Lagerungsschwindel von Dr. med. Béla Büki Autor: Dr. med. Béla Büki, HNO-Klinik, Karl Landsteiner Universität, Krems, Österreich, E-Mail:bukibela@hotmail.com Einleitung: Bei dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) bewegen sich Otokonien der linearen Beschligungssensoren (Otolithenorganen) in die Winkelbeschleunigungssensoren (Endolymphe der Bogenänge), und das macht die Bogengänge gegenüber der Schwerkraft empfindlich. Die utrikulären Otokonien können sich in jeden Bogengang hineinbewegen bzw. sich auf jeder Ampulla anheften. Bewegungen der Otokonien können Nystagmen und Schwindel auslösen. Zurzeit sind diese Nystagmen, ausgelöst durch Provokationsmanöver mit Kopfpositionsänderung, das diagnostische Kriterium für einen BPLS. Ziel des Vortrages ist, die Hypothesen bezüglich der verschiedenen Nystagmustypen zusammenzufassen und auf die spezifische Therapie hinzuweisen. Da Endolymphbewegungen im Bogengang einen Nystagmus in der Ebene des Bogenganges auslösen, ist es möglich, anhand der Beobachtung dieser Augenbewegungen den betroffenen Bogengang zu identifizieren, um die entsprechenden Befreiungsmanöver einleiten zu können. Methode: Dieser Vortrag ist eine Literaturübersicht, basierend an relevanten, aktuellen Literaturstellen bezüglich der dreidimensionalen Struktur des Labyrinths und klinischen Daten über Provokationsnystagmen. Ergebnisse, Diskussion: Laut aktueller Definition des BPLS muss ein Nystagmus durch Kopfbewegungen ausgelöst werden können, entweder in der seitlichen Kopfhängelage (Dix-Hallpike Position (DH-Position)) oder in der seitlichen Horizontallage. Unter Kanalolithiasis verstehen wir, dass sich die Otokonien in den Bogengängen frei bewegen; unter Kupulolithiasis, dass die abgelösten Kristalle an der Ampulla anhaften und diese durch ihr Gewicht verbiegen. Klassische, in der Literatur anerkannte Varianten: Kanalolithiasis des posterioren : Für die Untersuchung der vertikalen Bogengänge wird das Dix-Hallpike (DH)- Manöver verwendet. Bei der posterioren Kanalolithiasis in DH-Position richtet sich die schnelle Phase vertikal nach oben und es gibt zusätzlich eine rotatorische Komponente, wobei sich der obere Augenpol während der schnellen Phase in die Richtung der betroffenen Seite aus der Sicht des Patienten dreht. Der Nystagmus ist also vertikal-rotatorisch beim Blick geradeaus. Da die Achse des Nystagmus zu den Bogengängen und daher zum Kopf fixiert ist, ist sie auch unabhängig von der Blickrichtung. Wenn die Pupillen in die Richtung der Achse des Bogenganges gedreht sind (z. B. beim BPLS des rechten posterioren bei einem Blick 45 Grad nach rechts), dann liegen die Pupillen genau in der Achse des Nystagmus und dieser ist dann rein rotatorisch. Wenn sie dagegen 45 Grad nach links blicken, dann liegen sie parallel zur Ebene des Bogenganges und dann ist die Bewegung der www.fg-hno-aerzte.de Seite 1
Pupillen eher rein vertikal. Beim Aufsitzen aus der Kopfhängelage spielt sich alles (Endolymphbewegung und Nystagmus) in die Gegenrichtung ab. Der Patient verspürt erneut Schwindel und Übelkeit. Kanalolithiasis des horizontalen : Die horizontalen Bogengänge werden in der seitlichen Horizontallage untersucht. Wir verursachen einen geotropen horizontalen Nystagmus in die Richtung des unten liegenden Ohres, wenn wir den Kopf des Patienten in Rückenlage zur Seite drehen. Dieser Nystagmus wird durch hinuntersinkende Teilchen im horizontalen Bogengang verursacht. Der Nystagmus ist stärker ausgeprägt in der Seitenlage der erkrankten Seite. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Endolymphströmung in Richtung der Ampulle ( on-direction ) den Bogengang stärker aktiviert als in die Gegenrichtung ( off-direction ). Kupulolithiasis des horizontalen : Es kommt immer wieder vor, dass Teilchen an der Kupula des horizontalen Bogenganges anhaften und dadurch die Sinneszellen gegenüber der Schwerkraft empfindlich machen. Dies kann spontan nach einem BPLS des posterioren oder in Folge einer Reposition auftreten. Bei der Kupulolithiasis des horizontalen klagen die Patienten über leichten, lageabhängigen Drehschwindel. Wird während der Untersuchung der Kopf im Liegen zur Seite gedreht, so findet sich ein apogeotroper horizontaler Nystagmus, das heißt, die schnelle Phase des Nystagmus schlägt in die Richtung