F A M O S. Dezember Kolumbien - Fall

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Transkript:

F A M O S (Der Fall des Monats im Strafrecht) Dezember 2003 Kolumbien - Fall Vermeintliche Mittäterschaft / Untauglicher Versuch / Unmittelbares Ansetzen zur Einfuhr von Betäubungsmitteln 22, 23, 25 Abs. 2 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Leitsatz der Verf.: Die Ausführungshandlung eines nur vermeintlichen Mittäters ist den anderen als unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach 22 StGB zurechenbar, wenn sie nach ihrer Vorstellung zur Tatbestandserfüllung führen soll und nach natürlicher Auffassung auch zur Tatbestandserfüllung führen könnte. BGH 4 StR 108/03 Beschluss vom 6. Mai 2003, veröffentlicht unter www.bundesgerichtshof.de 1. Sachverhalt 1 A und B wollen per Post drei Kilogramm Kokain aus Kolumbien nach Deutschland einführen. A verhandelt in Kolumbien mit C, der verspricht, das Rauschgift in Filmrollen zu verstecken und diese in einem Paket nach Deutschland an die von A angegebene Adresse zu schicken. Dort soll B das Paket abholen. Tatsächlich gibt C bei der Post in Kolumbien ein Paket mit Filmrollen auf. Das versprochene Kokain hat er darin jedoch nicht verpackt. 2. Problem(e) und bisheriger Meinungsstand Die tatbestandliche Einkleidung durch das Betäubungsmittelstrafrecht ist ungewohnt, das Problem hingegen bekannt. Es zeigt sich allerdings noch nicht, wenn man eine Strafbarkeit von A und B wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG prüft. Insoweit ist ohne weiteres eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat zu bejahen. Denn Handel treibt auch, wer nicht in den Besitz des Rauschgifts gelangt. 2 Zugleich könnten die verhinderten Dealer sich aber noch wegen versuchter Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Die Rechtsprechung sieht die Schwelle von der bloßen Vorbereitung zum strafbaren Einfuhrversuch dann überschritten, wenn das Rauschgift im Ausland bei der Post aufgegeben wird. 3 Hier wurde ein Paket auf den Weg gebracht. 1 2 3 Von diesem Sachverhalt ist das Gericht nach dem Grundsatz in dubio pro reo ausgegangen. Vgl. Körner, BtMG, 5. Aufl. 2001, 29 a Rn. 30 f. BGHR BtMG 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 18 m. w. N. 1

Jedoch ein Paket ohne Rauschgift. Was A und B nicht wussten. Kann ihre Vorstellung sie in Verbindung mit der objektiven Versendungshandlung des C zu Mittätern an einem Einfuhrversuch machen? Dasselbe in abstrakter Fassung: Kann das Handeln eines vermeintlichen Mittäters anderen Beteiligten, die lediglich vorbereitend tätig geworden sind, als unmittelbares Ansetzen zu einem Versuch zugerechnet werden? Wer jetzt ein (möglichst doppeltes) Déjà-vu-Erlebnis hat, ist auf der richtigen Spur. Im skurrilen Münzhändler-Fall hat sich der BGH schon einmal damit befasst. 4 Dabei ging es um folgenden Sachverhalt. Der von seinem Komplizen getäuschte Täter raubt einen Münzhändler in der irrigen Vorstellung aus, dieser spiele mit, um seine Versicherung zu betrügen. Zu entscheiden war, ob die Schadensmeldung des Münzhändlers bei der Versicherung als ein unmittelbares Ansetzen zu einem mittäterschaftlich begangenen Betrugsversuch des Täters angesehen werden kann. Kurz zuvor war ein anderer Senat des BGH im Türklingel-Fall mit einer ähnlichen Fallkonstellation befasst gewesen. 