Kinder brauchen Märchen

Ähnliche Dokumente
Lebenswissen der Märchen

Das Märchen im Fremdsprachenunterricht

"Der blonde Eckbert": Die Wiederverzauberung der Welt in der Literatur der Romantik

Vom braven Bauernmädchen zur selbstbewussten Göre die Weiterentwicklung des Rotkäppchen

Die Fabel, ihre Entstehung und (Weiter-)Entwicklung im Wandel der Zeit - speziell bei Äsop, de La Fontaine und Lessing

Handbuch Kinderliteratur

Märchen-Strukturmerkmale des Genres und Bezüge zur aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendliteratur

Die Fabel im Unterricht

Märchen:Theorie, Didaktik und Lernziele im Fremdsprachenunterricht

Zwischen Realität und Märchenwelt. Eine Analyse zweier Kunstmärchen von Hans Christian Andersen

Analyse der Tagebücher der Anne Frank

Der gestiefelte Kater - Ein romantisches Märchen?

Anekdote: Ballade: Dichtung ist ein Sprachkunstwerk. Dichtungsgattungen: Ein paar wichtige Grundbegriffe aus der Dichtungslehre

Das Märchen. Merkmale & Beispiel. -Literaturmappe zum GORILLA-Band Ikarus fliegt

Das Märchen. Märchen mhd. maere = Kunde, Bericht

Ergebnisprotokoll. zur Seminarsitzung am zum Thema Das doppelte Lottchen von Erich Kästner

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Forschungsreise in die Märchenwelt. Das komplette Material finden Sie hier:

Die Frauenfiguren in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

Definition und Negation der Rollen in Ludwig Tiecks "Kindermärchen: Der gestiefelte Kater"

E.T.A. Hoffmann und die Romantik

7. Medien: Begriff und Klassifikationen

Dali und der Surrealismus. Seine Werke und das Drehbuch zu "Ein andalusischer Hund"

Konzeptionelle Überlegungen zum Unterricht im 4. Kurshalbjahr (Abitur 2017 und 2018) LISUM - Fortbildung Deutsch Sek. II

Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso

Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu". Schein und Wirklichkeit

Beschreibe die Hauptfigur. Inwiefern empfindest du diese Figur als wirklich?

Das Tapfere Schneiderlein - Märchenforschung und ihre Didaktik

Ablehnung der Weiblichkeit

Stefan Neumann: Lehrveranstaltungen*

Beiträge zum pädagogischen Leistungsbegriff

Wissenschaftliche Märchentheorien und die Umsetzung der Märchen im Deutschunterricht

Germanistik. Maike Vogelgesang

Evangelische Religionspädagogik, Religion

Das Thema Zeit in der Grundschule

Bilderbuchlesarten von Kindern

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Interpretation zu Jelinek, Elfriede - Die Klavierspielerin

Germanistik. Caroline Boller

Deutsche Literatur als 2. Schwerpunkt im Rahmen des BA Kunstgeschichte

Mat301-S -

Das Volks- und Kunstmärchen im Deutschunterricht der Berufsoberschule

Unterrichtsplanung in der NMS Alter Hut mit neuem Namen?

Zeitgeschichte im Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann. Die Antipoden Settembrini und Naphta und ihre ideologischen Gegensätze

WIR DURCHBLICKEN DIE MEDIEN

Die Tragödientheorie des Aristoteles und ihre ästhetische Wirkung

Materialerstellung zum Buch Der fliegende Dienstag vom Müge Iplikci

Schulische Mobbing-Fälle

Thema: In 3 Tagen: Intensiv-Vorbereitung Abitur Lyrik der Romantik und des Expressionismus

Inhalt. Vorwort 11. Hinweise für die Leser 15. MYTHEN, RITEN, FEIERN 25 gemeinschaft stiftende heilige Erzählungen

H.G.Wells "Die Zeitmaschine" als Spiegel der Zeit

1. Einleitung Hermann Gieseckes Konfliktdidaktik" 25

Vorlesung: Teilnahme wird empfohlen; Seminar: ja Arbeitszeitaufwand insgesamt 300 Stunden 10 LP Dauer des Moduls

