Hunger und Fehlernährung weltweit Stand, Ursachen, Perspektiven

Ähnliche Dokumente
Welternährung, Ökolandbau und Gentechnik

Ernährungssicherung aus globaler Sicht

Welternährung 2050 Global oder Lokal?

Der Hunger in der Welt

Welternährungskrise und kein Ende? Das Hungerproblem und Ansätze einer Lösung

Die Welternährungskrise Aufbruch oder stiller Tsunami?

Was wissen wir wirklich über die Zahl und Verteilung von Landwirtschafts- und Familienbetrieben weltweit?

Ernährungssicherheit zwischen Ernährungssouveränität und Liberalisierung

Agrarmärkte, Welternährung und Nachhaltigkeit: Warum Innovation und Produktivitätssteigerung wichtig sind. Kiel,

Kleinbäuerliche Landwirtschaft im Globalen Süden. Können Kleinbauern die Welternährung sichern? Rostock,

Entwicklungspfade einer verantwortungsvollen Landwirtschaft: Nachhaltiges Produktivitätswachstum und Ressourcenschutz. Berlin,

Was verträgt unsere Erde noch?

Sicherung der Welternährung Welche Art Landwirtschaft kann das zukünftig leisten? Prof. Dr. Matin Qaim

Hunger und Fehlernährung

Zitat von Kostas Stamoulis, Wirtschaftsressort der FAO:

Globalisierung im Agrarbereich

Flächennutzung. eine Frage der nachhaltigen Zukunftsgestaltung

LUC, dluc und iluc: Wieso, weshalb, warum und wie? Berlin,

Biotreibstoffe, Agrarmärkte und Welternährung: Plädoyer für eine produktive Landwirtschaft. Berlin

Energiebedarfe entlang agrarbasierter Wertschöpfungsketten zur Verbesserung der Ernährungssicherung

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Konturen einer nachhaltigen Landwirtschaft

Flächenansprüche der Landwirtschaft Der hohe Wert der modernen Landwirtschaft für die Gesellschaft: Freising-Weihenstephan,

Nachhaltige Sicherung der Welternährung: Welche Rolle kann die Grüne Gentechnik spielen?

Beseitigung der extremen Armut und des Hungers

Die gesellschaftliche Bedeutung der Pflanzenzüchtung. Berlin,

Zur Bedeutung des Themas Welternährung in der deutschen Öffentlichkeit Prof. Dr. Matin Qaim

Themenpapier 1: Weltbevölkerung, Wohlstand

Welternährung und Weltlandwirtschaft: Erfahrungen der letzten 50 Jahre

03a / Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Einführung: Die heutige Landwirtschaft und ihre Herausforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit

Institute for Advanced Sustainability Studies IASS in Potsdam

KANN DIE LANDWIRTSCHAFT DIE WELT ERNÄHREN? DIE NÄCHSTEN 30 JAHRE. Harald von Witzke, Berlin *

Weltbevölkerungsprojektionen bis 2100

Einfluss auf Agrarmärkte Szenarien Ergebnisse aus MAGNET im Projekt Meilensteine 2030

Dies ist ein Originaltext der Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro aus dem Jahre 1992.

03a / Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Einführung: Die heutige Landwirtschaft und ihre Herausforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit

Welternährung 2050: Was heißt das global? Was heißt das für Deutschland? Matin Qaim, Wilhelm Klümper, Jonas Kathage

WEGE AUS DER ARMUT. "Dein Hunger wird nie gestillt, dein Durst nie gelöscht, du kannst nie schlafen, bis du irgendwann nicht mehr müde bist"

Welternährungstag 2016: Nahrung sichern, Hunger vermeiden

Sicherung der Welternährung: Herausforderungen bei zunehmender Knappheit an Boden

Zukunftsrezept SDGs? Umsetzung der Agenda 2030 in Gemeinden. FairStyria Gemeindetagung 2018, am 29. November im Kunsthaus Weiz

Fleisch. ein kritischer Blick auf Produktion und Konsum. Bernhard Burdick. Gruppenleiter Ernährung. FÖS, Berlin, Bernhard Burdick 1

Video-Thema Manuskript & Glossar

Wie ernähren wir 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050? Christoph Mäder, Mitglied der Geschäftsleitung

Die Tragfähigkeit der Erde und das Problem der Ernährungssicherung

Nachhaltige Landwirtschaft

Welternährung Herausforderung und Lösungsansätze

Nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume ein unverzichtbares öffentliches Gut?!

