Kitesurfen in Nord- und Ostsee

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Transkript:

POSITION KITESURFEN IN NORD- UND OSTSEE Kitesurfen in Nord- und Ostsee Im Konflikt von Wassersport und Naturschutz Kitesurfen ist eine Trendsportart und erfreut sich auch an den deutschen Küsten zunehmender Beliebtheit. Gleichzeitig häufen sich die Nachweise, dass von den schnell über das Wasser gleitenden Surfbrettern und den großen Lenkdrachen Gefahren für die Meeresnatur ausgehen. Insbesondere Störungen in Nahrungs- und Rastgebieten seltener Vögel führen zu einem zunehmenden Konflikt zwischen Wassersport und Naturschutz. Der NABU setzt sich für das Miteinander von Sport, Tourismus und Naturschutz ein, fordert jedoch klare Regeln für menschliche Aktivitäten in geschützten und sensiblen Lebensräumen. Kontakt NABU Bundesverband Dr. Kim Cornelius Detloff Teamleiter Meeresschutz Kim.Detloff@NABU.de Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Studien spricht sich der NABU für ein grundsätzliches Verbot des Kitesurfens in Nationalparken und weiteren Schutzgebieten im Meer und an den Küsten aus. Davon ausgehend können geeignete Gebiete identifiziert werden, die im Einzelfall über eine befristete Ausnahmengenehmigung für das Kitesurfen freigegeben werden, wenn eine negative Beeinträchtigung der Meeresnatur ausgeschlossen ist. Einleitung Das Kitesurfen entstand Mitte der 1990er Jahre in den USA und ist auch in Mitteleuropa weit verbreitet. Beim Kiten wird das beim ursprünglichen Windsurfen verwendete Segel durch einen Lenkdrachen ersetzt, der bis in eine Höhe von 25 Metern aufsteigt und den Sportler auf einem Surfbrett über das Wasser zieht. Der Geschwindigkeitsrekord des Kitesurfens liegt bei über 100 Stundenkilometern, in der Regel liegen die Geschwindigkeiten bei 30-40 Stundenkilometern. Typischerweise findet das Kitesurfen im flachen, küstennahen Wasser statt, woraus sich u.a. eine erhebliche Scheuchwirkung auf strandbrütende oder am Ufer rastende Vögel ergibt (LLUR 2010). Heute gibt es entlang der deutschen Küsten vielerorts Kiteschulen, und das Kitesurfen wurde in das Angebot von Wassersportvereinen bzw. -verbänden integriert. Die Mehrzahl der Kitesurfer übt ihren Sport individuell aus und ist nicht in Vereinen organisiert. Dadurch werden die Ansprache und das Festlegen von Regeln im Unterschied zum organisierten Breitensport erschwert. Die tatsächliche Zahl der Kitesurfer kann schwer beziffert werden. Allein im Jahr 2011 wurden nach Aussage des Magazins Kite in Deutschland 18.000 Kitedrachen verkauft.

2 Nicht allein das Kitesurfen führt zu Konflikten mit dem Meeres- und Küstennaturschutz. Auch andere Sportarten wie Wasserski und Motorboot fahren, Segeln oder Freizeitangeln, aber auch unachtsame Jogger, Radfahrer, Spaziergänger und freilaufende Hunde können die Natur stören und den Schutzgebietszielen zuwiderlaufen. Es ist dann die Vielzahl der Störungen, die sich in der Summe negativ auf die geschützten Arten auswirkt (Liley et al. 2011). Die Schwerpunktgebiete des Kitesurfens in Deutschland verteilen sich entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste. Im Wattenmeer sind es insbesondere die ost- und nordfriesischen Inseln, aber auch Gebiete um Norddeich in Niedersachsen und bei St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein. An der Ostsee gibt es u.a. bekannte Surfgebiete auf Fehmarn, auf dem Darß und vor Rügen. Zustand von Nord- und Ostsee Die deutschen Meeresgewässer sind in keinem guten ökologischen Zustand. Die EU- Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) stellte den Lebensgemeinschaften der Nordund Ostsee ein alarmierendes Zeugnis aus. Nahezu alle untersuchten Merkmale, auch die Vögel, erreichten nicht den gewünschten Umweltzustand (BMUB 2012). Der Grund dafür sind die verschiedenen anthropogenen Aktivitäten. Neben der Fischerei, dem Rohstoffabbau und der Belastung durch Nähr- und Schadstoffe gehören auch die unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten und der Tourismus dazu. Deutschlands Meeresschutzgebiete Etwa 47 Prozent der deutschen Nord- und Ostsee stehen unter dem Schutz von Natura 2000. Darunter fallen die geschützten Gebiete nach EU-Vogelschutzrichtlinie und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie). In ihnen hat der Schutz von Schweinswalen und Seehunden, Zwergseeschwalben und Sterntauchern, aber auch von Lebensräumen wie Seegraswiesen, Sandbänken oder Miesmuschelbänken Vorrang vor menschlichen Interessen. Abbildung 1: Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 in der deutschen Nord- und Ostsee (Quelle: NABU). Weltnaturerbe Wattenmeer Die deutschen Küstenbundesländer erklärten das Wattenmeer zwischen 1985 und 1990 zum Nationalpark, der höchsten deutschen Schutzgebietskategorie. 2009 wurde das

