Manuskript Beitrag: Die Limo-Lobby Konzerne verharmlosen Krankmacher Sendung vom 2. Februar 2016 von Jörg Göbel und Julian Prahl Anmoderation: Sind wir Verbraucher einfach zu doof? Wir sollten doch langsam mal verstanden haben, dass eine falsche Ernährung uns dick und dann auch noch krank machen kann. Haben wir aber nicht. Jedenfalls sind in Deutschland 67 Prozent der Männer, 53 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Kinder übergewichtig. Tendenz steigend. Die Lebensmittelindustrie tut aber auch viel dafür, um zu erklären, dass sie damit nullkommanull zu tun hat. Unsere Autoren Jörg Göbel und Julian Prahl zeigen am Beispiel Coca-Cola, wie die Limo-Lobby Dick- und Krankmacher verharmlost. Text: Jahrelang haben sie fast ausschließlich solche Limonaden, Nektare, Schorlen und Fruchtsäfte getrunken, kaum Wasser - das Ehepaar Matthée aus Sprötze in Niedersachsen. Dabei wussten sie nicht, dass sie sich damit schaden könnten. O-Ton Sonja Matthée, Diabetikerin: Morgens als erstes immer ein Glas O-Saft, dann auf der Arbeit ist ein Cola-Automat, da geht man dann immer hin. Und abends haben wir auch Fanta, Sprite, die ganze Palette. Ich wusste ja da nicht, wie schlecht das für mich war, wie schädlich das für mich war. Bei einer Routineuntersuchung stellen Ärzte bei ihr Diabetes Typ 2 fest, den sogenannten Altersdiabetes, später auch bei ihrem Mann. Die Ursache: zu viel Zuckerkonsum über viele Jahre. Beide mussten ihre Ernährung und ihr Trinkverhalten umstellen. Sonja Matthée hat 20 Kilogramm in einem Jahr abgenommen. Das Ehepaar gehört jetzt zu den schätzungsweise sechs Millionen Diabeteskranken in ganz Deutschland. 90 Prozent davon haben den Typ 2.
Die Matthées sind davon überzeugt: Die zuckerhaltigen Getränke sind ein Hauptgrund für ihre Erkrankung. Diesen Zusammenhang sehen auch viele Wissenschaftler - wie hier am Deutschen Institut für Ernährungsforschung. O-Ton Prof. Matthias Schulze, Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke: Wenn wir die Daten aus vielen Studien zusammenfassen, muss man zu dem Schluss kommen, dass die mit dem Risiko für Übergewicht assoziiert sind. Das heißt, solche gezuckerten Getränke führen dazu bei, dass man Gewicht zunimmt und sind auch mit anderen Erkrankungsrisiken verbunden, zum Beispiel das Diabetes-Risiko steigt. Doch genau das will die Lebensmittelindustrie so nicht stehen lassen. Die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreier Getränke, kurz WAFG, widerspricht. Der Lobby-Verband, der unter anderem Coca-Cola und Pepsi vertritt, schreibt in einem Positionspapier: Es besteht keine Kausalität zwischen dem Konsum zuckergesüßter Erfrischungsgetränke und Übergewicht. Die Getränkehersteller lehnen die Verantwortung für Übergewicht und Diabetes ab. Dabei steigt das Risiko für Diabetes: Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. 15 Prozent gelten als übergewichtig, sechs Prozent gar als fettleibig. Kinder nehmen jährlich kiloweise Zucker allein über Getränke zu sich, stellt der Chefarzt der Kinderklinik Hannover fest. Mit steigendem Alter sogar immer mehr: O-Ton Prof. Thomas Danne, Deutsche Diabetes-Hilfe: Beim sechsjährigen Kind sind es noch fünf Kilo, bei 14- bis 17-jährigen Jugendlichen sind es schon 30 Kilo. Das heißt, wir haben eine starke Zunahme. Es ist ein hoher Anteil an der Kalorienaufnahme am Tag und damit ein Riesen-Risikofaktor für Übergewicht, der, glaube ich, vielen Kindern, Jugendlichen und Eltern nicht klar ist. Statt darüber aufzuklären betreiben Getränkehersteller wie der Weltmarktführer Coca-Cola Lobbying in eigener Sache. Die US- Zentrale in Atlanta hat 2014 einen weltweiten Umsatz in Höhe von 46 Milliarden Dollar erwirtschaftet - und unterstützte finanziell Wissenschaftler wie ihn. Sein Gesundheitsnetzwerk hat 1,5 Millionen Dollar von Coca-Cola bekommen. O-Ton Dr. Steven Blair, Quelle: YouTube/CrossFit: Der Hauptfokus der öffentlichen Medien und der wissenschaftlichen Fachpresse ist: viel zu viel Essen. Sie geben Fast Food die Schuld, sie geben zuckrigen Getränken die Schuld. Und dabei gibt es praktisch keinen zwingenden Beleg dafür, dass das die Ursache ist.
