Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren



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Transkript:

bfu Grundlagen Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren Autoren: Bern 2012 Monique Walter, Othmar Brügger bfu Beratungsstelle für Unfallverhütung

bfu-grundlagen Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren Unfall-, Risiko- und Interventionsanalyse Autoren: Bern 2012 Monique Walter, Othmar Brügger bfu Beratungsstelle für Unfallverhütung

Impressum Herausgeberin Autoren Projektteam bfu Beratungsstelle für Unfallverhütung Postfach 8236 CH-3001 Bern Tel. +41 31 390 22 22 Fax +41 31 390 22 30 info@bfu.ch www.bfu.ch Bezug als PDF auf www.bfu.ch/bestellen, Art.-Nr. 2.095 Monique Walter, Beraterin Sport, bfu Othmar Brügger, MSc ETH Bew.-wiss., Teamleiter Forschung Sport und Haus/Freizeit, bfu Hansjürg Thüler, Leiter Sport, bfu Fränk Hofer, ehemaliger Leiter Sport, bfu Regina Münstermann, Sachbearbeiterin Sport, bfu Abteilung Publikationen/Sprachen, bfu bfu 2012 Alle Rechte vorbehalten; Reproduktion (z. B. Fotokopie), Speicherung, Verarbeitung und Verbreitung sind mit Quellenangabe (s. Zitationsvorschlag) gestattet. Zitationsvorschlag Walter M, Brügger O. Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren: Unfall-, Risiko- und Interventionsanalyse. Bern: bfu Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. bfu-grundlagen. Aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir darauf, konsequent die männliche und weibliche Formulierung zu verwenden.

Inhalt I. Zusammenfassung/Résumé 5 1. Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren 5 2. Accidents d'avalanches dans la pratique de la randonnée à ski et du hors-piste 9 II. Einleitung 13 1. Ausgangslage und Ziele 13 2. Glossar 13 3. Rechtliche Situation 14 III. Sportgeschehen 16 1. Sportausübung 16 2. Geschlecht und Alter 16 3. Gefahrenstufe und Hangneigung 16 4. Organisationsform 16 IV. Unfallanalyse 17 1. Unfallausmass 17 2. Tödliche Lawinenunfälle 17 V. Risikoanalyse 19 1. Lawinengefahrenstufe 19 2. Gelände 20 3. Verhältnisse 20 4. Wissen über Lawinengefahr 20 5. Risikoverhalten 22 6. Verschüttung/Rettung 23 7. Übersicht Risikofaktoren 24 VI. Interventionsanalyse 25 1. Präventionsmöglichkeiten 25 2. Präventionsempfehlungen 27 VII. Fazit 32 bfu-grundlagen Inhalt 3

Quellenverzeichnis 33 Anhang: Medienmitteilung vom 24.1.2012 34 Annexe: Communiqué de presse du 24.1.2012 35 4 Inhalt bfu-grundlagen

I. Zusammenfassung/Résumé 1. Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren 1.1 Ausgangslage Touren- und Variantenfahren wird immer beliebter. Lawinenunfälle beim Skifahren und Snowboarden abseits der gesicherten Abfahrten und Routen sind aber ein bedeutendes Problem im Alpenland Schweiz: Jährlich sterben dabei rund 20 Schneesportler. Lawinenprävention hat bei uns eine lange Tradition. Das expositionsbezogene Risiko für tödliche Lawinenunfälle hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen, ist aber immer noch (zu) hoch. 1.2 Unfallanalyse Durchschnittlich sterben jährlich rund 20 Personen durch Lawinen beim Touren- und Variantenfahren im freien Gelände. 84 % der Todesopfer sind Männer. Rund 80 % der Verunfallten sind selbst organisiert unterwegs, rund ein Drittel sind ausländische Gäste. Rund 20 % der von Lawinen erfassten Personen sterben, mehrheitlich durch Ersticken, oft aber auch durch die Verletzungen, die sie sich beim Lawinenniedergang zugezogen haben. In diesem Bericht werden ausgehend vom Unfallgeschehen die Relevanz von ausgewählten Risikofaktoren und die Wirksamkeit von Präventionsmöglichkeiten abgeschätzt. Die daraus abgeleiteten empfehlenswerten Massnahmen könnten dazu beitragen, das Risiko für Lawinenunfälle in der Schweiz weiter zu senken. Abbildung 1 Unfallschwerpunkte bei Lawinenunfällen Wer? Wie? Was? Männer Selbst organisierte Sportler Ausländische Gäste Verschüttung Ersticken Polytrauma Tourenfahren Variantenfahren bfu-grundlagen Zusammenfassung/Résumé 5

1.3 Risikoanalyse Vielen Schneesportlern fehlt es an Risikokompetenz. Dazu gehört einerseits das Gefahrenbewusstsein: Die Wahrnehmung der Gefahren ist mangelhaft, die Beurteilung der Situation nicht korrekt und es werden die falschen Schlüsse gezogen. Ursache hierfür sind unter anderem mangelnde oder fehlende Ausbildung und Erfahrung. Zudem fehlen die nötigen Selbststeuerungsfähigkeiten: Es werden falsche oder nicht sicherheitsorientierte Entscheidungen gefällt oder es wird nicht entsprechend gehandelt. 63 % der Unfälle ereignen sich in Hängen mit einer Neigung von 36-45, mehrheitlich in den Hangexpositionen Nordwest-Nord-Nordost-Ost und in kammnahem, muldenförmigem oder felsdurchsetztem Gelände. (48 %) und 2 «mässig» (36 %), Variantenfahrer vor allem bei Gefahrenstufe 3 «erheblich» (61 %). Kommt es zu einer Erfassung durch eine Lawine, erhöht sich die Überlebenschance deutlich, wenn die verunfallte Person nicht ganz verschüttet wird. 2 von 5 ganzverschütteten Personen sterben. Dieses Verschüttungsrisiko kann durch einen Lawinen-Airbag vermindert werden. Bei einer Lawinenverschüttung ist eine effiziente Kameradenrettung wichtig, denn die Überlebenschancen sinken nach 15 Minuten rapide ab. Deshalb sollte man nicht allein unterwegs sein und die nötige Notfallausrüstung mit sich führen sowie den Umgang damit kennen und geübt haben. Die meisten Todesopfer verunfallen bei der Lawinengefahrenstufe 3 «erheblich» (53 %) oder bei Stufe 2 «mässig» (32 %). Tourenfahrer verunfallen häufig bei den Gefahrenstufen 3 «erheblich» Abbildung 2 Risikoanalyse: Hauptrisikofaktoren bei Lawinenunfällen Intrinsisch Extrinsisch Mangelnde Wahrnehmungs- und Beurteilungskompetenz Mangelnde Entscheidungs- und Handlungskompetenz Hangneigung 36 45 Nördliche Hangexposition Kammnah, muldenförmig, felsdurchsetzt Lawinengefahrenstufen 2 und 3 Fehlender Lawinenairbag Ineffiziente Kameradenrettung 6 Zusammenfassung/Résumé bfu-grundlagen

1.4 Interventionsanalyse Leider weiss man zu wenig darüber, warum sich die verunfallten Schneesportler in Bereichen mit hohem Risiko aufgehalten haben. Die Expositionszeit und das Verhalten in Abhängigkeit von Hangsteilheit oder Lawinengefahrenstufe sind in der Forschung kaum untersucht worden. Der Hauptfokus der Prävention muss darauf gelegt werden, die Tourenfahrer und Freerider dazu zu bringen, risikoreiche Situationen zu meiden. An den Verhältnissen selbst kann kaum etwas geändert werden. Das Gefahrenbewusstsein muss erhöht werden. Durch Ausbildung und Erfahrung kann die Wahrnehmungs- und Beurteilungskompetenz verbessert werden. Dabei sollten vermehrt einfache Hilfsmittel für Planung und Beurteilung zur Verfügung gestellt werden. Die Selbststeuerungsfähigkeiten für richtige Entscheidungen und sicherheitsorientierte Handlungen sollen so verbessert werden, dass die Schneesportler willens und fähig sind, ihr Risiko zu senken und gefährliches Gelände zu meiden. Alternativ können sich Schneesportler ohne entsprechende Kompetenzen Profis oder erfahrenen Personen anschliessen. Deren Ausbildung für die Führung von Personen in lawinengefährdetem Gelände sollte verbessert werden, so dass die Sicherheit weiter erhöht wird. Bergbahnunternehmen sollten mehr gesicherte Abfahrtsrouten anbieten. Auch für Tourenfahrer sollte ein Schonraum geschaffen werden. Unerfahrene sollten den angebotenen Schonraum dann auch nutzen. Sollte es doch zu einer Lawinenerfassung mit Verschüttung kommen, kann ein Airbag eine Ganzverschüttung möglicherweise verhindern, zudem kann der effiziente Umgang mit der Notfallausrüstung die Überlebenschancen erhöhen. Zur Umsetzung der Massnahmen braucht es das Weiterführen der bereits bestehenden Zusammenarbeit aller involvierten Partner und den internationalen Austausch, damit auch die ausländischen Gäste erreicht werden können. Abbildung 3 Interventionsanalyse: bfu-präventionsempfehlungen Forschung Ausbildung Beratung Kommunikation Kooperation Unfallforschung Wahrnehmung und Beurteilung Schonraum Gefahrenbewusstsein Zusammenarbeit mit Partnern Wissensmanagement Selbststeuerung Planungs- und Beurteilungshilfen Airbag Internationaler Austausch Führung von Personen Notfallausrüstung bfu-grundlagen Zusammenfassung/Résumé 7

