Kirchgemeinde St. Leonhard Peterskirche, am 08. Juli 2007 Matthias Bosshard Predigttext: Lk 5, 1-10 Am Ufer des Lebens Liebe Gemeinde Es hat alles angefangen mit Fischern am See Genezareth. An dessen Ufern hat Jesus gepredigt und dort die ersten Jünger berufen. Ein Petrus, Andreas, Johannes, Jakobus waren ursprünglich Fischer. Diese Anfänge hat man nie vergessen. Und in der Folge, besonders in den ersten Jahrhunderten, ist die Symbolik von Fisch und Fischern sehr verbreitet. Wer frühchristliche Stätten und Schriften erkundet oder in die Katakomben hinuntersteigt, wird dem Zeichen des Fisches begegnen. Dazu hat das, was wir heute im Evangelium hören, entscheidend beigetragen. Das Besondere an diesem Evangelium ist es, dass es zweierlei verbindet: Den wunderbaren Fischzug einerseits und die Berufung des Petrus andrerseits. Die Wundergeschichte und die Berufungsgeschichte sind miteinander verknüpft. Das eine lässt sich durch das andere verstehen. Die grosse Veränderung, die an Petrus geschieht, lässt sich vom wunderbaren Fischfang her besser verstehen. Und umgekehrt: der wunderbare Fischfang - wie plötzlich die Netze überquellen von einer riesigen Menge Fische, so dass die Netze reissen wollen und Johannes und Jakobus mit dem zweiten Boot zu Hilfe kommen müssen -, dieses ausserordentliche Geschehen bekommt eine neue Bedeutung, wenn wir es im Zusammenhang mit der Berufung betrachten. Der Fischzug bleibt nicht blosses äusserliches, spektakuläres Zauberwerk und Mirakel, wenn wir ihn auf das beziehen, was mit Petrus und den andern Fischern passiert: innerlich, persönlich, lebensverändernd, existentiell. Es ist nicht bloss in den Wellen und in den Fischernetzen etwas vorgegangen, es ist in den Herzen etwas vorgegangen. Und das kann uns neue Perspektiven eröffnen im Blick auf uns selbst. Ob nicht auch wir - im Gegenüber zu dem, der ans Ufer unseres Lebens tritt - uns selber neu verstehen und Neues wagen dürfen? Leere und volle Netze Lasst uns noch einmal das Evangelium vor Augen halten. Es fängt damit an, dass Jesus am Ufer zu den vielen Menschen redet, die ihn bedrängen. 1
Da ergreift er bereits ein Stück Besitz von Petrus, nämlich dadurch, dass er in dessen Boot steigt und sich ein wenig vom Ufer weg rudern lässt. Er lehrt die Menschen, die am Ufer zuhören, vom Boot aus: das Boot des Petrus wird ihm zur Kanzel. Dann hört er auf zu reden. Dem Reden folgt ein Schweigen. Nicht ein leeres Schweigen. Sein Wort ist noch da. Als eine grosse Kraft. Und diese Kraft trifft jetzt die Allernächsten in ihrer realen Lebenslage: nämlich die Fischer am Ufer, die daran sind, ihre Netze zu waschen. Sie reinigen sie von Schmutz und Schlamm. Das ist alles, was ihnen ins Netz gegangen ist. Sie haben die ganze Nacht lang nichts gefangen. Sie sind leer zurückgekehrt. Arbeit, Zeit, Anstrengung, Müdigkeit - für nichts. Jesus fordert sie auf, noch einmal hinauszufahren und die Netze auszuwerfen. (Wie soll das etwas bringen? Mitten am Tag, wenn der Schatten der Schiffe die Fische erschreckt und vertreibt? In der Nacht muss man doch fischen!) Fahrt hinaus dorthin, wo es tief ist! (Dort sind doch gerade keine Fische heraufzuholen! In den halbtiefen Gewässern muss man doch fischen!) - Und trotzdem folgt Petrus dem Wort. Er lässt sich ein auf das Wort. Ahnt er, dass die Aussichtslosigkeit zwar gross ist, dass aber noch grösser ist, was Jesus von seinem Boot aus den Menschen verkündigt hat? Fühlt er, dass seine Hoffnungslosigkeit zwar gross ist, dass aber noch grösser ist, was als Hoffnung auf ihn zukommt?" Auf dein Wort hin" - sagt Petrus zu Jesus - " - auf dein Wort hin! - wollen wir hinausfahren und die Netze auswerfen". Und sie fingen eine grosse Menge Fische. Kein Schlaraffenland, sondern ein Schrecken Jetzt haben sie mehr, als sie wünschten und hofften: Fische in Überfülle. So viel gutes Essen! Volle Teller! Was für eine Lust, ein Luxus! - Aber Jesus wird nicht - wird nie! - zum äusserlichen Wundertäter, zum Lieferanten von Üppigkeit. Nichts von Schlaraffenland. Es wird im Evangelium auch nicht einmal erwähnt - nicht mit einem Wort -, was sie nun mit den vielen Fischen machen. Hier ist ein wichtiger Punkt: Es liesse sich hier ja ein Märchen vom Glück weiterspinnen. Was für ein grosser Erfolg war dieser Fischzug! Wenn das so weitergeht! Dann können die Fischer ihre Schulden bezahlen, ihre Boote ausbessern, neue Häuser bauen 2
