Frühzeitiges postoperatives Duschbad Ist mit einer Zunahme der Wundinfektionen oder verzögerter Wundheilung zu rechnen? Hintergrund Von einem frühzeitigen Wasserkontakt der frischen Operationswunde wird üblicherweise abgeraten. Das Duschen oder Baden wird demgemäß erst nach Entfernung des Hautnahtmaterials empfohlen. Dahinter steht die Annahme, dass ein frühzeitiger Wasserkontakt zu einer erhöhten Wundinfektionsrate führen könne (5). Fragestellung Es soll die Frage untersucht werden, ob ein frühzeitiger Wasserkontakt der Operationswunde vor Entfernen des Nahtmaterials eine Wundinfektion begünstigt oder die Wundheilung negativ beeinflusst. Methoden Die Literatursuche erfolgte in PubMed unter Benutzung der MeSH-Begriffe "Baths"[MeSH], "Postoperative Care"[MeSH], "Surgical Wound Infection"[MeSH], "Wound Healing"[MeSH]. Die Treffermenge wurde auf Reviews, Meta-Analysen, klinische Studien (clinical trials) und randomisiert-kontrollierte Studien eingeschränkt. Die methodische Qualität der eingeschlossenen randomisiert-kontrollierten Studien wurde geprüft unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien (2,4): 1. Angaben zur Generierung der Zufallsverteilung, 2. Angaben zur verdeckten Zuteilung zu den Studiengruppen, 3. Beschreibung der Ein- und Ausschlusskriterien der Teilnehmer, 4. Angaben zur verblindeten Beurteilung der Ergebnisse, 5. Beschreibung der Merkmale der Studienteilnehmer, 6. Angaben zum Umgang mit Studienteilnehmern, die den Beobachtungszeitraum vorzeitig beenden, 7. Angaben zur Stichprobenkalkulation. Ergebnisse Es konnten drei RCTs zur Fragestellung identifiziert werden (3,6,7). Zwei clinical trials (1,5) wurden ausgeschlossen, da sie eine historische Kontrollgruppe als Vergleich herangezogen hatten und somit wenig vertrauenswürdige Ergebnisse liefern können. 1
In der eingeschlossenen Studie von Riederer und Inderbitzi (7) wurden insgesamt 121 Patienten mit Inguinalhernien-Operationen randomisiert. Nach Zufallsverteilung wurden 20 Patienten ausgeschlossen, da fünf die Teilnahme ablehnten und bei 15 eine Redon-Drainage verwendet wurde. Somit befanden sich in der Duschgruppe (Duschen ohne Wundverband ab dem ersten postoperativen Tag) 49 Teilnehmer und in der Kontrollgruppe (kein Duschen bis zum 14. postoperativen Tag) 52 Teilnehmer. Am 14. postoperativen Tag wurden die Hautfäden durch den betreuenden Hausarzt entfernt. In beiden Gruppen wurde kein tief subkutaner Infekt festgestellt. Die Wundbefunde (reizlos, leichte Hautrötung, eitrige Sekretion aus der Fadeneinstichstelle) zwischen den Gruppen unterschieden sich nicht. Direkter Wasserkontakt einer postoperativen Wunde, so schlussfolgern die Autoren, scheint die Wundheilung dementsprechend nicht zu beeinflussen. Die Möglichkeit zu duschen, wurde von den Patienten durchgehend als angenehm beschrieben und auch genutzt. Die Beurteilung der methodischen Qualität dieser Studie zeigt, dass wichtige Aspekte nicht erfüllt bzw. nicht in der Publikation berichtet sind (siehe Tabelle 1). Die Studie ist aufgrund der untersuchten, kleinen Patientenpopulation kaum geeignet, einen statistisch signifikanten oder klinisch relevanten Unterschied belegen zu können. Die berichteten Ergebnisse sind daher mit Vorsicht zu interpretieren. In der Studie von Neues und Haas (6) wurden