1.5 Fazit Touren- und Variantenfahren wird immer beliebter. Dabei besteht die Gefahr eines Lawinenunfalls. Um dieses Risiko reduzieren zu können, ist es empfehlenswert, prioritär die folgenden Massnahmen umzusetzen: Gefahrenbewusstsein verbessern Entscheidungs- und Handlungskompetenz verbessern Alternativ können sich Schneesportler ohne die entsprechenden Kompetenzen Profis anschliessen oder das lawinengefährdete Gelände meiden und sich in einem Schonraum bewegen. Das erfordert die Erhöhung der Sicherheit in geführten Gruppen, indem die Risikokompetenz der Führenden durch Ausbildung weiter verbessert wird, die Schaffung von entsprechendem Schonraum (Abfahrtsrouten, Verzeichnis von Touren mit geringem Lawinenrisiko). Ob und wie die empfohlenen Massnahmen umgesetzt werden, hängt von der Bereitschaft der Partner und der betroffenen Schneesportler ab. 8 Zusammenfassung/Résumé bfu-grundlagen

2e Accidents d'avalanches dans la pratique de la randonnée à ski et du hors-piste 2.1 Introduction La randonnée et le hors-piste sont de plus en plus populaires. Mais les accidents d'avalanche qui se produisent lorsque le ski et le snowboard sont pratiqués hors des pistes et itinéraires sécurisés représentent un problème important en Suisse qui, chaque année, coûte la vie à une vingtaine de personnes. La prévention des avalanches a une longue tradition dans notre pays. Le risque d'accidents d'avalanche mortelle lié à l'exposition a nettement diminué au cours des dernières décennies, mais reste encore (trop) élevé. 2.2 Analyse des accidents Chaque année, en moyenne, quelque 20 personnes perdent la vie en pratiquant la randonnée et le hors-piste à l'écart des pistes et itinéraires sécurisés. 84 % des victimes sont des hommes. 80 % env. des accidentés s'étaient organisés euxmêmes et près d'un tiers étaient des touristes étrangers. Près de 20 % des victimes d'avalanches meurent, principalement par asphyxie, mais souvent aussi suite aux blessures causées par l'avalanche. Le présent rapport évalue l'importance de facteurs de risque choisis sur l'accidentalité et l'efficacité de possibilités préventives. Les recommandations qui en découlent pourraient contribuer à diminuer encore le risque d'accidents d'avalanche en Suisse. Illustration 1 Points noirs des accidents d'avalanche Qui? Comment? Quoi? Hommes Sportifs autonomes Touristes étrangers Ensevelissement Asphyxie Polytraumatisme Randonnée à ski Hors-piste bfu-grundlagen Zusammenfassung/Résumé 9

2.3 Analyse des risques De nombreux adeptes de sports de neige n'ont pas de compétences en matière de risque, dont la conscience des dangers fait partie. En effet, la perception des dangers est lacunaire, l'évaluation de la situation n'est pas correcte et les conclusions tirées sont fausses. Les causes en sont, entre autres, une formation et une expérience lacunaire ou absente. De plus, ils n'ont pas les capacités nécessaires pour se gérer seuls: ils prennent de mauvaises décisions ou des décisions qui ne tiennent pas compte de la sécurité, ou n'agissent pas en conséquence. 63 % des accidents ont lieu sur des pentes d'une déclivité comprise entre 36 et 45 majoritairement exposées nord-ouest/nord/nord-est/est et dans des terrains proches des crêtes, rocheux ou dans des cuvettes. La plupart des victimes sont accidentées lorsque le degré de danger d'avalanche est de 3 «marqué» (53 %) ou de 2 «limité» (32 %). Les randonneurs sont souvent accidentés lorsque le degré de danger est de 3 «marqué»» (48 %) et de 2 «limité» (36 %), ceux qui font du hors-piste surtout lorsque le degré de danger est de 3 «marqué» (61 %). En cas d'avalanche, les chances de survie sont nettement meilleures si la personne accidentée n'est pas totalement ensevelie. Sur cinq personnes totalement ensevelies, deux décèdent. Un airbag d'avalanche permet de réduire le risque d'ensevelissement. Les chances de survie diminuant rapidement après 15 minutes, l'intervention efficace des camarades est cruciale. Il ne faudrait donc pas partir seul, être muni de l'équipement de secours nécessaire et être familiarisé avec son utilisation. Illustration 2 Analyse des risques: principaux facteurs de risque des accidents d'avalanche intrinsèques extrinsèques Manque de compétences de perception et d évaluation Manque de compétences de décision et d action Déclivité 36-45 Pente exposée au nord, proche des crêtes, cuvettes, terrain rocheux Degrés de danger d avalanche 2 et 3 Absence d airbag d avalanche Inefficacité des secours par les camarades 10 Zusammenfassung/Résumé bfu-grundlagen

2.4 Analyse des interventions Sur bien des points, la recherche est encore très lacunaire. On ne sait pas pourquoi, par exemple, les victimes d'avalanche se trouvaient dans des zones à haut risque. De même, le temps d'exposition et le comportement en fonction de la déclivité ou du degré de danger d'avalanche n'ont presque pas été étudiés. L'objectif principal de la prévention est d'arriver à ce que les randonneurs et les adeptes du hors-piste évitent les situations à risque. Les conditions ellesmêmes pouvant difficilement être changées, il faut augmenter la conscience des dangers. Les compétences en matière de perception et d'évaluation peuvent être améliorées par la formation et l'expérience. Il faudrait mettre davantage d'outils simples à disposition pour la planification et l'évaluation. Il faut améliorer les capacités permettant la gestion de soi, c'est-à-dire de prendre les bonnes décisions et d'agir en fonction de la sécurité de manière à ce que les sportifs soient d'accord et capables de réduire leur risque et d'éviter les terrains dangereux. Pour les sportifs ne disposant pas des compétences nécessaires, l'alternative consiste à s'adjoindre des professionnels ou des personnes expérimentées. Pour continuer à augmenter la sécurité, la formation de ces personnes en tant que guides dans des terrains menacés d'avalanches doit être améliorée. Les entreprises de remontées mécaniques devraient proposer davantage d'itinéraires sécurisés. Pour les randonneurs, il faudrait aussi créer un espace protégé que les personnes inexpérimentées devraient utiliser. En cas d'ensevelissement par une avalanche, un airbag peut éventuellement éviter un ensevelissement total. De plus, une utilisation efficace de l'équipement de secours peut augmenter les chances de survie. La mise en œuvre des mesures nécessite la poursuite de la collaboration de tous les partenaires impliqués et l'échange international pour aussi atteindre les touristes étrangers. Illustration 3 Analyse des interventions: les recommandations préventives du bpa Recherche Formation Conseil Communication Coopération Recherche accidentologique Perception et évaluation Espace protégé Conscience des dangers Collaboration avec les partenaires Gestion des connaissances Gestion de soi Aides à la planification et à l évaluation Airbag Echange international Conduite de personnes Equipement de secours Recherche Formation Conseil Communication Coopération bfu-grundlagen Zusammenfassung/Résumé 11 Recherche Perception et évaluation Espace protégé Conscience des dangers Collaboration avec les accidentologique partenaires Gestion des Aides à la planification Airbag

2.5 Conclusion La popularité croissante de la randonnée et du hors-piste va de pair avec le risque d'accident d'avalanche. Afin de continuer à réduire ce risque, il faut, prioritairement, appliquer les mesures suivantes: améliorer la conscience des dangers augmenter les compétences de décision et d'action Pour les sportifs ne disposant pas des compétences nécessaires, l'alternative consiste à s'adjoindre le service de professionnels ou à éviter les terrains menacés d'avalanches et rester dans un espace protégé. Pour cela, il faut: continuer à augmenter la sécurité en améliorant les compétences des professionels en matière de risque par le biais de la formation créer des espaces protégés (itinéraires, répertoire de courses à faible danger d'avalanche) La mise en pratique des mesures recommandées dépend de la volonté des partenaires et des sportifs concernés. 12 Zusammenfassung/Résumé bfu-grundlagen

