Sebastian Kempgen (Bamberg) Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? (Beobachtungen aus Bulgarien) Bulgarien hat gegenwärtig 9 UNESCO-Weltkulturerbestätten, 13 weitere auf einer tentativen Liste. 1 Eingetragen sind antike Kuppelgräber, mittelalterliche Kirchen, 2 Nationalparks und auch das berühmte Rila-Kloster, Nationalheiligtum Bulgariens. Die Altstadt von Plovdiv war bereits einmal vorgeschlagen, kassierte aber eine Ablehnung, soll aber womöglich erneut vorgeschlagen werden. Der Beitrag zeigt an diesem Beispiel, wo Risiken für Anerkennung und Erhalt liegen. Plovdiv ist heute nicht die bekannteste Stadt Bulgariens, aber ihre älteste. Am Rande der sog. Thrakischen Tiefebene (vgl. Folie 2), einem riesigen, vollkommen flachen, äußerst fruchtbaren Gebiet, das einst ein Meeresgrund war, liegt die Stadt auf den mehreren Hügeln, die noch heute wie Felsinseln aus einem verlandeten Meer aufragen. Auf diesen Hügeln hatten sich schon im Neolithikum Menschen angesiedelt; nach ihnen kamen Thraker, Griechen und Römer. Plovdiv wurde eine befestigte Stadt mit Stadion, Theater und Burg (vgl. Folie 4). Protobulgaren und Slawen besiedelten und erorberten das Land und gründeten den bulgarischen Staat, der zu einem Konkurrenten des byzantinischen Reiches heranwuchs. Diesen Höhenflug beendeten die Osmanen, die fünf Jahrhunderte lang Bulgarien beherrschten. In der Endphase der osmanischen Oberhoheit entstand in den Städten ein neues Bürgertum mit einer reichen Kaufmann- und Händlerschaft: man übernahm die osmanische Architektur für einfachere wie luxuriöse Häuser, trieb Handel mit West und Ost, absorbierte die aus Westeuropa kommenden Ideen der Aufklärung, erinnerte sich an frühere Größe, und es formte sich die sog. Wiedergeburtszeit des 18. und 19. Jh.s, die auch zu zahlreichen, oft blutigen Freiheitskämpfen führte. Plovdiv, verkehrsgünstig an der früheren byzantinischen Heerstraße gelegen, florierte, und zwischen dem höchsten Hügel (Nebet Tepe, Wächter- Hügel ) und zwei weiteren entstand ein Altstadtensemble aus rund einem Dutzend Kirchen sowie rund 200 Wiedergeburtshäusern, etliche davon heute Museen (genannt werden 191 monuments of culture ). Diese Altstadt mit ihrem groben Kopfsteinpflaster, dem stark eingeschränkten Verkehr, den vielen Cafes und Restaurants, den Antiquitätengeschäften und Souvenirshops, stellt 1 Zum aktuellen Stand vgl. die Übersichten auf http://whc.unesco.org/en/statesparties/bg und http://en.wikipedia.org/wiki/list_of_world_heritage_sites_in_bulgaria.
