257 Sulkusimplantation einer zweiten Hinterkammerlinse zur Ametropiekorrektur Langzeitergebnisse P. C. Hoffmann, K. C. Schulze, C. R. Lindemann Zusammenfassung Die sekundäre Implantation einer Huckepacklinse ist eine sinnvolle Methode zur refraktiven Korrektur eines ametropen Patienten nach Katarakt-OP. Wir stellen unsere Erfahrungen mit bisher 25 Fällen (2000 bis 2006) vor. Von 25 Augen hatten 13 einen myopen und zwölf einen hyperopen Brechungsfehler. Allen Patienten wurde eine zweite HKL in den Sulcus ciliaris implantiert. Die längste Nachbeobachtungszeit beträgt sieben Jahre. Es kamen Bi-Linsen aus PMMA, Acryl oder Silikon sowie in den letzten Jahren sphärische und torische Meniskuslinsen aus Silikon, die speziell für die Huckepackimplantation entwickelt wurden, zum Einsatz. Bei allen Ametropien war eine stabile, sichere und vorhersagbare Korrektur möglich. Der Refraktionsfehler änderte sich von 5,33 auf 0,43 dpt in der myopen Gruppe, von +3,52 auf 0,13 dpt in der hyperopen Gruppe. Kein Auge verlor mehr als eine Visuszeile. 95 % der Augen lagen bei ±1 dpt, 76 % bei ±0,5 dpt. Die beschriebene Methode der sekundären Huckepackimplantation stellt eine sichere, effektive und wirtschaftliche Methode zur Korrektur höhergradiger Ametropie nach Katarakt-OP dar. Summary Secondary implantation of a piggyback lens is a feasible way of treating ametropia after cataract surgery. We report our experience with 25 cases (2000 to 2006). Of 25 eyes, 13 had a myopic and twelf a hyperopic error. All patients had a second PC-IOL implanted into the ciliary sulcus. The longest follow-up was seven years. We used biconvex/biconcave IOLs made from PMMA, acrylate or silicone and during the last years meniscus-shaped silicone lenses that were developed specifically for piggyback implantation. With all types of ametropia, a stable, safe and predictable correction was possible. Refractive error improved from 5.33 to 0.43 D in the myopic group and from +3.52 to 0.13 D in the hyperopic group. No eye lost more than one line of BSCVA. 95 % of all eyes were within 1.0 D of attempted refraction, 76 % within 0.5 D. Piggyback implantation of a second PC-IOL into the ciliary sulcus is a safe, effective and economic way to correct major ametropia in pseudophacic patients.
258 IOL Einleitung Die sekundäre Implantation einer Huckepacklinse ist eine Methode zur refraktiven Korrektur bei vorhandener Pseudophakie. Unseres Wissens wurde dies erstmals 1999 beschrieben, und zwar zur refraktiven Korrektur nach perforierender Keratoplastik [1] bzw. zur Nachkorrektur hochmyoper pseudophaker Patienten [2], als in den USA Minuslinsen erstmals verfügbar wurden. Durch Biometrie- oder Berechnungsfehler, Verwechslungen oder andere Ursachen können unter Umständen große Ametropien auftreten. Nicht immer werden diese unmittelbar durch einen IOL-Austausch korrigiert. In vielen Fällen wurde auch absichtlich eine Ametropie bei der Erstoperation herbeigeführt, zum Beispiel zur Vermeidung einer Aniseikonie bei einseitiger Katarakt. Soll jetzt das zweite Auge im Rahmen einer Kataraktoperation emmetropisiert werden, muss am ersten Auge eine refraktive Korrektur erfolgen. Wir haben 2001 über fünf eigene Fälle berichtet [3] und stellen jetzt die Langzeitergebnisse mit bis zu sieben Jahren Nachbeobachtungszeit vor. Patienten und Methoden Wir behandelten 25 Augen von 24 Patienten, 14 Frauen und zehn Männer im Alter 28 bis 86 Jahren (Median 67). Es waren 13 rechte und zwölf linke Augen darunter. Insgesamt hatten 13 Augen einen myopen und zwölf einen hyperopen Brechungsfehler. Der Ersteingriff lag zwischen drei Monaten und zehn Jahren (Median zwei Jahre) zurück. Allen Patienten wurde eine zweite HKL in den Sulcus ciliaris implantiert. Die längste Nachbeobachtungszeit beträgt sieben Jahre. Es kamen bikonvexe bzw. bikonkave Linsen aus PMMA, Acryl oder Silikon sowie in den letzten Jahren sphärische und torische Meniskuslinsen aus Silikon, die speziell für die Huckepackimplantation entwickelt wurden, zum Einsatz. Einen Überblick gibt Tabelle 1. Bei fünf weiteren Augen wurde eine primäre torische Huckepacklinse während einer Katarakt-OP zusätzlich zur