F A M O S. Dezember Gashahn Fall
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- Melanie Geier
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1 F A M O S (Der Fall des Monats im Strafrecht) Dezember 00 Gashahn Fall Unechtes Unterlassungsdelikt / beendeter Versuch / Rücktritt / Verhinderung der Vollendung 13,, 3, 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. StGB Leitsatz des Gerichts: Ein gemäß 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. StGB strafbefreiender Rücktritt vom Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts setzt nicht voraus, dass der Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindert und dies auch anstrebt, unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die sicherste oder optimale gewählt hat. BGH, Beschluss vom 14. August 00 StR 51/0; abgedruckt in NJW 00, 3719 BGH, Beschluss vom 6. September 00 1 ARs 36/0 BGH, Beschluss vom 1. Oktober 00 5 ARs 33/0 1. Sachverhalt 1 A öffnet in Selbsttötungsabsicht zwei Gashähne in seiner im Erdgeschoss eines Zwölf- Familien-Hauses gelegenen Wohnung. Erst anschließend wird ihm bewusst, dass er dadurch eine Explosion erzeugen und so andere Hausbewohner verletzen oder töten könnte. Dies nimmt er zunächst billigend in Kauf, ändert dann jedoch seinen Willen und alarmiert telefonisch Polizei und Feuerwehr. Er macht alle für eine Rettung der Hausbewohner erforderlichen Angaben, weigert sich aber, selbst das Gas abzudrehen, weil er sich nach wie vor das Leben nehmen will. Die Rettungskräfte erreichen das Haus rechtzeitig und können alle Menschen unverletzt in Sicherheit bringen.. Problem(e) und bisheriger Meinungsstand Das Fallproblem betrifft die Anforderungen an einen Rücktritt vom beendeten Versuch also die Frage: Was muss der Täter zur Verhinderung der Vollendung beitragen, um nach 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. StGB straffrei auszugehen? Für den konkreten Fall lässt sich die Frage zuspitzen: Reicht es aus, dass A Rettungskräfte alarmierte, die dann erfolgreich tätig wurden, oder hätte er mehr tun müssen, nämlich selbst das Gas sofort abdrehen? Das Problem hängt nicht von der Art des Versuchs ab. Es tritt gleichermaßen bei einem Begehungsversuch wie bei einem Unterlassungsversuch auf, der hier vorliegt. Die Auseinandersetzung mit dem Problem im Schrifttum hat im wesentlichen zu drei Meinungen geführt. Herrschend ist die Auffassung, welche die bloße Kausalität des Täterhandelns für die 1 Der Sachverhalt beschränkt sich auf die Wiedergabe der Fallumstände, die für die Problemerörterung wesentlich sind. Vgl. den Überblick bei Kühl Strafrecht AT, 4. Aufl. 00, 16 Rn
2 Erfolgsverhinderung genügen lässt. 3 Sie beruft sich auf den Wortlaut der gesetzlichen Regelung: Verhinderung der Vollendung bedeute Ursächlichkeit für das Ausbleiben des Erfolges. Danach genügt es also, dass der Täter bewusst und gewollt eine Kausalreihe in Gang setzt, 4 die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist. 5 Ein rettender Anruf, wie ihn hier A tätigte, reicht dafür aus, vorausgesetzt, der Täter handelte mit Rettungswillen. 6 Ob ihm noch andere Maßnahmen zur Verfügung standen, welche die Vollendung der Tat aus seiner Perspektive mit größerer Sicherheit verhindert hätten, ist ohne Bedeutung. Es kommt allein darauf an, dass sein vom Rettungswillen getragenes Verhalten erfolgreich war. Frei nach dem Motto: Ende gut, alles gut. 7 Eine deutliche Gegenposition bezieht eine Auffassung, die als Bestleistungstheorie bezeichnet wird. 8 Ihr zufolge muss der Täter alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten voll ausschöpfen und darf dem Zufall keinen Raum lassen. 