5 Von zwei Raubtätern hält sich einer im Hintergrund, während der andere an der Haustür des Opfers klingelt. Nach dem vor einiger Zeit gefassten Plan sollte das Klingeln das Startzeichen für den Überfall sein. Der Täter an der Tür hat sich jedoch in der Zwischenzeit der Polizei offenbart und arbeitet mit ihr zusammen. Das Klingeln ist jetzt ein Zeichen für die Polizei, damit sie den Täter im Hintergrund ergreifen kann. Dieser glaubt aber nach wie vor, dass mit dem Klingeln plangemäß zur Tat geschritten wird. Der im Türklingel-Fall zuständige 2. Senat verneinte eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlich begangenen Raubversuchs. Dagegen nahm der 4. Senat im Münzhändler-Fall einen Betrugsversuch an. Im Folgenden sollen Schritt für Schritt die dafür maßgeblichen Argumentationsansätze aufgezeigt werden. Schritt 1. Lassen wir zunächst die Täuschungsmanöver und Irrtümer außer Acht und fragen wir allgemein danach, wann bei der Mittäterschaft, die durch ein arbeitsteiliges Zusammenwirken gekennzeichnet ist, die Schwelle zur Versuchsstrafbarkeit überschritten wird. Rechtsprechung und h. L. folgen der Gesamtlösung. 6 Danach genügt es, dass ein Mittäter im Rahmen des gemeinsamen Tatplans zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands unmittelbar ansetzt. Andere Mittäter, die selbst nur vorbereitend tätig gewesen sind, müssen sich seine Handlung zurechnen lassen. Schritt 2. Dieser Ansatz muss mit der allgemeinen Grenzziehung zwischen bloßer Vorbereitungshandlung und dem Eintritt in das Versuchsstadium zusammengebracht werden. Praktisch durchgesetzt hat sich ein Vorgehen im Sinne einer gemischt subjektiv-objektiven Theorie. 7 Das von 22 StGB geforderte unmittelbare Ansetzen ist danach gegeben, wenn der Handelnde subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht-es-los überschreitet und objektiv solche Handlungen vornimmt, die im Falle des ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden. 8 Schritt 3. Zusätzlich müssen wir jetzt denjenigen Versuch ins Auge fassen, der gar nicht zur Vollendung gelangen kann, was der Täter verkennt. Für diesen untaugli- 4 5 6 7 8 BGHSt 40, 299. BGHSt 39, 236. BGHSt 36, 249, 250; 39, 236, 237 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, 33. Auflage 2003, Rn 611; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage 2001, 22, Rn. 55, jeweils m.w.n.; auf den Gegenstandpunkt, die sog. Einzellösung, werden wir unter 4. eingehen. Vgl. dazu sowie zu sonstigen Abgrenzungstheorien Wessels/Beulke (Fn. 6), Rn. 599 601. BGHSt 26, 201, 202 ff.; 37, 294, 297 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage 2003, 22 Rn. 11. 2

chen Versuch, der grundsätzlich strafbar ist, 9 gilt an sich auch die eben genannte Abgrenzungsformel. Sie muss allerdings betont subjektiv gehandhabt werden, weil die Tat allein nach der Tätervorstellung vollendbar ist. 10 Schritt 4. Nunmehr ist alles im Hinblick auf die spezielle Fallkonstellation miteinander zu verbinden. Wir haben es mit einem mittäterschaftlichen Geschehen zu tun, das nicht zur Vollendung gelangen kann, weil ein Beteiligter kein Mittäter sein will, was den anderen verborgen bleibt. Gerade dieser Beteiligte ist es aber, der eine Handlung ausführt, die nach der Gesamtlösung als