II. Einleitung 1. Ausgangslage und Ziele Immer mehr Personen bewegen sich im Winter im freien Gelände. Beim Skifahren und Snowboarden abseits der gesicherten Abfahrten und Routen droht jedoch Lawinengefahr. Lawinenunfälle sind ein bedeutendes Problem im Alpenland Schweiz. Jährlich sterben so rund 20 Schneesportler. 2 von 5 Wintersportlern, die ganz von einer Lawine verschüttet werden, finden den Tod. Lawinenprävention hat in der Schweiz eine lange Tradition. So setzt sich z. B. das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF seit über 75 Jahren für die Prävention ein. Das expositionsbezogene Risiko für tödliche Lawinenunfälle hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Viele der bereits heute realisierten Präventionsmassnahmen haben eine grosse Bedeutung und es gilt, diese weiterzuführen. Im vorliegenden Bericht werden ausgehend vom Unfallgeschehen in der Schweiz und von den Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Literatur die Relevanz von ausgewählten Risikofaktoren und die Wirksamkeit von potenziellen Präventionsmassnahmen abgeschätzt. Die empfehlenswerten Massnahmen könnten dazu beitragen, das Risiko für Lawinenunfälle in der Schweiz weiter zu senken. Es wird dabei auf Massnahmen fokussiert, die die Erfassung und Verschüttung durch eine Lawine verhindern (primäre Prävention) und erst in zweiter Priorität auf Rettungsmassnahmen nach einer Erfassung. Ob und wie die hier vorgeschlagenen Massnahmen realisiert werden können, hängt von mehreren Faktoren wie den vorhandenen Ressourcen oder der Bereitschaft der Partner ab. 2. Glossar Schneesportabfahrten (kurz: Abfahrten) sind Pisten, Abfahrtsrouten und Wege, die von den verkehrssicherungspflichtigen Betreibern vor alpinen Gefahren gesichert werden. Pisten werden markiert, hergerichtet, unterhalten und kontrolliert. Abfahrtsrouten werden markiert, aber weder hergerichtet noch kontrolliert. Wege sind Teile von Abfahrten oder verbinden solche untereinander [1]. Freies Schneesportgelände (kurz: freies Gelände) ist alles, was nicht als markierte Abfahrt bereitgestellt wird, einschliesslich Varianten, «wilde Pisten» und dem Bereich zwischen Pisten [2]. Variantenfahren/Freeriden: Abfahren abseits der markierten und gesicherten Pisten und Abfahrtsrouten mit Ski oder Snowboard. Der Ausgangspunkt wird mit einem Lift, einer Bahn oder mit dem Helikopter erreicht. Tourenfahren/Tourengehen: Aufstieg aus eigener Kraft mit Ski oder Schneeschuhen und anschliessend Abfahrt mit Ski oder Snowboard abseits von markierten Abfahrten, in der Regel eher weiter weg vom Schneesportgebiet als beim Freeriden. bfu-grundlagen Einleitung 13

Lawinenbulletin: Lawinenlagebericht, den das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos im Winter täglich veröffentlicht. Lawinengefahrenstufe(n): Das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos schätzt die Lawinengefahr anhand einer europaweit verwendeten 5-stufigen Lawinengefahrenskala ein: 1 = gering 2 = mässig 3 = erheblich 4 = gross 5 = sehr gross Schneesportler-Lawine: Lawine, die durch Schneesportler (Skifahrer, Snowboardfahrer, Schneeschuhläufer) ausgelöst wird und/oder durch welche Personen im freien Gelände erfasst werden (Hang-)Exposition: Himmelsrichtung, in die ein Hang abfällt. Ein Nordhang fällt z. B. nach Norden ab. Letalität: Kennwert für die Schwere von Unfällen (Anzahl Getötete pro 10 000 Personenschäden) 3. Rechtliche Situation Im freien Gelände bewegen sich die Schneesportler ausschliesslich auf eigenes Risiko, aber nicht in einem rechtsfreien Raum. Das Fehlverhalten von Freeridern und Tourenfahrern kann zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Versicherung kann im Schadenfall Leistungen kürzen, z. B. wenn ein Unfall auf ein Wagnis zurückgeht, d. h. wenn sich der Versicherte einer besonders grossen Gefahr aussetzt, ohne die Vorkehren zu treffen oder treffen zu können, die das Risiko auf ein vernünftiges Mass beschränken. So muss mit einer Kürzung der Versicherungsleistungen rechnen, wer unter schwerwiegender Missachtung der üblichen Regeln oder Vorsichtsgebote Schneesport-Aktivitäten abseits markierter Pisten betreibt, indem er z. B. Warnungen, Markierungen und Absperrungen im Schneesportgebiet ignoriert. Ein generelles Verbot von Aktivitäten im freien Gelände kommt kaum in Frage, weil es dem verfassungsmässigen Grundrecht der persönlichen Freiheit, insbesondere der Bewegungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), widersprechen würde. Grundrechte können zwar eingeschränkt werden, aber nur im Rahmen der Verhältnismässigkeit. Ein Verbot müsste also nicht nur im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein, sondern auch geeignet und erforderlich. In diesem Fall wären z. B. das öffentliche Interesse an einer Reduzierung der Anzahl Verletzter/Toter einerseits und an einem umfangreichen touristischen Angebot und genügend Bewegung andererseits gegeneinander abzuwägen. Die Erforderlichkeit eines generellen Verbots könnte kaum plausibel begründet werden, insbesondere wenn nur eine geringe Lawinengefahr herrscht. Die zuständigen Behörden sind jedoch berechtigt, im öffentlichen Interesse zum Schutz von Leib und Leben bei ausgeprägten Lawinengefahrensituationen Verbote zu erlassen. Solche Verbote müssen in zeitlicher, örtlicher, persönlicher und sachlicher Hinsicht verhältnismässig sein. Kommerziell angebotene Schneesportaktivitäten im freien Gelände fallen künftig unter den Geltungsbereich des «Bundesgesetzes über das Bergführerwesen und das Anbieten von Risikoaktivitäten» und erfordern eine Bewilligung. In einigen Kantonen gibt es Richtlinien für Lehrpersonen. J+S-Leiter Schneesport dürfen ab Lawinen- 14 Einleitung bfu-grundlagen

gefahrenstufe 3 «erheblich» die markierten Abfahrten nicht verlassen [3]. Die Seilbahnunternehmungen haben gemäss den Richtlinien von Seilbahnen Schweiz (SBS) betreffend «Verkehrssicherungspflicht für Schneesportabfahrten» [2] und den «Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten» der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten SKUS [1] die markierten und geöffneten Abfahrten (Pisten und Abfahrtsrouten) vor Lawinengefahr zu sichern und lawinengefährdete Abfahrten unverzüglich zu sperren. Zudem müssen sie die Schneesportler ab Lawinengefahrenstufe 3 «erheblich» mit Tafeln und Lawinenwarnleuchten im Schneesportgebiet vor Lawinengefahr im freien Gelände warnen. bfu-grundlagen Einleitung 15

III. Sportgeschehen 1. Sportausübung «Ski-, Snowboardtouren, Schneeschuhlaufen» wird gemäss der Studie «Sport Schweiz 2008» von 2,5 % der Bevölkerung, also knapp 150 000 Personen, insgesamt 5,9 Mio. Stunden jährlich betrieben [4,5]. Die Veränderung von 2000 2008 beträgt + 1,4 %. 78 % der Tourengeher sind mindestens an 6 Tagen pro Jahr unterwegs. Die mittlere Häufigkeit der Ausübung beträgt 10 Tage pro Jahr (Median), jeweils 4 Stunden lang. Gemäss der jüngsten «Mach Consumer»-Studie gibt es 330 000 Skitourengeher, davon 130 000 regelmässige Sportler. 1992 wies die Studie noch 210 000 Tourengeher aus also eine Steigerung um rund 50 % in den letzten 20 Jahren [6]. Die Art der Befragung weicht jedoch von der erstgenannten Studie ab, deshalb sind die Zahlen nicht vergleichbar. Zum Freeriden gibt es keine Expositionszahlen, da Freerider sich oft nur während eines Teils des Schneesporttages im freien Gelände bewegen. Auch nach Ansicht von Experten machen immer mehr Personen Touren oder Variantenabfahrten. Dies kann teilweise belegt werden (Steigerung der Parkplatzbelegung an Startpunkten, Erhöhung des Absatzes entsprechender Ausrüstung usw.). 2. Geschlecht und Alter Der Frauenanteil beträgt bei «Ski-, Snowboardtouren, Schneeschuhlaufen» 53 % [5]. Beim Pistenskifahren (48 %) und Snowboardfahren (47 %) liegt er etwas tiefer. Das Durchschnittsalter bei «Ski-, Snowboardtouren, Schneeschuhlaufen» liegt bei 49 Jahren [4]. Beim Pistenskifahren beträgt das Durchschnittsalter 44 Jahre, beim Snowboarden 26 Jahre. Es kann also davon ausgegangen werden, dass das Durchschnittsalter beim Freeriden deutlich tiefer ist als beim Tourenfahren. 3. Gefahrenstufe und Hangneigung Die Aufenthaltsdauer der Schneesportler im freien Gelände in Abhängigkeit von Hangsteilheit oder Lawinengefahrenstufe ist nicht bekannt. Übliches Skigelände abseits der markierten Abfahrten ist zwischen 25 und 35 steil, Hänge mit durchgehender Steilheit von mehr als 40 werden selten befahren [7]. Im Aufstieg sind im Tourengelände über 30 oft Spitzkehren nötig, weshalb dieses von einigen Tourenfahrern gemieden wird. Zum Vergleich: Der grösste Teil des Pistenbereichs ist eher flacher, rote Pisten dürfen mit Ausnahme von kurzen Teilstücken im offenen Gelände eine Neigung von 22 nicht übersteigen [1,2]. 4. Organisationsform Bei «Ski-, Snowboardtouren, Schneeschuhlaufen» sind 69 % «ungebunden» unterwegs, 23 % in einer festen Gruppe und 8 % im Verein [5]. Freeriden wird wohl fast nur «ungebunden» betrieben, denn beim Pistenskifahren beträgt der Anteil der «Ungebundenen» 93 %, beim Snowboardfahren 94 %. 16 Sportgeschehen bfu-grundlagen

