Ein Rennrad ist ein Rennrad, wenn es leicht läuft, wenig wiegt und edel aussieht. Fragt sich nur: Was muss es mindestens kosten, damit es diese Eigenschaften erfüllt? Früher galten 1.000 Mark als absolute Untergrenze. Sind daraus angesichts überall steigender Preise inzwischen still und heimlich 1.000 Euro geworden? Oder reichen 500 Euro auch heute noch als Einstiegspreis ins sportliche Rennradvergnügen? TOUR hat exemplarisch drei Rennräder zu 499 Euro, 799 Euro und 999 Euro getestet und klärt, wieviel Rad man fürs Geld bekommt SPAR FAHR 26 T O U R 4/2004
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BOCAS ROUBAIX»Viele Kunden, die sich für ein Rennrad interessieren, schreckt ein Preis von knapp 1.000 Euro ab.«stefan Kleinschmidt, Bicycles DAS KONZEPT DES HERSTELLERS: Technische Vorgaben standen bei der Entwicklung des Bocas Roubaix nicht im Vordergrund. Wichtig war der günstige Preis als Argument für Leute, die das Rennrad als Sportgerät einmal ausprobieren wollen. Wir wollen Leute ansprechen, die durch Tour de France oder HEW Cyclassics spontan inspiriert sind, sagt Stefan Kleinschmidt vom Anbieter Bicycles, der die Marke Bocas in 16 Shops und B.O.C.-Märkten überwiegend in Norddeutschland vertreibt. Deshalb durfte das Rad nicht teurer als 499 Euro werden. Kleinschmidt stellte fest, dass schon 1.000 Euro viele Einsteiger abschrecken. Unsere Idee war es deshalb, den Preis unterhalb der psychologischen Grenze von umgerechnet tausend Mark zu lassen. Die Schaltbremshebel arbeiten zuverlässig und mit wenig Widerstand Zwischen Reifen und Bremssteg passt locker ein Schutzblech. Die Bremsen sind der Schwachpunkt des Rades DAS RAD IM URTEIL: Räder, die das Zehnfache des Roubaix kosten, sind keine Seltenheit im TOUR-Test. Insofern war es auch für die Tester interessant zu erfahren, ob ein so preiswertes Rad vergleichbaren Fahrspaß vermitteln kann. Die sportliche Rahmengeometrie ist durchaus dazu angetan aber sie zielt an der avisierten Käufergruppe vorbei. Das Oberrohr ist zwei Zentimeter länger als der Rahmen hoch. Das führt dazu, dass der Sattel sehr deutlich über dem Niveau des Lenkers thront und den Radler in eine gestreckte Position zwingt; genau das aber macht Rennrad-Anfängern, die bisher bequem auf ihrem Stadtrad pedalierten, die Gewöhnung an das schnittige Gefährt schwer. Man kann zwar den Vorbau umdrehen, wodurch der Lenker weiter nach oben käme aber dafür haben die Monteure den Bremszug zu kurz abgeschnitten. An der Fahrstabilität gibt es nichts zu mäkeln: Aluminium-Rahmen und Stahlgabel sind zusammen fast drei Kilo schwer und sehr steif das Rad verkraftet auch schwere und große Fahrer. Anfängerfreundlich ist der große Übersetzungsbereich der Antriebsgruppe Sora von Shimano. Mit acht Ritzeln hinten und einem Dreifach-Kettenblatt vorne kommen auch untrainierte Fahrer über die Berge. Die Schaltung funktioniert bei richtiger Einstellung einwandfrei. Schwachpunkt und Konsequenz des Kampfpreises sind die Bremsen, die nicht vom Markenhersteller stammen. Einfache Materialien, simple Lager und schwergängige Züge lassen sie träge reagieren; die langen Bremsarme verwinden sich sichtbar, wenn man fest an den Hebeln zieht. Die Laufräder drehen sich um einfach gelagerte und gedichtete Naben, die Speichen knackten beim Testrad hörbar. Das passiert, wenn man beim Bau der Laufräder die späteren Setzungsbewegungen nicht durch das so genannte Abdrücken vorweg nimmt was Zeit und damit Geld kostet. Das Rad ist gut verarbeitet, der Lack könnte etwas haltbarer sein. Gewinde in Ausfallenden und Sitzstreben vereinfachen die Montage von Schutzblechen. FAZIT: Aufgrund der sportlichen Sitzposition