Kapselsacklinse in den Sulkus implantiert. Die Huckepackimplantation wurde aus verschiedenen Gründen durchgeführt. Ein Biometrieund/oder Berechnungsfehler war die häufigste Ursache (11), geplante Ametropie am ersten Auge (5), hoher Astigmatismus nach ECCE (1), Hyperopisierung nach PTK (1), unklar (7). Die überwiegende Mehrheit der Patienten war auswärts voroperiert worden. Die Linse wurde bei allen Patienten nach einer allgemeingültigen Formel berechnet [4]. Für eine überschlägige Abschätzung ohne Computer kann man bei myopen Patienten Brillenrefraktion *1,1, bei hyperopen Brillenrefraktion *1,33 als zu implantierende Linsenstärke ansetzen. Da in den benötigten Brechkraftstärken nur 1,0-dpt-Abstufungen verfügbar sind, wurde in der Regel eine Linse ausgewählt, die theoretisch eine leichte Myopisierung zur Folge haben sollte. Die Implantation der Linse erfolgte mit verschiedenen Techniken. Die PMMA- Modelle wurden durch einen der Optikgröße entsprechenden sklerokornealen Tunnelschnitt unter Healon in den Sulcus gesetzt. Die faltbaren Linsen wurden in einem Fall mit der Pinzette eingesetzt, was problematisch ist, da der vertikale Raum für
Hoffmann et al.: Sulkusimplantation einer zweiten Hinterkammerlinse zur Ametropiekorrektur 259 PMMA diverse Alcon MA50BM MA60MA AMO Sensar AR40 Dr. Schmidt MS 614 Dr. Schmidt MS 614 PB MS 714 PB Dr. Schmidt MS 614 TPB Material PMMA Acrylat hydrophob Acrylat hydrophob Silikon Silikon Silikon Optik 6,5 mm 6,5 mm 6,0 mm 6,0 mm 6,0 mm 6,0 mm 7,0 mm 6,0 mm Kanten rund scharf rund rund rund rund Haptik 13,5 mm 13,0 mm 13,0 mm 14,0 mm 14,0 mm 14,0 mm Anwinkelung 10 10 5 0 0 0 Anzahl implantiert 10 4 1 2 7 1 Tab. 1: Übersicht über die von uns zur Huckepackimplantation verwendeten Linsen von 1999 bis 2006 eine kontrollierte Entfaltung ohne Endothel- oder Zonulatraumatisierung meist nicht ausreicht. In den anderen Fällen benutzten wir einen Injektor (AMO Emerald oder Alcon Monarch) für die Acryllinsen und eine modifizierte Technik für die Silikonlinsen: Durch eine Schnittbreite von 4,0 bis 4,5 mm wurde die Silikonlinse ungefaltet mit einer Doden-Pinzette gefasst, die erste Haptik durch den Schnitt bugsiert und dann die Linse in einer Ebene mit sanften Druck so durchgeschoben, dass sich die Ränder der IOL in der Inzision von selbst einrollten. Dies wurde durch die geringe Stärke der Linsen erleichtert. Mit dieser Technik liegt unseres Erachtens die geringste Traumatisierung angesichts der beengten Platzverhältnisse mit einer großen Linse vor. Eine Iridektomie wurde bei keinem Auge angelegt. Intra- oder postoperative Komplikationen traten in keinem Fall auf. Ergebnis Bei allen Ametropien war eine stabile, sichere und vorhersagbare Korrektur möglich. Der Refraktionsfehler änderte sich von 5,33 auf 0,43 dpt in der myopen Gruppe, von +3,52 auf 0,13 dpt in der hyperopen Gruppe (Abb. 1 und 2). Die Ergebnisse blieben auch langfristig stabil. 95 % der Augen lagen bei ±1 dpt, 76 % bei ±0,5 (ein Jahr postoperativ) (Abb. 3). Kein Auge verlor mehr als eine Zeile bestkorrigierten Visus, nur ein Auge eine Zeile ein Jahr postoperativ (Abb. 4). Beispielhaft sei ein Patient mit hoher Hyperopie (frühere Brillenrefraktion ca. +10 dpt) genannt, der 1993 kataraktoperiert wurde und aufgrund falscher Berechnung (SRK) eine +30,0-dpt-Linse implantiert bekommen hatte. Die Refraktion betrug +8,75 bis 0,75/100. Im Jahre 2000 wurde eine AMO AR40 +12,0 dpt in den Sulkus gesetzt, die postoperative Refraktion kam auf 1,0 und blieb bis heute stabil. Bei einem Auge mit einer scharfkantigen Acryllinse kam
260 IOL Abb. 1: Zeitlicher Verlauf (Monate postoperativ) der Refraktion bei den myopen Patienten. Es sind nur Augen mit intendierter Vollkorrektur aufgeführt. Abb. 2: Zeitlicher Verlauf (Monate postoperativ) der Refraktion bei den hyperopen Patienten es zu sichtbarer Abschabung von Irispigment, in einem anderen Fall zu einer milden Pupillenovalisierung. Andere Komplikationen traten nicht auf. Abbildung 5 zeigt ein Scheimpflug-Foto einer Huckepacksituation mit einer speziellen konvex-konkaven Piggyback-Linse (Dr. Schmidt MS 614 PB). Es ist gut zu erkennen, dass sich die Linsen zentral nicht berühren.
