Frisst Energie die Nahrung? Chancen und Risiken der Ethanolerzeugung aus Zuckerrohr in Brasilien Eine gemeinsame Stellungnahme der CAPA (Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor, Brasilien) und des AME (Entwicklungspolitischer Arbeitskreis der Evangelischen Landjugend in Bayern, Deutschland) Mal. Cândido Rondon, Verê, Pappenheim, April 2008 Einleitung Die Gewinnung von Treibstoff aus Biomasse erscheint als einfache Lösung für globale Probleme wie Klimawandel und Ölknappheit. Weltweit boomt der Anbau von Biomasse und Investoren setzen auf die Energie vom Acker. Ethanol, gewonnen aus Zuckerrohr, ersetzt Benzin und hat von allen regenerativen Kraftstoffen weltweit die größte Verbreitung. Brasilien steht wegen seines enormen Potentials zur Erzeugung von Energie im Zentrum dieser Entwicklung. Es ist klar, dass in Zukunft Änderungen in der Struktur der Energieversorgung nötig sind. Die Frage ist jedoch, wie dies geschehen soll. Die Auswirkungen des Anbaus von Zuckerrohr zur Erzeugung von Ethanol müssen diskutiert und untersucht werden. Die CAPA (Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor, Zentrum zur Unterstützung der Kleinbauern, Brasilien) und der entwicklungspolitische Arbeitskreis der Evangelischen Landjugend in Bayern (AME) legen deshalb eine gemeinsame Stellungnahme zur Ethanolerzeugung in Brasilien vor. Dabei gehen die beiden Gruppen von unterschiedlichen Hintergründen aus. In Deutschland besteht in weiten Teilen eine bäuerliche, familiäre Landwirtschaft mit Betrieben kleiner und mittlerer Größe. Die Nutzung der Energie vom Acker wird hier grundsätzlich als Chance für die bäuerliche Landwirtschaft und die Entwicklung der ländlichen Räume gesehen. In Brasilien ist die Landwirtschaft von extremen Gegensätzen geprägt. Millionen von Kleinbauernfamilien, die nur einige Hektar Land bewirtschaften, stehen wenigen Großgrundbesitzern gegenüber, die politischen Einfluss besitzen und vor allem für den Export produzieren. Da der Zuckerrohranbau hauptsächlich in diesen großen Strukturen geschieht, sind Fragen einer Ausweitung der Energieerzeugung in vielerlei Hinsicht anders zu bewerten als in Deutschland. So befürchtet die CAPA, dass die 1
aktuelle Situation nur als Vorwand dient, um unter dem Deckmantel einer scheinbaren Besorgnis um die Umwelt gute Geschäfte zu machen. Vorraussetzungen für die Gewinnung von Ethanol in Brasilien Sonne und Fläche als natürliche Ressourcen Historisch gesehen verfügt Brasilien über zwei wichtige strategische Vorteile: Zum einen wird seit Jahrhunderten Zuckerrohr angebaut, zum anderen wurde bereits in den siebziger Jahren, anlässlich der ersten Ölkrise, das Pró-Álcool Programm eingeführt. Brasilien ist das fünftgrößte Land der Erde. Nach Schätzungen des brasilianischen Umweltministeriums können in Zukunft bis zu 100 Millionen Hektar an Fläche landwirtschaftlich erschlossen werden. Zum Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland besitzt eine Gesamtfläche von ca. 36 Millionen Hektar. Einen Mangel an Fläche zur Erzeugung von Energie aus nachwachsenden Rohstoffen scheint es also vorerst nicht zu geben. Das Zuckerrohr, aus dem Ethanol gewonnen werden kann, wird zur Zeit auf sechs bis sieben Millionen Hektar angebaut. Die zweite wichtige Energiefrucht ist Soja, das zur Gewinnung von Biodiesel genutzt wird. 2006 wurden Sojabohnen auf 22 Millionen Hektar angebaut, wobei ein vergleichsweise geringer Anteil dieser Fläche -nur ca. 2 % oder knapp eine halbe Million Hektar - auf die energetische Nutzung entfiel. Auch hier sind Steigerungen zu erwarten. Zuckerrohr ist eine ertragreiche Pflanze, pro