Jüdisches Beten Heute

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Transkript:

Nur für den internen Gebrauch Jüdisches Beten Heute Vom Tempel zur Synagoge Der tägliche Gottesdienst: zentrale Texte, Schema, 18 Bitten Gebet, Kaddisch Hörbeispiele Der Sabbatgottesdienst Stimmen zum Gebet Leibowitz Heschel Womit wird gebetet: Tallit, Tefillin, Tora Beten mit Tallit (Frauentext) Beten in der U-Bahn Berachot Heschel-Text Marcia Falk: Beispiele Weibliche Sprache: Predigt von Moers-Wenig Frauen-Gebetsgruppen

Jüdischer Gottesdienst und Beten Jüdisches Beten kann, muss aber nicht in einer Synagoge stattfinden. Die Tradition hat bestimmte Zeiten für das Morgen-, Mittags- und Abendgebet festgesetzt. Es ist möglich, die Gebete zu Hause zu sprechen, jedoch hat das Gebet in der Gemeinschaft - einen höheren Wert, da die Gemeinde das Volk repräsentiert. In orthodoxen Synagogen sitzen Frauen und Männer getrennt voneinander, eine Tradition, die sich in der Antike entwickelte, die jedoch vom konservativen und liberalen Judentum im 20. Jahrhundert verändert wurde. In der jüdischen Tradition ist Beten auch eine sinnliche Erfahrung. Hierzu tragen die Kopfbedeckung, die Gebetsriemen und der Gebetsmantel bei, die es schon in der Antike gab. Charakteristisch für das Gebet in der Synagoge sind Segenssprüche, die sich nicht nur im Gottesdienst finden, sondern auch den Alltag durchziehen und immer dann, wenn ein Gebot erfüllt wird und/oder Gott zu loben ist, gesprochen werden. Wie die Gebete, so werden auch diese Benediktionen auf Hebräisch gesprochen. Der Anfang ist immer gleich lautend: Gesegnet seist du, Ewiger, meist schließt sich unser Gott, König der Welt an. Hierauf folgt die Konkretion des Dankes: z.b. der du Brot aus der Erde hervorbringst oder der du die Früchte der Erde erschaffen hast. Wird ein Gebot erfüllt, so lautet die Fortsetzung: der du uns geheiligt hast mit deinen Geboten und uns geboten hast, z.b. das Licht des Sabbats anzuzünden. Die Segenssprüche, die ein Lobpreis Gottes sind, leiten dazu an, innezuhalten, sich des Schöpfers bewusst zu werden. Die meisten Gebete des Synagogengottesdienstes stammen bereits aus der Antike, einige aus dem Mittelalter, nur wenige aus späteren Zeiten. In einem orthodoxen Gottesdienst gibt es keine zeitgenössischen Gebete. Die Gebete des Gottesdienstes finden sich im Siddur (hebr. Ordnung), dem Gebetbuch. Neben einsprachigen Ausgaben - nur Hebräisch - gibt es auch zweisprachige, die besonders hilfreich für die des Hebräisch Unkundigen sind. Jedoch erfordert das Mitlesen im Gottesdienst Vor- und Zurückblättern, da es Gebete wie z.b. das Kaddisch gibt, die zwar mehr als einmal gesprochen werden, aber nur einmal im Siddur abgedruckt sind. Zusätzlich zu den Gebetbüchern finden sich in Synagogen Pentateuchausgaben, um die Toralesung mitlesen zu können. Am Sabbatmorgen ist der Höhepunkt des Gottesdienstes die Lesung aus der Tora, den fünf Büchern Moses. Sie in 52 Wochenabschnitte aufgeteilt, so dass die Gemeinde jedes Jahr einmal die vollständige Tora hört. Nach biblischer Tradition (Ex 19,20) erhielt Moses auf dem Sinai diese göttliche Offenbarung, die Gottes Weisung für menschliches Verhalten einschließt. Die Tora, die in einem Schrein an der Ostwand der Synagoge aufbewahrt wird, vor dem meist ein reich bestickter Vorhang hängt, ist königlich bekleidet. Sie trägt einen Mantel, eine Krone und eine Brustplatte. Auf den Holzstücken der Rolle befinden sich silberne Endstücke, Rimmonim genannt. Die Tora wird in einer feierlichen Prozession aus der Lade gehoben und durch die Synagoge zur Bima, dem Lesepult, gebracht, welches sich in traditionellen Synagogen in der Mitte des Raumes befindet.