3 deutsche Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Es ist die größte Wattlandschaft der Welt und besitzt eine sehr hohe Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt, unter anderem als Rast- und Brutgebiet für unterschiedlichste Vogelarten, als Drehkreuz des internationalen Vogelzugs sowie als Lebensraum für Meeressäugetiere. Darüber hinaus ist das Wattenmeer als Biosphärenreservat der UNESCO, als europäisches Vogelschutz- und FFH-Gebiet, als besonders empfindliches Meeresgebiet der Internationalen Schifffahrtsorganisation sowie als Feuchtgebiet internationaler Bedeutung der Ramsar-Konvention anerkannt. Meeresschutzgebiete der Ostsee Auch weite Teile der deutschen Ostsee stehen unter Schutz. Mit Blick auf die Nutzung durch Wassersportler sind hier die Gewässer um Fehmarn mit dem FFH-Gebiet Küstenstreifen West- und Nordfehmarn oder dem Naturschutzgebiet Grüner Brink, der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft und auch die FFH- und Vogelschutzgebiete im Greifswalder Bodden und Strelasund hervorzuheben. Die Ostsee ist das weltgrößte Brackwassermeer. Sie ist geprägt durch das Nebeneinander von marinen sowie limnischen Arten und Habitaten. Auch ihre Küsten sind von außerordentlicher Bedeutung für den internationalen Vogelzug. Anthropogene Störeffekte bei Vögeln REICHHOLF (2001) definiert Störungen als Unterbrechung lebenswichtiger Aktivitäten wie Nahrungssuche, Brüten, Füttern oder sich fortpflanzen. Die Signifikanz der Störung ist dabei abhängig von ihrer Intensität, Dauer und Frequenz (KRÜGER 2016). Die Bewertung von Störungen hängt von zahlreichen Faktoren ab: Entfernung und Art der Störung, Häufigkeit, Jahres- und Tageszeit, betroffene Arten und Lebensstätten. Bei Vögeln wurden unterschiedliche physiologische Reaktionen auf Störungen nachgewiesen, z. B. Veränderungen der Herzfrequenz und der Körpertemperatur. Zudem kommt es zu Verhaltensänderungen, die sich durch eine erhöhte Wachsamkeit, Unterbrechung der Nahrungsaufnahme oder auch Fluchtreaktionen äußern (FOLLESTAD 2012, WESTON ET AL. 2012). Störeffekte können sehr weitreichend sein. MENDEL & GARTHE (2010) wiesen eine Fluchtdistanz von Stern- und Prachttauchern vor vorbeifahrenden Schiffen in einer Entfernung von zwei bis vier Kilometern nach. Wiederkehrende Störungen können sich dabei langfristig negativ auf die Populationsentwicklung auswirken. Rast- und Brutplätzen gehen verloren, der Fortpflanzungserfolg geht zurück- und die Fitness der Tiere nimmt ab (RAVENSCROFT 2012, LILEY ET AL. 2011). Als besonders schwerwiegend gelten Störungen an Rastplätzen bei der Nahrungsaufnahme zu Zeiten des Vogelzugs (GOSS-CUSTARD ET AL. 2006). Die Vögel sind darauf angewiesen, Energiereserven und Fettdepots für die tausende Kilometer weiten Wanderungen aufzubauen. Zu diesem Grund steuern sie z.b. auch die nahrungsreichen Gebiete des Wattenmeers an. Beim Fliegen erhöht sich die Stoffwechselrate von Vögeln um das 12fache (WARD & ANDREWS 1993). SCHILPEROORD & SCHILPEROORD-HUISMANN (1984) dokumentierten, dass Kurzschnabelgänse jede Minute durch Störungen verursachte Flugzeit durch bis zu zwei Minuten Nahrungsaufnahme kompensieren müssen. In der Konsequenz führen wiederholte Störungen von Vögeln zum rapiden Abbau der körperlichen Fitness. Vögel nehmen Menschen dabei i. d. R. als Beutegreifer war und zeigen daher allgemein typische Anti-Prädator-Verhaltensweisen (FRID & GILL 2004).