Hektar können in Brasilien bis 6000 Liter Ethanol aus Zuckerrohr erzeugt werden. Der in den USA angebaute Mais bringt hingegen nur Erträge von 3500 Liter Ethanol. Schätzungen zufolge soll in Brasilien die Produktion von Bioethanol aus Zuckerrohr bis 2010 auf 25 Milliarden Liter steigen. Aktuell wird 40 % des Zuckerrohrs für energetische Zwecke genutzt und damit 17 Milliarden Liter Ethanol erzeugt. Die Produktion von Zuckerrohr konzentriert sich auf die Staaten São Paulo und Paraná sowie auf den Nordosten des Landes. Nach Aussage der Unica (União da Agroindústria Canavieira de São Paulo) besitzt das Land die theoretische Kapazität, um ein Viertel der weltweiten Nachfrage an Ethanol zu decken. Diese Entwicklung bliebe nicht ohne Folgen: Auch gegenwärtig geschützte Regionen müssten erschlossen werden. Brasiliens Autofahrer tanken Alkohol In Brasilien wird seit Jahren dem Kraftstoff Alkohol beigemischt. Der Anteil an Ethanol im Benzin ist gesetzlich geregelt und beträgt 20 bis 25 %. Auch reines Ethanol ist an den Tankstellen erhältlich. Neben Umweltgründen (Reduzierung des Schadstoffausstoßes) sind dafür hauptsächlich die niedrigen Kosten verantwortlich: Ethanol ist wesentlich billiger als herkömmliches Benzin, es enthält allerdings auch 30 % weniger Energie. In Brasilien fahren Autos zunehmend mit der so genannten Flexible- Fuel-Technik, mittlerweile sind es 80 % aller Neuzulassungen. Mit diesen Fahrzeugen lässt sich sowohl Benzin als auch reines Ethanol tanken. 2
Die Herstellungskosten sind in Brasilien mit 0,17 Euro pro Liter weitaus günstiger als in den USA (0,25 Euro) und Europa (0,45 Euro). 2006 wurden 3,4 Milliarden Liter Ethanol exportiert, vor allem in die USA (2,2 Milliarden Liter), aber auch in die Niederlande, nach Schweden und Japan. Die US-Regierung möchte den Verbrauch von konventionellem Treibstoff bis 2017 um 20 % reduzieren, um weniger abhängig von Erdöl zu sein. In den USA wird Ethanol hauptsächlich aus Mais gewonnen. Chancen und Risiken des Ethanolbooms Chancen für das Klima - Ethanol aus Zuckerrohr hat eine günstige CO 2 -Bilanz Die Verbrennung von Biokraftstoffen wie Ethanol oder Biodiesel ist grundsätzlich klimaneutral, da die Pflanzen das bei der Verbrennung freigesetzte CO 2 zuvor aus der Atmosphäre aufgenommen haben. Zusätzliche Emissionen von Treibhausgasen und ein weiterer Energieverbrauch entstehen jedoch beim Anbau und der Ernte. Das liegt einerseits am Dieselverbrauch, andererseits sind stickstoffhaltige Düngemittel für die Freisetzung des Treibhausgases Distickstoffoxid verantwortlich. Auch beim Transport der Produkte und der Herstellung des Ethanols wird Energie verbraucht und Treibhausgas freigesetzt. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren hat Zuckerrohr im Vergleich zu anderen Energiepflanzen, wie beispielsweise Mais, die günstigste Bilanz. Ersetzt man Benzin durch Ethanol aus Zuckerrohr, so wird dadurch vergleichsweise weniger Kohlendioxid in die Umwelt abgegeben. Zusätzlich gilt Ethanol aus Zuckerrohr wegen des niedrigen Schadstoffausstoßes als besonders umweltfreundlich. Benzin und Ethanol, gewonnen aus Mais, verbrennen weniger sauber. Ethanol aus Zuckerrohr günstige Energiebilanz Die Energiebilanz für Ethanol aus Zuckerrohr ist im Vergleich zu anderer Biomasse ebenfalls sehr günstig. Ein Vorteil des Zuckerrohrs ist, dass ein Nebenprodukt, nämlich die faserigen Bestandteile (die so genannte Bagasse) energetisch genutzt werden kann und damit die Bilanz verbessert wird. Es wird mehr Energie erzeugt, als im gesamten Prozess der Herstellung eingesetzt wird. Aus energetischen Gründen ist