Seite 1/5 in vivo -- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 12.10.2010 Expertengespräch zum Thema Speiseröhrenkrebs Und zu diesem Thema begrüße ich jetzt Professor Wolf Bechstein, Direktor der Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt/Main. Schön, dass sie zu uns gekommen sind, Professor Bechstein. Sagen sie, hat denn Herr D. zu lange gewartet, bis er mal nachgucken ließ? Ich denke nicht. Das Problem vom Speiseröhrenkrebs ist ja, dass ein Tumor häufig so lange wächst, bis er mehr als zwei Drittel des Durchmessers der Speiseröhre verlegt hat, erst dann tauchen Beschwerden auf. Warum war denn bei Gerhard D. eine zweite Operation notwendig? Manchmal ist es sehr schwierig, mit dem bloßen Auge zu sehen, wo der Tumor aufhört. Und in der besonderen Situation von Herrn D. war es so, dass im auswärtigen Krankenhaus der Chirurg den Eindruck hatte, den Tumor komplett entfernt zu haben, aber als das Präparat, also der entfernte Tumor, dann unter dem Mikroskop genau betrachtet wurde, konnte man sehen, dass einzelne Tumorzellen doch bis in den Rand hineinreichen, wo abgeschnitten worden war. Professor Bechstein, wir unterhalten uns gleich weiter, aber vorher haben wir noch ein paar wichtige Informationen kurz zusammengefasst im Film. Sprecherin: Die Zahl der Neuerkrankungen bei Speiseröhrenkrebs liegt in Deutschland bei etwa 5200 Menschen pro Jahr. Mehr als drei Viertel der Betroffenen sind Männer. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Formen: dem Adeno- und dem Plattenepithelkarzinom. Das Adenokarzinom entsteht ausschließlich in der unteren Speiseröhre. Als einer der Hauptrisikofaktoren gilt der sogenannte Reflux. Dabei nimmt die Säurebildung im Magen zu und saurer Mageninhalt fließt zurück in die Speiseröhre. Dies führt im Laufe der Zeit dazu, dass dort die Schleimhaut verätzt wird und sich die Zellen verändern können. Fettige und unausgewogene Ernährung und Übergewicht gelten als Hauptursachen. Alkohol und Rauchen sind dagegen die wichtigsten Ursachen für das Plattenepithelkarzinom. Es kann in jedem Bereich der Speiseröhre entstehen. Das Tückische am Speiseröh-
Seite 2/5 renkrebs ist, dass die Krankheit häufig erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt wird. Symptome wie Schluckstörungen, Heiserkeit und Gewichtsverlust sollten daher sehr ernst genommen werden. Bei häufigem Sodbrennen, vor allem nachts, ist unbedingt eine Magenspiegelung angeraten. Zur Behandlung hat sich in den letzten Jahren auch die endoskopische Therapie, also die Schlüssellochtherapie, bewährt, vorausgesetzt, die bösartige Veränderung ist auf die oberste Schleimhautschicht begrenzt. Professor Bechstein, es gibt ja einen dramatischen Anstieg dieser Erkrankungen auch gerade bei jüngeren Menschen. Wie erklärt man sich das? Es gibt verschiedene Faktoren. Während es einerseits so ist, dass der Magenkrebs zurückgeht, weil die Ernährung gesünder geworden ist, denkt man, dass möglicherweise durch den Einfluss von Medikamenten der Verschluss zwischen der Speiseröhre und dem Magen nicht mehr so gut funktioniert und es dann zum Reflux kommt, also zum Zurückfließen von saurem Magensaft in die Speiseröhre. Das führt dazu, dass das Gewebe, die Abdeckung der oberen Schichten der Speiseröhre, angegriffen wird. Und dann wandert Schleimhaut aus dem Magen in die Speiseröhre hinein, hat aber ein höheres Risiko, im weiteren Lauf des Lebens zu einer bösartigen Entartung zu führen. Nun muss man nicht bei jedem Sodbrennen nervös werden, aber bei welchen Symptomen sollte man sofort ganz genau hinschauen? Wenn es länger anhaltendes Sodbrennen ist, wäre es schon wichtig, einmal nachschauen zu lassen, durch eine Endoskopie, ob eine Refluxsöphagitis vorliegt, also ein Zurückfließen von Magensäure in die Speiseröhre, die die Schleimhaut verätzt. Längeres Sodbrennen heißt nun konkret also nicht unbedingt drei Stunden, aber wenn es häufig jeden Morgen wenn es schon über vier bis sechs Wochen anhält, dann ja. Ja. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es denn?
