Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse des Forschungsprojektes Bildschirmarbeit in Leitwarten

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Transkript:

GfA (Hrsg.) 2013, Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung 735 Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse des Forschungsprojektes Bildschirmarbeit in Leitwarten Friedhelm NACHREINER 1, Martina BOCKELMANN 1 und Peter NICKEL 2 1 Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung (GAWO) e.v., Achterdiek 50, D-26131 Oldenburg 2 Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Alte Heerstraße 111, D-53757 Sankt Augustin Kurzfassung: Im Rahmen einer Projektreihe zur Bildschirmarbeit im Non-Office-Bereich hat die BAuA die GAWO mit einem Projekt zur Bildschirmarbeit in Leitwarten beauftragt. Ziel dieses Projektes war eine Bestandsaufnahme der aktuellen Arbeitsbedingungen in Leitwarten unterschiedlicher Branchen unter Berücksichtigung der Vorgaben der Bildschirmarbeitsverordnung sowie die Entwicklung geeigneter Gestaltungsansätze bzw. -empfehlungen. In diesem Beitrag soll ein kurzer Überblick über die wesentlichen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse dieses Projektes gegeben werden. Schlüsselwörter: Bildschirmarbeit, Prozessführung, Leitwarten, Bildschirmarbeitsverordnung. 1. Einleitung Ziel eines von der BAuA initiierten Projektes zur Bildschirmarbeit in Leitwarten war eine Ist-Aufnahme der derzeitigen Gestaltungsgüte von Bildschirmarbeit in Leitwarten unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen der Bildschirmarbeitsverordnung sowie die Entwicklung geeigneter Gestaltungsansätze und -empfehlungen für eine ergonomische Gestaltung der Bildschirmarbeit in diesem Bereich. Zu diesem Zweck wurden 27 Bildschirmarbeitsplätze in 24 Leitwarten unterschiedlicher Branchen mit Hilfe einer eigens für diesen Zweck entwickelten Checkliste detailliert untersucht. Untersuchungsgegenstände waren, neben den räumlichen Bedingungen, der Gestaltung der Arbeitsplätze und -mittel, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung, vor allem die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle und die Dialogführung, da die Bildschirmarbeitsverordnung insbesondere auch auf die Grundsätze der menschlichen Informationsverarbeitung abhebt und Vorerfahrungen aus der betrieblichen Praxis hier besondere Probleme vermuten ließen. Detaillierte Ergebnisse dieser Untersuchungen sind im Forschungsbericht (Bockelmann et al. im Druck) dargestellt. Gestaltungshinweise und -hilfen finden sich darüber hinaus in der dazugehörenden Quartbroschüre (ebenfalls im Druck). In diesem Beitrag sollen ergänzend dazu die aus dem Projekt gewonnenen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse auf einem höheren Abstraktionsniveau zusammenfassend dargestellt werden. 2. Prozessführung mit Bildschirmgeräten ist Bildschirmarbeit Entsprechend der zu verrichtenden Tätigkeiten und der dabei zu nutzenden Ar-

