Digitales Archiv Mehr Demokratie e.v. paper 29 Amtseintragung versus freie Unterschriftensammlung beim Volksbegehren Daten und Informationen zur Landesebene in Deutschland Erstellt von: Frank Rehmet Erstellt für: Mehr Demokratie e.v. Datum: 10.11.2004 VORBEMERKUNG (1) Die Diskussion über die Amtseintragung beim Unterschriftensammeln für ein Volksbegehrne ist eine deutsche Besonderheit. In allen anderen Ländern mit Volksbegehren und Volksentscheiden können die Bürgerinnen und Bürger die Unterschriften frei sammeln. Die Staaten mit der längsten Erfahrung wie die Schweiz, USA (die Hälfte der Bundesstaaten kennt Volksbegehren), Italien, Liechtenstein und andere europäische Staaten kennen ausschließlich die freie Unterschriftensammlung. (2) Die deutsche Kommunalebene kennt in allen 15 Bundesländern mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid ebenfalls ausschließlich die freie Unterschriftensammlung beim Bürgerbegehren. 1) Regelungen in Deutschland Landesebene Wie aus der tabellarischen Übersicht der deutschen Bundesländer (siehe folgende Seite) hervorgeht, kennen neun der 16 Bundesländer derzeit die Amtseintragung, sieben die freie Unterschriftensammlung. Insgesamt drei (Hamburg, Thüringen, Mecklenburg Vorpommern kennen beide Verfahren. Dabei ist auffallend, dass von den Landesverfassungen jüngeren Datums nahezu alle das Verfahren der freien Unterschriftensammlung vorsehen. Bremen Komplettrevision 1994 Mecklenburg Vorpommern 1994 Niedersachsen 1993 Sachsen 1993 Sachsen Anhalt 1992 Thüringen 1994 Hamburg führte 1996 zunächst das Verfahren mit Amtseintragung ein, nach dem knapp am Zustimmungsquorum gescheiterten Volksentscheid 1998 wurde 2001 die Amtseintragung um die Möglichkeit der freien Unterschriftensammlung erweitert. Als einzige Bundesländer mit neuerer Landesverfassung wählten Brandenburg 1994 und Berlin 1995 die Amtseintragung. Brandenburg entschied sich für ein niedriges Quorum (ca. 4 %) und eine viermonatige Sammelfrist, Berlin für 10 % und zwei Monate. In beiden Ländern kam es bislang noch zu keinem erfolgreichen Volksbegehren, alle sieben scheiterten (s. unten, Praxis).
Tabelle 1: Vergleich der Volksbegehrensregelungen nach Bundesländern Bundesland (Jahr der Einführung / Reform) Einleitungsquorum Sammelfrist Amtseintragung / freie Unterschriftensammlung Baden Württemberg (1953) 16,6 % 2 Wochen Amt Bayern (1946, 1999) 10 % 2 Wochen Amt Berlin (1949, 1974, 1995) 10 % 2 Monate Amt Brandenburg (1992) 80.000 (= 4 %) 4 Monate Amt Bremen (1947, 1994, 1997) 10 % Verfassung 20 % 3 Monate Freie Sammlung Hamburg (1996, 2001) 5 % 14 Tage Amt und freie Sammlung Hessen (1946) 20 % 14 Tage Amt Mecklenburg Vorpommern 140.000 (= 10 %) 2 Monate bei Amt und freie Sammlung Amtseintragung; (1994, 2001) Keine Frist bei freier Sammlung Niedersachsen (1993) 10 % 6 Monate Freie Sammlung Nordrhein Westfalen (1950, 2002) Rheinland Pfalz (1947, 2000) 8 % 8 Wochen Amt 300.000 (ca. 10 %) 2 Monate Amt Saarland (1979) 20 % 14 Tage Amt Sachsen (1993) 450.000 (ca. 12,5 %) 8 Monate Freie Sammlung Sachsen Anhalt (1992, 1995) Schleswig Holstein (1990, 1995, 2004) Thüringen (1994, 2003) Quelle: Mehr Demokratie e.v. 250.000 (= 11,8 % 6 Monate Freie Sammlung 5 % 6 Monate Amt zuzüglich weiterer 10 % bei freier Sammlung 8 % bei Amtseintragung Eintragungsstellen 4 Monate Amt oder freie Sammlung Jüngste Reformdiskussionen um die Abschaffung der Amtseintragung Direktdemokratische Regelungsreformen fanden vor kurzem in Rheinland Pfalz (2000) und in NRW (2002) statt: Hier wurden die Einleitungsquoren deutlich gesenkt, trotz zahlreicher Forderungen nach Ermöglichung der freien Unterschriftensammlung wurde diese jedoch (noch) beibehalten. Auch gab es in vielen der übrigen Länder (Schleswig Holstein, Hessen, Baden Württemberg, Brandenburg und Bayern) Reformdiskussionen hierüber. FAZIT Die Amtseintragung bei Volksbegehren auf Landesebene stellt eher ein historisches Relikt der Landesverfassungen und Ausführungsgesetze aus der Zeit von 1949 1953 dar. Alle neueren Regelungen zur Direkten Demokratie mit Ausnahme Brandenburgs kennen die freie Unterschriftensammlung. Brandenburg hat schlechte Erfahrungen mit der Amtseintragung gemacht (siehe unten, Praxis).