Globale Herausforderungen meistern! Hunger verringern und Fortentwicklung über stabile Entwicklungsländer schaffen

Agrobiodiversität und Welternährungssicherung

Wie entwickelt sich das Angebot an Futtermitteln bei konkurrierender Flächennutzung? - Handelsfuttermittel -

Welternährungssicherung Herausforderungen, Handlungsbedarf und Instrumente

NRW Enquetekommission: Bioenergie

Hunger und die globale Entwicklung Wie isst die Welt heute und morgen? Ringvorlesung Konflikte der Gegenwart und Zukunft

Zusammenfassung Arbeitsblatt

Vom Kleinbauern zur Mega-Farm Woher die landwirtschaftlichen Rohstoffe kommen und wer im Zeitalter der Globalisierung die Welt ernährt

6. Einheit Wachstum und Verteilung

Die beim 5. Berliner Agrarministergipfel versammelten Minister,

Hungerbekämpfung und Bäuerliche Landwirtschaft - Hand in Hand für mehr Entwicklung

Unterlagen zum. PRESSEGESRPÄCH Genug Nahrung für alle keine Utopie! Der Beitrag der Pflanzenbauer und Pflanzenzüchter für die Welternährung.

Bevölkerungsexplosion und schrumpfende Gesellschaften - Quo vadis, Homo sapiens? Prof. Dr. Caroline Kramer (LMU Geographie)

Herausforderungen in den Agrarmärkten

Vortrag "Biodiversität"

Welternährung durch die Landwirtschaft sichergestellt? Dr. R. Joerin Institut für Umweltentscheidungen, ETH Zürich

Den Planeten ernähren: Herausforderung und Verantwortung

Zur Entwicklung der Weltbevölkerung

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft Megatrend Urbanisation: Fakten - Trends - Folgen. SiemensForum. München, 6.

Einführung in die Wachstumstheorie

Kleinbauern säen die Zukunft

Kyoto! Und dann? Prof. Hubert Weiger Bundesvorsitzender BUND

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen regionaler Bedeutung und globaler Wirtschaft. 05a / Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft

Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums ELER

Sicherung der welternährung: Internationale Agrarmärkte, Welternährung und Klimawandel

Ernährungssouveränität, Agrarökologie und Fairer Handel

Afrika als Chance zur Lösung der weltweiten Krise. WIPRO GmbH

Das UNESCO MAB-Programm und das Biosphärenreservats-Konzept

Grundlagen der Umweltwissenschaften I

Der aktuelle Düngemittelmarkt. Welternährung ohne Mineraldünger nicht möglich. Jahrespressekonferenz Frankfurt, 19. April 2016

Die Globalisierung der Eier- und Geflügelfleischerzeugung

Auswirkungen des Klimawandels auf die Entwicklungszusammenarbeit

Internationale Agrarpolitik: Ernährungssicherheit

7. Einheit Nachhaltigkeit

Die grüne Revolution. - ein Thesenpapier -

Eine neue Sicht der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette: Sicherung der Welternährung, Klima- und Ressourcenschutz

Hochwertige und chancengerechte Bildung für alle. Katja Römer Pressesprecherin Deutsche UNESCO-Kommission

Thema 3 Die geographischen Kräfte in den Kontinenten und Kontinentalregionen

Zur Dynamik der europäischen Geflügelwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Niederlande und Deutschlands. Teil II: Eierproduktion

Bioökonomie International. Globale Zusammenarbeit für eine biobasierte Wirtschaft

Weltweite Ethanol- Ausblick auf die Rohstoff- und

Schulinterner Lehrplan Erdkunde Qualifikationsphase (Q2)

Factsheet. Die Millennium-Entwicklungsziele was wurde bisher erreicht?

PRESSEMITTEILUNG. Hintergrundmaterial verfügbar unter:

InnoPlanta Forum 2010 Grüne Biotechnologie ist weltweit Realität - Die Sicht eines Pflanzenzüchtungsunternehmens

Food and Agriculture (GFFA)

Ländliche Armut und Lösungsvorschläge:

Unterrichtsmaterialien für Lehrer & Schüler UN World Food Programme

Den Planeten ernähren: Herausforderung und Verantwortung

Wie kann die Welt im Jahr 2050 nachhaltig ernährt werden?

