Herausforderungen in der Behandlung komplex traumatisierter und hoch dissoziativer Menschen

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Transkript:

Folie 1 Herausforderungen in der Behandlung komplex traumatisierter und hoch dissoziativer Menschen ESTD-Tagung 2012, 29. 31. März Michaela Huber www.michaela-huber.com 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 1 Folie 2 intro Es gibt viele Mauern zu überwinden und das erfordert Mut, Aufrichtigkeit, Mitgefühl, Hoffnung sowie genaues Hinschauen. Komplex traumatisierte bzw. komplex dissoziative Menschen sind schwierig und gleichzeitig häufig kreativ und klug. Sie fordern uns heraus in jeder Hinsicht. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 2 1

Folie 3 Komplexe dissoziative Störungen und Diagnostik Komplexe dissoziative Störungen werden einerseits unterdiagnostiziert - Andererseits wird DIS nicht selten überdiagnostiziert. Also wird (Differential-)Diagnostik in frühen, aber auch in späteren Phasen der Behandlung immer wieder eine wichtige Rolle spielen. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 3 Folie 4 Versorgungssituation Zu wenig qualifizierte PsychotherapeutInnen Lückenhaftes HelferInnen-Netz PatientInnen werden hin- und hergeschoben Mangelnde Finanzierung von Therapien Ständig wechselnde TherapeutInnen sind wenig hilfreich, denn das Persönlichkeitssystem der KlientInbraucht ein gutes Rollenmodell für die Umstrukturierung. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 4 2

Folie 5 Das zentrale Thema: Bindung Psychotherapie mit komplex dissoziativen Menschen dauert lange Und ist bindungsintensiv Einerseits sicheres Geländer : halt-und strukturgebende Beziehung Andererseits Feinfühligkeit und Wachstums- Orientierung: das Persönlichkeitssystem fördern, damit die Puzzlestücke zusammenfallen. Unser Klientel ist das mit den meisten Drop-Outs und Rückfällen. Ergo: Sichere und verlässliche Bindungserfahrung herstellen und fördern. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 5 Folie 6 Hardware und Software Das Stress-System von früh und lange Zeit traumatisierten Kindern wird anders aufgebaut. (s. Epigenetik) Schäden in der Entwicklung von PFC, linkem Neocortex, Balken, Hippocampus Überreagibilität im impliziten Gedächtnisbereich. Gute Nachricht: Sichere Bindung und gute Psychotherapie verbessert auch Hirnstruktur und neuronale Vernetzung. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 6 3

Folie 7 Destruktive primäre Bindungen Sind schwer zu verändern. TraumaprozessierendeArbeit ist bei bestehenden traumatischen Bindungen bzw. hohem Konfliktniveau in den Bindungen der PatientInnen obsolet. Stabilisierung wird dann eine Sisyphos-Arbeit. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 7 Folie 8 Täterimitation und Täterloyalität Je dissoziativer die Persönlichkeit, desto abgespaltener und zunächst unintegrierterdie Täterintrojekte. Äußerungsformen: Selbstverletzung, mangelndes Selbstwertgefühl, eigene Täterschaft Hilfreich: TherapeutInbefragt diese Persönlichkeitsanteile, bezieht sie in den therapeutischen Diskurs ein. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 8 4

Folie 9 Übertragung - Gegenübertragung Intensität der Ü-GÜ bei DD ist sehr hoch Es geht immer um Leben und Tod (Herman) Verzweiflung, Zynismus, Über-Engagement Täter-Opfer-Retter-Dreieck Ohnmächtige ZeugIn sein Grenzverletzungen und missbräuchliches Verhalten Hilfe durch gute Supervision, ggf. Sanktionierung von Fehlverhalten Weiteres Problem: Exorzismus unliebsamer Persönlichkeitsanteile 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 9 Folie 10 Ist Psychotherapie JETZT mögich? Oft müssen PsychotherapeutInnendas jeweils selbst entscheiden. Jemanden wegen Täterkontakt ausschließen? (Un-)Fähigkeit zu mentalisieren? Bereitschaft zur Innenarbeit? Verwicklung in süchtiges/suizidales Verhalten? Andere beschuldigen? Termine nicht einhalten? Nicht im Raum bleiben können? Zuerst oft einfache sozialpädagogische und einfache therapeutische Interventionen nötig. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 10 5

