Sonderausstellung Oktober Februar 1999 Haus der Wannsee-Konferenz

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Inhaltsverzeichnis.

Transkript:

Sonderausstellung Oktober 1998 - Februar 1999 Haus der Wannsee-Konferenz Internationale Wanderausstellung "Sport- unter dem Davidstern" Sportmuseum Berlin in der Stiftung Stadtmuseum Berlin und Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee- Konferenz Der Sport und die Sportbewegungen des 19. und des 20. Jahrhunderts haben in den verschiedenen Ländern und Kulturen in jeweils unterschiedlicher Ausprägung die Entwicklung der Gesellschaft bis heute wesentlich beeinflusst. Die jüdische Sportbewegung hat ihre Wurzeln in den Traditionen der jüdischen Kulturgeschichte und entwickelte sich andererseits als integraler Bestandteil des internationalen Sports. Dabei standen die jüdischen Turn- und Sportverbände vom Beginn ihrer Gründung an im Spannungsfeld konkurrierender Sport- und Gesellschaftsmodelle, suchten sie ihren Weg zwischen antisemitischer Ausgrenzung, assimilatorischer Anpassung und zionistischer Utopie. Der 100. Jahrestag des 1. Zionistischen Kongresses 1897 in Basel und der 100. Gründungstag des ersten jüdischen Turnvereins in Deutschland, Bar Kochba Berlin 1898 waren für die Veranstalter herausfordernder Anlass mit einem internationalen Ausstellungsvorhaben sowohl an die Leistungen der jüdischen Sportbewegung als auch an Bedrängnis und Leid, das jüdischen Sportlern und Sportlerinnen zugefügt wurde, zu erinnern. Im Mittelpunkt der Ausstellung stand die Geschichte der dem Zionismus nahe stehenden Makkabi-Sportbewegung. Darüber hinaus wurden aber auch jene jüdischen Turn- und Sportorganisationen vorgestellt, die im Gegensatz zur national-jüdischen Idee des Makkabi standen. Die Ausstellung war ein Gemeinschaftsprojekt des Schweizer Sportmuseum in Basel, des Sportmuseum Berlin in der Stiftung Stadtmuseum Berlin und des Pierre Gildesgame Maccabi Sports Museum in Ramat Gan/Israel. Sie zielte darauf die Geschichte der jüdischen Sportkultur und insbesondere den Stellenwert des Sports in der jüdischen Kultur und beim Aufbau einer jüdischen Identität einem breiten Publikum nahe zu bringen. Und nicht zuletzt sollte die Ausstellung eine vertiefende und international vergleichende sporthistorische Forschung zu diesem Thema anregen und damit auch einen in unserer heutigen Zeit so dringend notwendigen Beitrag zur Förderung von Völkerverständigung und einer von Wissen und Toleranz getragenen Auseinandersetzung mit anderen, fremden Lebenswelten leisten. Körperkultur und jüdische Geschichte Körper- und Bewegungskultur nehmen in der jüdischen Geschichte, in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, die das Leben der Juden bestimmten, einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Nach der Vertreibung aus Palästina war die jüdische Bewegungskultur zudem immer auch dem Einfluss der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. In der biblischen und talmudischen Literatur gibt es zahlreiche Hinweise für eine positive Bewertung von 1

