Mythen vom Wachkoma. Boris Kotchoubey (Tübingen)

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Transkript:

Mythen vom Wachkoma Boris Kotchoubey (Tübingen) Danksagung: Simone Lang, Tao Yu, Vladimir Bostanov, Michael Rieß, allen Ärzten und Patientenangehörigen!

Antike Mythen

M1. WK-Patienten sind entweder morphologisch oder zumindest funktional dekortiziert (entspricht dem griechischen a-pallisch = ohne Hirnrinde ) N1 Die N1-Komponente vorhanden bei 43 von den untersuchten 56 Patienten mit Diagnose PVS (41 von 45 Patienten mit EEG > 4 Hz) -100 100 300 500 700 900 Irgendeine kortikale Antwort gefunden bei 47 von den 56 Patienten mit Diagnose PVS (bei allen 45 Patienten mit EEG > 4 Hz)

These 1. Keine kortikale Reizverarbeitung bei PVS

Mythen mittleren Alters

M2. Kortikale Verarbeitung finden ausschließlich in den primären Arealen statt (z.b. Laureys et al., 2005: Abgemilderte Version des Mythos 1) -15-10 -5 0 5 10 15 P300 0 200 400 600 Die P300 als Reaktion auf einen Zielreiz entsteht in einem breiten Netzwerk in Temporal- und Parietallappen mit Beteiligung von Hippokampus und cingularem Kortex Die P300-Komponente vorhanden bei 14 von den untersuchten 56 Patienten mit Diagnose PVS (14 von 45 Patienten mit EEG > 4 Hz)

These 2. Kortikale Verarbeitung ausschließlich in den primären sensorischen Arealen Differenz zwischen metabolischen Aktivierungen auf sinnvolle Bilder vs. sinnlose visuele Reize gleicher Farbe und Intensität: Owen et al. 2002

M3. Alle WK-Patienten sind gleich (zumindest innerhalb einer bestimmten Ätiologie) Benignes vs. malignes EEG-Muster: Erhaltene Funktionen thalamo-kortikaler Schleifen Benignes EEG: Langsamer Alpha oder Theta (4-9 Hz) Gefunden in ALLEN (N=70) MCS Patienten, vielen (45 von 57) PVS Patienten, einigen (18 von 44) Patienten in akutem Koma und vielen anderen schwer betroffenen neurologischen Patienten (schwere Lähmungen, Schädel-Hirn-Traumata), ohne Bewusstseinssstörungen

Benignes vs. malignes EEG-Muster Malignes EEG: Diffuse Delta-Aktivität mit oder ohne Spikes, oder flaches EEG Gefunden in Koma und < 20% WK-Patienten

Informationsverarbeitungprozesse bei benignem und malignem EEG- Muster % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 89 33 43 benignes EEG malignes EEG 8 32 22 0 0 N1 MMN P300 Semantik

M4. Es gibt eine qualitative Grenze zwischen WK und MCS Z.B. Studien der Tilburg-Gruppe (Eilander, van Boxtel usw.): Level of Consciousness Scale (Eilander 2005) Diagnostische Grenze zwischen PVS und MCS Grenze zwischen besseren und schlechteren elektrophysiologischen Befunden

100 kein Unterschied sign.! % 80 60 40 20 0 PVS malignes EEG Semantik P300 MMN N1 1 2 3 4 5 PVS benignes EEG MCS Bewusstsein erhalten 5% significance for each group: difference from chance Gesunde