Seite 3/5 Wenn wir über Speiseröhrenkrebs reden, dann gibt es grundsätzlich in frühen Stadien auch die Möglichkeit, durch endoskopische Maßnahmen, also nur durch Schlucken eines Schlauches und dann begrenztes Abtragen, den Tumor zu heilen. Dies ist besonders bei dem Barrett-Karzinom so, das entsteht als Folge dieser Säureverätzung der Speiseröhre. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien, bei der der Tumor nicht nur beschränkt ist auf die Schleimhautoberfläche der Speiseröhre, sondern in die tiefen Muskel- und Wandschichten übertritt, dort wird dann eine Operation häufig erforderlich werden. Heute kombiniert man das, sehr häufig, mit einer vorausgehenden Chemo- oder auch Strahlentherapie. Wie wir jetzt im Film gesehen haben, gibt es ja zwei verschiedene Tumorarten: Plattenepithel- und Adenokarzinom und nur eine kann man minimalinvasiv operieren. Warum? Die Frage ist immer, was versteht man unter minimalinvasiv. Die lokale Behandlung ist nur möglich beim frühzeitigen Adenokarzinom, beim Barrett-Karzinom. Minimalinvasiv, also durch Verwendung von besonderen Instrumenten, dass man eine Kamera nimmt, mit der man in Körperhöhlen reinguckt und mit kleinen Instrumenten manipuliert, das ist auch möglich beim Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre. Und was an den heutigen OP-Methoden ist ein wirklicher Gewinn? Die heutigen Operationsmethoden sind insgesamt schonender geworden. Egal, ob offen operiert wird, also über größere Schnitte oder aber, ob dies minimalinvasiv, mit kleinen Schnitten, der Kamera und Manipulieren von Instrumenten in der Körperhöhle passiert. Da ist auch letztlich, muss man sagen, noch nicht entschieden, was wirklich das Bessere ist. Was wir wissen ist, dass bei Eingriffen von der Speiseröhre im Brustkorb die Erholung der Patienten, in Bezug auf mögliche Komplikationen von der Lunge her, besser ist, wenn minimalinvasiv operiert wird. Nach welchen Kriterien entscheiden sie denn dann für oder gegen eine schonende OP? In meiner eigenen Klinik ist es so, dass, wann immer es geht, wir minimalinvasiv die Speiseröhre mobilisieren. Das ist für uns der Schritt, den haben wir schon hinter uns gebracht, dass wir sagen: Das machen wir so. Das ist nicht so, dass man sagt, man kann es nicht auch anders machen.
Seite 4/5 Das klingt immer so harmlos. Aber wenn ich mir vorstelle, ein Teil des Magens oder des Darms wird zur Speiseröhre umfunktioniert, das hat ja doch erhebliche Konsequenzen für den Patienten. Wie lebt er damit weiter? Das Hauptproblem der Operation ist wirklich das Risiko, nicht bei der Operation zu sterben, sondern an den Folgen der Operation zu sterben, meistens durch Entzündungen bis hin zu Blutvergiftungen, Sepsis, das sind die häufigsten Todesursachen, das muss man auch sagen. Das ist schon eine gefährliche Operation mit gefährlichen Problemen, die hinterher auftreten können. Was sie aber ansprechen, bezüglich des Langzeitverlaufs, ist es so, dass die Patienten erstaunlich wenig Probleme damit haben. Also der Ersatz des Speisewegs durch den Schlauchmagen, also der Magen, der umgeformt wird zu einem Schlauch, oder aber auch mit Anteilen vom Dickdarm, wird erstaunlich gut vertragen. Und die Ernährung muss nicht irgendwie umgestellt werden? Nein, die Ernährung muss nicht umgestellt werden. Toll, das ist ja eine schöne Sache. Welche Prognose geben sie denn diesen Patienten? Die Prognose hängt immer, wie bei allen Krebsarten, vom Stadium ab. Das heißt, davon, wie weit ist der Tumor lokal fortgeschritten? Ist es beschränkt auf das Organ oder geht der Tumor auf andere Organstrukturen über, das, was wir als Tumorkategorien bezeichnen? Und auch die Frage, hat der Tumor bereits gestreut, also in Lymphknoten zum Beispiel oder gibt es gar schon Absiedlungen in anderen Organen, wie der Lunge oder der Leber? Dann sind die Aussichten sehr ungünstig. Welchen abschließenden Rat können sie Patienten geben? Man soll die Symptome des Körpers schon ernst nehmen und vor allen Dingen, wenn das Gefühl ist, man kann nicht mehr richtig schlucken oder gar wenn Heiserkeit auftritt über mehrere Wochen. Das sind alles Dinge, die einen zum Arzt bringen sollten, damit man den Rat von jemand Erfahrenem sucht, der einem dann weiterhelfen kann und ggf. auch die entsprechende Untersuchung durchführt.
Seite 5/5 Schönen Dank, Professor Bechstein, dass sie bei uns waren. Schönen Dank für das Gespräch. Alle weiteren Informationen zu diesem Thema und zu allen anderen Themen dieser Sendung, natürlich auch im Internet für Sie, unter www.krebshilfe.de. Sollten Sie darüber hinaus dringende Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die Experten der Deutschen Krebshilfe: 0228/7299095.