Transkript:

Hunger und Fehlernährung weltweit Stand, Ursachen, Perspektiven Prof. Dr. Hartwig de Haen Vortrag im Rahmen des Studium Generale Universität Mainz, 14. Februar 2012 1

Katastrophe am Horn von Afrika - Warnsignale - 2

Hunger und Fehlernährung weltweit Stand, Ursachen, Perspektiven 1. Bisherige Entwicklung Überfluss und Mangel 2. Hunger Ursachen und Folgen 3. Ausblick bis 2050 4. Herausforderungen und Problemfelder 5. Schlussfolgerungen 3

Welternährung bis heute Die gute Nachricht: Nahrungsangebot auf Rekordniveau Trotz Verdoppelung der Weltbevölkerung: steigende Agrarproduktion pro Kopf Entwicklungsländer steigerten Produktion und Nahrungsimporte Nahrungsverbrauch nach Menge und Vielfalt gestiegen Mehr Menschen in Ländern mit hohem Durchschnittsverbrauch 4

Agrarproduktion wuchs schneller als Weltbevölkerung 5

Nahrungsimporte - Beitrag zur Ernährungssicherung - Millionen Tonnen 0-20 -40 Getreide Handelsbilanz der Entwicklungsländer -60-80 -100-120 -140-160 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: FAO 6

Verbrauch pro Kopf: mehr Menge und Vielfalt Quelle: FAO 7

Die schlechte Nachricht: Mangel neben Überfluss Triple burden of malnutrition Übergewichtig: 1,5 Mrd. Fettleibig: 400 Millionen Jeden Tag sterben 12000 Kinder unter 5 an Hunger oder ernährungsbedingten Krankheiten Unterernährt: 950 Millionen Mikronährstoffmangel: über 2 Mrd. 8

Größte Zahl in Asien (578 Millionen) Höchste % der Bevölkerung in Afrika (32%) 75 % der Hungernden sind Kleinbauern und Landarbeiter 25 % arme Städter vorwiegend Frauen und Kinder Wer sind die Hungernden? 9

Länder mit dem größten absoluten Zuwachs des Hungers Unterernährte in Mio Unterernährte in % 1990/92 2005/07 1990/92 2005/07 Dem Rep Congo 10,0 41,9 26 69 Indien 172 238 20 21 Pakistan 29,6 43,4 25 26 Tansania 7,4 13,7 28 34 Dem. Rep.Korea 4,2 7,8 21 33 Kenia 8 11,2 33 31 Jemen 3,8 6,7 30 31 Quelle FAO, SOFI 2010 10

Ursachen von Hunger und Fehlernährung Kriege, Naturkatastrophen Fehlende Entwicklungschancen, (vor allem durch Politikversagen in den Ländern): Politische Marginalisierung der Armen Verdrängung auf periphere Standorte Beschränkter Zugang zu Ressourcen, Arbeit, Kredit Geringe Priorität für Ernährungssicherungspolitik Verstärkung durch externe Faktoren Klimawandel Rückgang der Entwicklungshilfe für Landwirtschaft Agrarsubventionen in reicheren Ländern 11

Folgen von Hunger und Fehlernährung Krankheiten, reduzierte Produktivität Hunger als Kind - lebenslange Schäden Geringere Chancen für viele Millenniumsziele Langsameres wirtschaftliches Wachstum (Kosten des Hungers) 12

Ausblick bis 2050 Herausforderungen und Problemfelder 1. Hunger und Fehlernährung beseitigen - (Unterernährung; Überernährung; Mikronährstoffmangel) 2. Angebot steigern 3. Nachhaltigkeit auf allen Stufen der Nahrungsmittelkette 13

Wachstum der Weltbevölkerung Milliarden Menschen 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2050: 9,3 Mrd. Menschen Bevölkerungswachstum vor allem in EL Starkes Einkommenswachstum Urbanisierung (70 %) Westliche Konsummuster (?) Nahrungsverbrauch (bei businessas-usual! ) + 70 % Entwickelte Länder Entwicklungsländer 14

Herausforderung Nr. 1: den Trend steigenden Hungers stoppen 15

Gründe für die Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung Moralisch: Hunger ist menschenunwürdig Wirtschaftlich: Investition in Hungerabbau ist hoch rentabel Politisch-rechtlich: Menschenrechte verpflichten zum Handeln 16

Das Recht auf Nahrung Das Recht eines jeden Mannes, einer jeden Frau und eines jeden Kindes, jederzeit allein oder gemeinsam mit anderen einen menschenwürdigen, physischen und ökonomischen Zugang zu angemessener Nahrung oder zu Möglichkeiten des Erwerbs zu haben, die im Einklang mit der Menschenwürde stehen. Allg. Rechtskommentar 12 des UN WSK Kommitees 17