M5. VS, das länger als 1 Jahr dauert, ist permanent Faran S. et al, Late recovery from permanent traumatic vegetative state heralded by event related potentials. JNNP 2006, 77, 998-1000: Pat. HF, M22, Autounfall. EKP registriert im 6.Monat. Wiedererlangen des Bewusstseins nach 22 Monaten Amplitude (uv) Amplitude (uv) -10-5 0 5 10-5 0 5 10 Cz 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 C4 A C P600 Correct sentences Incorrect sent. -10 N400 F4-5 0 5 10 Pseudowords W ords -10 C4-5 0 5 10 B 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Time (in sec) D 15 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Time (in sec) 15 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Time (in sec) Voss U.H. et al. Possible axonal regrowth in late recovery from the minimally conscious state. J Clin Invest 2006, 116, 2005-11: Besserung nach 19 Jahren im MCS

und weitere Mythen, z.b. WK sei eine diffuse und undifferenzierte Hirnläsion 60 50 40 30 20 10 0 Li > Re prosodische Reize semantische Reize Re > Li Weitere Hinweise auf lokal differenzierte Hirnschädigungen bei VS und MCS: Plum F et al.1998, 353, 1929-33 (PET); Schiff ND et al. 1999, 11, 650-6 (PET); Laureys S. 2004, 19, 335-41; (PET) Schiff ND et al. 2005, 64, 514-23 (fmri); Owen A et al. 2005, 15, 290-306 (PET+fMRI); Schiff ND. 2006, 21, 388-97 (PET+fMRI) Wer auf einfache Reize nicht anspricht, könne auf komplexere Reize schon sowieso nicht reagieren! -2 Pz -1 0 1 2 Sinustöne häufige Reize seltene Reize -200 0 200 400 600 800 Komplexe harmonische Töne

Mythen von heute

M6. Bewusstsein ist die Fähigkeit eine verbale Instruktion zu befolgen A. Owen et al., Science 2006, 313, p. 1402

Befolgen einer Instruktion Cruse et al. (Lancet 2011): Three of 16 VS patients (19%) could repeatedly and reliably generate appropriate EEG s to two distinct commands - Sprachverständnis - Compliance - Andauernde Aufmerksamkeit - Kurzzeitgedächtnis - Vorstellungkraft Funktioneller Locked-in Syndrom

fmri: BOLD-Reaktionen auf Schmerz no partial normal VS no partial normal MCS

Schmerzschreie anderer Personen

Schmerzschreie anderer Personen no partial normal no partial normal VS MCS Patient MM, F, 70, subarachnoidal haemorrhage

no partial normal no partial normal Schmerzreize Schmerzschreie no partial normal Instruktion (nach Owen et al 2006)

M7. Moderne technische Verfahren erlauben uns das Bewusstsein im Gehirn sehen?

Ob wir einen Patienten ansprechen, streicheln, EEG registrieren oder einen kernspintomographischen Scan durchführen in allen Fällen sind wir mit ihm/ihr in einem Kommunikationsvorgang. In allen Fällen signalisieren wir unsere Nähe dem Patienten, erhalten seine Signale und deuten sie (z.b. als Signale der Präsenz des Bewusstseins). Der Unterschied besteht nur darin, welche Signale. Der Kommunikationsvorgang ist aber prinzipiell der gleiche. In keinem der Fälle können wir das Bewusstsein eines Patienten unmittelbar erfassen. -3 PZ µv 0 3-100 500 time (ms)

Fazit 1. Als Zustand einer Areaktivität trotz Wachheit bleibt Wachkoma rätselhaft. Einige Mythen über diesen Zustand sind bereits zurückgewiesen: a) WK-Patienten sind nicht dekortiziert b) Dabei können auch höhere assoziative Rindenregionen aktiv sein c) WK-Population ist sehr heterogen d) Klinische Besserung nach Jahren in WK und MCS ist zwar wenig wahrscheinlich aber nicht unmöglich e) Patienten können auf physikalisch sehr komplexe Reize reagieren f) Zwischen WK und MCS ist ein fließender Übergang, keine feste Grenze, usw. 2. Leider bringt uns neues Wissen über WK nicht nur Klarheit, sondern auch neue Märchen und Legenden, was m.m.n. zum großen Teil an den Medien liegt. 3. Licht im Nebel kann Sichtverhältnisse zeitweise sogar verschlechtern; dennoch braucht man mehr Licht!