IV. Unfallanalyse 1. Unfallausmass 2. Tödliche Lawinenunfälle Jährlich verunfallen rund 570 Tourenskifahrer [8]. Von den verletzten Schneesportlern, die nach einem Unfall von den Pistenrettungsdiensten geborgenen wurden, befanden sind rund 3 % (3,2 % der Ski- resp. 2,4 % der Snowboardfahrer) im freien Gelände [9]. Da sich nicht alle Seilbahnunternehmungen an der statistischen Erfassung der Verletztentransporte beteiligen, können keine Aussagen über die Gesamtzahl der verletzten Freerider in der Schweiz gemacht werden. Durchschnittlich verunfallten in den letzten 11 Jahren jährlich 29 Touren- oder Variantenfahrer in der Schweiz tödlich, davon 19 in Lawinen und 9 bei einem Sturz aus der Höhe (Absturz oder Sturz in Spalten) (Tabelle 1). Tabelle 1 Getötete bei Lawinenunfällen im freien Gelände nach Unfallhergang, Unfallort Schweiz, Schweizer Wohnbevölkerung und ausländische Gäste, Ø 2000 2010, N=323 Die Anzahl Todesopfer in Schneesportler- Lawinen nahm in den 30 Jahren von 1977 2006 ab [10] (Tabelle 2), trotz vermuteter Zunahme der Exposition. Dabei sind insbesondere die tödlichen Tourenunfälle rückläufig, die Anzahl Todesopfer beim Variantenfahren ist hingegen leicht gestiegen. In denselben 30 Jahren starben total rund 20 % der von Lawinen erfassten und verunfallten Personen [11] (Tabelle 3). Rund 40 % der Ganzverschütteten überlebten nicht. Neben Ersticken können auch Verletzungen durch Steine, Kollision mit Bäumen oder ein Absturz durch die Lawine zum Tod führen. 84 % der Todesopfer waren Männer [12]. Verunfallte Variantenfahrer waren im Durchschnitt jünger als Tourenfahrer. Der Mittelwert liegt bei Tourenfahrern bei 44 Jahren, bei Variantenfahrern bei 31 Jahren, wobei die verunfallten Snowboarder jeweils rund 10 Jahre jünger waren als die Skifahrer [12]. Tödl. Verunfallte total davon in Lawinen davon durch Absturz davon anderer Hergang Tourenskifahren 15 11 Quelle: : bfu, Statistik der tödlichen Sportunfälle Variantenfahren 14 (davon 9 Skifahrer) 8 (davon 6 Skifahrer) Total 4 5 9 0 1 1 29 19 Tabelle 2 Getötete bei Lawinenunfällen im freien Gelände pro Jahr Getötete Touren- oder Variantenfahrer/Jahr Ø 1977 1991 27 Ø 1992 2006 20 Quelle: WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF bfu-grundlagen Unfallanalyse 17

Von den getöteten Schneesportlern waren 65 % in der Schweiz wohnhaft, 35 % waren ausländische Gäste. Bei den Variantenfahrern war der Anteil der ausländischen Gäste höher als bei den Tourenfahrern (Tabelle 4). Verunfallte Tourenfahrer in geführten Gruppen (mit Bergführern oder Tourenleitern) machten seit Anfang der 90er-Jahre rund 20 % der Verunfallten aus [11]. In den 80er-Jahren waren es noch 40 %. Zudem hat auch die absolute Zahl der Todesopfer auf geführten Touren deutlich abgenommen. Unfälle, bei denen Experten (Bergführer, Tourenleiter) beteiligt waren, kamen bei Gefahrenstufe 2 «mässig» am häufigsten vor [13]. Tabelle 4 Anteil der Getöteten bei Lawinenunfällen im freien Gelände nach Sportart und Wohnland, 2000 2010 Tabelle 3 Lawinen mit Personenerfassung, 1977-2006 Lawinen Erfasste Personen Getötete Anzahl 1619 3434 703 (20 %) Quelle: : WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Sportart Wohnland Schweiz Wohnland Ausland Total Tourenfahren 69 % 31 % 100 % Variantenfahren 60 % 40 % 100 % Total 65 % 35 % 100 % Quelle: bfu, Statistik der tödlichen Sportunfälle 18 Unfallanalyse bfu-grundlagen

V. Risikoanalyse 1. Lawinengefahrenstufe Die Lawinengefahrenstufe berücksichtigt die Schneedeckenstabilität, die Auslösewahrscheinlichkeit, die Verbreitung der Gefahrenstellen und die Grösse und Art der Lawinen in einer Region [13]. Je höher die Gefahrenstufe, desto instabiler ist die Schneedecke, desto mehr Gefahrenstellen sind vorhanden, desto geringer ist die benötigte Belastung für eine Auslösung, desto mehr und grössere Lawinen sind zu erwarten. Die meisten Todesopfer verunfallen also bei den Gefahrenstufen 3 «erheblich» und 2 «mässig». Das ist nicht überraschend, wenn berücksichtigt wird, dass an 81 % der Tage im Winter diese beiden Lawinengefahrenstufen gelten [15] (Abbildung 5). Da aber die Expositionszeiten nach Gefahrenstufe nicht bekannt sind, kann kein Risiko berechnet werden. Die Gefahrenstufe 5 «sehr gross» kommt sehr selten vor und an diesen wenigen Tagen sind die Schneesportaktivitäten allgemein eingeschränkt, da teilweise bereits die Anfahrt ins Gebiet kaum möglich ist. Diese Gefahrenstufe kann bei Schneesportler-Lawinen vernachlässigt werden. Von den Todesopfern beim Touren- und Variantenfahren im freien Gelände, bei denen die Lawinengefahrenstufe bekannt ist, verunfallten 6 % bei der Lawinengefahrenstufe 1 «gering», 32 % bei Stufe 2 «mässig», 53 % bei Stufe 3 «erheblich», 10 % bei Stufe 4 «gross» und 0 % bei Stufe 5 «sehr gross» [14] (Abbildung 4). Tourenfahrer verunfallten häufig bei den Gefahrenstufen 3 «erheblich» (48 %) und 2 «mässig» (36 %) tödlich, Variantenfahrer vor allem bei Gefahrenstufe 3 «erheblich» (61 %). Abbildung 4 Prozentuale Verteilung der Lawinenopfer nach Gefahrenstufe und Sportart, 1987/88 2005/06 Abbildung 5 Prozentuale Häufigkeit der Lawinengefahrenstufen, 1997/98 2008/09 70% 61% 60% 53% 48% 50% 40% 36% 32% 30% 24% 20% 14% 10% 8% 6% 7% 10% 2% 0% 1 gering 2 mässig 3 erheblich 4 gross 5 sehr gross Anteil getöteter Tourenfahrer Anteil getöteter Variantenfahrer Anteil Total 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 48% 33% 17% 2% 0.2% 1 gering 2 mässig 3 erheblich 4 gross 5 sehr gross Quelle: : WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Quelle: WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF bfu-grundlagen Risikoanalyse 19

