI) Theoretische Anforderung: 1. Klasseneinteilung: Jede Leistung muss in genau eine Klasse fallen, insgesamt bilden die Klassen das gesamte Leistungsspektrum ab 2. Innerhalb einer Klasse: Homogenität bzgl. Aufwand 3. Zwischen Klassen: Heterogenität der Aufwände Die Punkte 2 und 3 sollten auch regional vergleichend gelten Derzeit: im stationären und ambulanten Bereich Verstoß gegen Forderung 2 und 3. Prof. Dr. Heinz Rothgang 5
I. Vergütungseinheit (2/4): stationärer Bereich Pflegerischer Gesamtaufwand in Minuten pro Kopf und Betreuungstag für Bewohner von Pflegeheimen 1. Dezil Mittelwert 9. Dezil Stufe 0 1 18 45 Stufe I 19 78 155 Stufe II 63 145 229 Stufe III 113 190 271 Quelle: Schneekloth/Müller 2000: 146 Relation von 1. und 9. Dezil: Stufe I: 1 : 8,2 Stufe II: 1 : 3,6 Stufe III: 1 : 2,4 Prof. Dr. Heinz Rothgang 6
I. Vergütungseinheit (3/4): ambulanter Bereich Unterschiede zwischen den Ländern sind groß und erklärungsbedürftig! Quelle: Rothgang et al. 2009: GEK-Pflegereport Prof. Dr. Heinz Rothgang 177
I. Vergütungseinheit (4/4): Reformoption Stationärer Bereich: Definition von aufwandsähnlichen Fallgruppen nach Vorbild der DRGs Bestimmung beispielsweise anhand der Resource Utilisation Groups (RUGs) des Resident Assessment Instruments (RAI) Ambulanter Bereich (SGB XI): Bundesweit einheitliche Gebührenordnung (Leistungsdefinition als Komplexe oder Einzelleistung möglich) Bundeseinheitliche Punktzahlen pro einheitlich definierte Leistung (relative Preise) Punktwertbestimmung auf Landesebene (Basiswert) Festlegung des Basiswertes ist Gegenstand des Vergütungsverfahrens Prof. Dr. Heinz Rothgang 8
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II.1 Vergütungsverfahren: Marktpreisbildung (1/2) Vorteile von Marktpreisbildung Wettbewerb zwingt alle Beteiligten zur Offenlegung ihrer Präferenz Leistungsgerechte Preise, die als Knappheitsanzeiger fungieren Voraussetzungen für Marktpreisbildung: 1. Hinreichende Wettbewerbsintensität Ausreichendes Angebot auch regional Freier Marktzutritt neuer Anbieter 2. Schutz von Einrichtungsbewohnern gegen Preissteigerungen (analog Mieterschutz) 3. Hinreichende Eigenbeteiligung der Nachfrager Prof. Dr. Heinz Rothgang 10
II. Vergütungsverfahren: Marktpreisbildung (2/2) Stationär Voraussetzung 1 weitgehend gegeben Voraussetzung 3 bei Selbstzahlern gegeben (50% Selbstbeteiligung) Voraussetzung 2 und Regelung für Sozialhilfeempfänger fehlen noch Marktpreisbildung grundsätzlich möglich, Teilregelungen fehlen noch Häusliche Krankenpflege nach SGB V Voraussetzung 1 gegeben Voraussetzung 3 nicht gegeben Marktpreisbildung nicht möglich Ambulante Pflegeleistungen nach SGB XI: Voraussetzung 1 gegeben Voraussetzung 3 gegeben: Selbstbeteiligung durch Opportunitätskosten durch Verzicht auf Pflegegeld Marktpreisbildung möglich, Transparenz muss geschaffen werden Prof. Dr. Heinz Rothgang 11
II. Vergütungsverfahren: Administrierte / Verhandlungspreise Administrierte Preise erfordern Datengrundlage Vertragspartner IdR: Verhandlungen plus Bestätigung durch öffentliche Stelle Verhandlungen erfordern Konfliktlösungsmechanismus Schiedsstelle, Schiedsrichter Ersatzvornahme In der Praxis verschwimmen Unterschiede zwischen administrierten und Verhandlungspreisen Jeweils wird materielle Grundlage der Preisfindung benötigt Prof. Dr. Heinz Rothgang 12
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III. Vergütungshöhe (1/3) Mögliche Anknüpfungspunkte: Individuelle Selbstkosten führt ohne Kontrolle zur Selbstbedienung führt mit Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Selbstkosten zur Erstarrung des Systems durch zunehmende Regulierung ungeeignet! Externer Vergleich mit anderen Einrichtungen führt theoretisch zur Konvergenz aller Entgelte bietet dann keinen Mechanismus für Entgeltanpassungen ungeeignet! Durchschnittskosten der Einrichtungen einer Region geeignet Prof. Dr. Heinz Rothgang 14
III. Vergütungshöhe (2/3) Durchschnittskosten aller Einrichtungen einer Region Ausgestaltung Alle Einrichtungen müssen ihre einrichtungsindividuellen Kosten nachweisen Hieraus werden die Durchschnittskosten (bei Berücksichtigung des Leistungsmix) errechnet Die Durchschnittskosten (evtl. mit Zuschlags- / Abschlagsfaktor) bilden den Basiswert Prof. Dr. Heinz Rothgang 15
III. Vergütungshöhe (3/3) Durchschnittskosten aller Einrichtungen einer Region Vorteile Für jede einzelne Einrichtung sind die Preise extern gegeben. Die eigenen Kosten können den Preis nicht beeinflussen Anreize zur Kostensenkung bleiben für jede Einrichtungen vollständig erhalten Das System ist dynamisch effizient. Kostensenkungen führen zu Preissenkung Kostensteigerungen (z.b. Löhne) führen zur Preissteigerung Es gibt einen einheitlichen Preis für alle, der leistungsgerecht ist Wettbewerbsneutralität Geeigneter Anknüpfungspunkt Prof. Dr. Heinz Rothgang 16
IV. Fazit Ein transparentes und faire Vergütungssystem für ambulante Pflegeleistungen nach SGB XI erfordert eine bundeseinheitliche Gebührenordnung Bei ambulanten Pflegeleistungen nach SGB XI wäre eine Marktpreisbildung möglich und vorteilhaft Bleibt es bei Verhandlungspreisen / administrierten Preise bieten die Durchschnittskosten aller Einrichtungen den idealen Ausgangspunkt für die Festsetzung des Basiswertes. Prof. Dr. Heinz Rothgang 17
Schluss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Heinz Rothgang 18