Volksbegehren gegen Privatisierung Konferenz: Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck 29./30. Juni 2007 in Marburg/Lahn Volker Mittendorf Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie Universität Marburg http://www.forschungsstelle-direkte-demokratie.de http://www.iri-europe.org E-Mail: mittendv@staff.uni-marburg.de
Kontext: Privatisierungsdruck Ursachen Ökonomische Rahmenbedingungen z.b. Konkurrenzdruck Standortproblematik Politische Rahmenbedingungen Mehrebenensystem WTO, EU, Bundesrecht, Landesrecht Politisches Framing Neoliberalismus Auswirkungen z.b. Verteilungsproblematiken Proteste etc.
Fragestellung Inwiefern spiegeln sich die Privatisierungstendenzen im Rahmen direktdemokratischer Thematisierungen wider? Welche Muster lassen sich erkennen? Welche Effekte haben direktdemokratische Verfahren? Welche Effekte können direktdemokratische Verfahren haben?
Kennzeichnung direktdemokratischer Verfahren Minderheit kann der Gesamtheit eine Frage stellen Mehrheit aller Betroffenen entscheidet verbindlich Parlamentarische Entscheidungen können hinterfragt werden (fakultative Referenden) Neue Vorlagen können eingebracht werden (Volksinitiativen) Rechtsstaatlicher Rahmen
Mögliche Effekte direkter Demokratie auf Privatisierung Transparenz / Thematisierung Können Ursachen und Auswirkungen der transparenter werden? Metapher des Drucks: Können Volksbegehren und Volksentscheid Instrumente sein, um dem Druck Stand zu halten? Kontrolliert ablassen (Verzögern) Aufhalten Gegendruck erzeugen / Druckrichtung umkehren
Volksbegehren Antrag auf Zulassung / Volksinitiative 0,05% - 3 % der Wahlberechtigten Zulässigkeitserklärung durch Landesregierung / Behandlung im Parlament Haushaltsfragen meist ausgeschlossen Haushaltsgesetze Abgabengesetze Haushaltsgleichgewicht Volksbegehren Volksentscheid 4-20 % der Stimmberechtigten Sammelfrist 14 Tage bis 6 Monate Meist Eintragung in Amtsräumen der Gemeinden
Vermehrte Anwendung zeigt sich nicht bei Fokussierung auf Länder Seit 1946: 187 Initiativen, davon mündeten 53 in ein Volksbegehren und 13 in einen Volksentscheid Zur Privatisierungsproblematik selbst erst wenig Hamburg: Kliniken (fak. Referendum) Hamburg: Unser Wasser (Volksinitiative!) Hessen: Uni-Kliniken Einige Projekte im weiteren Sinne gegen neoliberale Projekt Sparkassen (Sachsen), Hochschulpolitik (BaWü, NRW, MV), Bildungspolitik (div. Schulgesetze) UND: Öffentliche Dienstleistungen nicht überwiegend in Länderhand
Einbezug von Bürgerbegehren Korrekturbegehren Initiativbegehren Beschluss der Gemeindevertretung Initiative i.d.r. Sechs-Wochen-Frist Keine Frist Bürgerbegehren = Antrag auf Bürgerentscheid 10 % Beschluss der Gemeindevertretung (i.d.r.) Zulässigkeit - Termin - Stellungnahme Kein Bürgerentscheid - Positiv erledigt - Negativ erledigt - Kompromiß (informell) Bürgerentscheid (meist) 25 % Erfolg Scheitern Unechtes Scheitern (25 %)
Rahmenbedingungen: rechtliche / institutionelle Schranken Einleitungshürden Zustimmungshürden Gesetzliche Finanzrestriktionen Rechtsprechung (insbes. zu Finanzfragen) Restriktionen im Aufbau des Mehrebenensystems
Regelungen Verfahrensregeln bei Volksbegehren / Volksentscheid und Bürgerbegehren / Bürgerentscheid (Stand 2006) - geordnet nach Höhe der Quoren Land Quorum in % Volksentscheid Quorum in % Quorum in % Volksbegehren Bürgerbegehren Bürgerentscheid Quorum in % Brandenburg ca. 4 25 10* 25 Hamburg 5 20 3-2** kein Quorum Schleswig-Holstein 5 25 10 20 NRW 8 15 10-3** 20 Bayern 10 kein Quorum 10-3** 20-10** Bremen 10 25 10 25 30 (BremHav) Niedersachsen 10 25 10 25 Thüringen 10 25 17-13** 25-20** Rheinland-Pfalz ca. 10 25 (Beteilig.) 15-8,8** 30 Mecklenburg- ca. 10 33 10-4,2** 25 Vorpommern. Berlin 10 33 3 15 (Beteilig.) Sachsen-Anhalt 11 25 15-5** 30 Sachsen ca. 12,5 kein Quorum 15 (5)* ** 25 Baden-Württemberg 16,6 33 10-5** 25 Hessen 20 kein Quorum 10 25 Saarland 20 50 15-12,4** 25 Quellen: Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie, Universität Marburg in Kooperation mit Mehr Demokratie e.v.; Weixner 2002; Kost 2005. (Länderbeiträge); * Fettgedruckt: deutliche Abweichung von der Landesebene. ** In größeren Gemeinden sinkt die geforderte Prozentzahl. *** Hauptsatzung kann Quorum bis auf fünf Prozent senken.
