Studientagung der STUBE in Bonn 15. und 16. Oktober 2011 Ich komme mit den Vögeln zurück Altersspezifische Trauerrituale in der Kinder- und Jugendliteratur Abschlusspräsentation von Karin Wallentin 1
1. These In der Kinder- und Jugendliteratur nutzen die Protagonisten aufgrund ihres Alters unterschiedliche Rituale zur Trauerbewältigung und entwickeln sie individuell. 2. Begriffsdefinition Rituale ursprünglich: heute: gleich bleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung, ein Zeremoniell (Brockhaus) Es gibt keine umfassende verbindliche Definition. 3. Psychologische Grundlagen 3.1 Todeskonzepte Unter drei Jahren o Trennung = Verlust Drei bis sechs Jahre o Tod ist reversibel o Nur Alter als Todesursache o Kein Bezug auf sich selbst oder Eltern und Geschwister Sechs bis neun Jahre o Akzeptanz verschiedener Todesursachen o Endgültigkeit des Todes o Sachlich-technisches Interesse Neun bis zwölf Jahre o Dem Leben zugewandt o Erwachsenes Todeskonzept o Ängste und diffuse Vorstellungen vom Leben nach dem Tod 2
3.2 Trauerphasen 1. Phase 2. Phase 3. Phase 4. Phase o Nicht-wahr-haben-wollen o Aufbrechen der Emotionen o Schuldgefühle o Sich trennen o Vollzogene Trennung Verstorbener wird zur inneren Person 4. Rituale in der KJL 4.1 Beerdigung Bilderbücher: Hat Opa einen Anzug an? (Amelie Fried) Abschied von Rune (Wenche Øyen) Nie mehr Oma-Lina-Tag? (Hermien Stellmacher) Trauerfeier, Beerdigung, Abschied von dem Verstorbenen im Vordergrund. Die besten Beerdigungen der Welt (Nilson/ Erikson) Spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Beerdigung ohne persönliche Betroffenheit. Gehört das so? (Peter Schössow) Begräbnis eines Vogels mit menschlichen Beerdigungsritualen. 3
Kinderbücher: Servus Opa, sag ich leise (Elfie Donnelly) Max, mein Bruder (Sigrid Zeevaert) Erzählungen über die sehr enge Beziehung zwischen den Protagonisten und den Verstorbenen, ausführliche Darstellung der Beerdigung. Fazit 1 Die Beerdigung macht körperliches Verschwinden sichtbar. Mementos dienen der Zwiesprache und machen den Verlust begreifbarer. 4.2 Sargbau Bilderbuch: Eine Kiste für Opa (Marie-Thérèse Schins) Gemeinsames Aussuchen eines Sargs, afrikanischer Kulturkreis Kinderbuch: Klaras Kiste (Rachel van Kooij) Sarg als Abschiedsgeschenk für die todkranke Lehrerin Fazit 2 Sargauswahl oder bau als Vorbereitung auf den Tod 4.3 Naturkreislauf Bilderbücher: Als Oma ein Vogel wurde (Kristien Aertssen) Wenn Oma nicht mehr da ist (Lucy Scharenberg) Trauerprozess innerhalb eines Jahres Fazit 3 Jahreskreislauf als Zeichen für Vergänglichkeit und Wiederkehr 4
4.4 Traumata überwinden Kinderbücher: Der letzte unsichtbare Junge (Evan Kuhlman) Hundewinter (K.A. Nuzum) Jugendbuch: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, ich breitete meine Flügel aus und flog davon (Joyce Carol Oates) Psychische Verletzungen erinnern an den Verlust. Fazit 4 Verarbeitung der Trauer und Überwindung der Traumata durch Zuneigung und Vertrauen nahestehender Menschen oder Tiere 4.5 Geheimnisse aufdecken Jugendbücher: Wer ich bin (Sigrid Zeevaert) Kaputte Suppe (Jenny Valentine) Wildwasser (Paulus Hochgatterer) Begleitumstände des Todes gelangen durch Zufall oder gesucht ans Licht. Fazit 5 Keine bewusste Trauerverarbeitung (außer Wildwasser), Verständnis aufbringen 5