Hoffmann et al.: Sulkusimplantation einer zweiten Hinterkammerlinse zur Ametropiekorrektur 261 100 % 90 % 80 % 70 % 70 77 71 80 91 100 100 100 100 100 95 95 1 m (23) 3 m (22) 1 y (21) 5 y (10) 60 % 55 50 % 40 % 35 38 30 % 20 % 20 10 % 0 % ±0,25 ±0,5 ±1,0 ± 2,0 Augen innerhalb angestrebter Korrektur (%) Abb. 3: Vorhersagegenauigkeit Fehler >1 dpt traten praktisch nicht auf. 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % 67 67 60 58 34 25 25 17 13 8 8 8 8 4 4 4 lost >2 lost 2 lost 1 unchanged gained 1 gained2 gained >2 2. Sicherheit: CC-Visusveränderung (%) 1 (25) 3 (24) 12 (24) 60 (12) Abb. 4: Sicherheit nur bei einem Auge ging eine Zeile bestkorrigierter Visus verloren. Diskussion Die beschriebene Methode der sekundären Huckepackimplantation stellt eine sichere, effektive und wirtschaftliche Methode zur Korrektur höhergradiger Ametropie nach Katarakt-OP dar. Zunächst erscheint ein Austausch der vorhandenen IOL nahe liegender, jedoch muss bedacht werden, dass bei länger zurückliegender Erstoperation dieser Austausch traumatischer sein wird insbesondere bei bereits YAG-behandelter Hinterkapsel als die Implantation einer Sulkuslinse. Weiterhin
262 IOL Abb. 5: Scheimpflug-Aufnahme (Pentacam Hires) einer Huckepacksituation. Im Kapselsack befindet sich eine bikonvexe Acryl-Linse, im Sulcus eine konvex-konkave Silikonlinse. ist es durchaus wahrscheinlich, dass man die ursprüngliche Linse zwar problemlos explantieren kann, jedoch eine erneute Kapselsackfixierung nicht möglich ist, weil die peripheren Verklebungen der Kapselblätter nicht gelöst werden können und die Linse nicht korrekt zentrieren kann. Zu guter Letzt wird auch das refraktive Ergebnis weniger gut vorhersehbar sein, da keine regulären anatomischen Verhältnisse herrschen (Kapselsackschrumpfung) und in manchen Fällen auch nicht klar ist, welche Brechkraft die ursprüngliche Linse wirklich hat. Es ist möglich, für die Huckepackprozedur statt einer regulären Hinterkammerlinse eine ICL oder eine iris- oder kammerwinkelgestützte Vorderkammerlinse zu benutzen, jedoch ist dies unwirtschaftlich und bietet dem Patienten keinerlei Vorteil. Eine Korrektur mit dem Excimerlaser ist ebenfalls eine Alternative zumindest bei mäßiger Myopie oder sehr milder Hyperopie, allerdings entstehen auch hier deutlich höhere Kosten. Wird eine zweite Linse implantiert, gleichgültig ob primär oder sekundär, sollte diese nicht in den Kapselsack gesetzt werden, da in diesem Fall Komplikationen zu erwarten sind, insbesondere interlentikuläre Trübungen und refraktive Probleme durch Deformation der optischen Flächen [5 9]. Wird die zweite Linse in den Sulcus ciliaris gesetzt, können diese Probleme vermieden werden. Selbstverständlich sollte die Linse eine für den Sulkus geeignete Haptik sowie eine ausreichend große Optik besitzen. Seit einiger Zeit stehen Linsen speziell für diese Indikation zur Verfügung, die über eine konkave Rückfläche verfügen. Dadurch wird Kontakt mit der im Kapselsack befindlichen, üblicherweise bikonvexen Linse vermieden. Die Dr. Schmidt MS 714 PB vereint unseres Erachtens alle benötigten Eigenschaften: große Optik, große und breitflächig aufliegende Haptik, Meniskusform der Optik, faltbares Material [10]. In der Literatur sind Pigmentdispersionsglaukome beschrieben [11, 12], weswegen scharfkantige Linsen für diesen Zweck vermieden werden sollten. Ergebnisse und