weniger für Anfänger als für Rennradler mit schmaler Börse geeignet. Bessere Montage und höherwertige Bremsen würden das Rad deutlich aufwerten vermutlich aber den Kampfpreis sprengen. Gegen Rahmenbruch gibt es zehn Jahre Garantie. Bezug: Bicycles Räder AG Telefon: 0180/5242925 www: bicycles.de Rahmenhöhen: 53, 56, 58, 61 2.034/788 Gramm Gesamtgewicht: 11,0 Kilo 109/111 Nm/Grad 65 Nm/Grad Gabel: Aprebic C3, Ganzstahl; 1-Zoll-Schaft Antriebsgruppe: Shimano 2200/- Sora 3x8 Naben, Speichen, Reifen: Formula Alu, Jalco DRX 2000, Kenda Nylon 25c Vorbau/Lenker: Custom Alu/Custom Alu Sattel/-stütze: 2-Danger Raco/Kalloy 28 T O U R 4/2004
Cube steht mit seinem Namen für Preis-Leistung. Die Leistung darf aber nicht leiden zugunsten eines attraktiveren Preises! Claus Wachsmann, Cube CUBE PELOTON Shimanos schwarze 105-Griffe sehen edel aus, schalten und bremsen auf hohem Niveau (links). Der Steuerrohrbereich ist harmonisch geformt, die Verarbeitung gut, die Pulverschicht haltbar DAS KONZEPT DES HERSTELLERS: Claus Wachsmann von Cube ist überzeugt: Unter 999 Euro fragt bei uns keiner nach einem Rennrad. Ein technisches Mindestniveau wollen die Franken auch nicht unterschreiten, so dass die Zielrichtung klar war. Rahmen und Gabel sollen fahrstabil sein, aber nicht mehr als 2,5 Kilo wiegen. Robust soll der Rahmen dank Pulverbeschichtung sein und trendig durch die Carbon-Gabel. Wert legt man bei Cube auf hochwertige Komponenten auch an weniger beachteten Stellen. Teile wie Speichen, Nippel, Ketten und Zahnkränze sollen in der Qualität nicht abfallen. Die Kunden, die wir ansprechen, sind sportliche Rennrad-Einsteiger und Mountainbiker, die auch auf der Straße trainieren, sagt Wachsmann. DAS RAD IM URTEIL: Rennrad- Feeling beim ersten Tritt. Selbst schwere Fahrer fühlen sich mit dem fahrstabilen Rahmen-Set sicher auf kurvenreicher Abfahrt. Die Rahmen- Bezug: Pending System GmbH & Co. Telefon: 09231/9700780 www: cube-bikes.de Rahmenhöhen: 50, 53, 56, 58, 60, 62, 64 1.848/583 Gramm Gesamtgewicht: 9,9 Kilo 108/115 Nm/Grad 55 Nm/Grad Gabel: Aprebic, Alu-Schaft/ Carbon-Scheiden, 1-1/8 Zoll Antriebsgruppe: Shimano 105/Tiagra 3x9 Naben, Felgen, Reifen: Shimano 105, Mavic CXP22, Schwalbe Stelvio Vorbau/Lenker: Deda Nero Sattel/-stütze: Selle Italia Trimatic 2/Scape geometrie ist neutral: Das Oberrohr ist so lang wie der Rahmen hoch auf dieser Basis finden viele verschiedene Fahrer ihre Position. Neutrale Lenkeigenschaften machen den Renner auch für Anfänger leicht beherrschbar. Mit der fast kompletten Mittelklasse-Gruppe 105 von Shimano schaltet man bereits auf hohem Niveau. Dagegen fallen Kurbelgarnitur und Bremsen aus der nachrangigen Tiagra-Gruppe bei Gewicht und Funktion etwas ab. Gut fanden wir den komfortablen Sattel, die Klemmung der Sattelstütze und die zuverlässige Vorbau-Lenker-Kombination. FAZIT: Schon Mittelklasse, wenn auch mit 9,9 Kilo etwas schwer. Verarbeitung und Ausstattung garantieren reichlich Fahrspaß. Fünf Jahre Garantie ohne Rennausschluss sind ein fairer Zug. T O U R 4/2004 29
»Beim Jan Ullrich lautet der Mindestanspruch: Bewährter Rahmen mit Pulverlack und lupenrein verbaute Gruppe.