Als Zeichen der Freude und Achtung wird die Tora mit den Schaufäden des Gebetmantels von den Gemeindegliedern geküsst, an denen die Prozession vorbeischreitet. Auf der Bima wird die Tora entkleidet, ausgerollt und der Wochenabschnitt wird vorgelesen. Hierzu werden, sieben Mitglieder der Gemeinde aufgerufen, die jeweils vor und nach der Lesung eine Benediktion sprechen. Zur Tora aufgerufen zu werden, ist eine große Ehre. So feierlich wie die Tora zur Bima gebracht wird, so wird sie auch wieder zum Schrein zurückgeführt. Zuvor werden noch Mitteilungen an die Gemeinde gemacht und Gebete für die Lehrer, die Gemeinde und das Land und den Staat Israel gesprochen. An die Toralesung schließt sich ein Abschnitt aus den Propheten an. Falls es eine Predigt gibt, so wird sie an dieser Stelle gehalten. Ein orthodoxer Gottesdienst am Schabbatmorgen dauert meist 2,5-3 Stunden. Reformierte Gottesdienste sind meist kürzer, in ihnen werden auch Gebete in der Landessprache gesprochen und Rabbinerinnen und Rabbiner sowie Kantorinnen und Kantoren haben eine stärkere Funktion. In reformierten Gemeinden können Musikinstrumente benutzt werden. In orthodoxen Synagogen gibt es keine Instrumente: Sprechen und Singen wechseln sich hier ab. Tefillin Das Wort Tefillin ist ein Plural von tefillah, Gebet, und bezeichnet somit etwas, was im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gebet steht. Tatsächlich handelt es sich um zwei an Lederriemen befestigte Behältnisse. In jedem dieser Schächtelchen befinden sich Streifen mit vier Abschnitten aus der Thora (Ex 13, 1-10; 13, 11-16; Dtn 6, 4-9; Dtn 11, 13-21), in denen gesagt wird: Binde sie als Zeichen auf deine Hand und als Stirnband zwischen deine Augen ; außerdem ist in diesen Texten von dem einen Gott und seinem Heil die Rede. Die Tefillin werden wie der Sabbat ot, Zeichen, genannt; daher brauchen sie am Sabbat, der ja selber ein Zeichen ist, so wie an den Feiertagen, die von der Halacha zu fast allen Zeiten als Sabbat betrachtet wurden, nicht getragen zu werden. In der Bibel wird nichts darüber gesagt, wie sie angefertigt und getragen werden sollten. Die entsprechenden Traditionen wurden aber im rabbinischen Judentum als Halacha des Moses vom Sinai betrachtet, d.h. als sehr alt angesehen. Die Symbolik der Tefillin, die am linken Oberarm, dort wo er zum Herzen kommt, und um den Kopf angebracht werden sollten, besteht darin, dass sie bei demjenigen, der sie trägt, das Bewusstsein für Gott schärfen, ihn in engeren Kontakt mit Gott bringen und ihn schließlich an seine Verpflichtung erinnern sollen, all seine Fähigkeiten des Geistes und des Herzens und seine gesamte körperliche Kraft einzusetzen, um Gott auf die richtige Weise zu dienen. Die Tefillin werden heute aber im Allgemeinen von den meisten Reformjuden und den Juden der rekonstruktionistischen und konservativen Bewegung nicht mehr getragen. Tallit und Zizit Diese Symbole werden aus Num 15, 37-41 und Dtn 22, 12 abgeleitet. Warum die Zizit oder die Quaste an alle Gebote des Herrn erinnern soll (Nu m 15, 39), wissen wir nicht (s. B. Men 43b; Sot 17a).