Patienten mit operativen Sanierungen des epifascialen Venensytems bei Varicosis in drei Gruppen untersucht: 1) Kein Duschen vor Entfernung des Nahtmaterials (n=302), 2) Duschen mit Wasser ohne Zusatz von Seifen oder Duschgel (n=200), 3) Duschen mit Duschmittel (n=268). Die Zuordnung zu den Patientengruppen erfolgte nach Zeitintervallen von drei Monaten. Der erste Verbandwechsel wurde bei allen Teilnehmern am 2. postoperativen Tag durchgeführt. Das Entfernen des Nahmaterials erfolgte durch den Hausarzt und war zwischen dem 8. und 10. postoperativen Tag geplant. Sowohl Patienten als auch die betreuenden Hausärzte wurden gebeten, einen Dokumentationsbogen an das Studienzentrum zurückzusenden. Der Patientenbogen enthielt Fragen zur Häufigkeit des Wasserkontakts, ggf. nach benutzten Duschmitteln, postoperativen Komplikationen und dem subjektiven Empfinden der Möglichkeit zu duschen bzw. nicht duschen zu können. Der hausärztliche Bogen enthielt Fragen zur Wundheilung und dem Vorliegen von Komplikationen zum Zeitpunkt der Entfernung der Fäden. Von den ehemals 817 den Studiengruppen zugeordneten Patienten wurden insgesamt 47 aus der Analyse ausgeschlossen, da die vorgegebenen Kriterien der entsprechenden Gruppe nicht eingehalten worden waren. Nähere Angaben zu den Gründen sind in der Publikation nicht zu 2
verzeichnen. Bei den nachuntersuchten Patienten kam es in keinem Fall zu einem tiefen Wundinfekt. Die Gruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich der postoperativen Komplikationen. Allerdings basieren diese Angaben auf unvollständigen Daten. In der Gruppe kein Wasserkontakt lagen nur 208 Hausarzt-Fragebögen der insgesamt 302 Studienteilnehmer vor, in der Gruppe Wasserkontakt 144 von 200 und in der Gruppe Wasserkontakt mit Duschgel nur 220 von 268. Die Studienergebnisse verwehren sich somit einer eindeutigen Beurteilung. Nicht berichtet wird, wie vollständig die Patientendokumentationsbögen an das Studienzentrum zurückgeschickt wurden. Aus der Publikation ist zu entnehmen, dass ca. 50% der Patienten der Gruppe ohne Wasserkontakt den Verzicht auf das Duschbad als unangenehm bezeichneten. In den beiden anderen Studiengruppen haben je ca. 90% der Teilnehmer die Möglichkeit zu duschen als angenehm beschrieben. Die methodische Qualität der Studie, wie in Tabelle 1 ersichtlich, ist fragwürdig. Dem Cochrane Review von Fernandez et al. (2), der die Ergebnisse der beiden Studien poolt, können wir uns nicht anschließen. Eine fast 30 Jahre alte randomisiert-kontrollierte Studie untersucht (3) die Fragestellung, ob das zeitnahe postoperative Baden Wundinfektionen begünstigt. Einschlossen waren insgesamt 100 Patienten mit unterschiedlichen operativen Eingriffen (Galle, oberer Gastrointestinaltrakt, Dickdarm, Appendix, Leiste, andere). Am 2. postoperativen Tag wurde das intraoperativ angelegte Verbandmaterial entfernt und ein Sprühverband appliziert. Für die Teilnehmer der Badegruppe (n=50) war ein tägliches Duschbad oder ein Vollbad gestattet. Die Badewanne wurde eigens vor- und nachbereitet, um Kreuzinfektionen zu vermeiden. Dem Badewasser wurde ein antiseptisches Konzentrat zugesetzt. In beiden Studiengruppen waren je 4 Wundinfektionen zu verzeichnen. Die Studiengruppe war sicherlich zu klein, um aussagekräftige Ergebnisse