4 In der Vergangenheit beschäftigten sich wissenschaftliche Untersuchungen mehrheitlich mit anderen Wassersportaktivitäten wie Windsurfing oder Bootsverkehr (MADSEN 1998) oder auch Störungen durch Spaziergänger und Hunde (GOMPPER 2014). Aus jüngerer Zeit liegen erste Studien vor, die sich explizit mit den Auswirkungen des Kitesurfens auf Vögel beschäftigen (Abb. 2). Abbildung 2: Trendsportart Kitesurfen im Konflikt mit dem Küsten- und Meeresnaturschutz ( NABU/W.Musterer, Arco Images GmbH). Auswirkungen des Kitesurfens auf Vögel Die Lenkdrachen beim Kitesurfen werden von Vögeln wie auch andere Wasserfahrzeuge als optische Störung wahrgenommen. Dabei ist nicht abschließend geklärt, ob der Drachen als Silhouette eines Greifvogels wahrgenommen wird. Abstürzende Drachen lösen zudem einen lauten akustischen Reiz aus (DAVENPORT & DAVENPORT 2006). KRÜGER (2016) analysierte 16 wissenschaftliche Studien, die sich mit den Auswirkungen des Kitesurfens auf Vögel in Küstenlebensräumen und Binnengewässern beschäftigten. So wies im Jahr 2012 Lineker am Teesmouth (England) nach, dass etwa 40 Prozent der durch Kitesurfer verursachten Störungen dazu führten, dass Watvögel und Seeschwalben ihr angestammtes Rastgebiet verließen. BLÜML ET AL. (2013) führten Untersuchungen im niedersächsischen Wattenmeer durch und stellten fest, dass Kitesurfer für die Hälfte aller protokollierten Störungen bei Dornumersiel und Neuharlingersiel verantwortlich waren, die sich im Auffliegen von Ringelgänsen, Eiderenten, Watvögeln und Möwen äußerten. SCHIKORE ET AL. (2013) dokumentierten im Wurster Land ein Störpotential von Kitesurfern auf Wasservögel in einem Wirkungsbereich von 400 Metern. Während VERBEEK & KRUGSVELD (2013) im Deltagebiet von Rotterdam sogar einen notwendigen Mindestabstand zu Brutgebieten von mindestens 700 Metern ermittelten, um starke Störungen durch Kitesurfer zu vermeiden. Dabei ist zu beachten, dass verschiedene Vogelarten sehr unterschiedliche Fluchtdistanzen zu Kitesurfern zeigen, die zwischen wenigen hundert Metern bei Strandläufern bis über zwei Kilometer bei Seetauchern liegen (Abb. 3).