Evaluationsbogen für die Zielgruppe Schüler vor Einführung des Projektes zum Thema Klimaschutz

Profil Geschichte und Theater:

Seite 0. Medien und Gewalt

Spanische Literatur. Literatursoziologie. Literaturtheorie (im weiteren Sinne) Literaturtheorie, Poetik (im engeren Sinne)

Akrobatik. Bewegungsfeld. Euro Moqs Referent und Autor dieses Beitrags: Marc Brüls, Dozent für Sport an der Autonomen Hochschule in der DG

Referate, Hausarbeiten, Semesterplan usw.

Gerold Scholzl Alexander Ruhl (Hrsg.) Perspektiven auf Kindheit und Kinder

Theorien der Erziehungswissenschaft

Masterstudiengang Philosophie Modulbeschreibungen nach den verabschiedeten Fassungen der Studien- und Prüfungsordnung

Figurencharakterisierung und figurenbezogene Informationsvermittlung in Kleists 'Die Verlobung in St. Domingo'

EINE VIELFALT AN INFORMATIONEN...

Metafiktionalität und Metalepsen in Daniel Kehlmanns "Ruhm"

Das Prinzip Hoffnung in den Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert

Bausteine für einen Elternabend rund ums Lesen

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Interpretation zu Stamm, Peter - Agnes

L L. Titel. Gegenstand/ Schulstufe. Bezug zum Fachlehrplan. Bezug zu BiSt. Von der Praxis für die Praxis

Erinnerung an eine Mode - Robert Musils Reflektion über die gesellschaftliche Reaktion auf die "Neue Frau" in den Mode-Essays von 1912 und 1929

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: "Im Herbste" von Theodor Storm - Unterrichtsbausteine

Die Bedeutung von Sprache in Peter Handkes "Wunschloses Unglück"

Modulübersichten Beifach Germanistik (B.A.)

Die Dreiecksbeziehung Kreisler, Julia und Hedwiga in "Die Lebensansichten des Katers Murr" von E.T.A Hoffmann

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Die Schülerinnen orientieren sich in Zeitungen.

"Sag mir wie ist Afrika?"

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Interpretation zu Storm, Theodor - Der Schimmelreiter

1 Was ist die Aufgabe von Erziehung? Erziehung als Reaktion auf die Entwicklungstatsache Der Erziehungsbegriff Klaus Beyers...

Schüler/-innen Feedback Oberstufe

Zwischen Hofkritik und bürgerlicher Selbstkritik

Modulkatalog. Philosophische Fakultät. Alte Geschichte. Programmformat: Minor 30. Studienstufe: Master. Gültig ab: Herbstsemester 2019

Die verschiedenen Schlüsse des "Iwein" - Präzedenzfall für den unfesten Text des Mittelalters

Klassenführungstraining Methodenmodul B PERSÖNLICHER BEOBACHTUNGSAUFTRAG. U Unterrichtsfluss

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Leonce und Lena" von Georg Büchner

Esther Köhler. omputbrspibib. und Gewalt. Eine psychologische Entwarnung AKADEMISCHER VERLAG

Einleitung. Textsorte Titel Autor Erscheinungsjahr Thema

Leitfaden ExpertInnenworkshops Wissenschaft zur Sprache bringen: die Synthetische Biologie in den Schlagzeilen

DAVID: und David vom Deutschlandlabor. Wir beantworten Fragen zu Deutschland und den Deutschen.

WS 1987/88: PS: Die Literatur der Inneren Emigration am Beispiel Ernst Jüngers

Die Epoche des Realismus von mit Fokussierung auf Theodor Fontanes Effi Briest

Vorwort zur 2. Auflage

Unterrichtseinheit zum Thema Klassische deutsche Kurzgeschichten"

Klischees. Arbeitsauftrag. Ziel. Die Sch erkennen, dass sich hinter den Klischees Innovation und Tradition verbirgt.