Folie 11 Zu viele Baustellen Häufig ist das Leben hoch dissoziativer Menschen krisenhaft, sozial wie innerpsychisch. Also braucht es Pragmatismus. Sorgfältige Behandlungsplanung, die stets aufs Neue adaptiert werden sollte, ist sehr wichtig. Der Erlernten Hilflosigkeit entgegenwirken, sehr kleine Schritte vorschlagen (und damit zufrieden sein!), Ressourcen aufbauen, auch kleinste Erfolge feiern. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 11 Folie 12 Warum nicht gleich Traumamaterial prozessieren? Die Verlockungen sind groß, weil der Druck so groß ist doch ohne ausreichende Stabilität keine Trauma-Konfrontation! Stabilisierungskriterien: 1. Leben ohne akutes Trauma 2. Verlässliche Sichere Orte für Verletzliches 3. Reorientierungin Raum und Zeit möglich, auch auf Verlangen der TherapeutIn 4. In der Persönlichkeit arbeitet nichts mehr aktiv dagegen, Traumamaterial zu integrieren. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 12 6

Folie 13 Einzel- oder Gruppensetting? Bei ausreichender Stabilität ist Einzelpsychotherapie die Methode der Wahl. Gruppensettings sind oft hilfreich, wenn sie nicht (zu viel) triggern, sondern auf Ressourcen, Psychoedukation, Arbeit mit Materialien, Nonverbal-Stärkendes fokussieren. Skills-Trainings, die speziell für komplex traumatisierte bzw. komplex dissoziative Menschen entwickelt wurden (s. Boonet al., 2011) 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 13 Folie 14 Fazit (1) Strukturelle Dissoziationstheorie, gute Diagnostik, Kenntnisse der Neurobiologie helfen, komplex dissoziative Menschen zu verstehen. Einfache, im Helfernetz angewandte therapeutische Arbeitstechniken vermitteln Sicherheit in Beziehung, Ressourcen-Orientierung und Stabilisierung. Kleine Schritte sind großen (Traumakonfrontation) zunächst vorzuziehen. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 14 7

Folie 15 Fazit (2) Dem Mangel an Struktur der PatientInnen entspricht leider noch ein Mangel an Struktur in der Versorgung: zu viel Vereinzelung, zu wenig strukturierte und koordinierte Hilfen. Persönlichkeitsreifung ( Heile wachsen ) ist möglich! Die Situation ist immer noch völlig unzureichend, aber wesentlich besser als beim ersten europäischen Kongress (ISSD 1995 in Amsterdam). 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 15 Folie 16 Fazit (3) Hilfreich ist 1. Sichere und verlässliche (Arbeits)-Beziehung; danach (!) gute Diagnostik 2. Stabilisierung: Anregen der Selbstheilungs-kräfte, HelferInnen-Netzwerk, Verändern destruktiver Bindungen, Mentalisieren 3. Prozessieren: Vom Mentalisieren/Verstehen zum Integrieren begleiten; dabei möglichst einfache Arbeitstechniken verwenden 4. Integration: Innere Kooperation, Co-Bewusstheit. Sehr viel Integration geschieht organisch und gelegentlich wie von selbst 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 16 8

Folie 17 Fazit (4) Passen Sie gut auf Ihre guten Grenzen und auf Ihr gutes Herz auf und Verlieren Sie nie den Zorn über soziale Ungerechtigkeit und Gewalt in unserer Gesellschaft. Und Ihren Humor! Beides hilft. Und die Freude am Wachstum der PatientInnen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 13.04.2012 Copyright: Michaela Huber 17 9