9 Lässt er ein Restrisiko bestehen, welches er eigentlich beseitigen könnte, so soll ihm der Rücktritt selbst dann nicht zugute kommen, wenn sich dieses Risiko in keiner Weise auswirkt. Ihr Kernargument bezieht diese Auffassung aus dem Vergleich mit der Rücktrittsregelung beim untauglichen Versuch in 4 Abs. 1 Satz StGB. Wenn schon dort verlangt werde, dass der Täter das Optimum (freiwilliges und ernsthaftes Bemühen) leiste, so müsse das erst recht beim tauglichen Versuch gelten. Ansonsten entstehe ein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch. 10 Ein zusätzliches Argument liefert der Vergleich mit den Anforderungen an das Verhalten des Garanten beim unechten Unterlassungsdelikt. Vom Garanten werde verlangt, dass er sein Bestes gebe. Gleiches müsse für den Täter eines beendeten Versuchs gelten, weil er ebenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz inne habe. 11 Auf der Grundlage der Bestleistungstheorie müsste A eine rücktrittsbedingte Straflosigkeit versagt werden, weil er das Risiko für die Hausbewohner nicht durch sofortiges Zudrehen der Gashähne beseitigte. Ungünstig stellt sich die Lage für ihn auch dar, wenn man der sogenannten Differenzierungstheorie folgt. 1 Sie unterscheidet danach, ob der Täter allein rettend tätig wird oder sich der Hilfe Dritter bedient. Schaltet er Dritte ein, so soll es nicht genügen, auf diese Weise lediglich eine Rettungschance zu eröffnen. 13 Das durch den Dritten bewirkte Ausbleiben des Erfolgs müsse noch als Werk des Täters erscheinen, 14 ihm also objektiv zurechenbar sein. 15 Wer das Ob und Wie der Tätigkeit des Dritten dem Zufall überlasse und zugleich eigene, sicherere Rettungsaktionen unterlasse, könne den glücklichen Ausgang nicht als Verhinderungsleistung für sich in Anspruch nehmen. 16 Dieser differenzierende Ansatz lässt sich erweitern, indem generell die Kriterien der objektiven Zurechenbarkeit herangezogen werden. 17 Zusätzlich zur Kausalität wäre also nicht nur im Hinblick auf das Einschalten Dritter zu prüfen, ob die Verhinderung der Vollendung auch als Werk des Täters angesehen werden kann. Eine Prüfung mit ungewissem Ausgang, weil die Kriterien der objektiven Zure- 3 BGHSt 33, 95, 301; BGH NStZ-RR 000, 41, 4 f.; BGH NStZ 1999, 18 u. 300; Eser in: Schönke/Schröder, StGB, 6. Auflage 001, 4 Rn. 59; Tröndle/Fischer StGB, 51. Auflage 00, 4 Rn. 31; Lackner/Kühl StGB, 4. Auflage 001, 4 Rn Eser (Fn. 3) 4 Rn Wessels/Beulke Strafrecht AT, 3. Auflage 00, Rn BGH, NStZ 1989, Kühl (Fn. ) 16 Rn Die Bezeichnung stammt von Roxin, Festschrift für Hirsch, 1999, 37, 330, der selbst diese Theorie aber nicht vertritt. Ihr Hauptvertreter ist Herzberg. 9 Herzberg NJW 89, 864, Vgl. Jakobs, Strafrecht AT,. Aufl. 1991, 6. Abschn. Rn Vgl. die Darstellung bei Roxin (Fn. 8) 37, Vertreten von Roxin (Fn. 8) Roxin (Fn. 8) 37, Vgl. die Darstellung bei Kühl (Fn. ), 16 Rn Rudolphi NStZ 1989, Roxin (Fn. 8), 37, Vgl. Kühl (Fn. ), 16 Rn
3 chenbarkeit äußerst unklar und umstritten sind. 18 Wenden wir uns der bisherigen Rechtsprechung zu. Sie war für den. Senat des BGH, der in der vorliegenden Sache zu entscheiden hatte, das eigentliche Problem. Denn sie ist alles andere als klar. An sich war der BGH bisher mit der herrschenden Literaturansicht einer Meinung. 19 Einige Entscheidungen lassen jedoch daran zweifeln, ob er tatsächlich das bloße Kausalitätserfordernis als ausreichend angesehen hat. 0 Das gilt in besonderer Weise für die Entscheidung BGHSt 31, 46. Darin verlangt der 1. Senat des BGH, dass der Täter seinen Rücktrittswillen durch Handlungen manifestiere, die objektiv oder wenigstens aus seiner Sicht zur Erfolgsverhinderung ausreichen würden. Er dürfe sich nicht mit Maßnahmen begnügen, die möglicherweise unzureichend seien, wenn ihm bessere Verhinderungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden und er davon wisse. In der Entscheidung wird dem Angeklagten der Rücktritt