5 Abbildung 3: Art- oder gruppenspezifische Fluchtdistanzen verschiedener Vogelarten (Grafik aus Krüger 2016). Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Vogeldichte nimmt bei Anwesenheit von Kitesurfern nachhaltig ab. Das Kitesurfen vertreibt potentiell alle in einem Gebiet anwesenden Rastvögel; der Effekt wird bereits durch einen einzelnen Kiter ausgelöst. Die Störeffekte äußern sich auch einen Tag später in einer reduzierten Individuendichte. Das Kitesurfen verschlechtert die Nahrungsverfügbarkeit vieler Vogelarten, da tidebedingte Zeitfenster zur Nahrungssuche weiter begrenzt werden. Häufige Standortwechsel und Störungen wirken sich nachteilig auf den notwendigen Aufbau von Fettreserven für den Vogelzug aus. Es konnten keine Gewöhnungseffekte der Vögel beobachtet werden. Die Summationswirkungen mit anderen Freizeitaktivitäten sind erheblich. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass ein ungeregeltes Kitesurfen den Erhaltungszustand der Vogellebensräume und der darin vorkommenden Arten erheblich beeinträchtigt. Es gibt noch keine Untersuchungen, die sich explizit mit den Auswirkungen des Kitesurfens auf Meeressäugetiere befassen. Jedoch lassen sich auch ausgeprägte Fluchtund Ausweichreaktionen von Seehunden und Kegelrobben beobachten, wenn sich Kitesurfer den beliebten Liegeplätzen der Tiere nähern.

6 Regulierungen in Nord- und Ostsee Kitesurfen ist eine junge Sportart. Daher finden sich heute keine spezifischen Regelungen in den Nationalparkgesetzen der Küstenbundesländer. In den Gesetzestexten für das niedersächsische und hamburgische Wattenmeer wird das Kitesurfen als Drachen- Steigenlassen behandelt. Es ist in der Ruhe- und Zwischenzone verboten und nur in der Erholungszone erlaubt. Im Gesetz zum Schutz des schleswig-holsteinischen Wattenmeers fällt das Kitesurfen unter das Fahren mit einem Wasserfahrzeug bzw. Sportgerät. Die Küstengewässer des Wattenmeers unterliegen dem Bundeswasserstraßenrecht, für welches das Bundesverkehrsministerium zuständig ist. Die aktuelle Verordnung über das Befahren der Bundeswasserstraßen in Nationalparken im Bereich der Nordsee (NPNordSBefV) schreibt in 2 vor, dass sich die Verkehrsteilnehmer in den Nationalparken so zu verhalten haben, dass die Tierwelt nicht geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, gestört wird. Für das Jahr 2016 plant das Bundesverkehrsministerium eine Aktualisierung der Befahrensverordnung. Die derzeitige Verordnung wurde noch nicht an die novellierten Nationalparkgesetze Schleswig-Holstein und Niedersachsens angepasst. Der Antrag auf Novellierung der Befahrensordnung soll für alle drei Wattenmeer-Nationalparke einheitliche Regelungen (Gesamtkonzept) für motorisierte Wasserfahrzeugen und nichtmotorisierte Fahrzeuge wie See-Kajaks vorgeschlagen. Zukünftig sollen auch von einem Drachen gezogene Fahrzeuge (Kitesurfen und Parasailing) berücksichtigt werden. Um den Kitesport im Nationalpark zu regeln, wurden in Niedersachsen gemeinsam mit Ämtern, Gemeinden, Tourismuszentralen, Kite-Initiativen und Naturschutzvereinen Kitesurfgebiete identifiziert und ausgewiesen. Auf diesen Flächen kann das Kitesurfen auf Antrag befristet erlaubt werden. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es ebenfalls eine Verordnung über das Befahren der Bundeswasserstraßen in Nationalparken und Naturschutzgebieten im Bereich der Küste von Mecklenburg-Vorpommern (NPBefVMVK), die in 2 Abs. 2 vorgibt, dass sich die Verkehrsteilnehmer so zu verhalten haben, dass die Tierwelt nicht geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, gestört wird. Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft gilt ein grundsätzliches Verbot für Surfer und Kitesurfer. Informationen zur Regulierung und Ausweisung von Kitezonen: http://www.nationalpark-wattenmeer.de/nds/nationalpark/erlaubt-verboten/kitesurfen http://www.schleswigholstein.de/de/fachinhalte/n/naturschutz/kitesurfen_feb2016.html http://www.nationalpark-vorpommerscheboddenlandschaft.de/vbl/index.php?article_id=153

