Traumasensibilität und Traumapädagogik in der Jugendhilfe Fachtag Zentrum für Frühförderung Basel Schlussworte und Überlegungen zur Bedeutung dieser Thematik für uns in Basel Marc Schmid, Basel, 6.11.2014 Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik
Gliederung Einleitung Die Themen dieser Tagung Trauma ist eine Herausforderung an die Kooperation, weil? Warum brauchen wir eine Traumapädagogik/-sensibilität? Was tut sich aus meiner begrenzten Perspektive in Basel? Traumasensibilität im psychosozialen erhöht sich stetig Häusliche Gewalt Einführung von MST-CAN durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie Zusammenfassung und Diskussion 2
Einleitung Es freut mich sehr, dass Sie nach dem letzten Jahr nochmals das Thema Trauma in den Mittelpunkt Ihres Fachtages gestellt haben. Ich erkenne in der Wiederholung des Themas, der Auswahl der Referenten vom letzten und diesem Fachtag einen roten Faden. Es freut mich, dass gerade aus der Perspektive der Frühförderung, dieses Thema aufgegriffen wurde und das Thema dadurch einen derart grossen Verteiler findet. Frühförderer sind traditionell die Stelle, die Kooperationen beherrschen müssen, da sie die Schnittstellen zu praktisch allen psychosozialen Angeboten haben. Ich möchte nun nochmal kurz auf die Bedeutsamkeit der Themen aus traumapädagogischer Sicht eingehen Handlungsleitende Diagnostik Akuttrauma und Kooperation Kooperation 3
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 4
Balance: Zeit für qualifizierte Diagnostik Ein Experte ist jemand, der hinterher genau erklären kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat. Sir Winston Churchill Zeit für eine gute Diagnostik und qualifizierte Platzierungsentscheidung Leidensdruck und aktiviertes Bindungssystem verursachen Zeitdruck Sicherer Ort für Platzierungsentscheidung als Übergang definieren 5
Balance: Qualifizierte Diagnostik Ein Urteil lässt sich widerlegen, ein Vorurteil nie. Marie von Ebner-Eschenbach Rechtzeitiges Erkennen und Beachten von Symptomen einer Misshandlung oder Vernachlässigung Überreagieren, bzw. Überinterpretieren 6
Was ist ein Trauma? Traumatisches Lebensereignis Extreme physiologische Erregung Flucht Freeze Fight Traumasymptome 7
Trauma im Helfersystem Wenn nicht bald eine Weiche kommt, sind wir aufgeschmissen! Die Ausweglosigkeit der Traumatisierung überträgt sich auf das Helfersystem. Unsicherheit und emotionale Belastung durch die Fälle führt zu Verschiebebahnhöfen und einer Tendenz, sich abzugrenzen.. 8
Wider die Traumazange? Erhöhe die Zahl deiner Verhaltensalternativen? http://opinionsandexpressions.files.wordpress.com/2009/05/internet-cartoon.gif Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten grösser wird. Heinz von Foerster 9
Haltung Kooperation braucht Sicheren Ort Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit Sichere Orte für die Kinder und die psychosozialen Helfer! 10
Sicherer Ort in Kooperation Zwei Seiten einer Medaille können den Sicheren Ort gefährden Mache ich alles richtig : 1. Nach Innen: Erreiche ich das Notwendige für die Versorgung der Bedürfnisse meiner Kinder, Jugendlichen bzw. Kollegen und Mitarbeiter? 2. Nach Aussen: Repräsentiere ich meine Institution gut, souverän und professionell gegenüber unseren Kooperationspartnern? 11
Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung Traumapädagogische Haltung Traumatisierendes Umfeld Unberechenbarkeit Einsamkeit Nicht gesehen/gehört werden Geringschätzung Bedürfnisse missachtet Kritik und Entmutigung Ausgeliefert sein andere bestimmen absolut über mich Leid Pädagogisches Milieu Transparenz /Berechenbarkeit Beziehungsangebote Beachtet werden/wichtig sein Wertschätzung (Besonderheit) Bedürfnisorientierung Lob und Ermutigung Mitbestimmen können - Partizipation Freude 12
Pädagogische Haltungen nach Jesper Juul Vier Werte, die Kinder brauchen gelten auch für Kooperationsbeziehungen Gleichwürdigkeit Authentizität Integrität Verantwortung Man muss nicht das Licht des Anderen ausblasen, um das eigene leuchten zu lassen. Aus Griechenland 13
Was tut sich in Basel zum Thema Traumasensibilität Viel Gutes Im KJD und fast allen stationären Einrichtungen beschäftigt man sich mit dem Thema. In vielen Einrichtungen interessieren sich die Mitarbeiter sehr für das Thema und unsere Weiterbildungen. Modellversuch geht in die entscheidende Phase, erste Ausbildung zum Traumapädagogen/Traumaberater nach Richtlinien der BAG/DeGPT in der Schweiz kann/wird von uns ausgerichtet werden. Wir planen eine Projekt gemeinsam mit dem KJD, um Kinder aus Familien mit häuslicher Gewalt effektiver zu erreichen. 14