2. Praxis auf Landesebene Ob ein Volksbegehren das notwendige Unterschriftenquorum erreicht, hängt neben der geforderten Maßnahme und anderen themenbezogenen Faktoren und dem Rückhalt in der Bevölkerung auch von der Verfahrensausgestaltung ab, insbesondere von der Höhe des Unterschriftenquorums, der Sammelfrist und dem Sammelmodus (freie Unterschriftensammlung / Amtseintragung). 2.1. Gesamtzahl Volksbegehren Zunächst ist die Gesamtzahl aller durchgeführten Volksbegehren in Deutschland interessant. Gesamtzahl durchgeführter Volksbegehren: 48 Gesamtzahl zustandegekommener Volksbegehren (=Quorum erreicht): 19 (= 40 %) 2.2. Länder mit freier Unterschriftensammlung Tabelle 2: Daten zu Ländern mit freier Unterschriftensammlung (7) Bundesland DD seit Gesamtzahl Anträge/ Volksinitiativen Bremen 1947, Totalrevision 1994 Davon Volksbegehren Davon zustandegekommen = Quorum erreicht 9 3 0 Hamburg ab 2001 11 4 4 Mecklenburg Vorp. 1994 16 0 0 Aber einige indirekte Erfolge, daher kein VB mehr nötig Niedersachsen 1993 7 2 1 Sachsen 1992 9 4 1 Und ein knapp gescheitertes erfolgreich Sachsen Anhalt 1992 2 2 2 Thüringen 1994 4 3 1 Restliche zwei am hohen Quorum (14 %) gescheitert Summe 58 18 9 Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass 9 der durchgeführten 18 Volksbegehren das Quorum erreichten. Damit kommen in diesen Bundesländern ca. 50 % und damit überdurchschnittlich viele Volksbegehren zustande. In allen Bundesländern waren keine negativen Auswirkungen dieser Regelung zu beobachten.
2.3. Länder mit Amtseintragung Tabelle 3: Länder mit Amtseintragung (9; zzgl. Hamburg 1996 2000) Bundesland DD seit Gesamtzahl Anträge / Volksinitiativen Davon Volksbegehren Davon zustande gekommen = Quorum erreicht Baden Württemberg 1953 4 0 0 Bayern 1946 35 14 5 Berlin 1995 7 1 0 Brandenburg 1992 20 6 0 Hamburg 1996 2000 5 2 2 Hessen 1946 4 1 0 NRW 1950 9 2 1 Rheinland Pfalz 1947 4 1 0 Saarland 1979 3 0 0 S. Holstein 1990 11 3 2 Summe 102 30 10 Anmerkung: Berlin: zusätzlich 1949 1974, Bremen: Reform 1994, Rheinland Pfalz: Reform 2000 Hamburg: Reform 2001, NRW: Reform 2002 Die beobachtete Anzahl der Volksbegehren ist in dieser Ländergruppe deutlich höher als in Tabelle 2, da erstens mehr Länder enthalten sind und zweitens die Zeiträume viel länger sind (u.a. Bayern und Hessen seit 1946). Betrachtet man die Quote der zustande gekommenen Volksbegehren, so sind 10 der 30 und damit nur jedes dritte der durchgeführten Volksbegehren zustande gekommen. Diese Quote ist mit 30 % deutlich geringer als in den Ländern mit freier Unterschriftensammlung. Einzelbetrachtungen Unter den neun Bundesländernn der Ländergruppe mit Amtseintragung befinden sich fünf Bundesländer, in denen es praktisch keine Praxis gab wegen der restriktiven Verfahrensausgestaltung. Hessen, Saarland, Baden Württemberg: jeweils prohibitive Einleitungsquoren, kurze Sammelfrist von 14 Tagen und Amtseintragung eine Kombination, die zu keinem Volksbegehren in diesen Ländern bislang führte. Nordrhein Westfalen und Rheinland Pfalz gehörten bis vor wenigen Jahren noch zu dieser auch als direktdemokratisches Brachland bezeichneten Gruppe von Bundesländern. Zu erwarten ist, dass die jüngsten Reformen (deutliches Absenken des Einleitungsquorums von 20 auf 10 bzw. 8 %, Verlängerung der Sammelfrist) in diesen beiden Bundesländern auch zu mehr direktdemokratischen Aktivitäten führen. Zu früh hingegen ist eine Bewertung der Amtseintragungsregelung in diesen beiden Bundesländern, da es bislang keine Volksbegehren gab. In Nordrhein Westfalen war bis vor kurzem das Verfahren der unverbindlichen Volksinitiative ebenfalls nur mittels Amtseintragung möglich wegen des hohen bürokratischen Aufwands und der enormen Kosten für die Behörden wurde diese Regelung am 29. Oktober 2004 reformiert und die freie Unterschriftensammlung eingeführt.
