Deutsche Gesellschaft für pharmazeutische Medizin e.v. Versorgungssituation bei postmenopausaler Osteoporose 1. Prävalenz / Inzidenz Gesicherte Angaben zu Prävalenz und Inzidenz der Osteoporose gibt es z. Zt. für Deutschland nicht (Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998). Es wird davon ausgegangen, daß 4-6 Mio. Patienten, davon 80 % Frauen, in Deutschland an Osteoporose leiden (Osteoporose-Leitlinien Medizin. Die Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Osteoporose (DAGO)). Die Zahl der Osteoporose-bedingten Krankenhausfälle pro Jahr betrug 1994 ca. 196.000 bei Frauen und 48.000 bei Männern. Das Risiko, bis zum Tod eine Osteoporose-typische Fraktur zu erleiden, liegt für 50- jährige Frauen bzw. Männer bei 40 bzw. 13 % (hüftgelenksnahe Frakturen 18 bzw. 6 %, Wirbelkörperfraktur 16 bzw. 5 %, Unterarmfraktur 16 bzw. 3 %). Nach neueren Daten, basierend auf den Daten der EUROP-, der MEDOS- und der EVOS-Studie ereignen sich in Deutschland ca. 87.000, nach Erhebungen von zwei Krankenkassen bis zu 150.000 Oberschenkelhalsfrakturen (Kuratorium Knochengesundheit e.v.: Neueste Umfrageergebnisse des Kuratoriums Knochengesundheit, Sinsheim 1998). Aufgrund der Zunahme der Lebenserwartung und des Anteils alter Menschen in der Bevölkerung wird sich laut WHO die Inzidenz der Oberschenkelhalsfrakturen bis 2025 weltweit verdoppeln. Zusätzlich und unabhängig davon wird in Europa und auch in Deutschland eine Zunahme der altersspezifischen Inzidenzrate Osteoporose-bedingter Frakturen als säkularer Trend berichtet. Wiesner (Bundesgesundheitsblatt 1998) bezeichnet die Osteoporose als ein prioritäres Gesundheitsproblem. 2. Stand des Wissens / Therapieempfehlungen Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin hat in ihrer Leitlinien- Sammlung Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin in den Abschnitten H (Erkrankungen der endokrinen Organe und des Stoffwechsels) und I (Erkrankungen des Bewegungsapparates) Empfehlungen zur Therapie und Prophylaxe der Osteoporose herausgegeben. Daneben existieren eine Reihe von internationalen Leitlinien bzw. Empfehlungen. Aufbauend u. a. auf diesen Vorarbeiten hat die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Osteoporose, in der 13 medizinische Fachgesellschaften vertreten sind und die u. a. vom Bundesministerium für Gesundheit, dem
- 2 -../2 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, der KBV, dem AOK Bundesverband und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen beraten wurde, Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prävention 1997 publiziert. Diese Empfehlungen werden im folgenden als Basis für die Beurteilung der Qualität für die Versorgung herangezogen. 3. Versorgungssituation Eine Untersuchung an einer Stichprobe von 7.490 AOK-Versicherten aus den Jahren 1993/94 (Krappweis et al., 1999) hat deutliche Hinweise auf Versorgungsdefizite ergeben, so erhielten nur ca. 50 % der diagnostizierten Fälle, die zudem nur einen Teil der epidemiologisch erwarteten Fälle darstellen, eine Osteoporose-spezifische Therapie; und diese auch nur in unzureichendem Ausmaß: die Patienten erhielten durchschnittlich 106 DDD einer Osteoporose-Medikation für den Zeitraum von 12 Monaten. Im folgenden wird auf der Basis für Deutschland repräsentativer Daten der MediPlus-Datenbank (IMS Health) für die Zeit von Februar 1999 bis Februar 2000 die aktuelle Behandlungssituation von Frauen in der Menopause, die von Praktikern und Internisten betreut werden, dargestellt. Eine Osteoporose wurde bei 4 % (13.051) der knapp 330.000 Frauen über 50 Jahre, die in diesen Praxen behandelt wurden, diagnostiziert, davon erhielten irgendeine Form der Therapie 64,5 % (Tabelle 1). Tabelle 1 Anzahl Prozent Frauen über 50 Jahre 328.765 davon mit Osteoporose 13.051 4,0 davon behandelt 8.418 64,5 vorher Fraktur 672 5,1 Die Art der Behandlung ist in Tabelle 2 dargestellt. Im Schnitt erhält jede Behandelte 2 Therapieprinzipien, um welche es sich dabei handelt, zeigt Tabelle 3.