7 Schlussfolgerungen und Forderungen Der NABU steht für das Miteinander von Sport, Tourismus und Naturschutz unter Einhaltung geltenden Naturschutzrechts. Der NABU lehnt das Kitesurfen in Nationalparken und EU-Vogelschutzgebieten ab. In einem Abstand von 1000 Metern zu den Schutzgebietsgrenzen sollte ebenfalls kein Kitesurfen erlaubt sein. Der NABU unterstützt die Ausweisung von Kitesurfzonen an ausgewählten Standorten außerhalb der Schutzgebiete und per Ausnahmegenehmigung in großen Schutzgebieten unterschiedlicher Zonierung, wenn negative Auswirkungen auf die Meeresnatur ausgeschlossen sind. Die Kernzonen der Nationalparks bleiben von der Ausweisung ausgenommen. Die Ausweisung der Kitesurfzonen unterliegt einer Einzelfallprüfung. Es müssen artspezifische Wirkradien berücksichtigt werden und negative Auswirkungen auf die Tierwelt vermieden werden. Die Verträglichkeit des Kitesurfens ist im Rahmen einer FFH- Verträglichkeitsprüfung vor Ausweisung der Zonen nachzuweisen. Die Befahrensverordnungen für die Bundeswasserstrassen müssen an die aktuellen naturschutzfachlichen Erkenntnisse und rechtlichen Rahmenbedingen angepasst werden. Die Zulassung der Kitesurfzonen erfolgt befristet durch die verantwortliche Naturschutzbehörde und kann bei Verstößen gegen die Bestimmungen widerrufen werden. Die Einhaltung der Vorschriften sollte von der Wasserschutzpolizei kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Es müssen unabhängige wissenschaftliche (Langzeit-)Studien initiiert werden, die sich mit den Auswirkungen von Freizeitaktivitäten auf die individuellen Schutzgebietsziele in der Nord-und Ostsee auseinandersetzen. Kitesurfen und potentielle Umweltfolgen sollte im kumulativen Zusammenhang mit anderen Aktivitäten bewertet werden. Es sollten allgemeingültige Managementplan für Wassersportaktivitäten erarbeitet werden. Es bedarf sozial-ökologischer Studien über das Kitesurfen, um zeitliche und räumliche Konfliktanalysen zu erarbeiten und die Ansprache und Sensibilisierung der Kitesurfszene zu naturschutzfachlichen Fragen zu erleichtern.

8 Literatur BLÜML, V., A. DEGEN, D. FRANK & A. SCHÖNHEIM (2013): Auswirkungen des Kite-Surfens an den Standorten Dornumersiel und Neuharlingersiel auf Rastvögel im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer Avifaunistische Begleituntersuchung 2012-2013. Gutachten i. A. der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, 46 Seiten. BMSUmweltplanung, Osnabrück. BMUB 2012. Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie RICHTLINIE 2008/56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie) Anfangsbewertung der deutschen Nordsee nach Artikel 8 Meeresstrategie- Rahmenrichtlinie. DAVENPORT, J. & J. L. DAVENPORT (2006): The impact of tourism and personal leisure transport on coastal environments: A review. Estuarine, Coastal and Shelf Sci. 67: 280-292. FOLLESTAD, A. (2012): Kunnskapsoversikt over effekter av forstyrrel-ser på fugler: Innspill til forvaltningsplaner for Lista- og Jærstrendene. NINA Rapport 851, 45 Seiten. Norsk institutt for naturforskning, Lillehammer. FRID, A. & L. DILL (2002): Human-caused disturbance stimuli as a form of predation risk. Conserv. Ecol. 6: http://www.consecol.org/journal/vol6/iss1/art11/print.pdf. GOMPPER, M. E. (ed., 2014): Free-Ranging Dogs and Wildlife Conservation. Oxford. Univ. Press, Oxford. GOSS-CUSTARD, J. D., P. TRIPLET, F. SUEUR & A. D. WEST (2006): Critical thresholds of disturbance by people and raptors in foraging wading birds. Biol. Conserv. 127: 88-97. Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (LLUR). Erfassung & Bewertung seewärtiger Störungen in Ostsee-Naturschutzgebieten (2010). LINAKER, R. (2012): Recreational Disturbance at the Teesmouth and Cleveland Coast European Marine Site. Bird Disturbance field work Winter 2011/2012. Report commissioned by Natural England, 44 Seiten. University of York, York. KRÜGER, T. (2016). Zum Einfluss von Kitesurfen auf Wasser- und Watvögel eine Übersicht. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen. 36 im Druck. LILEY, D., CRUICKSHANKS, K., WALDON, J. & FEARNLEY, H. (2011). Exe Estuary Disturbance Study. Footprint Ecology.

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