Perioperative venöse Thromboembolie-Prophylaxe bei neurochirurgischen Patienten

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Transkript:

Originalie Perioperative venöse Thromboembolie-Prophylaxe bei neurochirurgischen Patienten GERHARD PINDUR, UNIVERSITÄTSKLINIKUM DES SAARLANDES, INSTITUT FÜR KLINISCHE HÄMOSTASEOLOGIE UND TRANSFUSIONSMEDIZIN, HOMBURG (SAAR) Aus dieser Anwendungseinschränkung einerseits und der Forderung nach wirksamer Prävention von venösen Thromboembolien andererseits ergibt sich ein gravierendes Problem für das adäquate perioperative Management bei neurochirurgischen Patienten. Durch Verwendung von Kompressionsstrümpfen alleine werden vergleichsweise hohe Phlebothromboseraten von 32% bei neurochirurgischen Patienten beobachtet. Das Risiko für venöse Thromboembolien liegt bei neurochirurgischen Operationen in einer vergleichbaren Größenordnung wie in der Allgemeinchirurgie. Die Durchführung einer medikamentösen Prophylaxe ist in der operativen Medizin neben physikalischen Antithrombosemaßnahmen Standard und wird in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie über die Stationäre und ambulante Thromboembolieprophylaxe in der Chirurgie und operativen Medizin gefordert [2]. Als Antithrombotika werden im Allgemeinen unfraktioniertes Heparin (UFH) bzw. niedermolekulare Heparine (NMH) und andere gerinnungshemmende Pharmaka eingesetzt. Aus ihrer Hauptwirkung resultieren die gesteigerte Blutungsbereitschaft und das Auftreten von Blutungskomplikationen als wichtigste Nebenwirkungen. In diesem Zusammenhang stellen intrakranielle Blutungen und neurochirurgische Eingriffe nach Angaben der Produkthersteller ausnahmslos eine Kontraindikation für den prophylaktischen und therapeutischen Einsatz von UFH und NMH dar. Aus dieser Anwendungseinschränkung einerseits und der Forderung nach wirksamer Prävention von venösen Thromboembolien andererseits ergibt sich ein gravierendes Problem für das adäquate perioperative Management bei neurochirurgischen Patienten. Mechanische Methoden der Prophylaxe von venösen Thromboembolien in der Neurochirurgie Die ACCP empfiehlt in ihren neueren Richtlinien mechanische Maßnahmen in Form der intermittierenden pneumatischen Kompression (IPC) mit und ohne elastische Strümpfe als Standard zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien (VTE) in der Neurochirurgie [1]. Ob die zusätzliche Gabe von UFH und NMH in prophylaktischer Dosierung die Risikoreduktion von VTE verstärkt, wird diskutiert. Eine Festlegung auf klare Protokolle zur Anwendung in der Neurochirurgie liegt derzeit aber nicht vor [3, 5, 6, 7, 8, 12]. Der entscheidende Vorteil der IPC, die ihren optimalen Effekt bei kontinuierlicher Anwendung erreicht, liegt in ihrer Sicherheit gegenüber postoperativen intrakraniellen Blutungen [3, 10, 16]. Der erhöhte Aufwand beim praktischen Einsatz der IPC ist allerdings ein limitierender Faktor für die flächendeckende Anwendung in der klinischen Routine. Durch Verwendung von Kompressionsstrümpfen alleine werden vergleichsweise hohe Phlebothromboseraten von 32% bei neurochirurgischen Patienten beobachtet [3]. 20 VASCULAR CARE 2/2006 VOL. 11