Ursprünglich wurde eine solche Quaste aus einem einzigen blauen Faden (wahrscheinlich ein Symbol der Priesterschaft und der Königschaft Israels) angefertigt. Später aber wurde der aus der Purpurschnecke gewonnene Farbstoff zu teuer. Genauso wenig wie für die Tefillin sagt die Thora etwas Genaues darüber aus, wie der Tallit - heute ein viereckiges Tuch mit einer sisit an jeder Ecke - und die Zizit selbst aussehen sollen; die entsprechenden Traditionen werden jedoch im rabbinischen Judentum für sehr alt gehalten. Ob man den Tallit mit der Bar Mitzwa-Feier zu tragen beginnt oder ob man bis zum Zeitpunkt der Eheschließung damit wartet, wird in den verschiedenen Richtungen des Judentums unterschiedliche gehandhabt. Die Reformjuden, die im 19. Jahrhundert den Tallit abgelegt hatten, fangen ihn neuerdings wieder an zu tragen. Mesusa Dtn 6,9 und 11,20 wird geboten, diese Worte an die Türpfosten zu schreiben. Wie schon bei den Tefillin und den Zizit interpretierten viele Juden im Altertum - insbesondere wenn sie in einer hellenistischen Umwelt lebten - dieses Gebot als eine Metapher, so wie es übrigens auch heute viele modern denkende Juden tun. Andere befolgten die Vorschrift ihrem Wortlaut nach, und so entstand mit der Zeit die Mesusa, so wie wir sie heute noch kennen: eine Kapsel, die die auf Pergament geschriebenen zwei ersten Abschnitte des Schema (Dtn 6, V. 49; 11, 13-21) enthält und die (von außen gesehen) am rechten Türpfosten angebracht ist. Die Symbolik liegt darin, dass derjenige, der ins Haus hineinkommt oder es verlässt, sich immer der Gegenwart Gottes und der Verpflichtung, zu Hause und in der Welt nach seinem Wort zu leben, bewusst sein soll. Die Kopfbedeckung Weder in der Thora noch im Talmud gibt es eine Vorschrift darüber, dass man während des Gottesdienstes, während des religiösen Studiums oder zu irgendeiner anderen Zeit den Kopf bedecken solle. Diese Gewohnheit entstand im Mittelalter und war unter den Juden wenigstens bis zum 17.Jahrhundert umstritten. Die entsprechende Halacha wurde erst im Werk Schulhan Aruch von 1565 als solche niedergeschrieben und gilt bis heute bei den orthodoxen Juden. Sie wurde aber bald von den Reformjuden wieder in Frage gestellt und dann auch abgelehnt. Schließlich haben auch die konservative und die rekonstruktionistische Bewegung die entsprechende Halacha, abgesehen vom Gottesdienst, aufgegeben. Allerdings wird die Kopfbedeckung dennoch von vielen beim Studium der Religion und bei den zu Hause eingenommenen Mahlzeiten (besonders am Sabbat und an den Feiertagen) getragen. Die heute gebräuchliche Kopfbedeckung, Jarmalke, ein kleines, rundes, auf dem Hinterkopf getragenes Käppchen, ist zweifelsohne von dem entsprechenden Bischofskäppchen inspiriert worden. Dagegen tragen die Chassidim und Angehörige anderer ultraorthodoxer Gruppe noch richtige Hüte. Bei den Orthodoxen wird auch von den Frauen erwartet, dass sie eine Kopfbedeckung tragen, was bei den konservativen, rekonstruktionistischen und Reformjuden aber nicht mehr der Fall ist. Wie auch