2. Gelände Die meisten Lawinen ereignen sich in den Hangexpositionen Nordwest-Nord-Nordost-Ost [13]. In diesen schattigeren Hängen sind die Pulverschneeverhältnisse im Winter oft besser. In 80 % der Lawinenniedergänge ist das Gelände kammnah, muldenförmig oder felsdurchsetzt [10]. Je steiler ein Hang ist, desto grösser ist die Auslösewahrscheinlichkeit einer Schneebrettlawine. Ab rund 30 ist das Gelände potenziell lawinengefährdet. Unter 30 sind kaum Schneebrettlawinen auslösbar, sie können aber in steilerem Gelände (fern-)ausgelöst werden und dann bis in flaches Gelände vordringen (Auslaufbereich). 35 % aller Lawinenunfälle ereignen sich bei Hangneigungen von 36 40, 44 % bei einer Hangneigung steiler als 40 [15] (Abbildung 6). 3. Verhältnisse Ein Vergleich von typischen Lawinenunfalltagen (Tage mit mehr als 3 Unfällen) mit Daten von Schnee- und Wetterstationen zeigt einen starken Abbildung 6 Prozentuale Verteilung der Lawinenunfälle mit Personenbeteiligung im freien Gelände nach Hangneigung, 1970/71 bis 2008/09 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 4% 17% 35% 28% 12% 30 31-35 36-40 41-45 46-50 >50 Quelle: : WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF 4% Zusammenhang der Unfallhäufigkeit mit den Faktoren Neuschnee, Wind, Temperatur und Schneedecke [10]. 63 % aller Unfälle geschehen bei der Kombination von mehr als 20 cm Neuschnee in 3 Tagen und starken Winden. Bei den übrigen Unfällen sind entweder grosse Neuschneesummen alleine, eine Temperaturerhöhung am Unfalltag oder eine ungünstig aufgebaute Schneedecke zu beobachten. Rund die Hälfte der Lawinen im Variantengelände wird in Hängen mit bereits vorhandenen Spuren ausgelöst [10]. Vorhandene Spuren sind demzufolge kein verlässliches Beurteilungskriterium für die Lawinengefahr. 4. Wissen über Lawinengefahr Lawinen können nicht präzise vorausgesagt werden. Mit verschiedenen Methoden wird versucht, das Risiko einzuschätzen und mit angepasstem Verhalten zu reduzieren. Zur Beurteilung dient das Schema 3x3: In 3 Phasen (bei der Planung, vor Ort und im Einzelhang) werden 3 Faktoren (Verhältnisse, Gelände und Mensch) beurteilt [16]. Um die Schlüsselfaktoren erkennen und verknüpfen zu können, ist entsprechendes Wissen nötig, im Minimum die Kenntnis des aktuellen Lawinenbulletins des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Das Internet ist dafür mit Abstand der wichtigste Kanal. Smartphones haben sich rasch verbreitet und erlauben auch im Gelände den Zugriff auf die wichtigsten Informationen im Internet. Variantenfahrer werden ab Gefahrenstufe 3 «erheblich» an den Zubringerstationen der Seilbahnunternehmungen mit Lawinenwarntafeln (Abbildung 7, S. 21) und Lawinenwarnleuchten vor der erhöhten Lawinengefahr im freien Gelände ge- 20 Risikoanalyse bfu-grundlagen

warnt und teilweise aufgefordert, auf den markierten und geöffneten Abfahrten zu bleiben. Zudem wird in einigen Stationen an Freeride Checkpoints über die aktuelle Lawinengefahrenstufe und die Verhaltensregeln informiert. Die Pisten- und Rettungsdienste können ebenfalls angefragt werden. Für Informationen über das Gelände auf der vorgesehenen Tour oder Abfahrt dienen Tourenführer und Routenbeschreibungen, Freeride- und Tourenkarten mit Informationen wie Höhenlage, Steilheit, Schwierigkeit, Exposition usw. Auf den Karten sind Hänge mit einer Neigung von mehr als 30 zum Teil eingefärbt. Elektronische Versionen von Karten, die die Hangneigung anzeigen, sind im Internet verfügbar. Zudem kann im Gelände (mit Skistöcken) oder auf einer Karte (mit Hangneigungsmesser) die Hangneigung einfach geschätzt bzw. gemessen werden. Verschiedene Smartphone-Apps unterstützen die Schneesportler bei der Planung und im Gelände mit Checklisten, Hangneigungsmesser, GPS-Funktionen usw. Merkblätter und Schriften über Lawinenkunde sind in grosser Zahl vorhanden. Eine rechtzeitige Planung der vorgesehenen Tour oder Abfahrt ist also möglich. Variantenfahrer, die spontan entscheiden, die Pisten zu verlassen, können sich auch noch vor Ort informieren. Trotzdem: Eine Befragung der Suva zeigte, dass ein grosser Teil der Variantenfahrer weder Ahnung von den herrschenden Lawinenverhältnissen noch Kenntnis vom aktuellen Lawinenbulletin hatte (Suva: Check the risk. Abseits markierter Pisten. Schulungsunterlagen zum Thema Lawinen. 2001). In einer bfu-befragung 2003 bei über 1000 Skiund Snowboardfahrern auf der Piste konnten weniger als die Hälfte (47 %) der Befragten die Frage korrekt beantworten, ob die Lawinengefahrenstufe «erheblich» auf eine höhere Lawinengefahr hinweist als die Stufe «gross» [17]. Seit dieser Befragung ist die Information über die Gefahrenstufen verbessert worden, meist wird gleichzeitig mit dem Begriff auch die Gefahrenstufe in Zahlen von 1 bis 5 genannt. Zudem werden Piktogramme verwendet. Die Frage nach dem Einfluss von starkem Wind auf die Lawinengefahr konnten immerhin 76 % der Befragten korrekt beurteilen. 96 % der Befragten waren sich bewusst, dass Fahrspuren in einem Hang nicht bedeuten, dass keine Lawinengefahr besteht. Abbildung 7 Lawinenwarntafel bfu-grundlagen Risikoanalyse 21

Hangneigung 5. Risikoverhalten Die Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen hängt unter anderem von der Gefahrenstufe und von der Hangneigung ab. Je tiefer die Gefahrenstufe, desto steilere Hänge können bei gleichem Lawinenauslöserisiko befahren werden. Abbildung 8 stellt diesen Zusammenhang vereinfacht grafisch dar. Das Risiko kann z. B. auf den «grünen Bereich» reduziert werden, wenn je nach Gefahrenstufe bestimmte Hangsteilheiten gemieden werden. Dabei ist zu beachten, dass die Übergänge fliessend sind und das Risiko auch von weiteren Faktoren wie Hangexposition, Höhenlage, Geländeform, Hanggrösse, Gefahrenmuster, Gruppengrösse usw. abhängt. Von den dem SLF bekannten 441 Lawinen in 10 Jahren (Winter 1998/99 2008/09, ohne Winter 2006/07, Spezialauswertung bfu auf Datenbasis SLF, Abbildung 9), bei denen Personen erfasst wurden, wurden bei Gefahrenstufe 2 «mässig» 80 % in Hängen von mehr als 35 ausgelöst, also ausserhalb des grünen Bereichs. Bei «erheblich» wurden 98 % in Hängen von über 30 und damit ausserhalb des grünen Bereichs ausgelöst. Abbildung 8 Risiko für die Auslösung einer Lawine nach Gefahrenstufe und Hangneigung Abbildung 9 Scheesportler-Lawinen nach Anteil pro Gefahrenstufe (GS) und Hangneigung (Spezialauswertung bfu auf Datenbasis SLF 1999 2009) GS 1 GS 2 GS 3 GS 4 > 40 23% 39% 35% 52% 36-40 46% 41% 43% 35% 31-35 31% 17% 20% 13% < 31 0% 3% 2% 0% 100% 100% 100% 100% Es ist nicht bekannt, ob sich die erfassten Personen bewusst oder unbewusst im roten bzw. gelben Bereich aufgehalten haben. Ein geringes Risiko bleibt im alpinen Raum auch im grünen Bereich, ein Nullrisiko gibt es nicht. Die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung kann zwar abgeschätzt, die tatsächliche Auslösung einer Lawine jedoch nicht vorausgesagt werden. Die Tatsache, dass auch erfahrene und gut ausgebildete Personen verunfallen, zeigt, dass gute Kenntnisse und Erfahrung allein kein Schutzfaktor sind. Werden alle Personenerfassungen durch Lawinen den Risikostufen gemäss Abbildung 8 zugeordnet, so zeigt sich, dass sich die Personen in 10 % aller Gefahrenstufe 1 gering 2 mässig 3 erheblich 4 gross Extrem steil >45 41 45 Sehr steil 36 40 Steil 31 35 Mässig steil 26 30 <26 grün = geringes Risiko gelb = erhöhtes Risiko rot = hohes Risiko Zum Vergleich: Blaue Pisten <15, rote Pisten <22 22 Risikoanalyse bfu-grundlagen