736 beitsmittel, insbesondere der Rechner-Bildschirm-Einheiten, fallen Tätigkeiten mit Bildschirmgeräten in Leitwarten (mit wenigen Ausnahmen) zweifelsfrei unter den Geltungsbereich der Bildschirmrichtlinie (Richtlinie 90/270/EEC) und der darauf basierenden Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV 2008; vgl. auch Bockelmann et al. im Druck; Jeschke & Lafrenz 2012). Wie die Untersuchungen (Bockelmann et al., im Druck) zeigten, wird diese Tatsache offensichtlich nicht von allen Unternehmen zur Kenntnis genommen, berücksichtigt oder akzeptiert. Dies stellt eine erste und wichtige arbeitswissenschaftliche Erkenntnis dar, da sich daraus wichtige Implikationen ergeben. So war es einem Teil der angesprochenen Unternehmen nicht klar, dass die Gestaltung der Arbeitsplätze und der Leitwartentätigkeit tatsächlich der BildscharbV unterliegen. Der Geltungsbereich der BildscharbV wurde dort fälschlicherweise lediglich auf den Arbeitsbereich von Büro und Verwaltung bezogen. Dementsprechend wurde die Arbeit der Mitarbeiter in den Leitwarten bisher auch noch nicht unter dieser Perspektive betrachtet. Andere Unternehmen haben in Verkennung der Vorgaben der Verordnung sogar bestritten, dass die Arbeit in Leitwarten unter die BildscharbV falle und aus diesem Grund eine Teilnahme am Projekt abgelehnt. Hintergrund war dabei z. T. auch der Umstand, dass in diesen Unternehmen tarifpolitische Auseinandersetzungen, so etwa zur Pausengestaltung, befürchtet wurden bzw. sie sich gezwungen sehen könnten, die Vorgaben der BildscharbV zur Arbeitsplatz- und Arbeitsmittelgestaltung (ggf. im Anschluss an die Untersuchung) umzusetzen. Damit wird deutlich, dass hier ein ganz erheblicher Handlungsbedarf bezüglich Aufklärung und Umsetzung besteht. Den betroffenen Unternehmen muss vermittelt werden, dass sie die Vorgaben der BildscharbV umzusetzen haben, um die mit dieser Verordnung verbundenen Schutzziele (Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten) zu erreichen. Eine Aufklärung und Information der Unternehmen kann durch entsprechende Publikationen geschehen, z. B. mithilfe des Forschungsberichtes zu diesem Projekt (Bockelmann et al. im Druck). Dabei ist allerdings zu befürchten, dass dieser Bericht nur in den Unternehmen gelesen wird, die die BildscharbV in ihren Bereich für relevant halten. Auch Veröffentlichungen in einschlägigen Zeitschriften, insbesondere solche für betriebliche Praktiker, erscheinen vielversprechend (z. B. Jeschke & Lafrenz 2012). Jedoch dürfte auch hier mit einer selektiven Wahrnehmung zu rechnen sein. Damit die Betroffenen (z. B. Unternehmen, Leitwartenoperateure und deren Interessenvertreter) auf die Problematik aufmerksam und dafür sensibilisiert werden und sich dann entsprechend detaillierter informieren, könnte eine Thematisierung in Presseberichten hilfreich sein. Ein weiterer Ansatzpunkt könnte darin bestehen, den staatlichen und autonomen Arbeitsschutz (z. B. Landesämter für Arbeitsschutz, Unfallversicherungsträger) stärker in die Aufklärungsarbeit einzubinden, um die Unternehmen direkt zu informieren bzw. ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich mit entsprechenden Informationen zu versorgen. Das setzt allerdings voraus, die Aufsichtspersonen für das Thema Bildschirmarbeit in Leitwarten zu sensibilisieren und in den (kontextspezifischen) relevanten Inhalten zu schulen. Darüber hinaus könnte auch die Berücksichtigung dieses Themas in der Ausbildung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowohl mit den rechtlichen wie den inhaltlichen Aspekten einen wichtigen Beitrag leisten. Wichtig wäre auch die Trennung der sozial- und tarifpolitischen Inhalte von den Gestaltungsaspekten der Bildschirmarbeit und insbesondere der Bildschirmarbeitsplätze, damit diese primär und ohne tarifpolitische Instrumentalisierung umgesetzt werden könnten, um die Schutzziele der BildscharbV besser erreichen zu können.