Bayern scheint die Ausnahme dieser Länder zu sein: Es kennt eine lange Praxis, zudem ist das Quorum mit 10 % niedriger als in den obigen Bundesländern. Die hohe Quote an zustandegekommenen Volksbegehren liegt aber weniger an der Amtseintragung, sondern an der politischen Konstellation in Bayern die Bürgerinnem und Bürger wehren sich in Aktionsbündnissen gegen die CSU Alleinregierung in Sachfragen mittels Volksbegehren und konnten dabei in der Vergangenheit eine relevante Minderheit der Wahlberechtigten zu einem Volksbegehren mobilisieren (z.b. Abfallregelung, Einführung von Bürgerentscheiden). Aber auch in Bayern scheiterten alle Volksbegehren der letzten Jahre an der Kombination hohes Quroum, kurze Frist und Amtseintragung. In Schleswig Holstein erreichten zwei von drei Volksbegehren Rechtschreibreform und Wiedereinführung Buß und Bettag, letzteres nur knapp mit 6,5 % der Unterschriften das erforderliche Unterschriftenquorum. Dies war aber nur wegen einer enormen Mobilisierungsanstrengung der Initiatoren und der großen Popularität der Themen möglich. Brandenburg hingegen gilt als Musterfall einer missglückten Amtseintragungsregelung: Alle 6 Volksbegehren scheiterten, obwohl das Einleitungsquorum mit ca. 4 % relativ niedrig ist. Bereits 2001 stellte der Volksbegehrensbericht von Mehr Demokratie im Kapitel 4. Zum Beispiel Brandenburg: Das Scheitern eines Modellfalls fest: Die Probleme der direkten Demokratie zeigen sich beispielhaft und zugespitzt an einem viel gelobten Vorreiter. Das Brandenburger Modell galt Befürwortern Anfang der 90er Jahre als wegweisend. Kritiker hingegen befürchteten eine Aushöhlung der repräsentativen Demokratie und zweifelten sogar die Grundgesetzkonformität der zu weitgehenden Volksrechte an. Beide Seiten haben sich geirrt. Brandenburg hat sich vom Modell zum Problemfall entwickelt. Im Ländervergleich sieht das Land zwar die niedrigsten Hürden für Volksinitiativen (ca. 1% der Wahlberechtigten) und Volksbegehren (ca. 4%) vor. Beim Volksentscheid hat aber auch Brandenburg die üblichen hohen Quoren für eine Mindestzustimmung. Die niedrige Eingangshürde hat zu der beachtlichen Zahl von 16 Volksinitiativen geführt, von denen aber nur drei einen (Teil )erfolg erzielen konnten. Alle fünf Volksbegehren scheiterten an der vermeintlich niedrigen Hürde von nur 80.000 Unterschriften. Auch populäre Themen wie z.b. die Anti Transrapid Initiative schafften die Hürde nicht. Der Grund dafür liegt im Verbot der freien Unterschriftensammlung. In einem dünn besiedelten Flächenland ist die Amtseintragung mit wenigen Eintragungsstellen ungeeignet, weil sie von vielen Bürgern weite Wege zur Wahrnehmung ihrer Rechte fordert. Die Folge: Bis heute kam keine Volksabstimmung zustande. (Quelle: www.mehr demokratie.de Volksbegehrensberichte) Die Diskussionen 2001 und danach über die Einführung der freien Unterschriftensammlung haben sich in Brandenburg jedoch noch nicht in Reformen niedergeschlagen. Insgesamt kann man von keinem Bundesland, das Amtseintragungen praktiziert, positive Erfahrungen berichten. Im Gegenteil: Der bürokratische Aufwand wurde öfters kritisiert. Zusätzliches Personal musste abgestellt werden und zusätzliche Öffnungszeiten anbgeboten werden. Immer wieder gab es Aufregungen und Verwirrungen um die Anzahl und Öffnungszeiten von Eintragungsstellen.