erzielen zu können. Dennoch kann die Untersuchung einen Hinweis darauf geben, dass das postoperative Baden die Wundinfektionsrate bei vorwiegend am Rumpf befindlichen, chirurgisch versorgten Wunden nicht bedeutsam beeinträchtigt. Die anhand der Kriterien in Tabelle 1 beurteilte methodische Qualität der Studie ist limitiert. Schlussfolgerung Zur Beantwortung der eingangs definierten Fragestellung konnten drei kontrollierte Studien herangezogen werden, die von den Autoren als randomisiert bezeichnet wurden, in zwei Fällen zumindest (6,7) eher als quasi-randomisiert bezeichnet werden müssen. Die methodische Güte aller drei Studien ist limitiert. In zwei Untersuchungen (3,5) werden kleine 3
Studiengruppen untersucht und somit kaum aussagkräftige Studienergebnisse generiert. Die dritte Untersuchung ist insbesondere durch eine geringe Rücklaufquote der Fragebögen zur Erhebung der Ergebnisse kritisch zu beurteilen (6). Somit liegen wenig aussagekräftige Ergebnisse zur Beantwortung der Fragestellung vor. Als Hinweis können die Studienergebnisse jedoch gewertet werden: Der frühzeitige postoperative Wasserkontakt der Operationswunde vor Entfernen des Nahtmaterials wirkt sich scheinbar nicht ungünstig auf Wundinfektion oder Wundheilung aus. Weitere, methodisch hochwertige Untersuchungen mit ausreichend großen Patientenpopulationen sind zu fordern. Folgt man den Ergebnissen der Befragung durch Neues und Haas (6), empfinden Patienten die Möglichkeit, zeitnah nach der Operation zu duschen als angenehm. Tabelle 1 Methodische Qualität der Studien Methodischer Aspekt Fraser et al. (1976), n=100 Riederer, Inderbitzi (1997), n=121 Neues, Haas (2000), n=817 Randomisierung Präoperative Zuteilung per Karten Alternierende Zuordnung (quasirandomisiert) Alternierende Zuordnung (quasirandomisiert) Verdeckte Zuteilung der Nicht beschrieben Nicht möglich Nicht möglich Randomisierungssequenz Ein- und Ausschlusskriterien Beschrieben Beschrieben Beschrieben Verblindete Beurteilung der Nicht berichtet Nicht berichtet Nicht berichtet Ergebnisse Charakteristika der Teilnehmer Nicht berichtet Nur mittleres Alter berichtet Nur mittleres Alter berichtet Teilnehmer, die die Studie vorzeitig beenden Nicht berichtet Gründe erläutert Gründe nur vage erläutert Stichprobenkalkulation Nicht berichtet Nicht berichtet Nicht berichtet Literatur 1. Carragee EJ, Vittum DW: Wound care after posterior spinal surgery. Does early bathing affect the rate of wound complications? Spine 21: 2160-2162 (1996) 2. Fernandez R, Griffiths R, Ussia C. Water for wound cleansing (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 1, 2004. Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd. 3. Fraser I, Askew A, Biles J, Pinchin J: Prospective randomised trial of early postoperative bathing. Br Med J (6024): 1506-1507 (1976) 4. Jüni P, Altman DG, Egger M: Assessing the quality of controlled trials. Br Med J 323: 42-46 (2001) 5. Koninger J, Russ M, Schmidt R, Feilhauer K, Butters M. Postoperative Wundheilung unter Wund-Wasserkontakt. Zentralbl Chir 125: 157-160 (2000) 4
6. Neues C, Haas E: Beeinflussung der postoperativen Wundheilung durch Duschen. Chirurg 71: 234 236 (2000) 7. Riederer SR Inderbitzi R: Gefährdet das Duschen die postoperative Wundheilung? Der Chirurg 68: 715 717 (1997) 5