bei anderen Symbolen, führen einige Reformrabbiner in ihren Gemeinden wieder die Möglichkeit ein, nach eigenem Ermessen eine Kopfbedeckung zu tragen oder nicht. Phillip Sigal: Entstehung und Entwicklung der Synagoge, aus: Phillip Sigal, Das Judentum, Kohlhammer Verlag Stuttgart 1986, S. 102-105. Abraham J. Heschel: Das Wunder bemerken Im Gebet laden wir Gott ein, in unser Leben einzugreifen, bei unseren Sachen Seinen Willen durchzusetzen. Wir öffnen Ihm ein Fenster in unserem Willen, bemühen uns, Ihn zum Herrn unserer Seele zu machen. Wir unterwerfen unsere Interessen Seiner Absicht und versuchen uns mit dem zu verbünden, was zutiefst recht ist. Wenn wir uns dem Heiligen nähern, so ist das nicht Zudringlichkeit, sondern eine Antwort. Zwischen der Morgendämmerung der Kindheit und dem Tor des Todes trifft der Mensch auf Dinge und Ereignisse, in denen die leise Stimme der Wahrheit fast unhörbar, aber dennoch mahnend und eindringlich erklingt. Doch der Mensch hört eher auf seine Ängste und Sehnsüchte als auf die sanften Bitten Gottes. Der Herr der Welt seine Ängste und Sehnsüchte als auf die sanften Bitten Gottes. Der Herr der Welt fleht um die Gunst des Menschen, doch der Mensch versäumt, seine Beziehung zu verwirklichen. Wenn wir der Forderung nach unserem Dienst entsprechen wollen, müssen wir unser Herz aus der Umklammerung von Heuchelei, Gewalttätigkeit und Ehrsucht befreien, unsere törichte Eitelkeit zerschlagen und das hohle Selbstvertrauen aufbrechen. Das Gebet hat einen anderen Zweck als das Gespräch. Zweck eines Gespräches ist, zu informieren; Zweck des Gebetes ist Teilhabe. Im Gebet macht sich die Seele auf, dem Geist nachzufolgen, der im Wort der Liturgie enthalten ist. Abraham J. Heschel, Der Mensch fragt nach Gott. Untersuchungen zum Gebet und zur Symbolik, Neukirchener Verlag, Neukirchen 1993, S. 9-12, 41-46. Judith Kramer: Auch in der V-Bahn... Als ich in der ersten Klasse war, lernte ich, daß Raschem die Welt geschaffen hatte. Ich war davon fasziniert, als der Lehrer erklärte, daß zu Beginn nischtikeyt - das Nichts - existierte, und dann Gott jeden Tag etwas Neues schuf. Ich liebte diese Vorstellung, ich glaubte fest an sie. Ich verspürte schon immer eine große Verpflichtung gegenüber dem Judentum. Ich habe mich dazu entschlossen, jeden Tag das Morgengebet zu sprechen, auch wenn ich als Frau nicht dazu verpflichtet bin. Das jüdische Gesetz sagt, daß Frauen an verschiedenen Zeiten des Tages Gott danken sollten, aber daß sie nicht wie die Männer dazu verpflichtet sind, die traditionellen Gebete dreimal am Tag zu sprechen. Die Seelen beider, des Mannes und der Frau, bedürfen des Gebets als tägliches Nahrungsmittel. Ich liebe es, am Morgen zu beten, das Gebetbuch zu nehmen und die Gebete zu rezitieren, die Juden schon seit Tausenden von Jahren wiederholen. Die geschriebenen Gebete sind für mich gehaltvoller

als alles, was ich mir selbst erdenken könnte. Die hebräischen Worte tragen eine Heiligkeit in sich, sie sind wie Fenster, durch die Gott in unsere Herzen späht. Beten ist wie Klavierspielen: Je mehr du es tust, desto besser gelingt es dir. Ich versuche mich stets darauf zu konzentrieren, was ich sage, aber es gibt Momente, in denen mein Geist wandert und ich mehr über meine Arbeit als über meine Gebete nachdenke. Was ich zu tun versuche ist, mich in meiner eigenen Welt einzuschließen. Ein Mann nimmt einen Tallit, um sich selbst für sein Gebet zu umhüllen, um sich selbst von der materiellen Welt zu entrücken. Ich trage keinen Tallit, aber in vergleichbarer Weise versuche ich mich von der Welt abzuschneiden, daß ich nichts von dem wahrnehme, was um mich herum geschieht. Auch wenn ich in der U-Bahn fahre, versuche ich die Inspiration aus den Tiefen zu finden. Judith Kramer, Prayer: The Invisible Thread, Philadelphia, 1989. 