Fälle im grünen Bereich befunden haben, in 27 % im gelben und in 64 % im roten Bereich (Abbildung 10 und Abbildung 11). Diese Auswertung deckt sich mit derjenigen von Munter, der berechnet hat, dass bei Verzicht auf die rote Zone im langjährigen Durchschnitt rund 2/3 der Unfälle vermieden worden wären [16]. 6. Verschüttung/Rettung Teil- oder nicht verschüttete Personen haben eine grössere Überlebenschance als Ganzverschüttete [11]. Wenn noch Teile der Verschütteten sichtbar sind, liegt der Anteil der Todesopfer zwischen 10 und 20 %. Ein Lawinen-Airbag oder Lawinenballon erhöht die Chance, an der Oberfläche zu bleiben und durch sichtbare Teile gefunden zu werden. Heute sterben immer noch rund 40 % aller Ganzverschütteten, während es Ende der 70er-Jahre sogar noch 60 % waren. Sowohl bei Kameradenrettung wie auch bei organisierter Rettung ist ein signifikanter Rückgang der Letalität festzustellen. Wenn die Ganzverschütteten durch beim Unfall anwesende Kameraden gefunden werden, liegt die Letalität bei 20 %, bei organisierter Rettung, die erst noch am Unfallort eintreffen muss, bei 70 % [11]. Die Letalität von Personen, die von Kameraden mit dem Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) gefunden wurden, ist von 60 % in den 90er- Jahren auf heute 30 % gesunken. Die LVS-Rettung ist also effektiver geworden, es stirbt aber noch immer fast jeder Dritte. Die grösste Chance, eine Ganzverschüttung zu überleben, besteht in den ersten 15 Minuten, schnelles Handeln von Kameraden ist also zentral. Die durchschnittliche Verschüttungszeit von Ganzverschütteten ist in den letzten 30 Jahren zwar deutlich zurückgegangen, liegt aber mit etwa 30 Minuten immer noch in einem kritischen Bereich. Abbildung 10 Schneesportler-Lawinen total nach Risikostufe 64% 10% 27% geringes Risiko erhöhtes Risiko hohes Risiko Abbildung 11 Schneesportler-Lawinen total nach Gefahrenstufe (GS) und Hangneigung GS 1 GS 2 GS 3 GS 4 total >45 0% 3% 4% 1% 8% 41-45 1% 11% 16% 2% 29% 36-40 1% 15% 24% 2% 42% 31-35 1% 6% 11% 1% 19% 26-30 0% 1% 1% 0% 2% <26 0% 0% 0% 0% 0% total 3% 35% 56% 5% 100% Quelle: Spezialauswertung bfu auf Datenbasis SLF 1999 2009 Quelle: Spezialauswertung bfu auf Datenbasis SLF 1999-2009 1999 2009 bfu-grundlagen Risikoanalyse 23

7. Übersicht Risikofaktoren Die folgenden Risikofaktoren sind beim Variantenund/oder Tourenfahren bedeutsam. Bei Unfällen ist meist von einer Kombination von verschiedenen Risikofaktoren auszugehen (Multikausalität). Der Einfluss einzelner Faktoren führt zu Überlagerungseffekten, die nicht abgegrenzt werden können. Trotzdem wurde versucht, die Bedeutung einzelner Risikofaktoren auf das Unfallgeschehen (Unfallrelevanz) zu bestimmen. Tabelle 5 Bedeutsamkeit der Risikofaktoren für Lawinenunfälle beim Touren- und Variantenfahren Nr. Risikofaktor Unfallrelevanz 1 extrinsische Risikofaktoren (auf das Umfeld oder andere Personen bezogen) Lawinengefahrenstufe 2 und 3 bei Touren (total 84 % der tödlich verunfallten Tourenfahrer, davon 36 % bei Stufe 2 und 48 % bei Stufe 3) 2 Hangneigung über 35 (79 % aller Lawinen mit Personenerfassung) 3 Kammnahes, muldenförmiges oder felsdurchsetztes Gelände (80 % der Lawinen) 4 Lawinengefahrenstufe 3 bei Variantenabfahrten (61 % der tödlich verunfallten Variantenfahrer) 5 Hangexposition Sektoren Nordwest-Nord-Nordost-Ost (Mehrzahl der Lawinenunfälle) 6 Viel Neuschnee und Wind (63 % der Lawinen im Variantenbereich) 7 Fehlender Lawinen-Airbag (Ganzverschüttung wahrscheinlicher) 8 9 Ineffiziente Kameradenrettung (fehlende Notfall-Rettungsausrüstung, alleine unterwegs, mangelnder Umgang mit der Notfallausrüstung) intrinsische Risikofaktoren (auf den verunfallten Mensch bezogen) Mangelndes Gefahrenbewusstsein (Wahrnehmungs- und Beurteilungskompetenz) 10 Mangelnde Selbststeuerungsfähigkeiten (Entscheidungs- und Handlungskompetenz) (z. B. falsche oder nicht sicherheitsorientierte Entscheide, nicht adäquates Verhalten, hohe Risikobereitschaft) 11 Ungenügende Ausbildung, fehlendes Wissen 12 Ungenügende Erfahrung Anteil der Getöteten in % Skala Unfallrelevanz >50 % >30 50 % >20 30 % >10 20 % 10 % 24 Risikoanalyse bfu-grundlagen

VI. Interventionsanalyse 1. Präventionsmöglichkeiten Bei der Prävention von Lawinenunfällen kann wenig an den Verhältnissen geändert werden, von präventiven Lawinensprengungen (vor allem in der Nähe der Schneesportgebiete) abgesehen. Der Hauptfokus der Prävention muss also darauf gelegt werden, Tourenfahrer und Freerider davon abzuhalten, sich in risikoreiche Situationen zu begeben, und sie dazu zu bewegen, Gefahrenstellen zu meiden. Dafür müssen sie die aktuellen Informationen über die Lawinengefahr (Lawinenbulletin) und die entsprechenden angepassten Verhaltensweisen kennen, das Gelände (Hangneigung, Exposition) und die Verhältnisse richtig beurteilen können und dann für ihre Tour oder Abfahrt ein möglichst sicheres Gelände wählen. Ein geringes Risiko bleibt im Gebirge immer bestehen und kann nur durch vollständigen Verzicht auf alle Aktivitäten eliminiert werden. Mit hoher Risikokompetenz ist aber ein angemessener Aktivitätsspielraum bei geringem Risiko möglich. Bei allen Präventionsmassnahmen sollten insbesondere die männlichen Schneesportler (84 % der Todesopfer) angesprochen werden. «nicht empfehlenswert», wobei die 3 bewerteten Faktoren nicht miteinander «verrechnet» werden können, sondern eine qualitative Beurteilung vorgenommen wird. Eine Massnahme kann in der Theorie noch so wirksam sein, wenn sie nicht umsetzbar ist, kann sie auch nicht empfohlen werden. Ausgehend von der Risikofaktorenanalyse werden im Folgenden Präventionsmöglichkeiten aufgelistet, die einen Beitrag zur Reduktion dieser Risiken leisten könnten. Jede Massnahme wird hinsichtlich ihrer Wirksamkeit (Reduktion des Risikos bei Inkrafttreten der Massnahme), Effizienz (Kosten- Nutzen-Verhältnis) und Umsetzbarkeit (Akzeptanz, Machbarkeit) überprüft und bewertet. Basierend auf dieser Bewertung erhält jede Präventionsmöglichkeit ein Prädikat von «sehr empfehlenswert» bis bfu-grundlagen Interventionsanalyse 25

Mangelnde Risikokompetenz Wirksamkeit Effizienz Umsetzbarkeit Prädikat. Tabelle 6 bfu-bewertung von Möglichkeiten zur Prävention von Lawinenunfällen beim Touren- und Variantenfahren Nr. Risikofaktor Präventionsmöglichkeiten Bewertung extrinsische Risikofaktoren 1 Lawinengefahrenstufe 2 und 3 bei Touren Kein Tourenfahren ab Gefahrenstufe 2 «mässig» + ++ -- 4 2 Hangneigung über 35 Hangneigungen über 35 generell meiden +- ++ - 3 3 Kammnahes, muldenförmiges oder felsdurchsetztes Gelände 4 Lawinengefahrenstufe 3 bei Variantenabfahrten 5 Hangexposition Sektoren NW-N- NE-E Kammnahes, muldenförmiges und felsdurchsetztes Gelände meiden Kein Variantenfahren ab Gefahrenstufe 3 «erheblich» Hänge der nördlichen Expositionen NW-E meiden + ++ -- 4 +- ++ - 2 + ++ -- 4 6 Viel Neuschnee und Wind Verzicht auf Aktivitäten im freien Gelände in den Tagen nach starken Schneefällen mit Wind +- ++ - 3 7 Fehlender Lawinen-Airbag Verwendung eines Lawinen-Airbags +- - +- 2 8 Ineffiziente Kameradenrettung Notfallausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) immer mitnehmen, LVS einschalten und kontrollieren 9 intrinsische Risikofaktoren Mangelnde Wahrnehmungskompetenz Mangelnde Beurteilungskompetenz 10 Mangelnde Entscheidungskompetenz Mangelnde Handlungskompetenz 11 Ungenügende Ausbildung, fehlendes Wissen +- +- +- 2 Nicht allein unterwegs sein - ++ +- 2 Umgang mit Notfallausrüstung üben - + - 2 Sensibilisierung für Gefahren und Risiken, Risikocheck vor der Tour oder Abfahrt Wissen aneignen, Ausbildung in Lawinenkunde absolvieren, Erfahrung erwerben auf geführten Touren und Abfahrten Risiko reduzieren durch Beschränkung auf den «grünen» Bereich (Abbildung 5) oder Meidung des «roten» Bereichs Laufende Überprüfung der Entscheide und des Verhaltens mit Checklisten, Partnercheck und technischen Hilfsmitteln, Risiko reduzieren durch Beschränkung auf den «grünen» Bereich (Abbildung 5) oder Meidung des «roten» Bereichs Wissen aneignen, Ausbildung in Lawinenkunde absolvieren +- ++ +- 1 +- ++ +- 1 + ++ +- 1 + ++ +- 1 +- + - 1 12 Ungenügende Erfahrung Erfahrung erwerben auf geführten Touren und Abfahrten - + - 2 Skala Prädikat Skala Bewertung 1 sehr empfehlenswert ++ = sehr hoch 2 empfehlenswert + = hoch 3 bedingt empfehlenswert +- = mittel 4 nicht empfehlenswert - = tief -- = sehr tief 26 Interventionsanalyse bfu-grundlagen