es sinnvoll, Ethanol aus Zuckerrohr zu gewinnen. Unabhängigkeit vom Erdöl Als Alternative zum Erdöl kann die Nutzung von Bioenergie volkswirtschaftliche Vorteile bringen. Im Land erzeugte Energie bringt eine stärkere Unabhängigkeit von Ölimporten und Chancen für den Export, spart Devisen und schafft eine größere Sicherheit in der Energieversorgung. Monokulturen - ein Risiko für die Umwelt Eine Ausdehnung der Zuckerrohr-Anbauflächen führt zwangsläufig zu großen Monokulturen. Die Ausbreitung der Monokulturen verursacht einen Verlust der Bodenfruchtbarkeit und fördert das Auftreten von Pflanzenkrankheiten und Schädlingen und das, obwohl Zuckerrohr eine genügsame und robuste Pflanze ist. Unter diesen Bedingungen werden große Mengen an Dünger benötigt, was die Produktionskosten steigert und auch zu einem unvermeidbaren Verlust der biologischen Vielfalt führt. Durch den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln wird die Umweltverschmutzung 3
und die Belastung der Gewässer zunehmen. Zu befürchten ist auch eine verstärkte Erosion der Böden. Trotz guter Energiebilanz ist also eine ungünstige Umweltbilanz zu erwarten. Ackerflächen verdrängen Regenwald Ein wichtiger Kritikpunkt der Expansion des Zuckerrohranbaus ist eine Verlagerung des Anbaus von Soja und der Viehhaltung in Richtung Amazonas, damit an anderen Standorten Zuckerrohr angebaut werden kann. Denn wie die Vergangenheit zeigte, breitet sich die Landwirtschaft dort aus, wo das Land am billigsten ist. Es ist zu befürchten, dass der Regenwald des Amazonas durch die Ausweitung der Produktion von Ethanol in Gefahr gerät. Eine Abholzung des Regenwaldes zerstört nicht nur unwiderruflich das Ökosystem - es werden auch große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt, was den Treibhauseffekt verstärkt. Es ist also widersprüchlich, wenn die Welt sich einerseits um den Erhalt von Naturschutzgebieten wie Pantanal, Cerrado oder Amazonas besorgt zeigt, aber auf der anderen Seite von Brasilien eine Ausdehnung der Landwirtschaft zur Ethanolerzeugung erwartet wird. Konkurrenz um die Fläche - Energie verdrängt Nahrung Der Anstieg des Zuckerrohranbaus wird die Flächen zur Erzeugung von Nahrungsmitteln verringern. Wenn immer mehr Ackerflächen für die Erzeugung von Ethanol genutzt werden, so kann das die Versorgung mit Lebensmittel verschlechtern und die Preise von Lebensmitteln erhöhen. In Mexiko führte Anfang 2007 die verstärkte Nachfrage der USA nach Ethanol dazu, dass sich viele Menschen das Grundnahrungsmittel Mais nicht mehr leisten konnten. Die Folge war eine Lebensmittelkrise im Land. Zuckerrohr ein sozialer Sprengstoff In Brasilien besitzen circa 10 % der Bevölkerung rund 80 % des Landes. 4000 Großgrundbesitzer verfügen über 85 Millionen Hektar Land. Viele Flächen bleiben ungenutzt. Auf der anderen Seite gibt es 13 Millionen Kleinbauern und viereinhalb Millionen Familien, die ohne Landbesitz sind, zum Beispiel als Tagelöhner. Riesige Plantagen mit Zuckerrohr oder Soja verdrängen schon heute die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Eine Ausdehnung des Zuckerrohr-Anbaus lässt eine Verschärfung der bestehenden Landkonflikte zu Lasten der Familienbetriebe befürchten. Große Agrarunternehmen werden sich auf den landwirtschaftlichen Flächen ausdehnen und damit den Bestand vieler Familienbetriebe gefährden. In Brasilien spricht man in diesem Zusammenhang davon, dass die Süße des Zuckerrohrs für viele Familien eine bittere Zukunft bedeuten kann. Die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen sind hart und erinnern zum Teil an die Kolonialzeit: Schwere körperliche Arbeit, schlechte Unterbringung, bisweilen Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns. Häufig sind die Arbeitskräfte Saisonarbeiter, die für drei bis vier Monate in der Zuckerrohrernte arbeiten. Die aktuelle soziale Situation führt zu Diskussionen über die Vor- und Nachteile der Mechanisierung der Zuckerrohrernte. Dadurch würde die harte Arbeit erleichtert werden, die aber wiederum für viele Familien die einzige Form des Überlebens bedeutet. 4