3. Argumente für eine freie Unterschriftensammlung Es gibt keinerlei Notwendigkeit, die freie Unterschriftensammlung abzuschaffen. Die Regelung hat sich in sieben deutschen Bundesländern auf Landesebene, in allen Bundesländern auf Kommunalebene und in allen Staaten (Schweiz, USA, Italien usw,) bewährt. In allen andern neun Bundesländern, die die ausschließliche Amtseintragung kennen, ist dies meist ein historisches Relikt und zudem Gegenstand von intensiver Diskussionen um die Ermöglich der freien Unterschriftensammlung. In sechs der neun Bundesländer verfügt man wegen der prohibitiven Regelungen über praktisch keine Erfahrungen mit dem Instrument Volksbegehren, damit kann man auch das Verfahrensmodus der Amtseintragung überhaupt nicht bewerten. Geradezu zynisch erscheint vor diesem Hintergrung das Argument, die Mehrheit der Bundesländer kenne das Verfahren der Amtseintragung und dies sei ein Argument für die Abschaffung der freien Unterschriftensammlung, wie dies von manchen Politikern ins Felde geführt wird. Da vier dieser neun Bundesländer mit Amtseintragung über keine funktionierende Regelung zu Volksbegehren und Volksentscheiden verfügen (Baden Württemberg, Berlin, Hessen, Saarland), kann man dieses Argument sogar umdrehen: Die Mehrheit der Bundesländer mit funktionierenden direktdemokratischen Regelungen und mit Volksbegehrens Praxis (7 von 12) verfügt über die Möglichkeit der freien Unterschriftensammlung. 1 Mit dem Amtseintragungsverfahren wird der eigentliche Sinn der Volksgesetzgebung, die politische Sachdiskussion zu fördern, verfehlt. Gerade die freie Unterschriftensammlung fördert die Diskussionen zwischen Menschen, an Informationsständen, auf Märkten usw. Bei Amtseintragungsverfahren werden ältere Menschen und andere mit Mobilitätseinschränkungen benachteiligt. Die Eintragung wird diesen und ähnlichen Bevölkerungsgruppen mit Mobilitätseinschränkungen deutlich erschwert. Freie Unterschriftensammlung bedeutet weniger Bürokratie und weniger Aufwand für Ämter. Der Vergleich der Hamburger Volksbegehren 1998 mit den jüngsten Volksbegehren 2003 sollte dies deutlich zeigen. Diskussionen um Öffnungszeiten der Ämter, Wochenendregelungen und andere Regelungsdetails sind mit einer freien Unterschriftensammlung hinfällig. De facto Behinderungen durch die Exekutive Behinderungen der Staatswillensbildung des Volkes durch Abstimmungen kommen nach den Erfahrungen in den anderen Bundesländern immer wieder vor. Die bisherige Verfassungspraxis hat gezeigt, dass die Exekutive immer wieder die Eintragung bei 1 Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese vier Bundesländer auf Landesebene im Bundesvergleich die Schlusslichter sind. Hessen ist nur deshalb weiter oben, da in die Gesamtbetrachtung das in Hessen gültige obligatorische Verfassungsreferendum (alle Verfassungsänderungen bedürfen zwingend einer Volksabstimmung) eingerechnet ist. Vgl. Volksentscheid Rabking von Mehr Demokratie e.v. 2003 http://www.mehr demokratie.de/ranking.htm
Volksbegehren behindert. Zu wenig Eintragungsstellen, geschlossene Abstimmungslokale, nicht hinreichende Eintragungsmöglichkeiten außerhalb der normalen Arbeitszeiten am Wochenende oder in den Abendstunden sind oftmals nicht gewollte beobachtete Behinderungen, die vor allem dann unerträglich erscheinen, wenn nicht auch die Möglichkeit der Sammlung der Unterschriften außerhalb der Amtsräume gegeben ist. Deutliche Erschwernis für Initiatoren: Oft wird bei Amtseintragungsverfahren berichtet, dass die Menschen nach einer Diskussion am Informationsstand der Initiatoren unterschreiben wollen und dies auch würden. Bei einer ausschließlichen Amtseintragung müssen diese Menschen dann noch bewegt werden, zu einer bestimmten Zeit aufs Amt zu gehen.