Unfraktioniertes Heparin Generell steht fest, dass die prophylaktische Anwendung von unfraktioniertem Heparin (UFH) in der Allgemeinchirurgie und anderen chirurgischen Disziplinen die Inzidenz von tiefen Venenthrombosen (TVT) um etwa ein Drittel und von Lungenembolien (LE) auf etwa die Hälfte senkt. In einer frühen Studie konnten bereits Wirksamkeit und Sicherheit von UFH in niedriger Dosis auch bei neurochirurgischen Patienten belegt werden [4]. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2000 wurde eine etwa 45%ige Risikoreduktion für VTE unter UFH und NMH festgestellt [14]. Optimale Ergebnisse, um eine VTE zu vermeiden, wurden durch die Kombination von pneumatischer Kompression mit Heparin erreicht [9]. Dem Vorteil der VTE-Reduktion steht das Blutungsrisiko in Bezug auf intrakranielle Hämatome (ICH) gegenüber. Bei einer Bestandsaufnahme im Jahr 2001 aus den Daten zahlreicher Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit einer zwei- bis dreimal täglichen UFH-Gabe (5.000 I.E.) in der perioperativen Periode wurde eine Blutungsrate von 1,3 bis 5,2% versus 2,0 bis 4,3% in der Kontrollgruppe festgestellt [18]. Unter einer Prophylaxe mit zweimal täglich 5.000 I.E. UFH in der postoperativen Periode innerhalb von 24 Stunden nach dem neurochirurgischen Eingriff waren keine postoperativen Blutungen zu beobachten [9]. Eine Literaturübersicht aus dem Jahre 1998 zeigte bei insgesamt 1.612 Patienten mit postoperativ begonnener subkutaner Heparin- Prophylaxe (n=785) eine Blutungsrate von 1,2% versus 1,7% bei den Kontrollgruppen [20]. Dementsprechend wird das Blutungsrisiko mehrheitlich als gering eingeschätzt und die Low-dose-Gabe von UFH zur postoperativen Thromboseprophylaxe befürwortet. Die UFH-Gabe innerhalb von 72 Stunden nach Aufnahme verursachte bei Patienten mit akutem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) keine höheren Blutungsraten als ein späterer Prophylaxebeginn [15]. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Studien, in denen UFH innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme eines SHT gegeben wird, bisher nicht vorliegen. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2000 wurde eine etwa 45%ige Risikoreduktion für VTE unter UFH und NMH festgestellt. Dem Vorteil der VTE-Reduktion steht das Blutungsrisiko in Bezug auf intrakranielle Hämatome (ICH) gegenüber. VASCULAR CARE 2/2006 VOL. 11 21

Originalie GERHARD PINDUR, UNIVERSITÄTSKLINIKUM DES SAARLANDES, INSTITUT FÜR KLINISCHE HÄMOSTASEOLOGIE UND TRANSFUSIONSMEDIZIN, HOMBURG (SAAR) Niedermolekulare Heparine (NMH) haben sich im Vergleich zu UFH in der Allgemeinchirurgie und anderen chirurgischen Fachgebieten als gleichwertiger bis besser wirksamer sowie sicherer Standard zur VTE-Prophylaxe durchgesetzt. Niedermolekulare Heparine Niedermolekulare Heparine (NMH) haben sich im Vergleich zu UFH in der Allgemeinchirurgie und anderen chirurgischen Fachgebieten als gleichwertiger bis besser wirksamer sowie sicherer Standard zur VTE-Prophylaxe durchgesetzt. Allerdings wurden bei allen Zulassungsstudien von NMH für die Prophylaxe in der operativen Medizin neurochirurgische Patienten ausgeschlossen. Auf Grund der Forderung, die VTE- Prävention auch in diesem Fachgebiet zu optimieren, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien mit NMH bei neurochirurgischen Patienten durchgeführt. Studien mit NMH bei neurochirurgischen Patienten Eine Studie mit Enoxaparin musste wegen einer hohen ICH-Rate vorzeitig abgebrochen werden [7]. Die Enoxaparin-Behandlung wurde dort präoperativ mit einer Dosis von 30 mg alle zwölf Stunden begonnen; die Kontrollgruppe erhielt eine Stufenkompressionsbehandlung. Die vorgenannte Metaanalyse zeigte eine 38%ige Risikoreduktion für VTE unter NMH sowie eine Gesamtblutungsrate von 4,1 bis 11,8% versus 1,2 bis 7,1% in den Kontrollgruppen [14]. Das Risiko, ein ICH zu erleiden, lag unter NMH zwischen 2,2 und 2,6% versus 0,8 bis 2,6% in den Kontrollgruppen. Bei 150 Patienten mit Hirntumoren wurden prospektiv Wirksamkeit und Sicherheit von UFH gegenüber NMH (Enoxaparin) verglichen. In beiden Kollektiven (UFH und NMH) ließ sich eine statistisch nicht unterschiedliche VTE-Gesamtrate von 9,3% ohne symptomatische Manifestationen nachweisen [12]. Zwei Patienten in der Enoxaparin-Gruppe hatten größere Blutungskomplikationen, in einem Fall trat ein ICH auf. In einer neueren Studie mit kraniotomierten Patienten wurden Wirksamkeit und Sicherheit von UFH (zweimal täglich 5.000 I.E. ab OP- Beginn) mit Dalteparin (einmal täglich 2.500 I.E. ab OP-Beginn) verglichen [16]. In der UFH- Gruppe (n = 49) kam es zu keiner TVT; im NMH- Kollektiv erlitten zwei von insgesamt 51 Patienten eine TVT. Zwei postoperative Blutungen waren in der NMH-Gruppe zu verzeichnen; sie konnten konservativ behandelt werden. In der UFH-Gruppe trat eine chirurgisch interventionspflichtige postoperative Blutung auf. 22 VASCULAR CARE 2/2006 VOL. 11