2 Sebastian Kempgen heute zu recht die touristische Attraktion Plovdivs dar. Abbildung 1 zeigt den Stadtplan Plovdivs vom Beginn des 20. Jh.s (MEYER 1908; vgl. auch Folie 3). Abbildung 1: Plovdiv (= Philippopel) 1908 S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? 3 Dieses Altadtensemble von Kirchen, Gassen, Resten der römischen Befestigung und eben den Wiedergeburtshäusern wollte Bulgarien, als sozialistischer Staat auffallend aktiv mit seinen Welterbebemühungen, mit der ersten Handvoll Objekte in die Liste der Welterbestätten eintragen lassen. Forenbeiträge tragen die wechselvollen und z.t. kuriosen Etappen des bislang nicht positiv zu Ende geführten Vorhabens zusammen 2. Der Antrag zugunsten Plovdivs wurde jedoch vom ICOMOS 1983 abgelehnt. Bulgarien hatte die erste Ablehnung, die mit dem Ensemblecharacter dieses städtischen Areals zu tun hatte, mit Energie auffangen wollen, jedoch dauerte es nach dem Fall des Ostblocks bis 1999, bis von Plovdiv wieder als möglichem Kandidaten gesprochen wurde. In der Zwischenzeit waren viele Häuser in einem beklagenswerten Zustand, Verfall offenkundig. 2004 wurde Plovdiv von Bulgarien auf seine tentative Liste möglicher WHS-Objekte (WHS: World Heritages Sites) aufgenommen, der Antrag 2005 offiziell eingereicht, 2006 jedoch in letzter Minute zurückgezogen, weil das ICOMOS im Vorfeld eine Ablehnung empfohlen hatte 3. Für das Jahr 2009 sind weitere Diskussionen bekannt, wobei warnend auf den schlechten baulichen Zustand vieler Objekte hingewiesen wird dies wird auch heute noch als das Kernproblem benannt. Offenkundig konnte Bulgarien keine klare Linie entwickeln, ob Restauration und Erhalt der Altstadt als Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag vorangetrieben werden sollten, oder ob die Aufnahme in die WHS-Liste Anstoß zu einer teuren und aufwändigen Restauration hätte sein sollen. In der Zwischenzeit geschah das fast Unvermeidliche: historische Substanz ging verloren und verminderte damit wohl die Chancen auf einen künftigen Erfolg des Antrag, sollte er denn nochmal zur Behandlung kommen. Zu einer gewissen Verwirrung der Öffentlichkeit trägt dabei die Tatsache bei, daß etliche Webseiten von Journalen oder touristischer Natur den UNESCO-Status Plovdivs fälschlich als Tatsache behaupten. Der Autor war auf die genannte Thematik im Laufe seines Projektes eines Bildarchivs zur Südslavischen Kulturgeschichte aufmerksam geworden und hatte 2008 auf einer Konferenz in Sofia erste Beobachtungen präsentiert und über das Projekt allgemein informiert (vgl. KEMPGEN 2007, 2008). In diesem Beitrag sollen nunmehr einige Befunde erstmals publiziert werden, die das 2 Vgl. insbes. diesen sehr informativen Thread mit vielen Links und Hinweisen: http://www.worldheritagesite.org/forums/index.php?action=vthread&forum=8&topic= 274. Dieser Quelle sind die Angaben der folgenden Zeilen entnommen. 3 Den ausführlichen Antrag und die knappe Empfehlung findet man auf den S. 83 87 (plus 3 Seiten Abb.) der ICOMOS Evaluations of nominations of cultural and mixed properties von 2006. Vgl. Dokument WHC-06/30.COM/INF.8B.1 auf der Seite http://whc.unesco.org/en/sessions/30com/documents/. Auf der tentativen Liste ist Plovdiv also immer noch, vgl. auch die kurze Beschreibung auf der offiziellen Seite: http://whc.unesco.org/en/tentativelists/1948. S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