Ein Wissenschaftler, der den Zusammenhang zwischen zuckrigen Softdrinks und Übergewicht öffentlich abstreitet - nicht der einzige. Amerikanische Medien haben inzwischen interne E-Mails des Gesundheitsnetzwerks veröffentlicht. Das Wohlwollen der Wissenschaftler war dem Weltkonzern offenbar sicher: Ich möchte Ihrem Unternehmen helfen, das Image loszuwerden, ein Problem für das Leben der Menschen zu sein. Sie müssen wieder ein Unternehmen werden, das den Menschen Spaß bringt. O-Ton Oliver Huizinga, foodwatch: Coca-Cola hat ein millionenschweres Ablenkungsmanöver gestartet. Sie möchten nicht über die eigene Verantwortung für Übergewicht und chronische Krankheiten sprechen. Aber sie möchten sehr gerne, dass viel über Bewegung geredet wird, über Bewegung als Lösungsansatz für Übergewicht. Genau dafür sponsert Coca-Cola Forschungseinrichtungen, Sportveranstaltungen, Sport- und Bewegungsförderungsprogramme. All das zahlt auf die Strategie ein, weniger über Zuckergetränke aber mehr über Bewegung zu reden. Und dann ist Coca-Cola schließlich fein raus. Erst auf öffentlichen Druck hat Coca-Cola Zahlen für den Zeitraum von 2010 bis 2015 veröffentlicht: Danach sind in Nordamerika 118,6 Millionen Dollar in sogenannte Gesundheitspartnerschaften geflossen. Jetzt hat der Konzern auch für Europa Ausgaben genannt: In Irland In den Niederlanden In Frankreich In Großbritannien Und in Deutschland 1,52 Millionen Euro 2,65 Millionen 6,87 Millionen 9,33 Millionen Pfund 7,47 Millionen Euro Das Sponsoring soll Wissenschaftler nicht beeinflussen so Coca-Cola. Professor Matthias Schulze hat umfassend untersucht, welche Studien einen Zusammenhang zwischen zuckerhaltigen Getränken und Übergewicht belegen und welche nicht. O-Ton Prof. Matthias Schulze, Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke: Was wir gesehen haben ist, dass 80 Prozent der Studien, die von der Industrie gesponsert werden, zu dem Schluss kommen, dass es keinen Zusammenhang gibt. Während 80 Prozent der Studien, die durch öffentliche Mittel gefördert werden, schlussfolgern, dass es einen Zusammenhang gibt. Und dieser Unterschied war sehr, sehr offensichtlich.
In Deutschland sticht vor allem eine Kooperation hervor - an der renommierten Berliner Uniklinik Charité, mit dem Institut für Geschlechterforschung in der Medizin. Dem hat Coca-Cola in den vergangenen Jahren rund eine Million Euro gezahlt. Damit wurde unter anderem die Initiative Hör auf Dein Herz gefördert. O-Ton Prof. Vera Vera Regitz-Zagrosek, Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Quelle: YouTube/ Coca-Cola Light: Hör auf Dein Herz! Das ist eine Aktion, in der wir den Frauen in Deutschland sagen möchten, dass sie auf ihre Herz- Kreislauf-Gesundheit achten müssen. Coca-Cola light ist der prominente Werbepartner. Ausgerechnet kritisiert Foodwatch. O-Ton Oliver Huizinga, foodwatch: Es ist natürlich naiv zu glauben, dass gerade Coca-Cola, der Weltmarktführer für Zuckergetränke, ein geeigneter Partner ist für Gesundheitsprogramme und für Gesundheitsinitiativen wie Hör auf Dein Herz. Es ist so, dass die Charité diese inakzeptable Kooperation - aus unserer Sicht - sofort beenden muss. Coca-Cola möchte sich ausschließlich reinwaschen. Die Charité teilt Frontal 21 mit, eine Verlängerung der Unterstützung sei nicht geplant. Weiter heißt es, Zitat: Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Instituts und der Charité wurden ( ) in keiner Weise verletzt. Coca-Cola lässt wissen, man sei stolz auf die Partnerschaft. Und der Konzern wird wohl seine bisherige Strategie beibehalten. Dazu gehört: Wissenschaft fördern. Und gleichzeitig abstreiten: jeden direkten Zusammenhang zwischen Zucker-Getränken und Diabetes Typ 2. O-Ton Prof. Thomas Danne, Deutsche Diabetes-Hilfe: Es war ja damals auch von der Tabakindustrie sehr stark versucht worden, die wissenschaftliche Evidenz, den Zusammenhang Rauchen und Krebs zu erschüttern. Und ich muss bedauerlicherweise sagen, Ähnliches wird natürlich auch von der Limonadenindustrie versucht, um den Zusammenhang süße Limonaden, Übergewicht und Diabetes zu verschleiern, indem man den Politikern suggeriert, da herrscht keine wissenschaftliche Einigkeit. Das ist traurig. Anscheinend funktioniert die Lobbyarbeit. Trotz steigendem Übergewicht und steigendem Diabetes-Risiko setzt die Bundesregierung lieber auf freiwillige Selbstverpflichtungen statt auf klare Regeln und Verbote.
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