KLINIK FÜR PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE Das Konzept der Verhaltenssüchte im DSM-5: klinische und neurobiologische Perspektiven sowie Therapieimplikationen Dr. Nina Romanczuk-Seiferth PPT, Dipl.-Psych. U N I V E R S I T Ä T S M E D I Z I N B E R L I N DGZ Tagung 2014, 26. September 2014 Übersicht Diagnostische Einordnung Paradigmen zur Untersuchung der Neurobiologie von Suchterkrankungen Reiz-Reagibilität und Belohnungsverarbeitung bei pathologischem Glücksspiel Hirnstrukturelle und Konnektivitätsunterschiede im Belohnungssystem Mögliche Therapieimplikationen 1
Was sind Verhaltenssüchte? Exzessive Verhaltensweisen, die Merkmale einer psychischen Abhängigkeit aufweisen und von Betroffenen willentlich nicht mehr vollständig kontrolliert werden können Beispiele sind Arbeitssucht, Kaufsucht, Pathologisches Spielen (Glücksspielsucht), Sportsucht und Sexsucht sowie Medienabhängigkeiten (Internetabhängigkeit, Computerspielsucht, Fernsehabhängigkeit etc.) Pathologisches Glücksspiel Definition Pathologisches Glücksspiel...besteht in häufig wiederholtem episodenhaftem Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt. (WHO,1992) 2
Pathologisches Glücksspiel Klassifikation Int. Klassifikation Psychischer Störungen (ICD-10): Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle > Pathologisches Glücksspiel (F63.0) Diagn. Manual Psychischer Störungen (DSM-IV): Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert > Pathologisches Spielen (312.34) Pathologisches Glücksspiel Änderung der Klassifikation im DSM-5 Einordnung von pathologischem Spielen unter der Kategorie Substance-Related and Addictive Disorders Umbenennung von pathological gambling zu gambling disorder Symptombeschreibung im DSM-5 weitestgehend ähnlich zum DSM-IV Verzicht auf das Kriterium zu illegal acts Kleinere Veränderungen der Formulierungen Erniedrigung der Schwelle von 5/10 zu 4/9 Kriterien Einfügen eines Zeitkriteriums von 12 Monaten vgl. Petry et al., 2013 3
Pathologisches Glücksspiel Pathologisches Spielen Eingenommensein Diagnosekriterien Substanzabhängigkeit Verlangen Toleranzentwicklung Kontrollverlust Entzugssymptome Toleranzentwicklung Kontrollverlust Entzugssymptome Spielen als Flucht, Verlustjagd Lügen, Gefährdung soz. Beziehungen/ Arbeitsplatz, Finanzierung durch Andere Vernachlässigung anderer Lebensbereiche Psychische oder körperliche Folgeschäden Vgl. Romanczuk-Seiferth et al., im Druck Neurobiologie der Sucht Symptomkomplex Kontrollverlust Verlangen/ Craving/ Entzug Vernachlässigung anderer Lebensbereiche Experimentelle Paradigmen Exekutive Kontrolle/ Reaktionsinhibition Cue-reactivity/ Aufmerksamkeits- Bias Verarbeitung von Verstärkern Vgl. Romanczuk-Seiferth et al., im Druck 4
Cue-Reactivity - Hirnregionen Dorsales Striatum Ventrales Striatum Medialer präfrontaler Cortex Cingulärer Cortex Amygdala Heroin (Yang et al., 2009; Zijlstra et al., 2009) Kokain (Volkow et al., 2006) Alkohol (Beck et al., 2009; Braus et al., 2001; Grüsser et al., 2004; Wrase et al., 2007) Nikotin (Bühler et al., 2010; David et al., 2005, 2007) Cue-Reactivity Spielbilder > neutrale Bilder (GoNoGo) Stärkere Aktivierung bei Spielern im DLPFC (links), ventralen Striatum (rechts) und ACC (rechts) Van Holst et al., 2012 5
Cue-Reactivity Black Jack Stärkere Aktivierung im ventralen Striatum und post. Cingulum Signalanstieg bei Hochrisiko- Situationen bei Spielern Miedl et al., 2010 Neurobiologie der Sucht Symptomkomplex Kontrollverlust Verlangen/ Craving/ Entzug Vernachlässigung anderer Lebensbereiche Experimentelle Paradigmen Exekutive Kontrolle/ Reaktionsinhibition Cue-reactivity/ Aufmerksamkeits- Bias Verarbeitung von Verstärkern Vgl. Romanczuk-Seiferth et al., im Druck 6
Neurobiologie der Sucht Drugs divert motivational resources away from conventional rewards towards drug rewards Nesse & Berridge, 1997 Belohnungsverarbeitung Pathologisches Glücksspiel Verminderte Aktivierung des ventralen Striatums Kontrollen Spieler Reuter et al., 2005 7
Belohnungsverarbeitung Reuter et al., 2005; vgl. Balodis et al., 2012 Neurobiologie der Sucht Umfassende Evidenz zu hirnfunktionellen Veränderungen bei substanzbezogenen Süchten (vgl. Seiferth & Heinz, 2010) Gemeinsamkeiten und Unterschiede im direkten Vergleich der Belohnungsverarbeitung im Gehirn? 8