Körperkultur, insbesondere von Körperkraft. Abgelehnt wurden allerdings die griechische und die römische Gymnastik und Agonistik, weil sie jüdische Traditionen zu bedrohen schien. Im Mittelalter stand die intellektuelle Erziehung im Vordergrund. Nur wenige, wie z.b. einer der bedeutendsten jüdischen Philosophen des Mittelalters, Mose ben Maimon (Maimonides), erkannten die gesundheitliche Bedeutung körperlicher Anstrengungen. Trotzdem gibt es auch in dieser Zeit Hinweise auf die Beteiligung von Juden an 'sportlichen' Wettkämpfen, so z. B. in Deutschland, Frankreich und Spanien. Im 18. und 19. Jahrhundert begann sich der Sport nach englischem Muster zu verbreiten. Auch jüdische Athleten spielten dabei mit ihren herausragenden Leistungen eine wichtige Rolle, so z. B. Daniel Mendoza, der "Vater des modernen Boxens", oder der erfolgreichste Kurzstreckenläufer des 19. Jahrhunderts, der Amerikaner Laurence E. Myers (1858-1899), der zeitweise alle amerikanischen Rekorde zwischen 50 Yards und 1 Meile inne hatte. Foto: Bar Kochba München 1904 Hedy Bienenfeld, Meisterschwimmerin von Hakoah Wien Hintergründe Ausgrenzung und Abgrenzung, Verfolgung und Vertreibung, abgelöst von häufig nur kurzen Phasen unsicherer Anerkennung bestimmten über viele Jahrhunderte das Leben der Juden in der Diaspora. Mit dem Zeitalter der Aufklärung, das in vielen Staaten Europas zur Abschaffung der Sondergesetze für Juden führte, schien ein dauerhafter Prozess der rechtlichen Gleichstellung mit der Hoffnung auf eine gleichberechtigte Integration der Juden in die Mehrheitsgesellschaft eingeleitet zu sein. Tiefgreifende politische und wirtschaftliche Umwälzungen im 19. Jahrhundert führten erneut zu einem starken Anwachsen antijüdischer Ressentiments. Der jahrhundertealte religiös bedingte Judenhass schlug nun um in einen rassisch aufgeladenen politischen Antisemitismus, der Juden für alle Übel des Modernisierungsprozesses verantwortlich zu machen suchte. Auf den neuen Antisemitismus und das offensichtliche Scheitern des Emanzipationsprozesses reagierten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts jüdische Reformer, wie Moses Hess und Leon Pinsker, mit dem Versuch, eine neue jüdische Volksbewegung ins Leben zu rufen. Aber erst Herzls 1896 veröffentlichte Schrift "Der Judenstaat" gab den entscheidenden Anstoß zur Herausbildung einer Zionistischen Organisation. Mit der Forderung des 1. Zionistischen Kongresses 1897 in Basel, der Zionismus erstrebe für das jüdische Volk eine öffentlich rechtliche gesicherte Heimstätte in Palästina, war die politische Richtung der Bewegung vorgeschrieben. ". Vom Verein zum Verband Wachsender auch in die allgemeinen Turnvereine hineinwirkender Antisemitismus hatte bereits 1895 in Konstantinopel (Istanbul) und 1897 in Philipoppel (plovdiv, Bulgarien) und Wien zur Bildung jüdischer Turnvereine geführt. Ihnen fehlte jedoch noch das ideologische Fundament zur Initiierung 2

einer eigenständigen jüdischen Turnbewegung. Dieses lieferte der 2. Zionistische Kongress in Basel 1898, insbesondere die Reden Max Nordaus und Max Mandelstamms. Sie forderten nicht nur organisatorische Eigenständigkeit jüdischer Turnvereine, sondern wiesen ihnen auch eine zentrale Funktion bei der Durchsetzung eines neuen, den antisemitischen Zerrbildern entgegen gesetzten Judenbildes entgegen. Nordau prägte dafür den Begriff des "Muskeljudentums" und Mandelstamm sah in den Turnvereinen ein maßgebliches Mittel zur Hebung des Judentums. Der am 22.10.1898 in Berlin gegründete "Jüdische Turnverein Bar Kochba" war der erste jüdische Turnverein, der seine praktische Arbeit auf dieses Ziel ausrichtete. Neben der Pflege des Turnens machte er es sich vor allem zur Aufgabe, die "national-jüdische Gesinnung unter seinen Mitgliedern" zu fördern - eine Formulierung, die auch jüdischen Turnern, die dem Zionismus skeptisch gegenüberstanden, die Möglichkeit geben sollte, sich dem Verein anzuschließen. Auch die 1903 während des 6. Zionistenkongresses in Basel erfolgte Gründung der der Jüdischen Turnerschaft, dem sich zunächst 11 Vereine mit ca. 1000 Mitgliedern anschlossen, hielt an dieser Formel fest. Frisch - Froh - Frei und Jüdisch Die Herausbildung einer jüdischen Turnbewegung, die die nationale Zusammengehörigkeit aller Juden betonte, rief zahlreiche Kritiker auf den Plan. Selbst die Mehrheit der Juden lehnte sie zunächst ab, weil sie dadurch eine Erschwerung der angestrebten Integration in die Mehrheitsgesellschaft sowie eine Zunahme des Antisemitismus befürchtete. Aber trotz aller Widerstände konnte sich die national-jüdische Turnbewegung behaupten. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges war die Jüdische Turnerschaft in sechs Ländern vertreten. Die Zahl ihrer Vereine war auf 84 und die Mitgliederzahl auf knapp 8400 angestiegen. Die dominierende 'Sportart' in der Jüdischen Turnerschaft blieb bis zum Zweiten Weltkrieg das Turnen, das "männliche Haltung und Gradheit des Sinnes, Mut und Bewusstsein der eigenen Kraft, Selbstzucht und Selbstvertrauen" zu stärken versprach. Die im Turnen angestrebte umfassende körperliche und sittliche Erziehung schien eher als der auf Einseitigkeit und Spezialisierung ausgerichtete Sport geeignet zu sein, körperliche Ertüchtigung und Erziehung zum Nationaljudentum verbinden zu können. Wie allgemein im Turnen und Sport dominierten auch in der jüdischen Turnbewegung männliche Normen, Werte und Ideale. Trotzdem waren Frauen von Beginn an in den jüdischen Turnvereinen vertreten, häufig sogar prozentual stärker als in den nicht jüdischen Turnvereinen. Jüdisches Schulsportfest, Berlin-Grunewald 1936 3