Die vorgenannten Studien umfassten Fallzahlen von mehrheitlich unter 200 Patienten. Im Gegensatz hierzu wurde in einer größeren, nicht randomisierten Studie der letzten Jahre der Einfluss von NMH auf postoperative interventionspflichtige Blutungen prospektiv untersucht [11]. Die Prophylaxe wurde mit Nadroparin (0,3 ml s.c. einmal täglich) durchgeführt und jeweils innerhalb von 24 Stunden nach dem operativen Eingriff begonnen. Die Inzidenzrate von postoperativen, chirurgisch revisionspflichtigen Blutungen lag mit 43 von 2.823 Patienten bei 1,5%. In keinem Fall trat eine tödliche Blutungskomplikation auf. Klinisch manifeste VTE wurden bei 0,25% der Fälle (7 von 2.823) beobachtet [11]. Die vorgenannten Studienergebnisse beziehen sich mehrheitlich auf elektive neurochirurgische Eingriffe. Im Gegensatz hierzu gibt es nur wenige Untersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit von UFH oder NMH bei gedecktem SHT. In einer neueren Studie wurde SHT-Patienten Enoxaparin 24 Stunden nach Aufnahme verabreicht. In sechs von 150 Fällen (4%) ließ sich eine ICH-Zunahme nachweisen. Bei zwei Patienten trat eine tiefe Venenthrombose auf [17]. Lungenembolien wurden nicht beobachtet. In Relation zu den allgemeinen, computertomografisch gesicherten Erfahrungswerten einer etwa 12%igen Inzidenzrate für die ICH-Progression beim gedeckten SHT wird das Prophylaxeregime mit NMH als vergleichsweise sicher interpretiert. Schlussfolgerung Die VTE-Prophylaxe bei neurochirurgischen Patienten wird nach wie vor kontrovers beurteilt [1, 5, 7, 12, 18, 19]. Einer VTE-Rate von 22 bis 32% ohne medikamentöse Prophylaxe steht weiterhin das erhöhte Risiko von postoperativen Blutungen, insbesondere von ICH, mit bis zu 10,9% unter UFH bzw. NMH gegenüber. ICH sind einerseits mit einem gesteigerten Mortalitätsrisko assoziiert; in erhöhtem Maße resultiert aus einer ICH aber auch eine hohe Morbiditätsrate mit eingeschränkter Lebensqualität bei neurologischem Defizit und ungünstiger Langzeitprognose. Klare Vergleichsanalysen über verhinderte tiefe Venenthrombosen, die als alleiniges Verschlussereignis einen relativ niedrigen Krankheitswert bedeuten, gegenüber häufigeren ICH mit hohem Morbiditätsrisiko werden in den vorgenannten Studien nicht eindeutig erstellt. Auch eine Gegenüberstellung von tödlichen ICH einerseits und tödlichen Lungenembolien andererseits in Relation zur Prophylaxe mit und ohne UFH bzw. NMH ist bisher unterblieben. Die vorliegenden Studienergebnisse haben jedoch zu einem besseren Verständnis für die Modalitäten der prophylaktischen Anwendung von UFH und NMH in der Neurochirurgie beigetragen. So erscheint die Sicherheit in Bezug auf postoperative Blutungen akzeptabel, sofern die prophylaktische Gabe von UFH oder NMH frühestens 24 Stunden nach Beendigung eines neurochirurgischen Eingriffs oder nach Aufnahme eines Patienten mit SHT erfolgt und die Tagesdosierung auf den mittleren prophylaktischen Bereich beschränkt bleibt. Die VTE-Prophylaxe bei neurochirurgischen Patienten wird nach wie vor kontrovers beurteilt. So erscheint die Sicherheit in Bezug auf postoperative Blutungen akzeptabel, sofern die prophylaktische Gabe von UFH oder NMH frühestens 24 Stunden nach Beendigung eines neurochirurgischen Eingriffs oder nach Aufnahme eines Patienten mit SHT erfolgt und die Tagesdosierung auf den mittleren prophylaktischen Bereich beschränkt bleibt. VASCULAR CARE 2/2006 VOL. 11 23

