Symposion (29./30.11.2010): Die Mumins, Narnia und der Herr der Ringe. Tove Janssons Beitrag zur kinderliterarischen Mythen-Translation Eine (kurze) Einführung in die Theorie der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur Marco Prestel, Magister Artium Institut für deutsche Sprache und Literatur Universität Hildesheim Lübecker Str. 3 (Bühler-Campus) 31141 Hildesheim E-Mail: prestel@uni-hildesheim.de
1. Was ist? Probleme der Genre-Definition minimalistische Definitionsansätze maximalistische Definitionsansätze Fantasy der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur
kaum Definitionen von Phantastik selbst in einschlägigen Literaturlexika erste ernsthafte literaturtheoretische Auseinandersetzungen erfolgten vergleichsweise spät insgesamt: unübersichtliche u. unbefriedigende Lage Gründe 1. das wandlungsfähige und vielfältige Textkorpus 2. die allgemeine Definitionsnot im Bereich der nicht-realistischen Literatur fließende Gattungsgrenzen uneinheitliche Terminologie
Das Problem der uneinheitlichen Terminologie in der literaturwissenschaftlichen Fachdiskussion: allgemeine Literaturforschung deutschsprachige Literaturforschung Definitionsansatz A Kinder- und Jugendliteraturforschung englischsprachige Literaturforschung Definitionsansatz B usw.
Folgen in der literaturwissenschaftlichen Praxis die für eine Begriffsbestimmung des Genres notwendigen zentralen Begriffe werden z.t. völlig unterschiedlich verwendet das Phantastische die Phantastik Fantasy die verschiedenen Definitionen phantastischer Literatur unterscheiden sich überdies nicht nur hinsichtlich ihrer uneinheitlichen Fachbegriffe, sondern auch hinsichtlich ihrer Reichweite!
Phantastische Literatur lässt sich denken im engeren, weiteren und weitesten Sinne. die unterschiedlichen Definitionsversuche bewegen sich innerhalb eines s minimalistische Definition(en) maximalistische Definition(en) Definition 4 Definition 5 Definition 1 Definition 2 Definition 3 Fazit: Eine allgemeingültige, geschweige denn endgültige Definition von Phantastik bzw. phantastischer Literatur gibt es nicht!
Minimalistische Definitionsansätze bekanntester Vertreter: Tzvetan Todorov der französische Literaturtheoretiker Todorov legte 1970 das erste systematische Erklärungsmodell zur vor das vermeintlich (!) Übernatürliche wird rational erklärt unheimliche Erzählung phantastischunheimliche Erzählung übernatürliches Ereignis evoziert Unschlüssigkeit phantastische Erzählung bleibt unaufgelöst phantastischwunderbare Erzählung das Übernatürliche wird anerkannt wunderbare Erzählung
Maximalistische Definitionsansätze hier werden die Grenzen im extremsten Fall derart weit gezogen, dass jede Form von fiktionaler Literatur zur zu zählen wäre Grund: alle Literatur (selbst die sog. realistische) operiert mit erfundenen und künstlich geschaffenen, fiktiven und nicht-wirklichen, sondern nur als wirklich erscheinenden Welten damit wird der Begriff der für unsere Belange allerdings unbrauchbar! Fiktionalität sollte vielmehr als gattungsübergreifendes und konstitutives Merkmal von Literatur an sich verstanden werden.
minimalistische Definition(en) Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft Definitionsansätze zwischen den beiden Polen erweisen sich für gewöhnlich als weitgehend ungeeignet minimalistische Ansätze sind v.a. in der kinder- und jugendliteraturwissenschaftlichen Praxis fast immer viel zu strikt bzw. zu eng gefasst (z.b. Todorov) weiter gefasste Definitionen werden bevorzugt Definitionen zwischen den beiden Polen maximalistische Definition(en) Definition 4 Definition 5 Definition 1 Definition 2 Definition 3
Das Phantastische Phantastisch sind all jene literarischen Darstellungsmittel (z.b. Figuren, Requisiten, Motive, Ereignisse usw.), die von der Wahrscheinlichkeit der jeweiligen historisch-sozialen Erfahrungswirklichkeit abweichen (z.b. indem sie die Grenzen bzw. Gesetze dieser empirischen Wirklichkeit überschreiten bzw. sprengen und so Unmögliches möglich erscheinen lassen) und/oder auf der Ebene der literarischen Darstellung so miteinander verknüpft werden, wie das in der empirischen Wirklichkeit nicht oder noch nicht möglich ist Achtung: Allein das Auftreten solcher phantastischen Elemente macht einen Text noch nicht bzw. nicht zwangsläufig zu einem phantastischen Text!