Sport wird modern In der Anfangszeit der Jüdischen Turnbewegung wurde der Sport, wie in der allgemeinen Turnbewegung auch, mit großem Argwohn betrachtet: "Wir wünschen dem jungen Turnbunde ein herzliches Glückauf, möchten aber doch von der Pflege sportlicher Veranstaltungen - besonders Football - dringend abraten", warnte die Jüdische Turnzeitung 1901 den neu gegründeten Turnverein in Bern. Der zunehmenden Attraktivität des Sports konnten sich jedoch auch die jüdischen Turnvereine nicht entziehen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden Sportabteilungen eingerichtet und Sportvereine gegründet. Zum bekanntesten und erfolgreichsten entwickelte sich der 1909 gegründete Jüdische Sportverein Hakoah Wien. Insbesondere das Fußballteam des Vereins wurde in den 20er Jahren zu einem Aushängeschild des gesamten jüdischen Sports. Seine Siege gegen europäische Spitzenteams und das Erringen der österreichischen Fußballmeisterschaft 1925 wirkten weit über Österreich hinaus. Die Erfolge wurden nicht nur in der jüdischen Öffentlichkeit begeistert aufgenommen, sondern fanden auch in der internationalen, nichtjüdischen Presse große Beachtung. Während die jüdische Turnbewegung vor allem die Erziehungsarbeit in den eigenen Vereinen betonte, stellten die Anhänger des Sports stärker den Kampf gegen den Antisemitismus in den Vordergrund. Der Überzeugungskraft des sportlichen Erfolgs vertrauend, glaubten sie, dass die Siege gegen nicht jüdische Konkurrenten die Juden vom Stigma der körperlichen Ungeschicklichkeit und Schwäche befreien könnten. Nicht nur Körperkultur Die jüdischen Turn- und Sportvereine verstanden. sich keineswegs nur als "Institute zur Körperkultur". Sie eröffneten ihren Mitgliedern vielmehr ein breites Spektrum von Attraktivitäten und Erfahrungen, die auf die Wiederentdeckung bzw. Festigung jüdischer Traditionen und eines nationaljüdischen Bewusstseins zielten. Schon der Name vieler Vereine war Programm: Sie nannten sich nicht einfach nur Jüdischer Turnverein, sondern ergänzten ihn mit Begriffen wie "HaKoah" (Kraft), "Hagibor" oder "Kadimah" (ostwärts, also nach Palästina gerichtet)" oder erinnerten in ihren Vereinsnamen an Symbolgestalten der jüdischen Geschichte, wie Bar Kochba, Samson oder Makkabi. Gefeiert wurden nicht die christlichen, sondern die jüdischen Feste, insbesondere Purim und Chanukka. Ausflüge und 'Wanderfahrten verstärkten das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Heimabende vertieften das Wissen über jüdische Geschichte und Kultur'. Gemeinsame Aktionen mit zionistischen Organisationen, wie z.b. Sammelaktionen mit dem Jüdischen Nationalfonds, verbanden die Turn- und Sportbewegung mit der zionistischen Bewegung. Besonderes Gewicht wurde auf die enge. Verbindung zu Palästina gelegt. Hebräische Sprachkurse wurden angeboten, und - mit mäßigem Erfolg - wurde zur Einführung hebräischer Turnkommandos auf dem "Tumboden" aufgerufen. Höhepunkte dieser Palästinaeuphorie waren Reisen in das Land der Väter. Die erste, noch vor dem Ersten Weltkrieg organisierte Fahrt galt dabei noch als so abenteuerlich, dass Frauen die Mitreise verwehrt wurde. Makkabiah - Jüdische Weltspiele des Sports "Wenn wir überhaupt an den Sieg unseres nationalen Gedankens glauben, dann dürfen wir auch hoffen, noch ein jüdisch-nationales Olympia zu erleben. Da würde die Welt vielleicht gewahr werden, wie viele vorzügliche sportliche Kräfte unter uns Juden jetzt noch den Ruhm fremder Völker mehren helfen, während ihr eigenes Volk auch in dieser Hinsicht verkannt wird." So begründete Fritz Abraham, Mitglied von Bar Kochba Berlin, 1911 den Wunsch nach einem großen, die jüdischen Sportler und Sportlerinnen der Welt zusammenführenden Sportfest. Zwanzig Jahre später, im Frühjahr 1932 wurde in Tel Aviv die erste Makkabiah mit 390 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus 18 Ländern eröffnet. 4