Belohnungsverarbeitung Knutson et al., 2000 Relativ vermehrte Aktivität im ventralen Striatum bei Antizipation von Verlusten bei pathologischen Spielern Romanczuk-Seiferth et al., 2014, epub Verlustaversion Tom et al., 2007 one unit of possible loss looms larger than one unit of possible gain (Kahneman& Tversky, 1979) Genauck et al., in Vorbereitung 9
Verlustaversion Tom et al., 2007 Genauck et al., in Vorbereitung Verlustaversion Tom et al., 2007 Genauck et al., in Vorbereitung 10
Neurobiologie der Sucht Umfassende Evidenz zu hirnfunktionellen Veränderungen bei substanzbezogenen Süchten (vgl. Seiferth & Heinz, 2010) Hirnfunktionelle Veränderungen bei pathologischen Spielern bei Verlustverarbeitung (Romanczuk-Seiferth et al., 2014, epub; Genauck et al., in Vorbereitung) Relevanz hirnstruktureller Unterschiede? Hirnstrukturelle Unterschiede Voxel-basierte Morphometrie FSL First Shape- Analyse Vermehrt graue Substanz im vlpfc und Striatum Hypertrophie des Putamen bei pathologischen Spielern Köhler, et al., 2014, eingereicht epub 11
Funktionelle Konnektivität Erhöhte Konnektivität zwischen vlpfc und Striatum rechts bei pathologischen Spielern Köhler, et al., 2013 Neurobiologie der Sucht Umfassende Evidenz zu hirnfunktionellen Veränderungen bei substanzbezogenen Süchten (vgl. Seiferth & Heinz, 2010) Hirnfunktionelle Veränderungen bei pathologischen Spielern bei Verlustverarbeitung (Romanczuk-Seiferth et al., 2014, epub; Genauck et al., in Vorbereitung) Relevante mesokotikolimbische Unterschiede im Volumen (Köhler et al., 2014, epub) sowie der funktionellen Konnektivität (Köhler et al., 2013) Veränderungen prädisponierende Merkmale? (vgl. Kühn et al., 2012) 12
Neuropsychotherapie Thematischer Überblick Verhalten Gedanken Neurobiologie Gefühle Therapieimplikationen Thematischer Überblick Senkung des Anreizes der Droge und Drogenreize Pharmakologische Modulation der präfrontalen Funktionen durch Tolcapon Grant et al., 2013 13
Therapieimplikationen Thematischer Überblick Senkung des Anreizes der Droge und Drogenreize Pharmakologische Modulation der präfrontalen Funktionen (vgl. Grant et al., 2013) Stimulation protektiver Faktoren (vgl. Heinz et al., 2007) Ressourcenaktivierung Therapieimplikationen Thematischer Überblick Senkung des Anreizes der Droge und Drogenreize Pharmakologische Modulation der präfrontalen Funktionen (vgl. Grant et al., 2013) Stimulation protektiver Faktoren (vgl. Heinz et al., 2007) Erhöhung des Anreizes von anderen Verstärkern Genußtraining Genuß braucht Zeit Genuß muss erlaubt sein Genuß geht nicht nebenbei weniger ist mehr wissen, was einem gut tut ohne Erfahrung kein Genuß Genuß ist alltäglich 14
Therapieimplikationen Thematischer Überblick Senkung des Anreizes der Droge und Drogenreize Pharmakologische Modulation der präfrontalen Funktionen (vgl. Grant et al., 2013) Stimulation protektiver Faktoren (vgl. Heinz et al., 2007) Erhöhung des Anreizes von anderen Verstärkern Schwächung von automatisiertem Suchtverhalten Beobachtungsaufgaben Spieltagebücher Ampelsysteme Verhaltensanalysen 3.Person-Perspektive Therapieimplikationen Thematischer Überblick Senkung des Anreizes der Droge und Drogenreize Pharmakologische Modulation der präfrontalen Funktionen (vgl. Grant et al., 2013) Stimulation protektiver Faktoren (vgl. Heinz et al., 2007) Erhöhung des Anreizes von anderen Verstärkern Schwächung von automatisiertem Suchtverhalten Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und des Selbstwirksamkeitserleben vgl. Motivierende Gesprächsführung Erarbeitung individuelles Störungsmodell 15
Danke für die Aufmerksamkeit und einen schönen Tag! Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie, CCM, Charité Universitätsmedizin Berlin Anne Beck, Katrin Charlet, Maria Garbusow, Alexander Genauck, Eva Hasselmann, Andreas Heinz, Saskia Köhler, Robert Lorenz, Sebastian Mohnke, Britta Neumann, Lydia Pöhland, Patricia Pelz, Nina Romanczuk-Seiferth, Torsten Wüstenberg Dank an: Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Land Berlin, DFG Graduate School 86 Berlin School of Mind and Brain 16