unmittelbares Ansetzen bewertet werden kann, sofern man akzeptiert, dass die subjektive Komponente nicht beim Handelnden selbst, wohl aber bei den anderen vorhanden ist. Diese sehen einen wirksamen Tatbeitrag in einem Verhalten, das der Ausführende gerade nicht als Tatbeitrag verstanden wissen will. Die dogmatische Figur, die sich darin abzeichnet, setzt sich aus dem untauglichen Versuch und der Mittäterschaft zusammen. Für die Frage des unmittelbaren Ansetzens ist maßgeblich, wo der Akzent gesetzt wird. Eine Auffassung setzt den Akzent beim Strafgrund des untauglichen Versuchs. Die Strafbarkeit dessen, der irrig von der Mittäterschaft des anderen ausgeht, wird mit dem Gesichtspunkt seiner Auflehnung gegen die rechtlich geschützte Ordnung begründet. 11 Nicht die tatsächliche Eignung der Handlung zur Erfolgsherbeiführung, sondern die Annahme ihrer Tauglichkeit gibt danach den Ausschlag. 12 Es soll allein darauf ankommen, ob nach der Vorstellung des Mittäters die vermeintliche Mitwirkungshandlung des anderen unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestandes führen soll und dazu nach natürlicher Auffassung auch geeignet ist, wenn als Realität angenommen werde, was sich der Mittäter nur vorgestellt hat. 13 Gestützt wird diese Ansicht auf die subjektive Ausrichtung der Versuchsformel in 22 StGB ( nach seiner Vorstellung von der Tat ), für die eine uneingeschränkte Geltung in Fällen des untauglichen Versuchs wegen des Fehlens einer objektiven Rechtsgutsgefährdung angenommen wird. 14 Für diese Auffassung wird noch ins Feld geführt, dass sie eine ungerechtfertigte Privilegierung des Mittäters vermeide, der doch von einer Verwirklichung des Tatbestandes ausgehe; es gebe keinen Grund, ihn allein deswegen besser zu stellen, weil ein Dritter innerlich seine Bindung an das gemeinsame Vorhaben aufgegeben oder diese nur vorgetäuscht habe. 15 Die Gegenauffassung hält einen Tatbeitrag nur dann im mittäterschaftlichen Zusammenhang für zurechenbar, wenn der zur Tatbestandsverwirklichung Ansetzende beabsichtigt habe, mit den anderen Beteiligten zum Zweck der Tatausführung zusammenzuwirken. 16 Fremde Handlungen ohne subjektive mittäterschaftliche Komponente können danach also nicht zugerechnet werden. 17 Das bedeutet für den Fall vermeintlicher Mittäterschaft, dass der irrende Mittäter selbst die Grenze zum unmit- 9 Vgl. dazu sowie zur Ausnahmeregelung in 23 Abs. 3 StGB Ebert, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2001, S. 124 126. 10 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2003, 26 Rn. 49. 11 BGHSt 40, 299, 302 (Münzhändler-Fall). 12 BGHSt 40, 299, 302. 13 BGHSt 40, 299, 302; Tröndle/Fischer, StGB (Fn. 7), 22 Rn. 22 f. 14 Heckler, GA 1997, 72, 78. 15 Hauf, NStZ 1994, 263, 265; Heckler, GA 1997, 72, 80. 16 BGHSt 39, 236 (Türklingel-Fall); Wessels/Beulke (Fn. 6), Rn. 612; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2001, 22 Rn. 9; Eser (Fn. 6), 22 Rn. 55 a. 17 Eser (Fn. 6), 22 Rn. 55 a. 3

telbaren Ansetzen überschritten haben muss, damit ihm ein Versuch angelastet werden kann. Deutlich wird daran, dass der Akzent hier bei den Erfordernissen der Mittäterschaft liegt. Das Kernargument dieser Auffassung lautet: Am Mittäter, der selbst noch nicht unmittelbar angesetzt habe, aber irrig den Beitrag eines anderen als Mitwirkung betrachte, werde allein die böse Gesinnung bestraft, was mit einem Tatstrafrecht unvereinbar sei. 18 Dieser Auffassung folgte der 2. Senat im Türklingel-Fall, während der 4. Senat im Münzhändler-Fall gegenteilig entschied. Im vorliegenden Fall war erneut der 4. Senat zuständig. Wie würde er zu dem Meinungsgegensatz Stellung nehmen? Es war zu erwarten, dass er entweder seine Rechtsprechung aufgibt und sich dem 2. Senat anschließt oder dass er an seiner Rechtsprechung festhält und gem. 132 Abs. 2 GVG den Großen Senat anruft. 3. Kernaussagen der Entscheidung Der Senat findet überraschenderweise einen dritten Weg. Er hält an seiner Rechtsprechung fest, behauptet aber zugleich, dass der Meinungsstreit sich im konkreten Fall nicht auswirke und somit der Große Senat nicht mit der Sache befasst werden müsse. 19 Es bleibt also bei dem im Münzhändler-Fall eingenommenen Standpunkt des 4. Senats. Das liest sich dann so: Nach dieser Auffassung ist jedenfalls dann eine Ausführungshandlung eines vermeintlichen Mittäters als tauglich und damit zurechenbar zu betrachten, wenn sie nach der Vorstellung des Täters zur Tatbestandserfüllung führen soll und nach natürlicher Auffassung auch zur Tatbestandserfüllung führen könnte. Nun kommt die Überraschung: Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Ü- berraschung setzt sich fort bei der Lektüre der Begründung: Der vermeintliche Mittäter hat die von den Angeklagten vorgestellte Ausführungshandlung, die Aufgabe eines mit Betäubungsmitteln präparierten Pakets bei der Post, gerade nicht erbracht. Die Einlieferung eines neutralen Pakets bei der Post konnte vielmehr weder nach der Vorstellung der Angeklagten noch nach natürlicher Auffassung zur Tatbestandserfüllung führen. (Fragen, die sich geradezu aufdrängen, müssen wir zurückstellen, weil wir hier nur berichten.) Damit verneint der Senat einen Versuch gem. 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, 22, 23 StGB. Insoweit kommt nur 30 Abs. 2 StGB zur Anwendung. Zu diesem Ergebnis wäre, das ist sicherlich richtig, auch der 2. Senat auf der Grundlage seiner Auffassung zum Problem des Versuchs bei vermeintlicher Mittäterschaft gelangt. 4. Konsequenzen für Ausbildung und Praxis Ein Blick auf die große Zahl der Veröffentlichungen zu den beiden vorangegangenen BGH-Entscheidungen 20 sollte genügen, um zu wissen: Diese brisante Mischung aus Versuch und Mittäterschaft ist in höchstem Maß ausbildungs- und examensrelevant! Sicherlich wird auch der Kolumbien-Fall in Kürze intensiv besprochen werden, zumal der Meinungsstreit unentschieden geblieben ist und die Entscheidung Einwände förmlich herausfordert. 18 Eser (Fn. 6), 22 Rn. 55 a. 19 Die Pflicht zur Vorlegung besteht nur dann, wenn die Meinungsdivergenz entscheidungserheblich ist; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, 132 GVG Rn. 16, 121 GVG Rn. 10. 20 Vgl. die Zusammenstellung bei Tröndle/Fischer (Fn. 8), 22 Rn. 22 f. 4