Wenn die phantastischen Darstellungsmittel komplex angewendet werden und die literarische Darstellung entscheidend bestimmen mit anderen Worten: das Phantastische eine dominante, für die gesamte Textstruktur konstitutive Bedeutung erlangt, dann spricht man von Phantastik (Oberbegriff). Die (literarische) Phantastik das Phantastische die (literarische) Phantastik Märchen Mythos Sage Legende (Anti-)Utopie Science-Fiction Horror-Roman
Die Subgattung der (literarischen) Phantastik zentrales Charakteristikum: die Inszenierung eines Dualismus zweier divergierender Weltordnungen markantestes und wichtigstes Merkmal! Primärwelt real-fiktive Welt realer bzw. alltäglicher Handlungskreis Sekundärwelt phantastische Welt bzw. Anderswelt phantastischer bzw. übernatürlicher Handlungskreis
der phantastischen KJL Phantastische Erzählmodelle in der Kinder- und Jugendliteratur Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Primärwelt und Sekundärwelt unterschiedliche Arten des Verhältnisses bzw. Kontakts zwischen beiden Handlungskreisen sind denkbar traditionell werden 3 Grundmodelle bzw. -typen unterschieden diese Unterscheidung geht zurück auf Maria Nikolajeva (1988) Man unterscheidet: 1. implizierte Sekundärwelt 2. offene Sekundärwelt 3. geschlossene Sekundärwelt
der phantastischen KJL Modell 1: implizierte sekundäre Welt in die normale Alltagswelt (real-fiktiver Handlungskreis) tritt plötzlich das Phantastische (z.b. als wundersame Figur, als phantastisches Requisit, als übersinnliche Erscheinung usw.) die gesamte Handlung spielt in der alltäglich-realistischen Primärwelt die phantastische Sekundärwelt ist nicht explizit Gegenstand der literarischen Darstellung Ort der Handlung Primärwelt real-fiktive Welt Phantastisches Sekundärwelt phantastische Anderswelt
der phantastischen KJL Modell 2: offene sekundäre Welt bestimmt durch das Zusammentreffen der beiden räumlich (und/oder zeitlich) voneinander getrennten Handlungskreise, die Kontakt zueinander halten Handlungsort sind beide Welten eine wichtige Rolle spielt hier die Konstruktion des Grenzgebiets, also die Art des Übergangs zwischen beiden Welten (magische) Schwellen bzw. Schleusen oder symbolische Umsteigepunkte Primärwelt real-fiktive Welt Reisen Schwelle Schleuse in beide Richtungen möglich Sekundärwelt phantastische Anderswelt
der phantastischen KJL Modell 3: geschlossene sekundäre Welt die Handlung spielt von Beginn an in einer in sich geschlossenen phantastischen Anderswelt auf der Ebene der literarischen Darstellung existiert ausschließlich dieser eine Handlungskreis der für die charakteristische Dualismus zwischen zwei Weltordnungen (s.o.) wird zwar nicht unmittelbar auf der Handlungsebene erfahrbar, wohl aber durch die Perspektive des Erzählers bzw. des (impliziten) Lesers Primärwelt reale Welt Blick des Erzählers Blick des Lesers Sekundärwelt phantastische Anderswelt Ort der Handlung
4. phantastischen KJL Varianten bzw. Spielarten der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur (literarische) Phantastik Varianten bzw. Spielarten Fantasy Science-Fantasy Mystery Virtual Reality Novel Computer Novel
4. phantastischen KJL Fantasy bekannteste Variante bzw. Spielart der hier kann es leicht zu unglücklichen Verwechslungen bzw. begrifflichen Verwirrungen kommen: deutschsprachige Literaturwissenschaft englischsprachige Literaturwissenschaft Genre Fantasy Variante Fantasy High Fantasy Fantasy meint im Deutschen, streng genommen, einen sehr eng umgrenzten, spezifischen Typus phantastischer Literatur Fantasy ist also nicht immer das, was man v.a. landläufig darunter versteht Fantasy ist zwar immer auch ist aber nicht zwangsläufig Fantasy!
4. phantastischen KJL Merkmale der Fantasy Setting: mythische, altertümliche Anderswelten mit archaischen Sozialstrukturen keine moderne Naturwissenschaft, Technik oder andere Errungenschaften der Moderne stattdessen: altertümliche Waffen, Fabelwesen, Magie und Zauberei, Kampf Gut gegen Böse breites und liebevolles Ausmalen der phantastischen Anderswelt häufig bis ins kleinste Detail (z.b. Geschichte, Geographie, Sprache der Anderswelt) Resultat: Zyklen von nicht selten gewaltigem Umfang besonders typisch für diese Variante der : fingierte Landkarten
5. Fantasy als moderne Heldendichtung und freies Spiel mit überlieferten Mythen der Fantasy geht es primär um das Aufgreifen und Aufbereiten vormoderner Erzählstoffe in gleichsam aktualisierender Absicht und Weise antike und (indo)germanische Mythologie, antike und mittelalterliche Heldenepen, christliche Mythologie, orientalische Märchen usw. Fantasy als literarische Mischform, in der zeitgenössische bzw. moderne Elemente gleichermaßen neben archaischen bzw. vormodernen Elementen stehen Figuren und/oder Setting (z.b. Zwei-Welten-Fantasy) Fantasy als politische bzw. weltanschauliche Dichtung zentrale Themen: das vormoderne Heroentum, Macht, Herrschaft, Unterdrückung, Besitz und Reichtum
Symposion (29./30.11.2010): Die Mumins, Narnia und der Herr der Ringe. Tove Janssons Beitrag zur kinderliterarischen Mythen-Translation Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!