2. Präventionsempfehlungen Die Präventionsmassnahmen, die als «sehr empfehlenswert» oder «empfehlenswert» eingeschätzt wurden (Prädikat 1 oder 2), werden nachfolgend genauer beschrieben. 2.1 Kein Variantenfahren ab Gefahrenstufe 3 «erheblich» Die Empfehlung, ab Gefahrenstufe 3 «erheblich» auf das Variantenfahren zu verzichten, ist in den SKUS-Richtlinien enthalten und wird teilweise in den Schneesportgebieten kommuniziert. Diese Gefahrenstufe wird mit einer Lawinenwarnleuchte angezeigt und ist deshalb für die Variantenfahrer leicht erkennbar. Sie gilt nur an rund einem Drittel der Tage eines Winters und die Liebhaber von nicht präpariertem Schnee haben die Möglichkeit, markierte und gesicherte Abfahrtsrouten zu benützen. Die Einschränkungen sind also zumutbar. Andererseits wird an den Tagen nach Neuschneefällen die Gefahr oft als «erheblich» (Stufe 3) eingestuft und gerade dann ist der frische Pulverschnee besonders reizvoll. Wenn die Gefahr auf die Stufe 2 «mässig» sinkt, sind die meisten Variantenhänge längst verfahren. Zudem gibt es auch bei Gefahrenstufe 3 Bereiche, die ohne Lawinengefahr befahren werden können, z. B. solche zwischen roten oder blauen Pisten, die mangels Steilheit nicht als lawinengefährlich gelten. Deshalb wird diese Empfehlung teilweise nicht akzeptiert. 2.2 Verwendung eines Lawinen-Airbags Teil- oder Nichtverschüttete haben eine wesentlich höhere Überlebenschance bei einer Lawinenerfassung als Ganzverschüttete. Ein Lawinen- Airbag kann dazu beitragen, dass die erfasste Person an der Oberfläche der Lawine bleibt. Lawinen- Airbags sind relativ teuer und schwer, deshalb werden sie vor allem auf Touren (noch) selten verwendet. Im Variantenbereich sind sie empfehlenswert. Einige der Lawinenopfer sterben an den Verletzungen, die sie beim Lawinenabgang erleiden, und nicht durch Ersticken. Deshalb kann ein Airbag niemals die primärpräventiven Massnahmen zur Verhinderung einer Lawinenerfassung ersetzen, sondern nur sekundär helfen, die Folgen zu mindern. 2.3 Notfallausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) immer mitnehmen Wenn eine Person von einer Lawine erfasst wird, ist es wichtig, dass die Rettung durch Kameraden möglichst rasch und effizient einsetzt. Fehlt ein Teil der Notfallausrüstung, kann rasche Kameradenrettung nicht gewährleistet werden. Auf Skitouren ist die Mehrheit der Aktiven mit einem LVS ausgerüstet, teilweise fehlen aber Schaufel und insbesondere Lawinensonde. Die Notfallausrüstung ist relativ teuer, kann aber auch gemietet werden. Beim Variantenfahren ist sie noch weniger verbreitet. Das Bewusstsein der Gefahr ist in Anbetracht bereits vorhandener Spuren manchmal nicht vorhanden oder der Entschluss zum Verlassen der Piste wird spontan gefällt. Auch sind in vielen Filmen Freerider zu sehen, die aus einer Lawine hinausfahren konnten, was den Eindruck verstärkt, dass man im Falle einer Lawinenauslösung bei richtiger Reaktion nicht unbedingt verschüttet wird. Variantenfahrer sollten deshalb noch vermehrt auf die Gefährlichkeit einer Verschüttung hingewiesen werden. Eine LVS-Teststation bei der Einfahrt ins Freeride-Gebiet könnte z. B. auf die nötige Ausrüstung hinweisen. bfu-grundlagen Interventionsanalyse 27

2.4 LVS einschalten und kontrollieren 2.7 Risikokompetenz verbessern Ein LVS nützt nur, wenn es auch eingeschaltet ist und funktioniert. Der Aufwand dafür ist relativ klein. Meist handelt es sich um ein Vergessen, wenn das LVS getragen, aber nicht eingeschaltet wird. Auf geführten Skitouren ist ein LVS-Gruppencheck üblich, bei Touren mit Kollegen wird das aber nicht immer gemacht. Auch hier könnte ein Hinweis am Ausgangspunkt oder eine LVS- Teststation gute Dienste leisten. 2.5 Nicht allein unterwegs sein Wer allein unterwegs ist, kann seine Einschätzung der Gefahr und seine Entscheide mit niemandem besprechen, ist aber auch Faktoren wie Gruppendruck oder höheres Sicherheitsgefühl in der Gruppe nicht ausgesetzt. Negativ für Alleingänger sind bei einer Lawinenerfassung die fehlenden Begleiter, da es bei der Rettung auf jede Minute ankommt und meist nur die Kameraden in nützlicher Frist retten können. Wenn ein Unfall nicht beobachtet wird oder niemand aus der unmittelbaren Umgebung reagieren und die Suche einleiten kann, verstreicht oft zu viel überlebenswichtige Zeit. 2.6 Umgang mit Notfallausrüstung üben Die beste Ausrüstung nützt nichts, wenn man nicht effizient damit umgehen kann. Richtige, rasche Suche mit LVS und Lawinensonde sowie effizientes Schaufeln sind für die Überlebenschancen eines Opfers entscheidend. Die LVS-Geräte der neueren Generationen sind zwar bedienerfreundlicher, trotzdem muss die Suche und Rettung regelmässig geübt werden, um in einer Notsituation angemessen agieren zu können. Die Risikokompetenz kann aufgeteilt werden in Wahrnehmungs-, Beurteilungs-, Entscheidungsund Handlungskompetenz. Die Sportler sollten also lernen, die Gefahrenstellen richtig wahrzunehmen, die Situation richtig zu beurteilen und eigenverantwortlich so zu entscheiden, dass das Risiko möglichst gering ist. Diese Entscheide sollten dann auch durch zielgerichtetes Handeln umgesetzt werden. Alle Teilkompetenzen sind wichtig und können durch Ausbildung und Erfahrung verbessert werden. Dies bedingt, dass Touren und Abfahrten sorgfältig geplant und vorbereitet werden. In jeder der 3 Phasen (1 Planung, 2 Entscheid im Gebiet, 3 Entscheid im Einzelhang) und in allen Bereichen (Verhältnisse, Gelände, Mensch) muss eine passende Methode (Reduktionsmethode [16], Muster [18] usw.) angewandt werden. Alle Phasen können durch Sinnestäuschungen, Wahrnehmungsfallen und mangelnde Kommunikation beeinträchtigt werden [19,20]. Deshalb ist diesen Faktoren entsprechend Rechnung zu tragen. Wichtige Tipps zur Risikominderung und damit zu sicherem Verhalten sind unter anderem: Touren- und Variantenfahren nie bei schlechter Sicht Keinen fremden Spuren folgen, die in unbekanntes Gelände führen Genaue Beobachtung und Beurteilung von Schneebeschaffenheit, Schneeverfrachtungen, frischen Schneebrettlawinen und Anrisszonen Schlüsselstellen einzeln befahren; anhalten auf «sicheren Inseln» Kameraden beobachten und reaktionsbereit sein Im Aufstieg bei den steilsten Passagen Entlastungsabstände einhalten 28 Interventionsanalyse bfu-grundlagen