167. Übersetzung: Ursula Rudnick Phyllis Thoback: Kaddisch Etwa drei Jahre bevor mein Vater starb, begann ich, Tallit und Tefillin zu benutzen. Schon zuvor versuchte ich, die Morgengebete zu sprechen, aber ich hatte viele Schwierigkeiten mit der Sprache der Gebete. Die maskuline, hierarchische, triumphalistische Darstellung sprach mich nicht an, aber als ich die Gebete sprach, die ein Mann sagt, während er den Tallit anlegt, fand ich sie wunderschön. Das Gebet übermittelt eine Vorstellung von Gott der einer Zuflucht und einer Umarmung und es vergleicht das Umlegen des Tallit mit dem Finden von Schutz in dem Schatten der Flügel Gottes. Ich betete eine Weile lang mit dem Tallit und dann begann ich, darüber nachzudenken, Tefillin anzulegen. Diese Gebete sind ebenfalls sehr eindrucksvoll. Wenn du Tefillin um deine Mittelfinger und deinen Zeigefinger wickelst, sagst du: "Ich vermähle dich mir mit Gerechtigkeit, Recht und Liebe." Es ist so, als wenn du jeden Morgen Gott heiratest. Phyllis Toback, Kaddish: The Invisible Thread, Philadelphia, 1989. 190. Übersetzung: Ursula Rudnick Jeshajahu Leibowitz: Gespräche über Gott und die Welt Wenn ich am Morgen in die Synagoge komme und dort einige Dutzend anderer Männer treffe, denkt doch kein einziger, er müsse Information an Gott übermitteln. Obwohl im Achtzehn-Gebet" von den Bedürfnissen des Menschen gesprochen wird und in den Segenssprüchen vom Lobpreis Gottes. Aber wenn der Mensch denkt (richtig ist, das die meisten Menschen überhaupt nicht denken), aber wenn er denkt, dann weiß er, das er als ein sterblicher Mensch nicht in der Lage ist, Gott zu segnen, zu loben und zu preisen. Damit wird das Gebet absurd, es sei denn, dass dies eben die festgelegte Form des Gottesdienstes ist. Ich kann diesen Gedankengang sogar noch weiterführen: Jeder der Juden, mit denen ich jeden Morgen in der Synagoge zusammentreffe, ist gewiss gottesfürchtig. Er kommt jeden Tag - 365 Tage im Jahr- in die Synagoge zum Gebet. Aber warum? Er weiß, dass es nicht nötig und

ihm nicht möglich ist, Gott Informationen zu liefern, und er versteht - wenn er nachdenkt -, das ein Mensch nicht in der Lage ist, Gott zu segnen, zu loben und zu preisen; wenn es sich aber so verhält - weshalb kommt er dann in die Synagoge? Und dann gibt es noch etwas viel Gravierenderes. Man meint ja nicht, dass das Gebet am Morgen einen gewissen Einfluss auf das Schicksal im weiteren Verlauf des Tages hat. Es mag sein, das jemand hier widerspricht, aber das ist nicht richtig, und das kann ich beweisen. Am Morgen sagt ein Mensch aufrichtig und ehrlich im Gebet Der Du die Kranken Deines Volkes Israel heilst ; aber wenn er - er selbst, oder eines seiner Kinder - an demselben Tag erkrankt, wird er dennoch zum Arzt gehen, genauso wie der Atheist, der nicht betet. Es besteht in jeder Hinsicht faktisch keinerlei Unterschied zwischen den beiden! Am Morgen betet er ehrlich und aufrichtig den großartigen Satz "Du öffnest Deine Hand und sättigst alles Lebende mit Gefallen"; aber zu seinem Lebensunterhalt geht er arbeiten und verdient sich sein Brot auf ehrliche oder unehrliche Weise, genauso wie jeder beliebige Atheist, der den Satz Du öffnest Deine Hand nicht kennt. Und wenn er um das Wohl und die Sicherheit des Staates Israel Sorge trägt, so sorgt er doch für die Panzer und die Bombenflugzeuge, obwohl er am Morgen inbrünstig vom Fels Israels gesprochen hat; er sorgt dafür genauso wie jeder beliebige Atheist, der den Begriff Fels Israels nicht kennt. Das bedeutet, dass er nicht sagen wird, er gehe zum Gebet, weil er denke, dass er dadurch Gesundheit, Lebensunterhalt oder Sicherheit für den Staat erreichen kann. In Wirklichkeit denkt er das nämlich nicht. Selbst wenn wir uns vorstellen, das der Chef des Generalstabs zum Glauben findet - die Wege zum Glauben sind doch keinem Juden verschlossen - und er zu der Erkenntnis gelangt, das er und die Armee und das ganze Volk Israel vor dem Angesicht Gottes stehen, so bringt ihn das doch nicht dazu, die operativen Pläne der Armee auch nur in einer winzigen Kleinigkeit abzuändern. Es wird auch niemand von ihm verlangen, dass er - nachdem er weiß, dass es den Fels Israels gibt - auf Panzer und Bomber verzichtet. Das ist ganz und gar unvorstellbar. Daher erhebt sich nun die Frage, warum jemand jeden Morgen aufsteht und in die Synagoge zum Gebet geht, obwohl er genau weiß: Das Gebet ist kein Mittel zum Zweck - nicht zum Erwerb von Gesundheit, von Lebensunterhalt oder Sicherheit. Die einzig gültige Antwort hierauf ist meines Erachtens die folgende: Ich stehe an jedem Morgen früh auf und gehe in die Synagoge, um das Gebot des gemeinschaftlichen Gebetes zu erfüllen. Michael Shahar (Hg.) Jeshajahu Leibowitz. Gespräche über Gott und die Welt, Dvorah Verlag Frankfurt a.m. 1990, S. 152-154. Rosch Chodesch Gruppen und neue Rituale für Frauen (seit 1971) Annette Böckler 1971 traf sich in New York die erste Rosch-Chodesch-Gruppe.[28] Traditionell dürfen Frauen an Rosch Chodesch (Neumond) keine Arbeit tun und sollen sich festlich kleiden, als Lohn dafür, dass Frauen sich damals geweigert hatten, bei der Herstellung des Goldenes Kalbes mitzumachen, wie der Midrasch lehrt.[29] Frauen aller religiösen Strömungen belebten Rosch Chodesch als Festtag exklusiv

für Frauen. Sie treffen sich am Neumondstag selbst oder am Schabbat oder Sonntag vor oder nach Rosch Chodesch. Diese Gruppen haben privaten Charakter, so dass man nicht weiß, wie viele solcher Gruppen es inzwischen auch in Deutschland gibt, zumindest in Berlin gibt es mindestens eine. Einige der Rosch-Chodesch-Gruppen konzentrieren sich auf das Studium von Texten, andere beten die traditionellen Gebete, wieder andere diskutieren über moderne Frauenfragen und einige schufen neue Rituale zur Begleitung des weiblichen Lebens, wie Rituale beim Beginn einer Schwangerschaft, zur Entwöhnung, nach einer Fehlgeburt, nach Vergewaltigung, Abtreibung, Brustamputation, Scheidung, etc., zur Segnung lesbischer Beziehungen, zu Beginn und Ende der Menstruation sowie zur Begleitung des Alters (wie simchat chochma zu hohen Geburtstagen). Nachdem im 19. Jh. erstmalig Frauen in Gebetstexten zur Sprache gekommen waren, bezeugt das 20. Jh. nun religiöse Rituale für Mädchen und Frauen. Doch nicht nur dies. Immer mehr Frauen streben nun danach, ihr Gebet nicht nur in solch privaten Gruppen wie den Rosch-Chodesch-Gruppen zu verrichten, sondern auch in einer öffentlicheren Gemeinschaft. Marcia Falk: Book of Blessings 1996 erschien "The Book of Blessings" von Marcia Falk. Es präsentiert sich als Gebetbuch für Schabbat- und Wochentage sowie für Rosch Chodesch. Alle maskulinen Formen und Bilder in den hebräischen Texten formulierte sie konsequent um, sogar Texte wie das Schma. Aus dem Schabbatlied lecha dodi likrat kalla ("Auf mein Freund, der Braut entgegen...") wurde lechu re'ot likrat kalla pne schabbat neqabela, lechu re'im likrat kalla pne schabbat neqabela ("Auf Freundinnen, der Braut entgegen, lasst uns den Schabbat empfangen. Auf Freunde, der Braut entgegen, lasst uns den Schabbat empfangen."), denn der traditionelle Text setzt sprachlich voraus, dass nur männliche Beter in der Gemeinde anwesend sind, die sich einander auffordern ("Auf mein Freund"), sich auf den Schabbat einzustellen. Ihre Neuformulierungen sind innerhalb des liberalen Judentums umstritten, sie regten aber zu fruchtbaren Diskussionen über Möglichkeiten und Grenzen inklusiver Sprache an. M: FALK, The Book of Blessings. New Jewish Prayers for Daily Life, the Sabbath, and the New Moon Festival, Boston.MA 1996. Offizielle Gebetbücher des liberalen und konservativen Judentums (seit 1995) Vor genau 10 Jahren erschien das amerikanische Gebetbuch Gates of Prayer. A Gender Sensitive Prayerbook, hg. von Chaim Stern. Der Untertitel benennt die Neuerung: es benutzt durchgehend nichtexklusive Sprache. Im gleichen Jahr führen die liberalen Synagogen in Großbritannien Siddur Lew Chadasch hg. von John D. Rayner und Chaim Stern ein, die konservativeren Reform Synagogues of Great Britain publizierten Forms of Prayer vol. III: Pilgrimage Festivals, beide Bücher verwenden

mit Selbstverständlichkeit geschlechtsneutrale Sprache. Auch das Gebetbuch der konservativen Bewegung in den USA, Sim Shalom, erschien 1998 in einer revidierten Version, die Frauen berücksichtigt. Sämtliche seit 1995 publizierten liberalen Gebetbücher in Deutschland (1997), der Schweiz (1998 dt.; 2000 frz.), den Niederlanden (1996), Frankreich (1997), neben etlichen anderen liberalen und konservativen in den USA (div. Editionen) und Israel (1991 lib.; 1998 masorti) folgen mit Selbstverständlichkeit folgenden Grundsätzen: der Gottesname wird nicht einseitig maskulin übersetzt. Die für Gott verwendeten Bilder sind nicht einseitig maskulin. Die hebräischen Formen in der 1. Sg. sind maskulin und feminin. Exklusive Gebete wie "das du mich nicht als Frau gemacht hast" gibt es nicht mehr. Neben den Erzvätern werden durchgehend auch die Erzmütter erwähnt. Die Gebetstexte wurden sowohl von Männern wie von Frauen verfasst, die Tradition der Frauengebete wird rezipiert. Zum Teil werden spezifische Erfahrungen und Lebenssituationen von Frauen berücksichtigt. (Text von Annette Böckler)