4 Sebastian Kempgen oben Gesagte illustrieren und belegen etwas, was so bislang im Web nicht zu finden ist. Abb. 2 zeigt einen Ausschnitt aus einem Stadtplan Plovdivs mit dem Nebet Tepe-Hügel am nördlichen Ende der Altstadtzone. Der Felsen fällt dort steil zum Fluß ab. An der Südseite führt eine lange Straße, die zunächst Saborna ( Kathedralenstraße ), dann Dr. St. Čomakov-Str. heißt, aus dem Zentrum der Unterstadt zum Nebet Tepe hinauf. An dem letzten Stück dieser Straße haben wir im Plan drei Häuser eingezeichnet, um die es gehen wird, und dazu den gleichen Ausschnitt aus Google Earth hineinmontiert (vgl. auch Folien 5 und 6). Abbildung 2: Nebet Tepe und Altstadt (Häuser: rote Markierung) Nach einigen sehr prächtigen und sehr gut restaurierten Kaufmannshäusern (heute Museen, vgl. Folien 7 12) gibt es an fast am Ende der Straße S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? 5 ein kleines, aber auffälliges Ensemble von einfacheren Häusern, deren Lage deshalb besonders prominent ist, weil sie sozusagen den Ausgang aus der Altstadt auf den Festungshügel darstellen. Der Vergleich einer Aufnahme dieser Passage von 2007 mit einer von 2009 (Abb. 3 und 4, Folien 13 16) zeigt dabei durchaus, daß hier restauriert und alte Substanz gesichert wurde, auch wenn gerade das Haus rechts vorne weiteren Bedarf erkennen läßt. Abbildung 3: Gasse 2007 Abbildung 4: Gasse 2009 S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
6 Sebastian Kempgen Unsere Aufmerksamkeit soll aber dem Haus links vorne an der Ecke der Gasse gelten. Abb. 5 (vgl. Folie 17), eine ältere (undatierte) Postkarte, zeigt, daß das gelbe Haus im Vordergrund und das dunklere Haus in der Bildmitte eines der Postkartenmotive aus der Altstadt Plovdivs waren, wobei Spuren des Verfalls nicht zu übersehen sind. Abbildung 5: Postkarte (undatiert) Im Jahre 2006 zeigte sich das Haus plötzlich ganz anders (vgl. Abb. 6 und 7, Folien 18 und 19): im Obergeschoß war die Holzkonstruktion sorgfältig freigelegt, alle Füllungen und der Putz bis auf kleinste Reste entfernt, die S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? 7 Fenster aber noch an Ort und Stelle. Dies wirkte eher wie die Vorbereitung einer sorgfältigen Restaurierung jedoch, es kam anders. Abbildung 6: Haus im Jahre 2006 Abbildung 7: Haus im Jahre 2006 S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
8 Sebastian Kempgen Im Jahre 2007 stand auf einmal der Rohbau eines Neubaus, denn anders kann ihn nicht bezeichnen: Die Umriße des Vorgängerbaues mit einem Betonskelett nachgebildet und die Wände nun mit Ziegeln gemauert, wobei wohl nur der alte steinerne Keller erhalten geblieben war (Abb. 8 und 9, Folien 20 22). Offensichtlich waren also die beiden oberen Stockwerke komplett abgerissen worden. Abbildung 8: Haus im Jahre 2007 (Rohbau) Abbildung 9: Haus im Jahre 2007 (Rohbau) S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? 9 Auf dem Bild von 2009 (Abb. 10, Folie 23 und 24) dann das halbfertig verputzte neue Haus, schön renoviert, könnte man fast sagen, wenn man die Vorgeschichte nicht kennen würde. Abbildung 10: Haus im Jahre 2009, halb verputzt Im Jahre 2011 war das Haus ganz verputzt, jedoch: nunmehr ist das gegenüberliegende Haus auf der rechten Seite der Gasse abgerissen (Abb. 11, Folien 25 27). Abbildung 11: gegenüberliegende Seite, Abriß 2011 S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
10 Sebastian Kempgen Und die Verluste gehen weiter: im Jahre 2012 ist nun auch das gelbe Haus links vorne abgerissen, ein Bauzaun umzäunt das Grundstück (Abb. 12 und 13, Folien 28 31). Abbildung 12: Abriß im Jahr 2012 Abbildung 13: Abriß im Jahr 2012 S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? 