737 3. Erhebliche Umsetzungsdefizite Eine der zentralen wissenschaftlichen Erkenntnisse des Forschungsprojektes und der durchgeführten Untersuchungen besteht in der zum Untersuchungszeitpunkt nur unzureichenden Umsetzung der ergonomischen Vorgaben der BildscharbV und der sie unterfütternden einschlägigen Normen und Leitfäden. Nur rund 66% der Gestaltungsempfehlungen wurden an den untersuchten Arbeitsplätzen als hinreichend erfüllt beurteilt. Ein Drittel der Anforderungen war dagegen nicht erfüllt. Dies ist bemerkenswert, weil es sich bei den Vorgaben um Anforderungen handelt, die erfüllt sein sollten, damit die Arbeits- und Gesundheitsschutzziele erreicht werden können. Die meisten Verletzungen finden sich dabei im Bereich der Gestaltung der Mensch-Maschine- Schnittstellen und der Arbeitsorganisation. Die Auswertungen der Ergebnisse weisen als weitere arbeitswissenschaftliche Erkenntnis auf eine branchenabhängige Qualität der Anforderungserfüllung hin, die eng mit der Art der Aufgabenstellung über eine grobe Branchenklassifikation in Produktion versus Dienstleistung zusammen hängen könnte. Eine Faktorenanalyse der Daten der untersuchten Leitwartenarbeitsplätze legt jedenfalls eine solche Klassifizierung nahe (vgl. Bockelmann et al. im Druck). Im Prinzip deutet sich damit, bei aller gebotenen Vorsicht aufgrund der begrenzten Datenlage, eine Tendenz an, wonach sich die beiden Bereiche zu unterscheiden scheinen. Dem sollte in aufbauenden Analysen dringend weiter nachgegangen werden, um herauszufinden, warum hier eine unterschiedliche Umsetzung der Anforderungen erfolgt und welche Abhängigkeiten zu den konkret zu erledigenden Arbeitsaufgaben bestehen. Darüber hinaus belegen die durchgeführten Analysen als weitere arbeitswissenschaftliche Erkenntnis einen insgesamt leichten Rückgang der Verletzung ergonomischer Vorgaben in Abhängigkeit vom Jahr der Inbetriebnahme der Leitwarten. Allerdings sind diese Verbesserungen im Wesentlichen auf Verbesserungen im Bereich der klassischen Ergonomie der Arbeitsplatzgestaltung zurückzuführen, wenngleich sich auch in diesem Bereich immer noch deutliche Verletzungen der Vorgaben zeigten. Im Bereich der Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstellen und der Dialogführung fallen dagegen die Fortschritte viel geringer aus Inhalte, auf die die BildscharbV insbesondere und ausdrücklich abhebt und bei denen man sich ebenfalls eine Zeitabhängigkeit im Sinne einer Zunahme der Umsetzung vorstellen könnte. In diesem Themenbereich muss daher ein besonderer Schwerpunkt künftiger Ansätze liegen. 4. Interesse auf Seiten der Betriebe Eine weitere arbeitswissenschaftliche Erkenntnis des Projektes ist das große Interesse der beteiligten Unternehmen, mehr über die für Leitwarten relevanten Erkenntnisse der Ergonomie und insbesondere die darauf beruhenden Gestaltungsanforderungen zu erfahren, um auch selbstständig Verbesserungen vornehmen zu können. Aus diesem Grund besteht auch ein großes Interesse an der Verfügbarkeit der spezifisch für die Projektbearbeitung entwickelten Checkliste. Auch die bereits jetzt (vor Drucklegung des Forschungsberichtes) vorliegenden Nachfragen anderer Unternehmen nach den Projektergebnissen und der entwickelten Checkliste wie auch die ursprünglich große Bereitschaft weiterer Unternehmen an der Untersuchung teilzunehmen legen die Vermutung nahe, dass ein Großteil der Unternehmen, aus wirtschaftlichen wie aus humanitären Gründen, an den Ergebnissen und deren Umsetzung interessiert sein dürften.