Um es mit dem Problem aufnehmen zu können, muss man noch eine Lösungsalternative kennen, die wir oben nur angedeutet haben. Folgt man in der Frage des Versuchsbeginns bei Mittäterschaft nicht der herrschenden Gesamtlösung, sondern der sog. Einzellösung, dann ist das Gespenst vermeintlicher Mittäterschaft rasch verscheucht. Nach dieser Auffassung 21 tritt ein Mittäter nur dann ins Versuchsstadium ein, wenn er selbst zu seinem eigenen Tatbeitrag unmittelbar angesetzt hat. Damit ist ausgeschlossen, dass ein Mittäter, der lediglich vorbereitende Aktivitäten entfaltet hat, wegen Versuchs belangt werden kann, nur weil er von der Handlung eines anderen annimmt, sie sei ein mittäterschaftlicher Beitrag zur Tatausführung. Die Einzellösung hängt mit einer eng verstandenen Tatherrschaftslehre zusammen, welche die Zuweisung der Mittäterrolle davon abhängig macht, dass ein Anteil an der Gestaltung des objektiven Tatausführung gegeben ist. Danach kann ein ausschließlich im Vorbereitungsstadium agierender Beteiligter keine mittäterschaftliche Teilhabe an der Tatherrschaft erlangen. 22 Dementsprechend ist der Versuch im mittäterschaftlichen Zusammenhang für jeden Beteiligten gesondert unter dem Gesichtspunkt eines tatherrschaftsbegründenden Beitrags zu prüfen. 23 Somit reicht eine auf das Vorbereitungsstadium beschränkte Betätigung eines Beteiligten in einem Fall, in dem weitergehenden Tatbeiträge zwar geplant waren, aber nicht einmal ansatzweise verwirklicht wurden, nicht aus, um eine Mittäterschaft der untätigen Person am versuchten Delikt zu begründen. 24 Ein fremdes unmittelbares Ansetzen kann folglich nicht zu einer Versuchsstrafbarkeit führen. Die Einzellösung kann sicherlich für sich in Anspruch nehmen, dass sie eine Ü- berdehnung der Versuchsstrafbarkeit und eine Bestrafung lediglich der bösen Gesinnung vermeidet. Sie verträgt sich jedoch schlecht mit einem weitgehend anerkannten Zurechnungsprinzip der Mittäterschaft im Falle vollendeter Tatbegehung. Danach kann auch ein lediglich im Vorfeld agierender Tatbeteiligter Mittäter sein, wenn das Minus bei der Tatausführung ausgeglichen wird durch ein Plus bei der mitgestaltenden Deliktsplanung. 25 Da ihm hier die von anderen verwirklichte Tatausführung zugerechnet wird, ist es wenig plausibel, wenn ihm dort beim Versuch deren unmittelbares Ansetzen nicht zurechenbar sein soll. 26 Zum Prüfungsaufbau erlauben wir uns einen Vorschlag, der sich nahezu von selbst versteht. Zunächst sollte geprüft werden, ob der Mittäter selbst unmittelbar angesetzt hat. Im Falle der Verneinung ist dann zu fragen, ob ihm eine als unmittelbares Ansetzen qualifizierbare fremde Handlung zugerechnet werden kann. Wird diese Frage grundsätzlich mit der Gesamtlösung bejaht, so ist der Weg frei für die Untersuchung des speziellen Problems, ob auch die Ausführungshandlung eines nur vermeintlichen Mittäters zurechenbar ist. Die Praxis wird bedauern, dass der 4. Senat erneut gekniffen hat und der Streit mit dem 2. Senat somit weiterschwelt. Schon im Münzhändler-Fall wäre eigentlich eine Vorlage beim Großen Senat fällig gewesen. 27 21 Roxin, Strafrecht AT II, 2003, 29 Rn. 297 ff.; ders. in LK, StGB, 11. Aufl., 25 Rn. 198 ff.; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, S. 104, 112 f. 22 Roxin, Strafrecht AT II (Fn. 21), 29 Rn. 315; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Auflage 2000, S. 294 f. 23 Roxin, Strafrecht AT II (Fn. 21), 29 Rn. 303; Schilling, (Fn. 21), S. 104, 112 f. 24 Vgl. Erb, NStZ 1995, 424, 426. 25 Vgl. Wessels/Beulke (Fn. 6), Rn. 528 m.w.n. 26 Vgl. Erb, NStZ 1995, 424, 426. 27 Vgl. Erb NStZ 1995, 424, 425. 5

