Paul Watzlawick II. Gestörte Kommunikation

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Transkript:

Prof. Dr. Wilfried Breyvogel Sommersemester 05 Montag 12.00-14.00 Uhr R11 T00 D05 Vorlesung vom 18.07.2005 Paul Watzlawick II. Gestörte Kommunikation

1. Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, oder: Wie entziehe ich mich einem Kommunikationswunsch? Situation: Zwei Fluggäste, A und B, A will sich unterhalten, B nicht. Es gibt vier Varianten: 1. Die Abweisung: B macht unmissverständlich deutlich, dass er kein Gespräch wünscht, seine Zurückweisung erzeugt in der Regel peinliches Schweigen 2. Die Annahme der Gesprächsbereitschaft. Sie führt dazu, dass ein Sog des Erzählens entsteht, in den auch B gerät. 3. Die Entwertung, B drückt sich unklar aus, deutet nur an, springt im Thema, ironisiert, etc. 4. B greift zum Einsatz eines Symptomes. Ein Symptom könnte sein: Schläfrigkeit, Taubheit, Kopfschmerzen, etc. Ich hätte nichts dagegen, aber eine force majeur zwingt mich, es nicht zu tun! (vgl. Watzlawick u.a. 2000, 10. Aufl., S. 77) 2

1. Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, oder: Wie entziehe ich mich einem Kommunikationswunsch? Diese Anwendung einer force majeur hat jedoch einen Schönheitsfehler: Beweis, dass er eine Ausrede verwendet. Einem Fremden gegenüber mag das noch angehen; bei nahestehenden Menschen aber kann man damit ein einen Gewissenskonflikt kommen. Die endgültige Lösung besteht darin, dass man sich selbst davon überzeugt, unkontrollierbaren Gegebenheiten unterworfen zu sein [...] all dies ist jedoch nichts Anderes, als eine etwas kompliziertere Umschreibung der Tatsache, dass man ein psychoneurotisches, psychosomatisches oder psychotisches Symptom hat. (Watzlawick u.a. 2000, S. 77 ff.) Fazit: Die kommunikationstheoretische Herausarbeitung eines Symptomes ist mir dabei besonders wichtig, der Sachverhalt verweist auf die Nähe von Kommunikationstheorie dieser Richtung und psychoanalytischer Theoriebildung. 3

2. Gestörte Kommunikation auf der Ebene von Inhalts- und Beziehungsaspekt Inhaltsaspekt Beziehungsaspekt digitales Zeichen analoges Zeichen kommunikativ metakommunikativ Digital wird Wissen (Inhalt) kommuniziert, analog wird die Beziehung kommuniziert. 4

2. Gestörte Kommunikation auf der Ebene von Inhalts- und Beziehungsaspekt Der Unterschied zwischen digitaler und analoger Kommunikation wird vielleicht etwas klarer, wenn man sich vor Augen hält, dass bloßes Hören einer unbekannten Sprache, z.b. im Radio, niemals zum Verstehen dieser Sprache führen kann, während sich auch recht weitgehende Informationen relativ leicht aus der Beobachtung von Zeichensprachen und allgemeinen Ausdrucksgebärden ableiten lassen, [...] Analoge Kommunikation hat ihre Wurzeln in viel archaischeren Entwicklungsperioden und besitzt daher eine weitaus allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere und abstraktere digitale Kommunikationsweise. (Watzlawick u.a. 2000, S. 62 ff) Überall, wo die Beziehung zum zentralen Thema der Kommunikation wird, erweist sich die digitale Kommunikation als fast bedeutungslos. Das ist [...] in zahllosen Situationen des menschlichen Lebens, z.b. in Liebesbeziehungen, Empathie, Feindschaft, Sorge und vor allem im Umgang mit sehr kleinen Kindern oder schwer gestörten Patienten [der Fall]. (Watzlawick u.a. 2000, ebd.) 5

3. Unstimmigkeiten und ICH-DU-Definitionen ICH: So sehe ich mich selbst (in Beziehung zu Dir und zu Deiner Situation). (vgl. Watzlawick u.a. 2000, S. 84 und Anmerkung 7) Welche Reaktionsmöglichkeiten gegenüber dieser Äußerung von A bestehen auf Seiten von B? 1. Bestätigung Sie ist die wichtigste Voraussetzung für geistige Stabilität und Entwicklung. Es hat den Anschein, dass wir Menschen mit anderen zum Zweck der Erhaltung unseres Ichbewusstseins kommunizieren müssen. Diese Annahme wird in zunehmendem Masse durch Experimente auf dem Gebiet der Einschränkung des Sensoriums (sensory deprivation) unterbaut, die beweisen, dass es uns nicht möglich ist, unsere geistige Stabilität auf längere Dauer nur mittels Kommunikation mit uns selbst aufrecht zu erhalten. (Watzlawick u.a. 2000, S. 84 ff.) 6

3. Unstimmigkeiten und ICH-DU-Definitionen Watzlawick bezieht sich auf Martin Buber: In allen Gesellschaftsschichten bestätigen Menschen einander [...] in ihren menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, und eine Gesellschaft kann in dem Maße menschlich genannt werden, in dem ihre Mitglieder einander bestätigen [...] Die Grundlage menschlichen Zusammenlebens ist eine zweifache und doch eine einzige der Wunsch jedes Menschen, von den anderen als das bestätigt zu werden, was er ist, oder sogar als das, was er werden kann. (Martin Buber, zitiert nach Watzlawick u.a. 2000, S. 85) 2. Verwerfung Verwerfung setze allerdings eine begrenzte Anerkennung dessen voraus, was verworfen wird. Die Verwerfung ist zugleich eine Interpunktion nach dem Schema richtig und falsch, d.h. in dem Sinne Du hast Unrecht mit dem was Du sagst. 7

3. Unstimmigkeiten und ICH-DU-Definitionen 3. Entwertung Die massivste Form ist die Entwertung einer Botschaft. Ihre eigentliche Aussage lautet: Du existierst nicht!. Watzlawick zitiert an dieser Stelle Ronald D. Laing und William James. Eine unmenschlichere Strafe könnte nicht erfunden werden als dass man wenn dies möglich wäre in der Gesellschaft losgelassen und von allen ihren Mitgliedern völlig unbeachtet bleiben würde. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass eine derartige Situation zum Selbstverlust führen würde. Die Entwertung, die wir bei pathologischer Kommunikation finden, hat nichts mehr mit Wahrheit oder Falschheit sofern diese Begriffe hier überhaupt anwendbar sind von A s Selbstdefinition zu tun; sie negiert vielmehr die menschliche Wirklichkeit von A als dem Autor dieser Definition. Mit anderen Worten, während eine Verwerfung letztlich auf die Mitteilung Du hast in Deiner Ansicht über Dich unrecht hinausläuft, sagt die Entwertung de facto Du existierst nicht! Oder um dies noch schärfer auszudrücken: Während die Bestätigung und Verwerfung der Selbstdefinition des Anderen in der formalen Logik den Begriffen von Wahrheit und Falschheit entsprechen, entspricht die Entwertung dem Begriff der Unentscheidbarkeit. (Watzlawick u.a. 2000, S. 85 ff.) 8

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