LAND Bürgerbegehren in Deutschland Praxis bis Ende 2005 ZAHL DER GEMEIND EN VERFAHR EN SEIT RATSREFERENDU M ("RATSBEGEHRE N") BÜRGERBEGEHR EN BÜRGERENTSC HEID (AUS BÜGERBEG.) BÜRGERENTSCH. ERFOLGREICH AUS BÜRGERBEGEHREN Bayern 2056 1995 216 1200 653 k. A. k. A. Baden- 1111 (1956) (1976-2005) (1976-2005) (1976-2005) 47 24 Württemberg 1976 62 212 86 Nordrh.-Westf. 396 1994 Nicht vorh. 421 116 45 - Hessen 426 1993 Nicht vorh. 237 92 48 - Schl-Holstein 1132 1990 21 182 84 43 6 Sachsen 779 1993 51 150 52 46 32 Niedersachsen 1032 1996 Nicht vorh. 112 39 18 - Rheinl-Pfalz 2305 1994 Nicht vorh. 113 45 18 - Sachsen-Anh. 1295 1993 31 77 47 13 19 MecklVPomm 1069 1994 27 55 7 3 14 Brandenburg 1489 1993 60 53 8 3 53 Thüringen 1053 1993 Nicht vorh. 53 17 14 - Hamburg (Bezirke) 7 1998 Nicht vorh. 46 7 6 - Saarland 52 1997 Nicht vorh. 10 0 0 - Berlin (Bez.) 13 2005 Nicht vorh. 5 0 0 - Bremen 2 1994/96 Nicht vorh. 2 1 0 - SUMME 12968 478 2928 1255 RATSREFEREN DUM
Phasen I. 90er Jahre Stillegung und Verkauf von Sport- und Freizeiteinrichtungen Nur vereinzelt Teilprivatisierung von Stadtwerken (meist Energieversorgung) 2001-2003 Cross-Border-Leasing ca. 15 Fälle Seit ca. 2000 zunehmend Begehren gegen die Privatisierung/Verkauf von zentralen öffentlichen Dienstleistungen Gesundheit, Verkehr, Energie, Wasser
Ergebnisstruktur 160 Fälle i.e.s., davon Droheffekt 11 Nicht eingereicht, 9 xteilerfolg, 15 x gedroht Häufig unzulässig: 44 (¼ vs. 1/5) 15 x Einlenken, 32 x im BE Erfolg BE gescheitert: 17, unecht 19 (vgl. viel) Häufiges Argument: Die Haushaltslage lässt uns keine Alternative (Freiburg) Politische Bindungswirkung = rechtliche Bindungswirkung z.b. Hamburg: Ignorieren der Krankenhausentscheidung mit gerichtlichem Segen z.b. Düsseldorf: nach Ablauf der Sperrfrist erneute Verkaufspläne
Wichtige Entscheidungen nicht auf Landes- und Kommunalebene Bahn, Telekom etc. Bundesentscheidung Europäische Harmonisierungsrichtlinien schaffen verbindlichen Rahmen auch auf kommunaler Ebene
Effekte? Zunehmende Sensibilisierung Verzögern ( ) Aufhalten? a) Restriktionsgrad in Ländern und Gemeinden hoch b) Zahl der Anwendungsfälle derzeit niedrig c) Keine Anwenbarkeit von fakultativen Referenden in Bund und EU Gegendruck? Argumente a) c) gelten für Volksinitiativen in erhöhtem Maße
Vielen Dank......für Ihre Aufmerksamkeit! Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie Wilhelm-Röpke-Str. 6 35032 Marburg mittendv@staff.uni-marburg.de www.forschungsstelle-direkte-demokratie.de www.iri-europe.org