des oberliegenden Ohres. Die Beschwerden bei der Kupulolithiasis des horizontalen sind nicht so leicht erschöpfbar und auch nicht so leicht zu beheben wie bei einem BPLS des posterioren. Hypothetische, noch nicht anerkannte oder kontrovers diskutierte Varianten: Kanalolithiasis und Kupulolithiasis des superioren : Bei diesem Krankheitsbild schwimmen die Teilchen im superioren Bogengang oder haften an dessen Kupula; beide Mechanismen sollten ähnliche Nystagmen auslösen. Die Ebene eines superioren ist identisch mit der Ebene des gegenseitigen posterioren. Die Orientierung der Ampullen ist aber entgegengesetzt. In der linken Kopfhängelage wird dann ein vertikal nach unten schlagender ( downbeat ) Nystagmus mit einer rotatorischen Komponente provoziert. Dabei rotiert der obere Augenpol während der schnellen Phase in die Richtung des oben liegenden Ohres. Wenn dieser Nystagmus von beiden Seiten auszulösen ist, dann schlägt die schnelle Phase der Rotation immer in die Richtung des betroffenen Ohres. Wegen der Position der oberen Bogengänge sollte diese Variante, wenn sie überhaput existiert, selten vorkommen. Kupulolithiasis des posterioren : Laut neuesten und noch nicht bewiesenen, hypothetischen Überlegungen (Büki Otol Neurotol 2013) sollte bei der posterioren Kupulolithiasis kein Nystagmus entstehen, da die Kupula, wenn der Patient sitzt, durch das Gewicht der Otokonien nach unten deflektiert ist, und diese Neigung der Kupula in der DH-Position sich nicht ändert. Eine Ausnahme bildet eine mehr inferiore anatomische Variation der Ampulla (oder die DH-Position ist mehr nach unten geneigt). In diesem Fall könnte ein peripherer downbeat-nystagmus enstehen (wie Cambi et al 2013 das beschrieben haben). Dieser kann im Prinzip nicht von einer kontralateralen anterioren Kanalo- www.fg-hno-aerzte.de Seite 2
/Kupulolithiasis unterschieden werden. Short arm Kanalolithiases: Abgelöste Otokonia können hypothetisch auch in den kurzen Arm der Bogengänge hineinfallen. Im Falle einer horizontalen short-arm Kanalolithiasis sehen wir die paradoxe Umkehr der Nystagmusrichtung in der provokativen Lage, in einer posterioren short-arm Kanalolithiasis ist es kein Nystagmus zu erwarten. Therapie: Bei der posterioren Kanalolithiasis werden seit 1992 die Teilchen durch einen speziellen Bewegungsablauf (Repositionsmanöver) entlang dem Bogengang bis zur Mündung des Kanals in den Utrikulus hinausbewegt (Epley 1992). Im Prinzip wäre es ausreichend, das Manöver einmal durchzuführen. Epley führt es so oft durch, bis die Beschwerden durch eine Lagerung nicht mehr provozierbar sind. Das Epley Manöver entspricht eigentlich einem Purzelbaum nach hinten, durchgeführt in einer Sackgasse, das heißt, mit einer U-Wende in der Mitte. Es ist möglich, dass während der Reposition die Teilchen in einen anderen, meist in den horizontalen Bogengang gelangen, welche dann ebenfalls durch Repositionsmanöver zu entfernen sind. Als Therapie für den BPLS des horizontalen dient die Grillhühnchen- Rotation ( barbecue-rotation ). Diese mehrmalige seitliche Drehung sollte aus der Rückenlage beginnen und in die Richtung der gesunden Seite durchgeführt werden. Fälle mit Kupulolithiasis können mit wiederholten DH-Manövern therapiert werden. Zentral oder peripher? Ein durch Lagewechsel provozierter Nysatgmus kann sowohl periphere als auch zentrale Ursachen haben. Eine sichere Differenzierung rein auf klinischer Basis ist oft nicht eindeutig möglich. Natürlich ist ein peripherer Lagerungsnystagmus sehr häufig und zentrale Ursachen, welche ohne andere neurologische Zeichen alleine einen peripheren Lagerungs- oder Lagenystagmus aufweisen, selten. Wenn daher in der Praxis mit einem Epley-Manöver nicht eine sofortige Besserung erreicht werden kann und/oder andere Verdachtsmomente (Nystagmus welcher nicht ganz eindeutig in ein peripheres Krankheitsbild hineinpasst, hohes Alter, vaskuläre Risikofaktoren, Zuckerkrankeit, Hypertonie usw.) hinzukommen, dann sollte unbedingt eine neuroradiologische Abklärung durchgeführt werden. Die Diagnose eines peripheren Downbeats Nystagmus sollte immer nur nach Ausschluss einer ernsthaften zentralen Pathologie, wie z.b. eines Kleinhirn-Tonsillentiefstandes im Rahmen eines Arnold- Chiari-Syndroms oder eines Kleinhirntumors in der Vermis-Region, in Erwägung