Forderungen von CAPA und AME Senkung des weltweiten Energieverbrauchs Ein Umschwenken auf Biomasse ohne eine drastische Senkung des Energieverbrauchs wird sich als Sackgasse erweisen. Nötig ist eine Änderung der Lebensweise im Sinne der Nachhaltigkeit, von uns allen, unseren Gemeinschaften, Ländern und der ganzen Welt. Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um den Energieverbrauch zu senken. Auch Entwicklung neuer Techniken, z.b. zur Verwertung von Reststoffen oder die BTL-Technik (Biomass-to-Liquid) muss deshalb konsequent voran gebracht werden. Kontrollierter Anbau Ethanol aus Zuckerrohr kann wegen seiner günstigen Energie- und CO 2 -Bilanz eine geeignete Alternative zum Erdöl sein. Allerdings sollte die Entwicklung in Maßen geschehen, da sonst viele unerwünschte Auswirkungen zu erwarten sind. Wir sind nicht damit einverstanden, dass letztlich weniger Menschen der Zugang zu Nahrung gewährt wird, nur um den Energiebedarf eines kleinen Teils der Weltbevölkerung zu befriedigen. Der Energieboom darf nicht dazu führen, dass der Hunger in Brasilien zunimmt. Da eine Ausdehnung des Zuckerrohranbaus indirekt die Landwirtschaft in Richtung Regenwald ausdehnen kann, ist ein konsequenter Schutz, beispielsweise des Amazonas-Regenwaldes und der Überflutungsgebiete des Pantanal erforderlich. Dezentraler Anbau und Stärkung kleinbäuerlicher Produktionssysteme Das Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor und der entwicklungspolitische Arbeitskreis der Evangelischen Landjugend in Bayern setzen sich für eine Landwirtschaft ein, bei der die Familie und die Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen. Der Nutzen der Ethanolerzeugung muss bei den Kleinbauern ankommen und darf die soziale Ungleichheit nicht noch verstärken. Die Agrartreibstoffe dürfen nicht unter der Kontrolle einiger Agrarindustrieller stehen und einen großen Teil der Bevölkerung von der Entwicklung ausschließen. Es ist möglich, zu dezentralisieren und Zuckerrohr im kleinbäuerlichen Umfeld anzubauen anstatt Monopolstrukturen aufzubauen. Nahrungsmittel und Agrartreibstoffe müssen in ausgeglichener, nachhaltiger und sozial gerechter Form produziert werden, mit geringsten Auswirkungen auf die Umwelt. Eine funktionierende kleinbäuerliche Landwirtschaft schafft Arbeit und Einkommen für Millionen von Menschen im ländlichen Raum Brasiliens. Die Stärkung der Kleinbauern bleibt ein wichtiges Ziel. Um es mit den Worten der CAPA auszudrücken: Die natürlichen Ressourcen des Planeten müssen geteilt werden, auf vernünftige Weise, gewissenhaft, gerecht und solidarisch, um nicht von einer stärkeren Schicht geraubt zu werden! 5
Adressen der Verfasser: AME Entwicklungspolitischer Arbeitskreis der Evangelischen Landjugend in Bayern (ELJ), Stadtparkstr. 8-17, 91788 Pappenheim, Tel. 09143 604-30, peter.schlee@elj.de CAPA Centro de Apoio ao Pequeno Agricultor CAPA Núcleo Mal. Cândido Rondon: Rua Rio de Janeiro,1143, 85960-000 Mal. Cândido Rondon, Paraná/ Brasilien Tel. +55 (45) 3254-2820, rondon@capa.org.br CAPA Núcleo Verê: Av. Getúlio Vargas, 364, 85585-000 Verê, Paraná/ Brasilien, Tel. +55 (46) 3535-1119, vere@capa.org.br 6