So wichtig die sportlichen Wettbewerbe waren, um der jüdischen wie der nicht-jüdischen Öffentlichkeit die eigene Stärke demonstrieren zu können, sie waren nicht das alleinige Ziel. Mindestens ebenso wichtig waren die politischen Ziele: die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls zwischen dem Judentum Palästinas und den Diasporajuden, das Kennen lernen des Landes und nicht zuletzt die Förderung der Einwanderung nach Palästina. Die 2. Makkabiah 1935, die letzte vor Ausbruch des 2. Weltkrieges, stand schon im Zeichen der nationalsozialistischen Verfolgungen. Ein Teil der 1350 zur Makkabiah angereisten Sportler und Sportlerinnen aus 28 Ländern nutzte die Chance und blieb trotz Drohungen der englischen Mandatsmacht, die eine Verschärfung der Konflikte zwischen Juden und Arabern befürchtete, im Lande. Die 3. für 1938 geplante Makkabiah konnte auf Grund der politischen Verhältnisse in Europa nicht mehr durchgeführt werden. Erst nach dem 2. Weltkrieg und der Gründung des Staates Israel wurde die Tradition des "Jüdischen Olympia" fortgeführt. Makkabi: Nationale Idee - internationale Bewegung In ihren Anfängen war die national-jüdische Turn- und Sportbewegung vornehmlich eine im deutschsprachigen Raum, von der deutschen Turn- und Sportkultur beeinflusste Bewegung. Die Umgangssprache der national-jüdischen Erziehung war deutsch. Erst nach dem 1. Weltkrieg verschob sich diese Zentrierung. Der 1921 erfolgte Namenswechsel von der Jüdischen Turnerschaft zum Makkabi Weltverband symbolisiert die Verschiebung der Gewichte und Orientierungen zugunsten einer weltoffenen, auf Palästina ausgerichteten Bewegung. Der Anspruch von Internationalität auf national-jüdischer Basis erzwang eine intensive Auseinandersetzung mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen über die Bedeutung des Sports. Die Integration unterschiedlicher Bewegungskulturen wurde dabei erleichtert durch das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit. 5

Siege gegen das Vorurteil - Jüdische Olympioniken Zum festen Bestandteil antisemitischer Vorurteile gehört die Behauptung der körperlichen Inferiorität der Juden. Aber nicht nur für Antisemiten, sondern auch im innerjüdischen Diskurs war das Bild vom schwächlichen Juden weit verbreitet. Sportliche Erfolge jüdischer Athleten, insbesondere bei Olympischen Spielen, wurden als Möglichkeit genutzt, diesem ein positives, sportliche Leistungsfähigkeit demonstrierendes Bild entgegenzusetzen. Schon Mitte der 20er Jahre gab es deshalb erste Versuche des palästinensischen Makkabi-Kreises als Vertreter Palästinas in die olympische Familie aufgenommen zu werden. Die Gespräche scheiterten jedoch an den Regeln des IOC. Unter einer eigenen Flagge konnten jüdische Sportler deshalb erst nach der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 antreten. Hapoel - Jüdischer Arbeitersport Ebenso wie in vielen anderen Ländern bildeten sich als Folge der Auseinandersetzungen zwischen sozialistischen und bürgerlichen Strömungen in der Gesellschaft auch in Palästina in den 20er Jahren sozialistisch orientierte Arbeitersportvereine heraus. Die bestehenden Vereine schlossen sich 1926 zur "Vereinigung für Körperkultur Hapoel" (Arbeiter)" zusammen. Der Vereinigung schlossen sich zunächst 10 Vereine mit 900 Mitgliedern an. Mit seinen in 33 Sportvereinen organisierten 4.250 Mitgliedern war Hapoel 1931 der größte Sportverband in Palästina. Politisch-ideologisch verfolgte Hapoel die Ziele des sozialistischen Gewerkschaftsverbandes. Histadrut Er stand damit in starkem Gegensatz zum 'bürgerlichen' Makkabi, mit dem es bis Ende der 30er Jahre kaum Kontakte und, mit Ausnahme im Fußball, keine gemeinsamen Wettbewerbe gab. Bis in die 30er Jahre hinein stand im Hapoel die Förderung des Breitensports im Vordergrund. Nicht zuletzt der Einfluss der aus Europa einwandernden Sportler und Sportlerinnen führte dann aber zu einer Aufwertung des Leistungssports. Sportliche Höhepunkte der Vorkriegszeit waren neben der Teil- 6