Ernährungssicherung - Staatenpflichten - Respektierung Schutz Gewährleistung Bestehenden Zugang zu Nahrung nicht behindern Sicherstellen, dass Menschen nicht beim Zugang zu Nahrung durch Dritte behindert werden Aktiv auf Verbesserung der Ernährungssicherung hinwirken 18

Die gute Nachricht: Erfolge im Abbau des Hungers sind möglich Unterernährte in Mio. Unterernährte in % 1990/92 2005/07 1990/92 2005/07 China 210 130 18 10 Vietnam 21 9,6 31 11 Thailand 15 10,8 26 16 Brasilien 17 12 11 6 Ghana 4,2 1,2 27 5 Nigeria 16,3 9,2 16 6 Peru 6,1 4,3 27 15 FAO, SOFI 2010 19

Wie erfolgreiche Länder den Hunger bekämpfen Politischer Wille Gute Regierungsführung, politische Stabilität Hohes Wirtschaftswachstum, vor allem im Agrarsektor Programme für Ernährungssicherung, insb. öffentliche Investitionen in Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Soziale Sicherung für die Ärmsten: Sozialhilfe; Nahrung für Arbeit; Schulspeisung 20

Herausforderung Nr. 2: Angebot steigern Auf Nachfragewachstum reagieren Angebot vor allem in Entwicklungsländern erhöhen Konsumwandel (westliche/urbane Konsummuster) Wachsende Nachfrage nach Biotreibstoffen Marktentwicklung ermöglichen Intra-national International 21

Agrarische Rohstoffe für Bioenergie - Anteile an Produktion weltweit - Quelle: OECD/FAO, 2011 22

Herausforderung Nr. 3: Nachhaltigkeit auf allen Ebenen Auf Knappheit der Ressourcen reagieren Flächenkonkurrenz Wassermangel Umweltfreundliche Intensivierung Nach-Ernte-Verluste reduzieren Verschwendung abbauen Überkonsum vermeiden Weniger Konkurrenz durch Bioenergie 23

Ressourcenknappheit - eine wachsende Bedrohung Ackerfläche Fläche pro Person sinkt: heute 2300 m 2 2050 ca. 1800 m 2 Getreideerträge in Entwicklungsländern wachsen langsamer 60er Jahre: 3-4 % pro Jahr; heute: 1-2 % pro Jahr Ausdehnung durch Waldabholzung schadet Klima und Umwelt Wasser: Landwirtschaft nutzt schon heute 70 % des weltweiten Verbrauchs 1,4 Mrd. Menschen in Gebieten mit sinkendem Grundwasserspiegel Ökosysteme: 2/3 degradiert Klimawandel: Produktionskosten ; Produktionspotential Südliche Hemisphäre verliert, Norden gewinnt Biodiversität: irreversible Verluste Gefahr für Züchtung 24

Getreideerträge (dt/ha) Quelle: Sarris (2009) 25

Nachhaltige Intensivierung 80 % des Produktionwachstums aus Ertragssteigerungen und Mehrfachanbau 71% 21% 8% Yields Cropping Intensity Area Quelle: FAO 26

Nachhaltiger Verbrauch system-weit Ressourcen sparen durch Abbau von Verlusten, von Überkonsum und Verschwendung Quelle: UNEP (2011): Green Economy 27

Verluste und Verschwendung in % der Produktion Quelle: FAO (2011) 28

Steigende Preise für Nahrungsmittel Chancen für Bauern Belastung für Verbraucher 29

Preiserhöhungen für Nahrungsmittel - Mitauslöser von Revolutionen? - 30

Menschenrecht auf Nahrung - eine internationale Verpflichtung - Staaten sollen einseitige Maßnahmen vermeiden, durch die Menschen in anderen Ländern in der Verwirklichung ihres Rechts auf Nahrung behindert werden 31

Perspektiven bis 2050 Wird der Hunger weiter steigen?? 32

Schlussfolgerungen für die Ernährungssicherung 1. Für Hunger und Fehlernährung gibt es keine Rechtfertigung 2. Zu wenig politischer Wille zur Überwindung des Hungers 3. Zweigleisige Strategien sind notwendig 4. Mehr Priorität für Nachhaltigkeit entlang der Lebensmittelkette in Produktion und Verbrauch 5. Menschenrecht auf Nahrung Verpflichtung für alle 33