5. Resümee In Bilderbüchern und Büchern für jüngere Kinder zum Thema Tod steht das Beerdigungsritual - und damit auch der Sarg - als pragmatische Verbindung im Vordergrund. Das körperliche Verschwinden und die Irreversibilität des Todes werden sichtbar gemacht. Der Vergleich mit dem Naturkreislauf zeigt u. a. den zeitlichen Rahmen des Trauerprozesses auf. Bücher für ältere Kinder und Adoleszenzromane behandeln meist den Unfalltod, sind mehr realitätsbezogen und bieten altersentsprechende Identifikationsmöglichkeiten. Die Verarbeitung von Traumata und der Wunsch, mehr über die Todesumstände zu erfahren, lassen sich nicht mit vorgegebenen Trauerritualen bewältigen. Die Protagonisten begeben sich auf eigene Spurensuche. Unabhängig von der Adressatengruppe gibt es gemeinsame Elemente im Trauerprozess. Der Ort zum Trauern bzw. der Todesort sowie die Bedeutung von Mementos tauchen in vielen Büchern auf. In der KJL zum Thema Tod spiegeln sich die altersspezifischen Todeskonzepte und Trauerphasen wider. Dementsprechend stehen die altersgemäßen Rituale oder Verhaltensweisen im Vordergrund. 6
Primärliteratur Bilderbücher Aertssen, Kristien: Als Oma ein Vogel wurde. Hildesheim: Gerstenberg, 2011 Fried, Amelie / Gleich, Jacky: Hat Opa einen Anzug an? München: Hanser, 1997 Nilsson, Ulf / Eriksson, Eva: Die besten Beerdigungen der Welt. Frankfurt: Moritz, 2006 Ǿyen, Wenche / Kaldhol, Marit: Abschied von Rune. Hamburg: Ellermann, 1987 Scharenberg, Lucy / Ballhaus, Verena: Wenn Oma nicht mehr da ist. München: Betz, 2010 Schins, Marie-Thérèse: Eine Kiste für Opa. Berlin: Aufbau, 2008 Schössow, Peter: Gehört das so? München: Hanser, 2005 Stellmacher; Hermien / Lieffering, Jan: Nie mehr Oma-Lina-Tag? Stuttgart: Gabriel, 2005 Kinder- und Jugendbücher Donnelly, Elfie: Servus Opa, sag ich leise. München, dtv, 2005 (21. Aufl.) Hochgatterer, Paulus: Wildwasser. Hamburg: rororo, 2008 (6. Aufl.) Kooij, Rachel van: Klaras Kiste. Wien: Jungbrunnen, 2008 Kuhlmann, Evan: Der letzte unsichtbare Junge. München: dtv junior, 2010 Nuzum, K. A.: Hundewinter. Hamburg: Carlsen, 2010 Oates, Joyce Carol: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon. München: Hanser, 2008 Valentine, Jenny: Kaputte Suppe. München: dtv, 2010 Zeevaert, Sigrid: Max, mein Bruder. Würzburg: Arena, 2010 (14. Aufl.) Zeevaert, Sigrid: Wer ich bin. Stuttgart: Thienemann, 2009 Sekundärliteratur Ennulat, Gertrud: Kinder trauern anders. Wie wir sie einfühlsam und richtig begleiten. Freiburg: Herder, 2011 (7. Auflage) Heller, Birgit; Winter, Franz (Hg.) Tod und Ritual. Interkulturelle Perspektiven zwischen Tradition und Moderne. Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft Band 2. Wien: LIT Verlag 2009 Hopp, Margarete: Kinder fragen nach dem Tod. Kindliche Todesvorstellungen, Trauerreaktionen und religiöse Trostbilder. In : kjl&m 10.4 (2010) S. 3 10 Hopp, Margarete: Die neuen Bilderbücher über Sterben, Tod und Trauer. In: kjl&m 10.4 (2010) S. 23 30 Jennessen, Sven: Manchmal muss man an den Tod denken Wege der Enttabuisierung von Sterben, Tod und Trauer in der Grundschule. Baltmannsweiler: Schneider 2007 Kast, Verena: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Freiburg: Kreuz Verlag 2010 (32. Auflage) Kübler-Ross, Elisabeth: Kinder und Tod. München: Knaur 2008 7
Stangl; Herbert: Religiöse Kinder- und Jugendliteratur. STUBE spektrum 10, Wien 2010 Wexberg, Kathrin: Nach-Erzählen. Erzählerische Annäherung an das Thema Tod in neueren Kinder- und Jugendbüchern. In: kjl&m 10.4 (2010) S. 55 59 Lexika: Brockhaus Enzyklopädie Bd. 23. Leipzig 2006 (21. Auflage) www.wikipedia.org/wiki/rituale (Zugriff: 14. Februar 2011, 14:46) Internet: Demmelhuber: Erprobte Rituale und Methoden zum Umgang mit Tod und Trauer in der Schule. In: http:// schulpastoral.drs.de/methodenundrituale.pdf (Zugriff: 14. Februar 2011, 11:27) Hubner, Bernhard: Abschied, Tod, Trauer in der Kinder- und Jugendliteratur. In: www.alliteratus.com/pdf/tb_lb_abschied-tod (Zugriff: 18. April 2011, 12:45) Huspek, Tanja: Über die Trauerbegleitung von Kindern nach Todesfällen am Beispiel trauernder Kinder und Jugendlicher e. V. in Bremen. (Diplomarbeit) Wien 2008 In: http://othes.univie.ac.at/1814/1/2008-09-04_9603903.pdf (Zugriff: 18. April 2011, 14:42) Weber, Christian: Die Macht der Rituale. In: SPIEGEL ONLINE Wissenschaft 23.03.2009 (Zugriff: 14. Februar 2011, 15:08) 8