«JAN ULLRICH VUELTA Peter Siegfried, P&A Radsport Handels GmbH DAS KONZEPT DES HERSTELLERS: Jan-Ullrich-Räder sollen zuverlässig sein. Deshalb wählt Peter Siegfried, Chef der P&A Radsport Handels GmbH aus Göggingen, Teile nur von zuverlässigen Lieferanten. Schon das preiswerteste Modell Vuelta Xenon gibt es mit pulverbeschichtetem Rahmen und lupenrein verbauter Antriebsgruppe, entweder von Campagnolo oder Shimano. Die Montage von Teilen einer Gruppe, sagt Siegfried, gehe Knackig gut funktioniert Campas Xenon- Bremsschalthebel Der Jan-Ullrich-Rahmen ist sauber verarbeitet, der Pulverlack sehr haltbar schneller als die Kombination mehrere No-Name-Produkte: Die Zeitersparnis hilft den Preis zu senken. Das Vuelta sei ein Bezug: P&A Radsport Handels GmbH Telefon: 0 71 75/99 80 2-0 www: jan-ullrich-bikes.de Rahmenhöhen: 44, 47, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62 (alle Sloping) 2.005/816 Gramm Gesamtgewicht: 10,5 Kilo 113/123 Nm/Grad 76 Nm/Grad Gabel: Aprebic, Stahl- Schaft/Alu-Scheiden, 1-1/8 Zoll Antriebsgruppe: Campagnolo Xenon 3x9 Nabe, Felgen, Reifen: Campa Xenon, Ambrosio Evolution, Vittoria Rubino Vorbau/Lenker: 3TThe/3TThe Sattel/-stütze: Selle Italia Trimatic 2/X-Tacy Rennrad für 799 Euro, mit dem man sorglos viele Kilometer abspulen kann. Nach dem Baukastenprinzip kann man das Rad für mehr Geld höherwertig ausstatten lassen. DAS RAD IM URTEIL: Das Vuelta ist farblich schön abgestimmt und wirkt daher wie aus einem Guss. Der Pulverlack sitzt sauber auf den dicken Rahmenrohren und feingeschuppten Schweißnähten und schützt sie zuverlässig vor Korrosion. Die schwarze Gabel mit Stahlschaft und Alu-Scheiden geht harmonisch ins Steuerrohr über. Auch Rahmendetails wie die Ausfallenden sind liebevoller gemacht als sonst üblich in dieser Klasse. Das Verhältnis von Oberrohrlänge zu Rahmenhöhe ist klassisch eins zu eins, das Fahrverhalten ausgewogen. Vom Bremsschaltgriff bis zur Kette ist komplett Campagnolos Xenon-Gruppe verbaut, deren schwarze Lackierung die Carbon-Optik der Top-Gruppe Record nachahmt. Die Campa-Bremsen verzögern besser als die der Testkonkurrenz, die Schaltung arbeitet jedoch etwas weniger geschmeidig. Wichtig für Anfänger: Drei Kettenblätter vorne bieten an steilen Anstiegen Übersetzungsreserven. Die Laufräder sind solide gemacht: Um die Xenon-Nabe drehen sich 32 Speichen und eine hochwertige Ambrosio-Felge, hinten kreist ein Neunfach- Ritzel. Nicht gefallen hat uns die Lenker-Vorbau-Kombination von 3T. Bei korrekt angezogenen Schrauben verdrehte sich der Lenker im Vorbau. In Sachen Fahrstabilität gibt s nichts zu meckern. Mit steifem Rahmen folgt das Vuelta in jeder Situation dem eingeschlagenen Kurs des Fahrers. FAZIT: Blauer Hingucker mit gut verarbeitetem Rahmen, schönen Detaillösungen und problemlos funktionierenden Komponenten. Eine Herstellergarantie über die gesetzliche Gewährleistung hinaus würde beim Kunden noch mehr Vertrauen wecken. KURZ & KNAPP Unter der 1.000-Euro-Marke spürt man jeden eingesparten Euro vor allem bei der Ausstattung deutlich stärker als bei Preissprüngen in höheren Kategorien. Glänzt am teuersten Testrad von Cube fast ausschließlich die für die Preisklasse hochwertige und langlebige 105er-Gruppe von Shimano, reicht es beim halb so teuren Rad von Bocas nicht mal zur kompletten Einsteiger-Gruppe Sora von Shimano und billige Fremdteile wie in diesem Fall die Bremsen schlagen gleich auf den Gesamteindruck durch. Wer das nicht möchte, muss in der Preisklasse des Jan Ullrich Vuelta einsteigen: hier gibt s bereits Campagnolos komplette Einsteiger-Gruppe Xenon. Insgesamt sind alle drei Räder ordentlich gemacht, bieten fahrstabile Rahmen und im Neuzustand problemlos funktionierenden Komponenten. Dass sie zwischen zehn und elf Kilo wiegen, muss man bei diesen Preisen hinnehmen, dafür helfen Dreifach-Kettenblätter über die Berge. Zum Schnuppern am Rennrad- Sport genügen 499 Euro; für 300 Euro mehr erhält man einen schöner verarbeiteten Rahmen und deutlich bessere Bremsen. Wer langfristig Spaß haben will und gleich viele tausend Trainingskilometer im Visier hat, für den ist das 999 Euro teure Peloton von Cube eine gute Wahl. 30 T O U R 4/2004