versagt, weil sein Verhalten diesen Anforderungen nicht entsprach. Er hatte seine Ehefrau mit Tötungsvorsatz durch Schläge schwer verletzt und anschließend in Rettungsabsicht zu einem Krankenhaus gefahren. Dort hatte er sie jedoch nicht selbst eingeliefert; vielmehr hatte er sie 95 m vor einem Nebeneingang abgesetzt und sich selbst überlassen. Passanten hatten sie aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht, wo sie vor dem drohenden Tod bewahrt wurde. Angesichts dieser Entscheidung befand sich der. Senat im vorliegenden Fall in einem Dilemma. An sich wollte er ihn im Sinne der herrschenden Lehre lösen. Daran wäre er aber gehindert, wenn er damit abweichen würde von dem Standpunkt, den der 1. Senat in BGHSt 31, 46 eingenommen hat. Im Falle einer derartigen Meinungsverschiedenheit zwischen den Senaten muss der Große Senat gem. 13 Abs. GVG angerufen werden. Der. Senat war sich aber nicht sicher, ob der 1. Senat tatsächlich einen gegenteiligen Standpunkt vertreten hat. Deswegen wählte er ein Verfahren, dass der Klärung der Frage dient, ob eine Vorlage an den Großen Senat erfolgen muss. Im Wege eines sog. Anfragebeschlusses teilte er den anderen Senaten mit, wie er zu entscheiden beabsichtige, und fragte an, ob die dortige Rechtsprechung entgegenstehe und ob gegebenenfalls an ihr festgehalten werde. 3. Kernaussagen der Entscheidung Die Absicht des. Senats, den Fall im Sinne der herrschenden Meinung zu entscheiden, bedeutet: Da A durch die Alarmierung von Polizei und Feuerwehr eine Explosion verhindert hat, ist er nach 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. StGB strafbefreiend zurückgetreten. Zur Begründung führt der Senat nur wenig, nämlich das Folgende aus. Ein Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindere und dies auch anstrebe, müsse nicht die sicherste oder optimale Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung wählen. Erforderlich sei allein, dass er den weiterhin als möglich erkannten Taterfolg nicht mehr billige und dass er erfolgreich eine solche Rettungsmöglichkeit wähle, die er für geeignet halte, die Vollendung zu verhindern. Die Anforderungen an ein ernsthaftes Bemühen im Sinne von 4 Abs. 1 Satz StGB seien auf diesen Fall nicht übertragbar. Dem stehe der gesetzliche Wortlaut entgegen. Die Ungleichbehandlung der beiden Rücktrittsfälle müsse hingenommen werden. Der Senat sieht vom seinem Standpunkt aus auch keine Notwendigkeit, zwischen eigenhändiger Verhinderung und der Zuziehung Dritter zu differenzieren. Vermutlich wird der. Senat letztlich auch so entscheiden können, wie er beabsichtigt. Denn der 1. und auch der 5. Senat haben auf die Anfrage bereits mitgeteilt, dass die Entscheidung nicht von ihrer Rechtsprechung abweiche. 1 Von Interesse ist natürlich in erster Linie die Äußerung des 1. Senats. Er meint, dass sich der Sachverhalt des vorliegenden Falles in wesentlichen Punkten vom Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 31, 46 unterscheide. Der Täter in dieser Entscheidung habe weder die objektiv gebotenen noch die aus seiner Sicht ausreichenden Bemühungen zur Erfolgsabwendung entfaltet; dagegen habe 18 Vgl. den Überblick bei Wessels/Beulke (Fn. 5) Rn. 176 ff. 19 Vgl. die Hinweise in Fn Vgl. Kühl (Fn. ) 16 Rn BGH 1 ARs 36/0 und BGH 5 ARs 33/0. 3