- 3 -../3 Tabelle 2 GKV PKV Summe # % V # % V # % V Vitamin D-Präp. 2546 32,1 145 29,2 2691 32,0 Calcium-Präp. 6254 79,0 394 79,3 6648 79,0 Fluor 2487 31,4 233 46,9 2720 32,3 Calcitonin 1245 15,7 61 12,3 1306 15,5 Östrogen/ Gestagen-Präp. 1495 18,9 119 23,9 1614 19,2 Bisphosphonate 1720 21,7 149 30,0 1869 22,2 Summe 7921 100,0 497 100,0 8418 100,0 Privatversicherte erhalten durchschnittlich 2,2 Therapieprinzipien, GKV- Versicherte nur knapp 2,0, Patienten mit vorheriger Fraktur 2,1 Therapieprinzipien. PKV-Versicherte erhalten häufiger Fluor (46,9 vs. 31,4 %), Hormone (23,9 vs. 18,9 %) und Bisphosphonate (30,0 vs. 21,7 %). Tabelle 3 VO-Muster von über 50-jährigen Patientinnen mit Osteoporose Therapie Häufigkeit in %* A 2926 37,4 D 693 8,9 B 629 8,0 C 588 7,5 AB 514 6,6 E 402 5,1 AC 344 4,4 AE 231 3,0 F 179 2,3 AF 135 1,7 ABC 122 1,6 AD 111 1,4 BC 89 1,1 ABD 76 1,0 Legende A = Calcium B = Vitamin D C = Fluor D = Bisphosphonat E = Hormonersatztherapie F = Calcitonin % auf alle VO
- 4 -../4 Aus Tabelle 1 ergibt sich, daß knapp zwei Drittel der diagnostizierten, also manifesten Osteoporose-Fälle eine medikamentöse Therapie erhalten. Werden als Basis zur Beurteilung der Qualität der Therapie die Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Osteoporose (DAGO, s.o.) herangezogen, so ist in der überwiegenden Zahl der Fälle die medikamentöse Therapie unzureichend, 37 % erhalten lediglich eine Monotherapie mit Calcium. Die Empfehlungen der DAGO sehen als Basistherapie die Kombination aus Calcium + Bisphosphonat bzw. Calcium + Hormonersatztherapie bzw. Calcium + Fluor vor, eine Therapie, die diese Kombinationen enthält, erhalten lediglich 2,4 %, 3,0 % bzw. 6,0 % der Behandelten, d. h. weniger als 12 % der überhaupt Behandelten erhalten eine dem Stand des Wissens entsprechende Therapie, wobei die Anzahl der Tagesdosen pro Jahr nicht berücksichtigt ist. Diese liegt, je nach Therapieprinzip und Präparat bei 2,1-3,3 Verordnungen pro Jahr, woraus selbst unter der sehr optimistischen Annahme, daß jeweils die größte Packung verordnet worden wäre, 108-207 Tage unter Therapie pro Jahr resultieren würden. Privatversicherte werden tendenziell besser behandelt als GKV- Versicherte. Nach neuesten US-amerikanischen Empfehlungen (Primer on the Metabolic Bone Diseases and Disorders of Mineral Metabolism, 4th edition, Official Publication of the American Society for Bone and Mineral Research, 1999, 283-288) sollte Calcium und Vitamin D als Basisversorgung immer gewählt werden (z.b. 500 mg Calcium zusätzlich und 500 1000 IE Vit. D pro Tag). Zusätzlich kann dann entweder eine Hormonersatztherapie oder ein Bisphosphonat gewählt werden. Die Empfehlungen entsprechen also gemäß Tab. 3 der Kombination A, B, E (Häufigkeit < 1%, nicht aufgeführt) oder A, B, D (letzte Position von Tabelle 3). Damit lässt sich festhalten, dass über 98% der Patienten nicht gemäß den neuen Empfehlungen behandelt werden. Da keine Daten darüber vorliegen, wieviele Frakturen durch diese offensichtliche Unterversorgung verursacht werden, kann über das Ausmaß einer Fehlversorgung z. Zt. keine valide Aussage gemacht werden.
- 5 -../5 Laut Gesundheitsbericht für Deutschland (1998) ist die Versorgungslage im Rahmen der derzeitigen ambulanten und stationären Struktur und im gegenwärtigen Inanspruchnahmeverhalten rein zahlenmäßig ausreichend. Allerdings sind spezielle Einrichtungen wie z. B. Osteoporose- Sprechstunden bis auf wenige Ausnahmen nicht vorhanden. Weiterhin fehlen speziell für die Rehabilitation von Patienten mit Schenkelhalsfrakturen geeignete Einrichtungen wie geriatrische Tageskliniken oder ambulante multidisziplinäre Rehabilitationsteams (Gesundheitsbericht für Deutschland). 4. Beurteilung Anhand der dargestellten Daten ist eine Unterversorgung zumindest bei Patienten mit manifester Osteoporose festzustellen. Hinzukommt, daß in den Fällen, in denen eine Therapie durchgeführt wird, diese in über 90 % unzureichend ist. In diesen Fällen sollte der Frage nachgegangen werden, ob es sich in diesen Fällen nicht um eine Fehlallokation von Ressourcen handelt. Die vorhandenen Erkenntnisse zur Prophylaxe und Therapie der Osteoporose, die in entsprechenden Leitlinien und Therapieempfehlungen ihren Niederschlag gefunden haben, sollten stärker beachtet werden und zur Beurteilung der Qualität der Therapie herangezogen werden.