Was tut sich in Basel zum Thema Traumasensibilität Viel Gutes Basel führt als zweite deutschsprachige Region das dritte, nicht englischsprachige MST-Kinderschutz Team (MST-CAN) ein. MST-Kinderschutz (MST-CAN) ist vermutlich eines der effektivsten Programme zum Schutz von Kindern vor Misshandlung und Vernachlässigung abgesehen von einer Fremdplatzierung. Ziel ist es, durch intensivste aufsuchende familien- und verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie die Sicherheit der Kinder herzustellen und die Ressourcen der Familien nachhaltig zu stärken. Vorbereitet durch eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus KJD (Anne Klein), ED (Ruedi Hafner) und KJPK. Seit 15.10.2014 sind die Teams zertifiziert. Zuweisungen sind möglich! 15
Behandlungsintensität Ambulante kinder-und jugendpsychiatrische/ psychotherapeutische Behandlung Stationäre kinder- und jugendpsychiatrische/- psychotherapeutische Behandlung,evtl. sogar in forensischen Abteilungen MST: Aufsuchende Behandlung Ambulante sozialpädagogischen Angebote Platzierung in eine sozialpädagogische Institution oder Jugendstrafvollzug Kosten 16
Kurzüberblick MST Was ist MST? MST ist lizensiertes und manualisiertes Behandlungskonzept. Behandelt werden ausschliesslich Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens. Der Fokus liegt auf der Befähigung der Eltern und Bezugspersonen. Als MST- Klient wird die gesamte Umgebung (Ökologie) des Jugendlichen betrachtet. 17
Kurzüberblick MST Wesentliche Wirkfaktoren von MST: Hohe Intensität in allen Lebensbereichen erlaubt es, Verstärkungsmuster nachhaltig zu verändern. Hoch strukturierte Therapieplanung sowie Überprüfen der Zielerreichung durch wöchentliche Gruppen- und Einzelsupervision, telefonische Konsultation. Engmaschige Qualitätskontrolle auf jeder Ebene. Kontinuierliche MST-Fortbildung der Therapeuten (Booster Training). 18
Zusätzlich verwendete Therapie-Module in MST Kinderschutz (Eltern) Zur Behandlung psychischer Erkrankungen der Erziehungspersonen (gegebenenfalls wird eine Abklärung eingeleitet): CBT für Aggressionsmanagement Stressbewältigungstraining: Entspannungsmethoden, Gedankenstopp, Selbstverbalisation Prolongierte Exposition (Foa et al.) bei Traumafolgestörung (Erwachsene) Reinforcement Based Therapy bei Substanzmissbrauch (Erwachsene) 19
Zusätzlich verwendete Therapie-Module in MST Kinderschutz Zur Behandlung von Kindern: Traumafokussierte CBT bei Kindern (Cohen et.al.) Zur Behandlung der ganzen Familie: Kommunikations- und Problemlösefertigkeiten Abuse Clarification Process : Verantwortungsübernahme durch den Erwachsenen Sicherheitsplan (inkl. Sicherheits-Checkliste u.a.) 20
MST Kinderschutz - Team 4 Therapeuten 100% (Psychologen oder Sozialpädagogen mit entsprechendem Erfahrungshintergrund) 100% Therapeutische Leitung 20% Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Konsiliarische Unterstützung durch Facharzt für Erwachsenenpsychiatrie 21
Behandlungskapazität 3-4 Familien pro Therapeut, d.h. 12-16 Behandlungsplätze Alle Familienmitglieder werden in die Behandlung mit eingeschlossen Alle beteiligten Systeme werden involviert, MST-CAN übernimmt die Koordination der Helfer 6-9 Monate Behandlungsdauer 24 h / 7 Tage die Woche/365 Tage im Jahr ist das Team erreichbar 22
Zuweisungskriterien Mindestens ein Kind in der Familie mit psychiatrischer Symptomatik (Verhaltensauffälligkeiten) Der Familie droht ein Obhutsentzug wegen Gefährdung des Kindeswohl bei Misshandlung und/oder Vernachlässigung Mindestens ein Kind im Alter 6-17 Jahren - Erweiterung Modul für 3-6Jährige in Planung Familiäres Bezugssystem, das die Behandlung «freiwillig oder mit KESB Beschluss» aufnimmt. 23
Ausschlusskriterien Misshandlung vorwiegend durch sexuelle Gewalt Kein elterliches Bezugssystem vorhanden Kinder, bei denen eine Wiedervereinigung mit der Herkunftsfamilie nicht geplant ist Keine Einwilligung zur Teilnahme an Studie 24
Infos / Anmeldungen M. Sc. Daniela Jordi Teamleiterin MST-CAN KJPK MST Adlerstrasse 23 4052 Basel daniela.jordi@upkbs.ch Tel. 079 762 22 73 / 061 325 80 50 Fax 061 325 80 66 25
Interviews mit Mitarbeitern der Vormundschaftsbehörde Child Neglect Index 60 50 40 30 20 10 0 1 2 p<.01; ES = 1.01 (gross) n = 46 Fälle aus dem Thurgau 26
Fazit: Traumapädagogik Es geht mehr um eine traumasensible Haltung, als um Techniken und Methoden Haltung ist eine kleine Sache, die einen grossen Unterschied macht. Sir Winston Churchill http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=datei:churchill_v_sign_hu_55 521.jpg&filetimestamp=20080414235020 27