4 sich der Täter im vorliegenden Fall zwar für einen möglicherweise zunächst weniger aussichtsreichen, aber unter den Umständen des Einzelfalls wohl dennoch geeigneten Weg der Rettung entschieden. 4. Konsequenzen für Ausbildung und Praxis Eine Wende in der Diskussion bringt die hier vorgestellte BGH-Rechtsprechung nicht. Das alte Problem ist auch das neue. In der Fallbearbeitung ist es in gleicher Weise wie bisher unter Entfaltung des Meinungsstreits zu diskutieren. Lediglich in der Gewichtung der Meinungen hat sich eine leichte Veränderung ergeben. Die herrschende Meinung ist noch gewichtiger geworden, nachdem sich der BGH jetzt (nochmals) zu ihr bekannt hat. Der Standort der Problemerörterung ergibt sich aus dem folgenden Überblick über die zu prüfenden Merkmale eines Rücktritts vom beendeten Versuch: 3 1. Objektive Voraussetzungen a) Ausbleiben der Vollendung b) Rettungshandlung des Täters c) Kausalität der Rettungshandlung für das Ausbleiben der Vollendung d) Weitergehende Anforderungen an das Täterverhalten?. Subjektive Voraussetzungen a) Vorsatz im Hinblick auf 1. a) bis c) oder d) b) Freiwilligkeit Die dargelegten Auffassungen konzentrieren sich auf die objektive Anforderungen. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass das Problem auch eine subjektive Seite hat. Der Rücktritt hat ein Abstandnehmen vom Tatentschluss zur Voraussetzung. Das ist gewissermaßen die Kehrseite des Rücktrittsvorsatzes (. a]). Wie sieht es aber im Inneren eines Täters aus, der bewusst auf effektivere Rettungsmaßnahmen verzichtet? Muss man nicht annehmen, dass zumindest ein bedingter Tatvorsatz noch vorhanden ist, wenn der Täter das weiterhin bestehende Risiko kennt und gleichwohl nichts zu seiner Vermeidung tut? Damit wird eine Frage angesprochen, die den konkreten Willenssachverhalt betrifft. Immerhin können sich bei einer insoweit eindeutigen Sachlage langwierige Auseinandersetzungen mit den dargelegten Meinungen erübrigen. Für den vorliegenden Fall seien in diesem Zusammenhang zumindest Zweifel daran angemeldet, dass A den (bedingten) Tötungsvorsatz tatsächlich vollständig aufgegeben hat. Immerhin war ihm bewusst, dass die übrigen Hausbewohner bis zum Eintreffen der Rettungskräfte wegen des weiterhin ausströmenden Gases in höchster Gefahr schwebten. Wie heißt es doch? Vorsätzlich handelt, wer die Tatbestandsverwirklichung als möglich erkennt und sich mit ihr abfindet. 4 Also? 5. Kritik Rätselhaft bleibt, worin der maßgebliche Unterschied zwischen der (beabsichtigten) Entscheidung des, Senats im vorliegendenden Fall und der Entscheidung des 1. Senats in BGHSt 31, 46 liegen soll. Wendet man den Leitsatz des. Senats auf den Sachverhalt in BGHSt 31, 46 an, so ergibt sich das Gegenteil dessen, was der 1. Senat entschieden hat. Hätte der Täter dort seine Frau nicht in der Nähe des Krankenhauses abgesetzt, wäre sie nicht gefunden und demzufolge auch nicht gerettet worden. Somit war das Handeln des Täters durchaus kausal für die Erfolgsverhinderung, und es spricht nichts gegen einen strafbefreienden Rücktritt. Es sei denn, man stellt zusätzliche Anforderungen. Diese hat die Literatur BGH 1 ARs 36/0. 3 Joecks StGB, 3 Auflage 001, 4 Rn Vgl. Ebert, Strafrecht AT, 3. Aufl. 001, S. 60, zur insoweit h. M. 4
5 auch aus BGHSt 31, 46 herausgelesen. 5 Der Stellungnahme des 1. Senats ist zu entnehmen, dass das eine Fehlinterpretation war. Oder wird hier eine Differenz verschleiert, nur um Geschlossenheit zu demonstrieren? Argumentativ hat der BGH nichts Neues zu bieten. Das ist nicht unbedingt ein Vorwurf. Denn tatsächlich ist das Hauptargument der von ihm vertretenen Auffassung recht stark: Weitergehende Anforderungen an das Täterverhalten, insbesondere die Übernahme der Anforderungen an den Rücktritt vom untauglichen Versuch, sind mit dem Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. GG) nicht vereinbar, weil sie durch Einengung des Rücktritts den Strafbarkeitsbereich erweitern. Das aber ist allein Sache des Gesetzgebers. (Dem Text liegt ein Entwurf von Marc Pollert und Oliver Vögtlin zugrunde) 5 Z. B. Kühl (Fn. ) 16 Rn. 69; Roxin, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Allgemeinen Teil des Strafrechts, 1998, S. 94 f
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