Thematischer Rahmen Klasse 9: Lebenswelt der Schüler (z.b. Freundschaft, Schule, erste Liebe, Erwachsen werden, Leben in der

Grimms Märchen Auseinandersetzung und Übersetzung in eine zeitgemässe Erzähl- und Präsentationsweise

Vorschlag für die Jahresplanung

Wer ist Harry Potter? Aufgabe Wer ist Momo? Aufgabe So beschreibe ich genau Aufgabe 20 23

Intertextualität in Cornelia Funkes 'Tintenherz'

Transkript:

Germanistik Juliane Kipp Kinder brauchen Märchen Studienarbeit

KINDER BRAUCHEN MÄRCHEN! 1 Einleitung...1 2 Allgemeine Aspekte zum Märchen...2 2.1 Definitionsversuche...2 2.2 Geschichte...4 2.3 Kennzeichen...4 3 Kinder brauchen Märchen...6 3.1 Was bewirken Märchen bei Kindern?...6 3.2 Bedeutungsanalyse Märchen Schneewittchen (nach Bruno Bettelheim)...12 4 Märchen in der Schule...15 4.1 Allgemein...15 4.2 Der Rahmenplan Grundschule zum Thema Märchen:...17 4.3 Im Rahmenplan Deutsch der Sek. II...18 4.4 Einsetzen des Märchens in der Schule...18 4.5 Lernziele...19 5 Literatur:...20 1 Einleitung Oft kommt es zu Diskussionen, ob Märchen überholt und altmodisch seien, ebenso grausam und fortschritts- und vernunftfeindlich, eine Welt der Täuschung (Immanuel Kant). Die Begründung für diesen Standpunkt wird darin gesehen, dass Märchen eine Gesellschaft präsentieren, die heute nicht mehr existiert. Außerdem gibt es genügend neue Formen der Unterhaltung, die für das Kind und den Erwachsenen interessant sind, und die sich allein durch Technik und neue Medien viel mehr mit den Ansprüchen der Menschen decken. Denn kaum jemand greift heute noch zum Märchenbuch! Stattdessen lassen sich die Menschen durch Zeitungen, Fernsehen, Videos, Hörfunk und Internet informieren und unterhalten. Kinder beschäftigen sich am liebsten mit Computerspielen, wenn sie nicht gerade im Sportverein sind, oder wenn es nichts schöneres im Fernsehen gibt. 1

Ziel dieser Arbeit ist es zu zeigen, dass Kinder (und auch Erwachsene) in unserer Zeit doch noch Märchen brauchen. Vor allem Kinder zeigen ein großes Interesse an den fantastischen Erzählungen, in der die Grenzen zur Wirklichkeit und zu Wunderbarem aufgehoben sind. Märchen sind in unserer Gesellschaft sehr wohl noch erwünscht und erzielen eine große Wirkung besonders auf Heranwachsende. Woran dies nun liegt, woher das Interesse an Märchen kommt und warum Märchen viele Menschen derartig in ihre Fesseln ziehen, soll in dieser Arbeit gezeigt werden. Dieser Teil der Arbeit, der nach einer allgemeinen Einführung in die Gattung Märchen folgt, soll ein Verständnis an Märchenwichtigkeit vermitteln, ebenso das Empfinden des pädagogischen Wertes von Märchendidaktik stärken. Der/Die junge LehrerIn soll dazu ermutigt werden, in seinem/ihrem Unterricht mit Märchen zu arbeiten. Am Bespiel Schneewittchen wird ein Interpretationsansatz von Bruno Bettelheim referiert, an dem einige grundlegende Aspekte des Märchens aufgezeigt werden. Ebenso wird an Schneewittchen gezeigt, wo der pädagogische Wert des Märchens uns seine Wirkung auf die Kinder gesucht werden kann. Der letzte Teil der Arbeit gibt einige Anregungen für die Umsetzung des Themas Märchen im Unterricht, und stützt sich auch auf den Rahmenplan Grundschule des Landes Hessen. 2 Allgemeine Aspekte zum Märchen 2.1 Definitionsversuche Die Verwendung des Wortes Märchen kann bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Zunächst hieß es jedoch Märlein, seit dem 18. Jh. wird Märchen verwendet. Der Begriff stammt von Maere ab, was so viel wie Kunde, Bericht, Erzählung, Gerücht bedeutet. Märchen sind hochkomplexe Phänomene, die Interpretationen vieler wissenschaftlicher Disziplinen wie etwa die der Literaturwissenschaft, Psychologie, Gesellschaftstheorie oder der der Volkskunde zulassen. Im Englischen (fairy tale) und im Französischen (Conte de fèe) wird mit der Bezeichnung für Märchen die Rolle der Fee betont, die jedoch nur in sehr wenigen Märchen auftritt. Märchen sind fantastische realitätsüberhobene variable Erzählungen, deren Stoff aus mündlicher und volkstümlicher Tradition stammt und bei jeder mündlichen oder schriftlichen Realisierung je nach Erzähltalent und intention oder nach stilistischen Anspruch anders gestaltet sein kann. Fest bleibt jedoch der Erzählkern Inhalte 2