Aber im Evangelium geht es ganz anders weiter. "Schrecken umfing sie alle". So heisst es: "Schrecken umfing sie alle". Petrus weicht voller Angst zurück. Er sieht seine Nichtigkeit vor dem, was sich ihm hier offenbart hat. Er sieht seine Unwürdigkeit vor dem, was als das Heilige vor seine Augen tritt. Er sieht sein Ungenügen vor der Fülle, die sich ihm auftut. Wir sehen, wie Petrus vor Jesu Füssen in die Knie sinkt und ausruft: "Geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch." Zum Leben erschrecken Wahrscheinlich liegt in diesem Erschrecken einer der wichtigsten Punkte des Evangeliums vom wunderbaren Fischfang und der Berufung. Mir selber fällt es aber schwer, ihn zu fassen. Es geht hier um das Erschrecken vor Gott, die Erschütterung durch Gott. Gibt es das bei mir? Kenne ich das? Ich habe mich auch gefragt, beim Vorbereiten dieser Predigt: Werden Leute in der Kirche sitzen, die das kennen: erschüttert sein, erschreckt sein durch Gott? Wir kennen das vielleicht kaum mehr. Wir sind zu weit weg. Es gibt zwar schon Erschrecken und Erschütterung bei uns: dann, wenn uns Schweres trifft - besonders, wenn es einen plötzlich trifft -, dann sinken wir auch zu Boden und sagen: Gott! Hilf mir! - Aber hier beim wunderbaren Fischzug ist es ja anders (und darum schwerer zu verstehen): Petrus hat ja Glück! Es geht ihm ja gut! Er hat Erfolg und volle Netze! Er ist nicht in eine Not geraten, sondern aus der Not herausgekommen. Er erschrickt vor dieser Güte. Er ist erschüttert durch diese Macht der Liebe. Es ist nicht ein zu Tode erschrecken, sondern zum Leben erschrecken. Man weiss nicht, worüber man mehr staunen soll, über den Fischzug oder über die lebensverwandelnde Krise? über das Fangwunder oder über die Neuausrichtung der Fischer am Ufer des Sees Genezareth? - Es passiert im Herzen der Jünger mehr, als draussen auf dem See beim Fischfang passiert ist. Exemplarisch, beispielhaft auch für uns, wird eine Berührung mit dem Heiligen, ein Zusammentreffen von Gott und Mensch gezeigt, wie es durch Christus geschieht. Petrus weicht voller Angst zurück und wird voller Liebe in ein neues Leben aufgenommen. Er ist am Ende und findet einen Anfang. Er bricht zusammen und wird aufgerichtet. Er stirbt und aufersteht. 3
Herausgefischt werden Es ist, wie wenn Petrus und die andern Jünger unter dem Eindruck stünden: Nicht die Tausende Wasserfische, sondern wir selber sind herausgefischt, lebend herausgeholt worden. Die ersten Christen nannten sich selber manchmal tatsächlich Fische - sie gaben sich selber den Namen "piscisculi" : "kleine Fische". Der Fisch war ihr Zeichen, Zeichen des heilen Lebens. Das Untertauchen und wieder Auftauchen aus dem Wasser in der Taufe spielte bei dieser Selbstbezeichnung wohl die entscheidende Rolle, umso mehr als der Name für das Taufbecken "piscina" lautete: Fischteich. Man griff auch auf die Geschichte der Sintflut zurück: Die Fische sind nicht umgekommen in der Sintflut, sie waren nicht vom Fluch betroffen, sie sind entronnen - so wie Christus uns entrinnen lässt und rettet aus Untergang und Verderben. Das eigentliche Wunder Liegt auch für uns hier vielleicht die Mitte, das Wesentliche, das grösste Wunder unseres heutigen Evangeliums: Dass wir selber herausgefischt werden. Lassen wir uns herausfischen aus träger Sicherheit und lähmenden Enttäuschungen in eine aktive Unsicherheit und in lebendige Herausforderungen? Lassen wir uns herausfischen aus dem "Haben" ins "Sein"? Lassen wir uns herausholen aus unserem "Erfolg-haben-Müssen" aus eigener Kraft in ein Wagnis des Vertrauens. Lassen wir uns herausrufen, weg rufen vom sicheren Ufer? - Wir werden dann merken, wie wenig es ist, was wir als unsere Erfolge betrachten, und wie viel es ist, dass Gottes Nähe immer Folgen hat. Die Fischer Petrus, Johannes und Jakobus haben Neues erkannt, das Leben neu verstanden. Wenn sie jetzt zurück und nach vorne blickten, mussten sie sich sagen: "Wir hatten vieles und wir hatten vieles nicht. Manchmal war gute Beute da, manchmal hing nur Schlamm in den Maschen. Aber jetzt ist etwas gekommen, das mehr ist als Haben und Nichthaben - wir dürfen bei Dem sein, der uns geschaffen hat! und durch Den sein, der uns liebt! und für Den da sein, der mit uns etwas tun will!" 4
Das ist das Wunder: Ganz da sein, wahr werden vor Gott - mit unserem Elend und unserem Glück und unserem Eigensten. Nicht einfach aus dem Verfügbaren leben, sondern uns selber auf Gott hin verlassen. Uns ihm überlassen, und so uns finden. Bei ihm sein dürfen und so einander nahe sein. Das ist das Wunder. 5