gezogen werden. Sakkuläre Otokonien: Obwohl sakkuläre Otokonien früher degenerative Erscheinungen aufweisen als die Otokonien im Utrikulus (Ross et al 1976), kann natürlich nur durch die Dyslokation von utrikulären Otokonien ein BPPV ausgelöst werden, weil dazu müssen sich die Otokonien und die Bogengänge im selben Flüssigkeitsraum befinden. Der Sakkulus ist mit dem Utrikulus durch den utrikulosakkulären Ductus verbunden, eine andere Verbindung, der Ductus reuiniens geht zur Kochlea. In der Endolymphe der Kochlea ist die Kalzium-Konzentration noch niedriger als im Utrikulus (20 µm), sollte sie erhöhen, wäre die Funktion der Haarzellen gehemmt. Deswegen haben schon früher Autoren eine pathogenetische Rolle der sakkulären Otokonien bei Hörsturz und Hörverminderung vorgeschlagen. Otokoniale Matrixen wurden nicht nur im Ductus www.fg-hno-aerzte.de Seite 3
reuniens, sondern auch weiter oben in der Kochlea gefunden (Gussen 1980) und eine Blockierung des Ductus reuniens wurde als hypothetische Ursache des kochleären Hydrops angenommen. Fazit: BPLS ist leicht und sehr erfolgreich behandelbar. Während der Diagnose muss die Ebene (Achse) des Nystagmus im dreidimensionalen Raum vorgestellt und in dieser Ebene die Repositionsmanöver eingeleitet werden. Neuste, noch nicht verifizierte Überlegungen öffnen die Diagnose in Richtung Fälle ohne Nystagmus in der provozierenden Dix-Hallpike Position. Laut unseren Erfahrungen kann dadurch die Zahl der Fälle mit Schwindel ohne Diagnose drastisch verringert werden. Literatur: 1. Büki B. Benign paroxysmal positional vertigo toward new definitions Otol Neurotol. 2014 Feb;35(2):323-8. 2. Büki, Tarnutzer. Vertigo and Dizziness, Oxford Univ. Press, 2014 3. Aw ST, Todd MJ, Aw GE, McGarvie LA, Halmágyi GM. Benign positional nystagmus. A study of its three dimensional spatio-temporal characteristics Neurology (2005) 64: 1987-1905 4. Cambi J, Astore S, Mandalà M, Trabalzini F, Nuti D. Natural course of positional down-beating nystagmus of peripheral origin. J Neurol. 2013 Jun; 260(6):1489-96. 5. Gussen R. Saccule otoconia displacement into cochlea in cochleosaccular degeneration, Arch Otolaryngol (1980) 106:161-166 Lagerungsschwindel Béla Büki HNO-Klinik, Karl Landsteiner Universität, Krems, Österreich 48. Fortbildungsveranstaltung HNO-Facharzt-Medizin in der Zukunft www.fg-hno-aerzte.de Seite 4
Einführung BPLS: Häufig, gut therapierbar Provozierter Nystagmus in der Ebene des auslösenden Die Reposition auch in der Ebene des betroffenen Methodik Literaturübersicht: 3D Rekonstruktionen des Utrikulus und Bogengänge Übersichtsarbeiten über den Provokationsnystagmus Rubrik (z.b. Rundtisch) Vortragstitel Ergebnisse/Diskussion 1. Klassische Varianten: Kanalolithiasis des posterioren Kanalolithiasis des horizontalen Kupulolithiasis des horizontalen www.fg-hno-aerzte.de Seite 5
Ergebnisse/Diskussion 2. Neue bzw. diskutierte Varianten: Kupulolithiasis des posterioren Kanalo/Kupulolithiasis des superioren Short-arm Kanalolithiasis Fazit für die Praxis BPLS ist leicht und sehr erfolgreich behandelbar. Während der Diagnose muss die Ebene (Achse) des Nystagmus im dreidimensionalen Raum vorgestellt und in dieser Ebene die Repositionsmanöver eingeleitet werden. Neuste, noch nicht verifizierte Überlegungen öffnen die Diagnose in Richtung der Fälle ohne Nystagmus in der provozierenden Dix- Hallpike Position. Laut unserer Erfahrungen kann dadurch die Zahl der Fälle mit Schwindel ohne Diagnose drastisch verringert werden. Weiterführende Literatur Büki B. Benign paroxysmal positional vertigo toward new definitions Otol Neurotol. 2014 Feb;35(2):323-8. Aw ST, Todd MJ, Aw GE, McGarvie LA, Halmágyi GM. Benign positional nystagmus. A study of its three dimensional spatio-temporal characteristics Neurology (2005) 64: 1987-1905 Cambi J, Astore S, Mandalà M, Trabalzini F, Nuti D. Natural course of positional down-beating nystagmus of peripheral origin. J Neurol. 2013 Jun;260(6):1489-96. Gussen R. Saccule otoconia displacement into cochlea in cochleosaccular degeneration, Arch Otolaryngol (1980) 106:161-166 Rubrik (z.b. Rundtisch) Vortragstitel www.fg-hno-aerzte.de Seite 6
Fragen zur Diskussion 2 Fragen vor der Diskussion 1. Wie häufig ist BPLS ohne Nystagmus? 2. Welche Art von canal-switch gibt es? www.fg-hno-aerzte.de Seite 7