sind frei erfunden und weder zeitlich noch räumlich festgelegt und von fantastischwunderbaren, den Naturgesetzen widersprechenden Figuren belebt und gestaltet. Bernd Wollenweber sagte zu den Märchen, dass sie nicht fantastisch und unrealistisch, sondern höchst realistisch sind. Sie geben Erfahrungen wieder, zeigen tatsächliche Konflikte, deren Aufhebung wunderbar ist. Außerdem betont er, dass Märchen nicht grausam sind, sondern lediglich die grausame Wirklichkeit wiederspiegeln. Wege zur Zielverwirklichung sind nicht wunderbar, sondern realistische Mittel wie List, Klugheit, usw. Lutz Röhrich sagt weiterhin, dass Märchen ein Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit sind, selbst im betont Unwirklichen steckt eine Aussage über Wirklichkeit. Meist sind Märchenmotive wunderbar und das Märchenthema wirklich, wie z.b. Konfliktsituationen wie Generationskonflikte, Untreue,... das Wunderbare zeigt sich meist im Zufall. Klaus Doderer: Kinderfiguren wirklichkeitsgetreu, Verhaltensweisen spiegeln gesellschaftlich vermittelte Werte wieder Lüthi: Märchen will nicht zeigen, wie es auf der Welt zugehen sollte, sondern wie es in Wahrheit zugeht. Kritisiert, dass nicht jedes Element in sich aufgenommen wird, z.b. wird nicht das Dazwischenliegende zwischen König und Bauer dargestellt, weil es das Wunderbare, Abenteuerliche stört. Karl Ernst Meier: Märchen ist äußerst wichtig für die sprachlich-literarische, geistigseelische, fantastisch-magische, ethische, existenzielle und personale Entwicklung des Kindes, insgesamt für dessen Sozialisation und Personalisation. Weiterhin zur Glaubwürdigkeit von Märchen: Märchen sind häufig Auseinandersetzungen mit den gegebenen Realitäten. Lediglich die Form des Märchens und die Transformation der tatsächlichen Umstände ins Fiktive, erweckt den Anschein, dass Märchen vollkommen bezugslos im Raum stehen. Man unterscheidet zwischen dem Volksmärchen und dem Kunstmärchen: Das VOLKSMÄRCHEN geht auf volkstümliches, anonymes Erzählgut zurück und ist eine kürzere volksläufig-unterhaltsame Prosaerzählung von fantastisch-wundersamen Begebenheiten ohne zeitlich und räumliche Festlegung. Dabei ist die Hauptfigur des Märchens stets so gezeichnet, dass sie zur Identifikation anregt. Es ist aus dem Erzählen des Volks hervorgegangen und hat den Zusammenhang mit der Erzählweise des Volkes nicht verloren. KUNSTMÄRCHEN sind einmalige Erfindungen und Fassungen namentlich bekannter Autoren, bewusste Kunstschöpfungen, dichterisch gestaltet. 3