Originalie GERHARD PINDUR, UNIVERSITÄTSKLINIKUM DES SAARLANDES, INSTITUT FÜR KLINISCHE HÄMOSTASEOLOGIE UND TRANSFUSIONSMEDIZIN, HOMBURG (SAAR) Unabhängig von der aktuellen Studienlage muss festgestellt werden, dass bis dato noch keine Einigung über ein standardisiertes Konzept zur Prophylaxe von VTE mit UFH oder NMH in der Neurochirurgie erzielt wurde. Unabhängig von der aktuellen Studienlage muss festgestellt werden, dass bis dato noch keine Einigung über ein standardisiertes Konzept zur Prophylaxe von VTE mit UFH oder NMH in der Neurochirurgie erzielt wurde. Da Blutungsraten in den Studien mit NMH häufiger beobachtet werden als in Studien mit UFH, ist zu überlegen, ob der Einsatz von UFH im OP-nahen Zeitabschnitt, auch angesichts seiner Antagonisierbarkeit, und die Umsetzung auf NMH in der späteren postoperativen Phase Vorteile bringen könnte. Auf Grund ihrer Sicherheit in Bezug auf Blutungskomplikationen und ihrer nachweislichen, wenngleich nicht optimalen Effektivität stellen physikalische Methoden unter Einbeziehung der IPC eine Basismaßnahme zur Prophylaxe von VTE in der Neurochirurgie dar. Die zusätzliche Anwendung von UFH oder NMH sollte einer strengsten Nutzen-Risikoabwägung unterliegen und insbesondere bei Patienten mit nachweislicher thrombophiler Diathese entschieden werden. Hierbei sollten die Wahl des antithrombotisch wirksamen Produkts und die Modalitäten seiner Anwendung mit Bezug auf die vorgenannten Studien erfolgen. Zusammenfassung Die Inzidenz von venösen Thromboembolien bei neurochirurgischen Patienten liegt in der gleichen Größenordnung wie in der Allgemeinchirurgie. Physikalische Methoden unter Einschluss der intermittierenden pneumatischen Kompression stellen eine Basismaßnahme der Prophylaxe dar. Die zusätzliche Anwendung von unfraktioniertem Heparin (UFH) oder niedermolekularen Heparinen (NMH) in prophylaktischer Dosierung bietet den Vorteil einer gesteigerten Wirksamkeit in Hinblick auf die Reduktion von venösen Thromboembolien, aber auch den Nachteil von höheren Blutungsraten mit möglichen fatalen intrakraniellen Hämorrhagien. Die Ergebnisse mehrerer Studien zu dieser Fragestellung auf neurochirurgischem Gebiet zeigen positive Perspektiven auf; sie werden aber weiterhin kontrovers diskutiert und haben bislang noch nicht zu einem einheitlichen Standard für UFH bzw. NMH zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien in der Neurochirurgie geführt. 24 VASCULAR CARE 2/2006 VOL. 11

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