738 Des Weiteren erscheint es wichtig, Ergonomie und insbesondere die Ergonomie der Informationsverarbeitung (wieder) in der Ausbildung von Konstrukteuren und Informatikern zu verankern, so dass auch auf Seiten der Hersteller erforderliche Basiskompetenzen vorhanden sind. Darüber hinaus erscheint eine Umsetzung der normativen Vorgaben (u. a. Normenreihe DIN EN ISO 11064; DIN EN ISO 10075-2; DIN EN ISO 28600) unverzichtbar, wonach Experten aus dem Bereich Ergonomie/Human Factors an der Konzeption von Arbeitssystemen und damit auch Leitwarten von Anfang an beteiligt sein sollen. Darauf sollte in den einschlägigen Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten der jeweiligen Träger hingewirkt werden. 5. Zusammenwirken der Komponenten, Systemansatz Auch wenn es keine neue Erkenntnis ist, so fällt doch gerade bei der Gestaltung von Leitwarten auf, dass die Analyse und Gestaltung von Einzelkomponenten nicht zielführend sein kann. Gerade die Besetzung der Arbeitsplätze in Leitwarten mit mehreren und in ihren Merkmalen recht unterschiedlichen Operateuren, macht deutlich, dass es um eine Optimierung des Gesamtarbeitssystems gehen und eine Beurteilung lediglich der einzelnen Komponenten zu kurz greifen muss. Die in den Untersuchungen verwendete Checkliste mit ihren Einzelmerkmalen kann bei unsachgerechter Anwendung (bei der Beurteilung wie auch bei der Gestaltung) dazu verführen, sich auf Details zu konzentrieren und das Gesamtsystem aus dem Auge zu verlieren. Hier gilt es daher zu überlegen, wie ergonomisch weniger vorgebildeten Personen diese Sichtweise nahegebracht werden kann und welche Modifikationen des Verfahrens dafür notwendig wären. 6. Spezifität von Leitwartenarbeitsplätzen/Spezifität der Vorgaben Im Forschungsbericht (Bockelmann et al., im Druck) wird an mehreren Stellen auf die Spezifitäten der Arbeit an Bildschirmgeräten in Leitwarten hingewiesen (u. a. Echtzeitbearbeitung, Rund-um-die-Uhr-Besetzung, z. T sehr enge zeitliche Bindung). Da es jede Leitwarte jedoch genau genommen immer nur einmal gibt, können Verallgemeinerungen problematisch sein. Daher erscheint, neben den im Bericht vorgestellten verallgemeinerten Gestaltungsempfehlungen, eine präzisere und stärker spezifizierte Anforderungsliste wünschenswert. Solche kontextspezifizierten Vorgaben bei der Umsetzung der Vorgaben der BildscharbV existieren nur zum Teil, sollten aber dringend erarbeitet werden, um Konstrukteuren und Betreibern geeignete Hilfsmittel an die Hand geben zu können. 7. Literatur 1. BGI 650: 2012, Bildschirm- und Büroarbeitsplätze. Leitfaden für die Gestaltung. Hamburg: Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG). 2. Bockelmann, M., Nachreiner, F. & Nickel, P. im Druck, Bildschirmarbeit in Leitwarten - Handlungshilfen zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen nach der Bildschirmarbeitsverordnung (F2249). Dortmund: BAuA. 3. DIN EN ISO 11064: Ergonomische Gestaltung von Leitzentralen (7 Teile, 2000 bis 2008). Berlin: Beuth. 4. Jeschke, P. & Lafrenz, B. 2012, Computer-Arbeit in Leitwarten: Gilt die Bildschirmarbeitsverordnung?, Sicher ist sicher - Arbeitsschutz aktuell, 21-25.

Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung Zukunftsfähigkeit für Produktions- und Dienstleistungsunternehmen 59. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft Fachhochschule Krefeld 27. Februar bis 01. März 2013 Press

Bericht zum 59. Arbeitswissenschaftlichen Kongress vom 27.02. bis 01.03.2013 an der FH Niederrhein, herausgegeben von der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Dortmund: GfA-Press ISBN 3-978-3-936804-14-0 NE: Gesellschaft für Arbeitswissenschaft: Jahresdokumentation Als Manuskript gedruckt. Diese Schrift ist nur bei der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v., Ardeystraße 67, 44139 Dortmund, erhältlich. E-Mail: gfa@ifado.de, Internet: www.gfa-online.de Alle Rechte vorbehalten. GfA-Press, Dortmund Schriftleitung: apl. Prof. Dr. M. Schütte im Auftrag der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Ohne ausdrückliche Genehmigung der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. ist es nicht gestattet, die Broschüre oder Teile daraus in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) zu vervielfältigen. Druck: City Druck, Heidelberg Printed in Germany Technische Gestaltung: Stefan Cavadini

Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Jahresdokumentation 2013 Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung Zukunftsfähigkeit für Produktionsund Dienstleistungsunternehmen Bericht zum 59. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft vom 27. Februar bis 01. März 2013 herausgegeben von der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V: