Highspeed Angelika Graf und innere Ruhe Working-Equitation-Expertin Angelika Graf auf PRE Fontendido. (Foto: Manuela Schmidt) Losgelassenheit in der Working Equitation Dressurreiter, die sich an klassischen Werten orientieren, legen großen Wert auf Losgelassenheit. Wie sieht das bei Arbeitsreitweisen aus, wo die Pferde blitzschnell auf impulsartige Hilfen des Reiters reagieren müssen? Das erklärt Angelika Graf, Fachbuchautorin und Expertin für die Working Equitation. Die Rolle der Losgelassenheit in der Working Equitation Die physische und die psychische Losgelassenheit spielen eine sehr wichtige Rolle. Sie bilden die Grundlage, auf der die gemeinsame Arbeit von Pferd und Reiter aufbaut. Im Spanischen wird für die Losgelassenheit der Begriff la soltura verwendet. Die Definition in Wörterbüchern für soltura ist Gewandtheit, Beständigkeit und Ungezwungenheit. Diese deutschen Begriffe beschreiben sehr gut, was Losgelassenheit im Arbeitsreiten bedeutet. Fragt man im Spanischen nach der Definition des Begriffes soltura, so wird er mit Wörtern wie permeabilidad und flexibilidad erklärt. La permeabilidad entspricht der Durchlässigkeit und la flexibilidad wird mit Geschmeidigkeit und Biegsamkeit übersetzt. 38
Angelika Graf Highspeed und innere Ruhe Ein Pferd der Working Equitation wird von Beginn an auf diese Eigenschaften trainiert. Zuerst wird in der Ausbildung auf gebogenen und geraden Linien Takt und Rhythmus entwickelt und verbessert, daraus können die ersten Formen der soltura entstehen. Eine aktive Hinterhand bei losgelassenem Rücken ermöglicht, dass der Schwung von hinten durch das Pferd nach vorn hindurchgeht. Daraus entwickeln sich Durchlässigkeit, Geschmeidigkeit und Biegsamkeit. Der Reiter fordert durch verschiedene Aufgabenstellungen wie Übergänge, Veränderungen der Trittlänge oder auch Seitengänge sein Pferd immer wieder zur mentalen Mitarbeit auf. Aus einer Kombination von physischer Fitness und psychischer Kooperation entsteht bei Pferden die für das Arbeitsreiten notwendige Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit. Ich vergleiche die Athleten Pferd und Reiter gern mit Balletttänzern. Balletttänzer brauchen in ihrem Körper eine positive Spannung, eine Bereitschaft zur Leistung und eine Ungezwungenheit in der Ausführung ihrer Bewegungen. In dieser gelassenen Grundhaltung können sie die nötige Kraft entwickeln, um all die schwierigen Bewegungen zu einem beeindruckenden Tanz zu verbinden. Dahinter steckt für mich eine physische wie psychische Losgelassenheit. Körper und Geist sind in einer positiven Spannung, bereit zu arbeiten und bereit, die schönsten Bewegungen hervorzuzaubern. Und das in einer Losgelassenheit, die ihnen eine Ausführung in Leichtigkeit ermöglicht. Bedeutung der Dehnungshaltung Viele Reiter hierzulande assoziieren die Dehnungshaltung mit Losgelassenheit. In der Working Equitation entwickelt sie sich aus einer guten, sinnvollen Arbeit heraus. Arbeiten Pferde mit einer aktiven Hinterhand und in einer guten Haltung, Volte im Linksgalopp Acht um zwei Tonnen. (Zeichnung: Angelika Graf Verlag) dann entwickelt sich daraus das Bedürfnis, in Pausen die Muskeln zu dehnen. Eine Dehnungshaltung wird nicht explizit trainiert, sondern nur in Pausen oder am Ende des Trainings zur Entspannung der Muskulatur verwendet. Unerwünscht und kontraproduktiv ist eine sogenannte Dehnungshaltung, in der Pferde Runde für Runde auf der Vorhand geritten werden. Die Dehnungshaltung darf nicht mechanisch hervorgerufen werden und die Losgelassenheit nicht mit einer Spannungslosigkeit verglichen werden. Mit Trailaufgaben zur Losgelassenheit Volte im Rechtsgalopp Übergang zum Schritt, auf der Gerade 1-2 Schritttritte, Angalopp Die wichtigste Voraussetzung für den Working-Equitation-Reiter ist, meiner Meinung nach, die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten und lernen zu wollen. Es geht darum, ein gutes Körpergefühl zu entwickeln und die eigene Muskulatur gezielt und bewusst einsetzen zu können. Ein zügelunabhängiger Sitz mit einem leichten Kontakt zum Pferdmaul ist die wichtigste Basis. Schafft der Reiter es,diesen zu entwickeln, wird er an Trailaufgaben herangeführt, die das Erlernte stabilisieren und das Gefühl für die einzelnen Bewegungsabläufe schulen. Die Anfänge der Seitengänge können sehr bald entwickelt und trainiert werden. Natürlich dauert es auch in der Working Equitation einige Jahre an konzentriertem Training für Pferd und Reiter, bis etwa die Galopppirouette entsteht. Trailhindernisse sind dabei sehr hilfreich. Dadurch, dass das Pferd mithilfe der Trailhindernisse seine Aufgaben versteht, hat der Reiter die Möglichkeit, besser vom Pferd zu lernen. Ein Beispiel: Beim Hindernis Acht um zwei Tonnen reitet man erst um beide, dann um eine Tonne. Anschließend beginnt der Reiter, die Tonnen im Trab zu umrunden und wechselt in einer Achterfigur mit einem kurzen Übergang Trab Schritt Trab zwischen den Tonnen die Hand. Aus diesem ungezwungenen Spiel können der Galopp und später die Galoppvolte mit einem einfachen Wechsel entwickelt werden. Diese Schritte sind Entwicklungen im Training, die aufeinander aufgebaut werden können. Beachtet man bereits von Beginn des Trainings an, dass das Pferd bei den Übungen keinen Stress entwickelt, so bleibt auch später die Losgelassenheit in schwierigen Lektionen erhalten. Die Pferde sollen ihre Arbeit immer in einer körperlichen und 39
Angelika Graf Highspeed und innere Ruhe Abstand 15 m Basisübung um zwei Tonnen: Der Reiter umrundet die Tonnen in breitem, aber exaktem Abstand. Die Übung wird im Schritt, später im Trab und Galopp ausgeführt. Die halben Volten müssen genau um das Zentrum der Tonnen angelegt werden. Später kann der Reiter auch im Schulterherein um die Tonnen reiten. Zwischen den Tonnen wird es geradegerichtet. (Zeichnung: Angelika Graf Verlag) geistigen Gelassenheit und in tänzerischer Leichtigkeit ausführen. Übungen für Einsteiger Als leichte Übung, um einen Einstieg in die Trailarbeit zu finden, bietet sich die Basisübung mit den zwei Tonnen an (siehe Skizze). Eine weitere sehr vielseitige Übung ist der Parallelslalom. Dabei werden parallel zueinander Slalomstangen im Abstand von drei Metern aufgestellt. Bei dieser Aufgabe können beispielsweise Schrittvolten, Übergänge von Schritt zu Trab oder Volten im Trab und Galopp trainiert werden. Durch die kurzen Wechsel von rechts nach links und umgekehrt schult der Reiter seinen Sitz und bleibt auch geistig bei der Sache. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie Pferde und Reiter an dieser Übung Spaß haben und zur Losgelassenheit finden, weil sie beiden auf eine positive Art zur gemeinsamen Konzentration verhilft. Das Schöne an den Trailaufgaben ist außerdem, dass sie allen Reitern nützen: Man kann Anfängern Wege aufzeigen, wie sie Sitz und Hilfengebung verbessern können, Fortgeschrittene unterstützen, wie sie beispielsweise feinere Übergänge reiten können. Profis können durch die Aufgaben Orientierungspunkte erhalten, durch die etwa Serienwechsel auf ganz andere Weise trainiert und perfektioniert werden können. Das Allerwichtigste ist aber, dass man den Pferden dabei immer ansieht, wie zufrieden sie sind, wenn sie ihre Arbeit verstehen, und wie dankbar sie sind, wenn sie Leistung erbringen dürfen. Das stärkt ihren Charakter und lässt sie über die Jahre ausdrucksstärker werden. Sie strahlen innere Ruhe aus. Von null auf hundert und zurück Pferd und Reiter müssen sich bei der Arbeit am Rind, im Speedtrail oder dem schnellen Slalom um Tonnen blitzartig auf neue Situationen einstellen. In diesen Momenten kann mit Sicherheit nicht von derselben Losgelassenheit gesprochen werden, die eine Dehnungshaltung mit sich bringt. Die Pferde werden aber zu einer Mitarbeit erzogen, die auf Gelassenheit und Ruhe basiert. Pferde, die im psychischen Gleichgewicht sind und Vertrauen zum Reiter haben, wollen gefallen und ihre Aufgaben mit Feuereifer erledigen. In einem sinnvoll aufgebauten Training werden sie gezielt auf den Wechsel zwischen Geschwindigkeit und absoluter Ruhe trainiert. Aus den Kombinationen 40
Angelika Graf beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren theoretisch und praktisch mit traditionellen Arbeitsreitweisen der Iberischen Halbinsel. Sie verfeinerte ihr Können in der langjährigen Zusammenarbeit mit Manolo Oliva Ramos, Juan Jesús Guerrero Dominguez und verschiedenen Reitmeistern Portugals. Mittlerweile bietet sie Beritt, Seminare und Reitunterricht an und stellt ihre Arbeit auf Shows vor. Neben ihrer täglichen praktischen Arbeit widmet sie sich der Literatur alter klassischer Meister wie François Baucher, Nuno Oliveira, Luis Ramos-Paúl sowie moderner Reitmeister der klassischen Reitkunst. Kontakt: www.angelikagraf-verlag.de (Zeichnung: Christine Gräper/Angelika Graf Verlag) der Gegensätze von Tempo und Ruhe oder Schnellkraft und Versammlung leben Arbeitsreitweisen wie die Working Equitation und die spanische Doma Vaquera. Pferde, die in der Rinderarbeit eingesetzt werden, lernen selbstständig mitzuarbeiten und situationsbedingt blitzschnell zu reagieren. Dies kann in der Arbeit auf den Feldern unter Umständen lebensrettend für Pferd und Reiter sein. Anforderungen wie diesen ist der Speedtrail nachempfunden. Die Pferde können schnell aus der Ruhe heraus spontan und gezielt mit dem Reiter agieren und finden nach der Aktion auch sofort wieder zur Entspannung zurück. Ein gut gerittener Speedtrail ist aber mit Sicherheit die Hohe Schule der Working Equitation. Diese perfekte Kombination aus den schnellen Manövern mit Geschicklichkeitsaufgaben funktioniert nur mit Pferden, die gewandt und beständig in Bereitschaft zur Mitarbeit sind. Iberischen Pferden liegt es im Blut, von null auf hundert zu schalten und sofort wieder von hundert auf null. Das ist ein wichtiges Ziel in der Zucht von Arbeitspferden. Nichtsdestotrotz habe ich im Lauf meiner Jahre als Trainerin immer wieder feststellen dürfen, dass durch sinnvolles und durchdachtes Training diese Eigenschaften auch bei Pferden anderer Rassen geweckt werden können. Dass Pferde trotz körperlicher Höchstleistungen voll beim Reiter sind und nicht überdrehen, ist eine Frage des Trainings und des Reiters. Pferde sind Gewohnheitstiere. Sind sie es gewohnt, mit all ihren Sinnen stets aufmerksam beim Reiter zu sein, wächst daraus erst ein Arbeits- und schließlich ein Vertrauensverhältnis. Das wird so weit entwickelt, dass Pferde auch im Speedtrail zwischen den Geschwindigkeiten immer wieder zur Entspannung finden und dem Reiter zuhören. Aber: Nur ein Reiter, der mutig ist und seinem Pferd vertraut, strahlt die dafür nötige Gelassenheit auf das Tier aus. < Working Equitation Trail-Training Angelika Graf Verlag ISBN 978-3-97146-410-8 39,90 1 Als Working Equitation werden Arbeitsreitweisen bezeichnet, deren Ursprung in Ländern liegt, in denen auch heute noch auf traditionelle Weise mit Pferden und Rindern gearbeitet wird: zum Beispiel in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien. Diese Arbeitsreitweisen sind aus der Arbeit mit den Rindern in freiem Gelände entstanden. Das Pferd war und ist dabei der wertvolle Partner des Reiters. Angelika Graf beschreibt in ihrem Buch Working Equitation Trail-Training die Grundlagen der Reitweise und verschiedene Trainingsziele. Reiter erfahren, wie sie Abwechslung in den Trainingsalltag bringen, die Zusammenarbeit mit ihrem Pferd verfeinern und auch klassische Lektionen spielerisch erarbeiten und perfektionieren können. 41