nahme an den Arbeitersportolympiaden in Wien (1931) und Antwerpen (1937) die Hapoel Games - nationale Sportfeste, die 1928 erstmals ausgetragen wurden. National und deutsch - der Sportbund Schild Der "Schild" Sportbund des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF) wurde am 30. Mai 1933 nicht zuletzt mit der Absicht gegründet, den jüdischen Sportlern, die nach der Machtübernahme aus den allgemeinen deutschen Turn- und Sportvereinen ausgeschlossen wurden, eine neue sportliche Heimstädte außerhalb der zionistisch orientierten Makkabi-Vereine zu geben. Schon seit Mitte der 20er Jahre hatte es einige mit dem RjF verbundene Sportgruppen gegeben. Ihre Anzahl blieb jedoch gering und die Sportaktivitäten waren auf wenige Sportarten, insbesondere Kampfsport und Gymnastik beschränkt. Nach 1933 entwickelte sich der Sportbund sehr rasch zur zweiten tragenden Säule des jüdischen Sports in Deutschland. Zum Makkabi stand er in scharfem ideologischen Kontrast. Der Tendenz des RjF entsprechend betonte der Bund die enge Verbundenheit zum Deutschtum. Die Mitglieder sollten nicht nur sportlich ertüchtigt, sondern auch in 'deutsch-vaterländischem Geist' erzogen werden. Der Sportbund bot nach 1933 alle wichtigen Sportarten an. Schwerpunkte waren, neben der Pflege von Kampfsportarten, u. a. die Leichtathletik, Fußball, Hockey, Wassersport und Fechten. Im Anschluss an das Novemberpogrom 1938 wurde der Sportbund, wie alle anderen jüdischen Organisationen "mit Ausnahme der für die Auswanderung tätigen Organisationen, verboten. Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde er nicht neu gegründet. "Tragt ihn mit Stolz den gelben Stern" Die Machtergreifung Hitlers bedeutete für die jüdische Sportbewegung in Deutschland einen dramatischen Wandel ihrer Existenzbedingungen. Bis 1933 waren die jüdischen Sportvereine und - verbände' in die allgemeine Turn- und Sportbewegung integriert, nahmen an Rundenspielen und Meisterschaften teil. Jetzt wurden sie innerhalb weniger Monate aus den allgemeinen Verbänden ausgeschlossen, der Spielbetrieb mit ihnen wurde eingestellt und die jüdischen Sportler und Sportlerinnen wurden aus den allgemeinen Sportvereinen gedrängt. Was folgte, war jedoch nicht der totale Zusammenbruch des jüdischen Sports, sondern das genaue Gegenteil: Ausgegrenzt aus dem allgemeinen Sportleben demonstrierten die jüdischen Sportvereine und ihre Mitglieder Stärke und Selbstbewusstsein. Im täglichen Überlebenskampf in einer zunehmend feindlicher werdenden Umwelt erwiesen sich die Vereine als unersetzliche Inseln der Selbstbehauptung. Innerhalb weniger Monate wurde ein eigener Spielbetrieb aufgebaut, Meisterschaften ausgeschrieben und das Sportangebot wie auch die gesamte Vereinsarbeit den neuen Gegebenheiten angepasst. Die Mitgliederzahl des deutschen Makkabi-Kreises wuchs von ca. 8.000 im Jahre 1933 auf ca. 22.000 Anfang 1935. Trotz zahlreicher Beschränkungen und oft unberechenbarer Eingriffe in den Sportbetrieb durch NS- Behörden und trotz immer stärker voranschreitender Auswanderung gelang es den Vereinen, den Sportbetrieb bis zum Pogrom am 9./10. November 1938 weitgehend aufrechtzuerhalten. Schöner Schein in tödlicher Gefahr - Berlin 1936 Nachdem Hitler die Olympischen Spiele 1933 vor allem aus außenpolitischen Gründen zur "Reichssache" erklärt hatte, lief eine bis dahin nicht für möglich gehaltene Propagandamaschinerie an, um der Welt den möglichst perfekten Schein eines ökonomisch wie politisch erfolgreichen, vor allem aber friedlichen NS-Staates vorzugaukeln. Zu dieser Inszenierung gehörte auch die Zusicherung nicht nur jüdische Sportler und Sportlerinnen aus dem Ausland zuzulassen, sondern auch jüdische Sportler in die deutsche Mannschaft aufzunehmen, sofern sie die Leistungsnormen erfüllten. 7