11 Das frühere Postkartenmotiv existiert nunmehr also in beiden Komponenten nicht mehr originalgetreu. Die Baulücke von 2011 auf der rechten Seite der Gasse existiert 2012 nach wie vor. Wie mit beiden Baulücken umgegangen werden wird, was hier neu entstehen wird, das bleibt also einer künftigen Beobachtung als Fortsetzung der Geschichte vorbehalten. Wir können vorerst resümieren: Es ist offensichtlich, daß die Probleme in der Beantragung des Welterbestatus der Altstadt von Plovdiv, soweit sie mit dem Umgang mit der Substanz des Vorhandenen zu tun hatten, genau mit den hier im Bild dokumentierten Vorgängen zu tun hatten: viel zu viele Bauten sind einem miserablen Zustand und werden nach einem Abriß durch einen Neubau ersetzt. Andere Aspekte thematisiert die vorhandene Literatur: STANEVA (2005) geht auf die rechtlichen, administrativen und finanziellen Schwierigkeiten Plovdivs ein, KRESTEV (2002) berichtete von sich ändernden Stakeholdern in der Strategie. ISHII (2005) skizziert kurz die kooperativ geplanten und durchgeführten Notfallmaßnahmen an 7 bekannten Häusern der Altstadt Plovdivs. Literatur Ishii, Akira 2005 Outline of our International Cooperative Project. Paper verfügbar unter http://www.japan-icomos.org/workgroup05/ishi_lecture.pdf. Kempgen, Sebastian 2007 Megapixelstarkes Anschauungsmaterial. Das Bildarchiv zur südslawischen Kulturgeschichte nutzt moderne Techniken für eine offene, effiziente Forschung. In: uni.vers. Das Magazin der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Heft 13, November 2007, 26 29. (pdf-version) 2008 Photographic Database of Balkan Cultural Heritage. Beitrag zur Konferenz Slovo. Towards a Digital Library of Slavic Manuscripts, Sofia, Bulgaria, Feb. 21 26, 2008. http://kodeks.uni-bamberg.de/bulgaria/picturedatabasebalkan.htm. 2013 Welterbestätte wie es auch mal schiefgehen kann. Beobachtungen aus Plovdiv (Bulgarien). In: uni.vers Forschung 2013, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, ## ##. Krestev, Todor 2002 Strategie de conservation Le cas L'Ancien Plovdiv, Bulgarie. In: Estrategias relativas al patrimonio cultural mundial. La salvaguarda en un mundo globalizado. Principios, practicas y perspectivas. 13th ICOMOS General Assembly and Scientific Symposium. Actas. Comité Nacional Español del ICOMOS, Madrid, 158 160. http://www.international.icomos.org/madrid2002/actas/158.pdf. Meyer 1908 1908 Meyers Reisebücher Türkei, Rumänien, Serbien, Bulgarien. 7. Auflage. Mit 13 Karten, 36 Plänen und Grundrissen, 1 Panorama und 3 Abb. Leipzig und Wien. S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
12 Sebastian Kempgen Staneva, Hristina 2005 Sustainable conservation systems for preservation of monuments, sites in their settings. In: 15th ICOMOS General Assembly and International Symposium: Monuments and sites in their setting conserving cultural heritage in changing townscapes and landscapes, 17 21 oct 2005, Xi'an, China. http://www.international.icomos.org/xian2005/papers/2-34.pdf. Anmerkung: eine verkürzte Fassung des Artikels (mit weniger Bildmaterial und ohne die Präsentation) wurde im Druck veröffentlicht (KEMPGEN 2013). Prof. Dr. Sebastian Kempgen 2013 Universität Bamberg http://www.uni-bamberg.de/slavling/personal/prof-dr-sebastian-kempgen/ mailto:sebastian.kempgen@uni-bamberg.de Lizenz: by-nc-nd Januar 2013 Anhang: Präsentation (32 Folien) S. Kempgen 2013. Published electronically. Lizenz: by-nc-nd.
Weltkulturerbe Altstadt Plovdiv? Beobachtungen aus Bulgarien 1
2
Meyer 1908 3
römische Stadt Meyer 1908 4
Häuser 5
Google Earth Häuser 6
röm. Stadtmauer Plovdiv Altstadt 7
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Plovdiv Altstadt 9
Plovdiv Altstadt 10
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2007 14
2009 15
2011 16
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2006 18
2006 19
2007 20
2007 21
2006 2007 22
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und 2013ff.? Fotos und Präsentation S. Kempgen 2013 32