Felsdurchsetztes Steilgelände und Couloirs sowie steilste Hangpartien meiden Frische Triebschneeansammlungen kritisch beurteilen Die Erwärmung im Lauf des Tages beachten Die Schneesportler sollten fähig und willens sein, gefährliches Gelände zu meiden. Empfehlungen zum Verzicht auf gefährliches Gelände müssen einen angemessenen Spielraum offenlassen, damit sie akzeptiert werden. Ein genereller Verzicht auf Hänge über 30 oder auf Skitouren ab Gefahrenstufe 2 «mässig» ist zu einschränkend und deshalb kaum umsetzbar. Die sogenannte «Grafische Reduktionsmethode» [21] (Abbildung 8), die heute in der Lawinenprävention allgemein anerkannt ist, hilft insbesondere bei der Planung einer Tour, das Lawinenrisiko einzuschätzen. Es wird empfohlen, auf den «roten» Bereich mit hohem Risiko zu verzichten. Die Auswertung der Lawinenunfälle zeigt, dass damit rund zwei Drittel der Unfälle hätten vermieden werden können. Unter Berücksichtigung der Anzahl Tage, an denen die verschiedenen Gefahrenstufen gelten, und der Steilheit des Geländes von häufig begangenen Touren bleiben trotz dieses Verzichts noch viele Möglichkeiten offen. Ein Verzicht auf den gelben Bereich bereits bei der Planung reduziert das Risiko nochmals um ein Viertel. Damit wird eine Sicherheitsreserve eingebaut, was vor allem für Unerfahrene sehr empfehlenswert ist. Wenn bei der Tourenplanung die «gelben» Bereiche nach der grafischen Reduktionsmethode nicht bereits ausgeschlossen werden, so müssen auf der Tour bei diesen Stellen genügend günstige, d. h. Risiko mindernde Faktoren vorhanden sein, damit der konkrete Hang trotzdem mit geringem Risiko begangen oder befahren werden kann und/oder es müssen entsprechende Vorsichtsmassnahmen getroffen werden (steilste Stellen meiden, einzeln fahren, Triebschnee meiden usw.). Dazu ist viel Erfahrung und Kenntnis der entsprechenden Methoden nötig. Den Tourenfahrern und Freeridern sollten mehr einfache und zielgruppengerechte Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um den «grünen» Bereich gemäss grafischer Reduktionsmethode bestimmen zu können. Dies können Karten mit optischen Hangneigungsangaben, interaktive Tools zur Bestimmung des Risikobereichs von Touren, Checklisten usw. sein. Wichtig ist eine konsequente Umsetzung der geplanten Massnahmen. Viele Unfälle ereignen sich bei Schneesportlern, die das nötige Wissen und die Erfahrung zwar haben, um richtig entscheiden zu können, aber dann trotzdem anders entscheiden oder handeln. Deshalb sollten die Entscheide und das Verhalten laufend überprüft werden, z. B. mit entsprechenden Checklisten, technischen Hilfsmitteln oder durch gegenseitige Kontrolle (Partnercheck). 2.8 Wissen aneignen, Ausbildung in Lawinenkunde absolvieren Wer ohne Ausbildung und Wissen selbstständig im freien Gelände unterwegs ist, setzt seine Gesundheit fahrlässig aufs Spiel. Die Schneesportler sollten vermehrt für die Gefahren und die Notwendigkeit einer Ausbildung sensibilisiert werden. Es sollten niederschwellige Kursangebote zur Verfügung stehen. Die Ausbildungen müssen dem Zielpublikum angepasst sein. Der Vermeidung einer Lawinenerfassung sollte mehr Gewicht zugemessen bfu-grundlagen Interventionsanalyse 29

werden als der Suche nach Verschütteten und deren Rettung. Alle nötigen aktuellen Informationen (Wetter, Lawinensituation, Gelände, Verhältnisse) sollten möglichst einfach und überall zugänglich sein. 2.9 Erfahrung erwerben Viele geführte Touren oder Abfahrten unternommen zu haben, führt noch nicht zu Erfahrung. Erst die genaue Beobachtung der Verhältnisse und die Reflexion des Erlebten führen zu nützlichen Erkenntnissen. Erfahrung allein bietet aber keine Sicherheit, denn eine erfolgreiche Tour oder Abfahrt kann auch einfach bedeuten, dass man diesmal Glück gehabt hat, und nicht unbedingt, dass man die Verhältnisse richtig eingeschätzt hat. Da eine Lawinenerfassung potenziell immer tödlich ist, kann man aus diesen Erfahrungen dann oft nicht mehr lernen... Mehr Erfahrung kann also teilweise nur zu einer vermeintlich besseren Einschätzung und damit sogar zu einer höheren Risikobereitschaft führen. 2.10 Weitere Präventionsempfehlungen Verantwortung abgeben Das Risiko, ohne entsprechende Ausrüstung und Kenntnisse im freien Gelände von einer Lawine erfasst oder gar getötet zu werden, ist beträchtlich. Deshalb sollten sich Touren- und Variantenfahrer ohne die entsprechenden Voraussetzungen Profis (Bergführer, Schneesportlehrer) oder erfahrenen Personen anschliessen, die ihnen die Risikobeurteilung abnehmen und die Entscheide für sie fällen. Anteils Schneesportler, die in geführten Gruppen (mit Bergführer oder Tourenleiter) unterwegs sind, ist ihr Anteil an den Verunfallten nicht der Erwartung entsprechend tief. Bei der Ausbildung ist der Verbesserung der Handlungskompetenz besondere Beachtung zu schenken, so dass das vorhandene Wissen und die bekannten Massnahmen auch konsequent umgesetzt werden. Bei Personen, die Verantwortung für andere übernehmen, sollte die Risikobereitschaft entsprechend tief sein. Der Umgang mit Erwartungen der Teilnehmenden und schwierigen Situationen sollte vermehrt thematisiert werden. Mit Inkrafttreten des «Bundesgesetzes über das Bergführerwesen und Anbieten weiterer Risikoaktivitäten» wird das gewerbsmässige Anbieten von Touren und Abfahrten im freien Gelände also ausserhalb des Verantwortungsbereichs von Betreibern von Skilift- und Seilbahnanlagen bewilligungspflichtig. Es müssen alle Massnahmen getroffen werden, die nach der Erfahrung erforderlich, nach dem Stand der Technik möglich und nach den gegebenen Verhältnissen angemessen sind, damit Leben und Gesundheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht gefährdet werden. Schonraum nutzen bzw. anbieten Alternativ können Freerider die markierten Abfahrtsrouten benützen. Diese sind nicht präpariert, aber gesichert. Den Betreibern von Schneesportgebieten wird empfohlen, vermehrt solche gesicherten Abfahrtsrouten anzubieten, um das Bedürfnis nach sicherem Tiefschneefahren befriedigen zu können. Dazu sollte die Ausbildung der Leiterpersonen verbessert werden, denn unter Berücksichtigung des Das Bedürfnis nimmt zu, Skitouren zu machen, ohne sich dafür vorzubereiten oder die Aktivität 30 Interventionsanalyse bfu-grundlagen

detailliert planen zu müssen. Das zeigt auch das Phänomen des Skitourengehens auf Pisten. Deshalb sollte auch für Tourenfahrer ein «Schonraum» geschaffen werden. Eine Möglichkeit sind markierte und gesicherte Aufstiegsrouten im Schneesportgebiet mit Abfahrt über die Pisten und Abfahrtsrouten, eine andere wäre ein Tourenführer mit «grünen» Touren, die ausser bei Lawinengefahrenstufe 4 oder 5 mit geringem Lawinenrisiko begangen werden können. bfu-grundlagen Interventionsanalyse 31

VII. Fazit Das Unfallgeschehen bei Lawinenunfällen im freien Gelände ist gut dokumentiert. Vieles zu potenziellen Risikofaktoren ist bekannt, entweder aus der Unfallanalyse oder durch die wissenschaftliche Literatur. Leider fehlen repräsentative Untersuchungen zur Expositionszeit und zum Verhalten in Abhängigkeit von Hangsteilheit oder Lawinengefahrenstufe, so dass keine Risikoabschätzungen möglich sind. Hier besteht noch Forschungsbedarf. Lawinenprävention hat in der Schweiz eine lange Tradition. Dennoch besteht Bedarf an neuen Ideen oder Vorgehensweisen zur weiteren Reduktion der Anzahl der Getöteten. Die in diesem Bericht von der bfu empfohlenen Präventionsmassnahmen können in der Ausbildung, Beratung und Kommunikation umgesetzt werden. Die Koordination mit allen involvierten Partnern ist dabei sehr wichtig. Diese gehören grösstenteils dem Kernausbildungsteam (KAT) Lawinenprävention Schneesport an, das vom WSL- Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF geführt wird. Prioritär sollten folgende Massnahmen umgesetzt werden: Gefahrenbewusstsein verbessern Entscheidungs- und Handlungskompetenz verbessern Alternativ können sich Schneesportler ohne die entsprechenden Kompetenzen Profis anschliessen oder das lawinengefährdete Gelände meiden und sich in einem Schonraum bewegen. Dafür muss die Sicherheit in geführten Gruppen weiter erhöht werden, indem die Risikokompetenz der Leitenden durch Ausbildung verbessert wird, entsprechender Schonraum geschaffen werden (Abfahrtsrouten, Verzeichnis von Touren mit geringem Lawinenrisiko). Die bfu hat im Winter 2012 eine Medienmitteilung veröffentlicht, in der sie darauf hinweist, wie schwierig die Einschätzung der Lawinengefahr ist, und dazu aufruft, eine Sicherheitsreserve einzuplanen (Anhang 1). Die bfu plant zudem, ein Verzeichnis von «Plaisir- Touren» zu erstellen, d. h. «grüne» Touren, die ausser bei Lawinengefahrenstufe 4 oder 5 mit geringem Lawinenrisiko begangen werden können. Im Kernausbildungsteam Lawinenprävention Schneesport werden neue Hilfsmittel diskutiert und evaluiert, um die Selbststeuerungsfähigkeiten zu verbessern. 32 Fazit bfu-grundlagen

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Anhang: Medienmitteilung vom 24.1.2012 34 Anhang: Medienmitteilung vom 24.1.2012 bfu-grundlagen

Annexe: Communiqué de presse du 24.1.2012 bfu-grundlagen Annexe: Communiqué de presse du 24.1.2012 35