Hitler bei der Eröffnung der Olympiade 1936 Um für das Ausland den Schein einer unbehinderten Teilnahme jüdischer Sportler und Sportlerinnen im deutschen Team aufrecht zu erhalten lud die Reichssportführung zwei "Halbjuden" zur Teilnahme an den Spielen in Garmisch-Partenkirchen und Berlin ein: die seit 1932 in den USA lebende Fechterin Helene Mayer und den Eishockeyspieler Rudi Ball. Der "Volljüdin" Gretel Bergmann, die trotz aller Behinderungen mit der Einstellung des deutschen Hochsprungrekords die Olympiaqualifikation erfüllte, wurde dagegen die Teilnahme verweigert. Eine "Volljüdin" als Medaillengewinnerin der deutschen Olympiamannschaft wollten die NS-Machthaber nicht riskieren. Die Reaktion jüdischer Sportler und Sportlerinnen auf die Nominierung in ihren jeweiligen Ländermannschaften war uneinheitlich. Viele traten aus unterschiedlichen Gründen bei den Spielen in Berlin an. Es gab jedoch auch jüdische Sportler und Sportlerinnen, die sich weigerten, in einem Land anzutreten, in dem Juden weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt waren und nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 nur noch als Bürger zweiter Klasse geduldet wurden. "Nur Erinnern hilft vor blinder Wiederholung" Mit dem Pogrom am 9./10. November 1938 und den sich daran anschließenden Verfolgungen war das vorläufige Ende des jüdischen Sports in Deutschland besiegelt. Der Zeit der Ausgrenzungs- und Entrechtungspolitik folgte nun die Phase der Vernichtungspolitik. Für den sportlichen Wettkampf gab es keinen Platz mehr - was blieb, war der Kampf ums Überleben. Im Januar 1939 ließ Hitler mit seiner Drohung, ein Krieg würde die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa zur Folge haben, erkennen, dass die wahnhafte nationalsozialistische Rassenideologie ein neues Stadium ihres Vernichtungsfeldzuges gegen Juden einzuleiten bereit war. Am 20. Januar 1942 fand in Berlin die nach ihrem Tagungsort benannte Wannsee-Konferenz unter Leitung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, statt. Ziel der Konferenz war es, die bereits angelaufene Mordmaschinerie zu "effektivieren" und die Maßnahmen zur massenhaften, systematischen Vernichtung der Juden zu koordinieren. 8

Berlin: Brandenburger Tor zur Olympiade 1936 Aufruf des Makkabi-Hilfswerkes, Schweiz Jüdische Rundschau, September 1942 Obwohl zunächst vor allem der deutsche Makkabi-Kreis später dann auch der Sportbund Schild lange vor 1942 begonnen hatten, ihren Mitgliedern die Ausreise zu ermöglichen, gelang es vielen nicht mehr, rechtzeitig ein Land zu finden, das ihnen Aufnahme und Zuflucht gewährte. Bis heute ist nicht erforscht, wie viele jüdischen Sportler und Sportlerinnen dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Allein ein nach Zeitzeugenaussagen zusammengestelltes Gedenkbuch im Pierre Gildesgame Maccabi Sports Museum, enthält über 300 namentlich bekannte Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. 9

Information zur Ausstellung: Sportmuseum Berlin Literaturhinweis: Jüdischer Sport und jüdische Gesellschaft / Jewish Sport and Jewish Community. Hrsg.: Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin und Akademia Wychowania Fizycznego w Poznaniu, Poznan. Berlin: Haus der Wannsee-Konferenz 2010, 418 S., ISBN 9-783 981-311907 10