Hoffmann et al.: Sulkusimplantation einer zweiten Hinterkammerlinse zur Ametropiekorrektur 263 Sicherheit sind insgesamt sehr zufriedenstellend, dieses deckt sich mit einer ähnlichen Arbeit [13]. Eine primäre Huckepackprozedur (Sulkusimplantation in der gleichen Sitzung wie die Katarakt-OP mit Kapselsackimplantation) kann bei sehr ungewöhnlichen Ausgangssituationen eine Lösung sein, zum Beispiel, wenn bei extremer Achslänge keine einzelne emmetropisierende Linse zur Verfügung steht und oder eine torische Linse in der gewünschten Kombination nicht erhältlich ist. Wir haben dies bisher bei fünf Augen mit torischen Linsen praktiziert, es liegen aber noch keine Langzeitergebnisse vor. (Dieser Beitrag wurde bereits im Rahmen des DGII-Kongresses 2008 gehalten.) Literatur 1. Gayton JL, Sanders V, van Der Karr M, Raanan MG: Piggybacking intraocular implants to correct pseudophakic refractive error. Ophthalmology 1999;106:56 59 2. Gills JP, Fenzl RE: Minus-power intraocular lenses to correct refractive errors in myopic pseudophakia. J Cataract Refract Surg 1999;25:1205 1208 3. Hoffmann PC, Schulze KC, Lindemann C: Ist die Sekundärimplantation einer zweiten Hinterkammerlinse eine sinnvolle Methode zur Korrektur postoperativer Ametropien nach Katarakt-Operation? In: Demeler U, Völcker HE, Auffarth GU (Hrsg.): 15. Kongress der DGII. Köln: Biermann Verlag 2001;111 115 4. Holladay JT: Refractive power calculations for intraocular lenses in the phakic eye. Am J Ophthalmol 1993;116:63 66 5. Baumeister M, Kohnen T: Scheimpflug measurement of intraocular lens position after piggyback implantation of foldable intraocular lenses in eyes with high hyperopia. J Cataract Refract Surg 2006;32:2098 2104 6. Fenzl RE, Gills JP, III, Gills JP: Piggyback intraocular lens implantation. Curr Opin Ophthalmol 2000;11:73 76 7. Findl O, Menapace R, Georgopoulos M et al.: Morphological appearance and size of contact zones of piggyback intraocular lenses. J Cataract Refract Surg 2001;27:219 223 8. Shugar JK, Schwartz T: Interpseudophakos Elschnig pearls associated with late hyperopic shift: a complication of piggyback posterior chamber intraocular lens implantation. J Cataract Refract Surg 1999;25:863 867 9. Werner L, Shugar JK, Apple DJ et al.: Opacification of piggyback IOLs associated with an amorphous material attached to interlenticular surfaces. J Cataract Refract Surg 2000;26:1612 1619 10. Dr. Schmidt Intraokularlinsen. MS 714 PB (piggyback, sulcus fixation). Available at: http://www. dr-schmidtiol.de/fileadmin/daten/dokumente/datenblaetter/ms_714_pb.pdf. 11. Chang WH, Werner L, Fry LL et al.: Pigmentary dispersion syndrome with a secondary piggyback 3-piece hydrophobic acrylic lens. Case report with clinicopathological correlation. J Cataract Refract Surg 2007;33:1106 1109 12. Chang SH, Lim G: Secondary pigmentary glaucoma associated with piggyback intraocular lens implantation. J Cataract Refract Surg 2004;30:2219 2222 13. Moustafa B, Häberle H, Wirbelauer C, Pham DT: Refraktive Langzeitergebnisse nach Huckepackimplantation. Ophthalmologe 2007;104:790 794