5. Kritik Wir können unmittelbar an das zuletzt Gesagte anknüpfen. Der 4. Senat vermeidet die Vorlage mit einer inakzeptablen Begründung. An ihr ist besonders ärgerlich, dass mit einem verkürzten Zitat operiert wird. Unterschlagen wird ein Nebensatz. Das unter 3. wiedergegebene Zitat hätte vollständig lauten müssen: Nach dieser Auffassung ist jedenfalls dann eine Ausführungshandlung eines vermeintlichen Mittäters als tauglich und damit zurechenbar zu betrachten, wenn sie nach der Vorstellung des Täters zur Tatbestandserfüllung führen soll und nach natürlicher Auffassung auch zur Tatbestandserfüllung führen könnte, wenn sie geeignet wäre. 28 Mit dieser Ergänzung wird nämlich vollends unklar, wieso der Senat zu einer Verneinung der Strafbarkeit gelangt. Denn die Prüfungsperspektive der natürlichen Auffassung bezieht sich, wie der Nebensatz unterstreicht, nicht auf die objektive Faktenlage, sondern auf eine Hypothese. Dieser kann wiederum nur die Tätervorstellung zugrunde liegen. Was sonst? Objektive Eignung oder Eignung aus Tätersicht: Danach wird zwischen tauglichem und untauglichem, aber gleichwohl strafbarem Versuch unterschieden. Ein Drittes gibt es nicht. Es ist kein Raum für eine Mixtur und damit auch nicht für die Frage: Was hätten die Täter gedacht, wenn sie gewusst hätten, dass ein Paket ohne Rauschgift abgeschickt wurde? Die Täter gingen gerade nicht von der Einlieferung eines neutralen Pakets aus. Vielmehr erwarteten sie, dass ein Paket mit Rauschgift bei der kolumbianischen Post aufgegeben wird, was auch nach natürlicher Auffassung den Tatbestand erfüllen kann. Nach seinem hier gewählten Begründungsansatz hätte der 4. Senat im Münzhändler-Fall ebenfalls zur Straflosigkeit gelangen müssen: Eine neutrale (berechtigte) Schadensmeldung bei der Versicherung konnte weder nach der Vorstellung des Angeklagten noch nach natürlicher Auffassung zur Erfüllung des Betrugstatbestandes führen. Kurz wollen wir noch zum eigentlichen Meinungsstreit Stellung nehmen. Bedenklich am Standpunkt des 4. Senats ist, dass die Versuchsvoraussetzungen vollständig versubjektiviert werden, was zu einer Täterschaft ohne Tat führen kann. Die Aufgabe, auch im Versuchsfall dafür zu sorgen, dass die Strafe an ein objektives Tatelement anknüpft, hat in der Versuchsformel des 22 StGB das Merkmal des unmittelbaren Ansetzens. In dieser Funktion kommt es im Bereich der Mittäterschaft nur ausreichend zur Geltung, wenn für die Zurechnung im Hinblick auf einen anderen vorausgesetzt wird, dass der Ansetzende durch sein Verhalten einen Tatbeitrag leistet, der den gemeinsamen Tatplan verwirklicht und auch verwirklichen soll. 29 Der Beitrag eines nur vermeintlich Mitwirkenden ist somit nicht zurechenbar. (Dem Text liegt ein Entwurf von Alexandra von Berg und Sebastian Skocki zugrunde.) 28 Vgl. den Text in BGHSt 40, 299, 302, auf den der 4. Senat in einem Klammerzusatz verweist. Man sollte sich übrigens nicht durch das Wort tauglich im Zitat irritieren lassen. Damit ist nicht die Versuchstauglichkeit gemeint, sondern die Eignung einer Handlung, das Merkmal des unmittelbaren Ansetzens zu erfüllen. 29 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, 4. Aufl. 2002, 20 Rn. 123 f.; LPK-Kindhäuser, StGB, 2003, 22 Rn. 39 41; Marxen, Kompaktkurs Strafrecht AT, 2003, S. 164; Erb NStZ 1995, 424, 429. 6