Software als Treiber von Prozess-Outsourcing Martin Böhn Martin Böhn, Dipl.-Kfm., forscht und arbeitet im Segment Dokumenten-Management / Enterprise Content Management des Business Application Research Centers (BARC), einer Ausgründung des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Universität Würzburg. In diesem Zusammenhang hat er mehrere Studien und Marktübersichten erstellt. Bei der Einführung neuer Technologien und der damit verbundenen Ablaufstrukturen stehen Unternehmen vor der Entscheidung, ob diese eigenständig aufgebaut oder ganze Prozesse an externe Dienstleister abgegeben werden sollen. Software wird damit zu einem Anlass für Outsourcing-Projekte, da die enthaltenen Funktionalitäten ein Umdenken in den bisherigen Arbeitsweisen bis hin zu Änderungen der Organisationsstruktur erfordern. Der Beitrag beschreibt die verschiedenen Argumente für und gegen die Auslagerung anhand zweier Beispiele aus dem Bereich des Enterprise Content Managements. 1 Kernfragen des Outsourcing bei Software-Einführungen Die Auswahl möglicher Software, der Aufbau von Know-how für Einführung, Betrieb und Wartung, die Kosten der Software-Anschaffung sowie des Software-Betriebs und der eigenverantwortlichen Prozesssteuerung sind Faktoren, die Unternehmen dazu bewegen, Angebote von Dienstleistern genau zu prüfen. Im Umfeld der Nutzung von Software ohne Bereitstellung eigener Ressourcen werden zwei Formen unterschieden, das Application Service Providing sowie das vollständige Prozess- Outsourcing. Beide Ansätze verfolgen das Ziel, die Total Costs of Ownership der Software für das auslagernde Unternehmen zu senken, die vorhandenen IT-Abteilungen zu entlasten bzw. Neueinstellungen zu umgehen sowie Investitionen in Hard- und Software zu vermeiden. Weitere Vorteile, die eher dem Bereich der strategischen Ausrichtung des Unternehmens zuzuordnen sind, werden in der schnelleren Nutzbarkeit der Systeme sowie der leichteren Anpassung an technologische Neuerungen gesehen. Bedenken werden dagegen wegen der engen Bindung an den Dienstleister und das entstehende Abhängigkeitsverhältnis, dem nicht erfolgenden Aufbau von Software-Kompetenz im eigenen Unternehmen sowie evtl. dem Datenschutz genannt. Eine genauere Aufschlüsselung wird in Abschnitt drei dieses Beitrags durchgeführt. Application Service Providing bezeichnet die dauerhafte Bereitstellung von IT- Dienstleistungen und Anwendungen über ein Netzwerk. Hinsichtlich der Abrechnung der Leistung werden Modelle unterschieden, welche das Entgelt nach festen Zeiten (bspw. Monatsmiete), nach angeschlossenen Arbeitsplätzen oder nach Inanspruchnahme (bspw. Transaktionsvolumen) berechnen. Der Dienstleister übernimmt Installation, Customizing und Wartung, die operative Arbeit mit dem System erfolgt durch die Mitarbeiter des beauftragenden Unternehmens. Darüber hinaus ist es möglich, den gesamten Verarbeitungsprozess an einen Auftragnehmer auszulagern. Viele Definitionen bezeichnen erst dieses Szenario als Outsourcing. Die komplette Vorgangsverarbeitung erfolgt durch den Dienstleister. Er empfängt die notwendigen Eingangsdaten vom Unternehmen (bzw. dessen Geschäftspartnern), verarbeitet diese und leitet die Ergebnisse in einer vorher vereinbarten Form an den Auftraggeber (bzw. dessen Geschäftspartner) weiter. Im Fall der Eingangsrechnungsverarbeitung kann dies dazu führen, dass lediglich die aufbereiteten Buchungsdaten übertragen und in das beim Auftraggeber vorhandene Warenwirtschaftssystem eingespielt werden. Neben den genannten Vorteilen des Application Service Providing entfallen Schulungs- und weitere Personalkosten, da die Software nicht selbst genutzt wird. Die mangelnde Kontrolle und das fehlende Wissen über Teilprozesse werden als zusätzliche Nachteile angesehen. 1
2 Outsourcing im Bereich Enterprise Content Management Hauptaufgaben von Enterprise Content Management / Dokumenten-Management-Systemen sind die Erfassung von Geschäftsdokumenten verschiedener Formate und Quellen (bspw. Papierrechnungen, Office-Dokumente, E-Mails und Daten aus Warenwirtschaftssystemen) und deren bedarfsgerechte Bereitstellung und Verteilung in Prozessen. Für das Outsourcing werden insbesondere zwei Aufgabengebiete herangezogen, die Erfassung von papierbasierten Dokumenten (Non Coded Information, NCI, bspw. Geschäftsbriefe oder Akten) sowie eine elektronische Rechnungsverarbeitung, welche im Folgenden vereinfacht dargestellt werden. 2.1 Ansatzpunkte für Outsourcing Die Erfassung von Papierdokumenten durch Dienstleister wird in zwei Formen durchgeführt: als einmaliges Projekt bei der Überführung großer Papierarchivbestände in ein elektronisches Archiv sowie als fortlaufende Dienstleistung im Bereich der Eingangspostverarbeitung. Die Dokumente werden dem Auftragnehmer übergeben, er verschlagwortet diese nach einem vorgegebenen oder in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber entwickelten Schema und stellt sie dem Unternehmen als elektronisches Archiv (verschiedene Speichermedien wählbar) oder per elektronischer Datenübertragung zur Verfügung. Im Fall der elektronischen Rechnungsverarbeitung erfolgt neben der Klassifikation der Elemente ein Auslesen der buchungsrelevanten Daten (bspw. Rechnungsnummer, Rechnungsdatum und Betrag). Das erzeugte digitale Abbild der Rechnung wird in ein Archivsystem ü- berführt, gleichzeitig werden die extrahierten Rechnungsinformationen in einen Workflow übergeben, in dem die Prüf- und Freigabestrukturen des Unternehmens abgebildet sind und an dessen Ende die (automatische) Verbuchung steht. 2
2.2 Ziele des Systemeinsatzes Generell wird mit diesen Enterprise Content Management-Projekten eine bessere Kostenund Prozessstruktur angestrebt, wobei kürzere Suchzeiten und eine qualitativ hochwertigere Verschlagwortung wiederum in Kostenaspekte umgerechnet werden können (Arbeitszeit für bisherige Abläufe, Korrekturen etc.). Die Abschaffung der unübersichtlichen, viel Platz beanspruchenden Papierarchive ermöglicht einen schnelleren, direkten Zugriff auf die elektronisch gespeicherten Dokumente (im elektronischen Archiv). Durch die einheitliche Verschlagwortung und verschiedene Suchmechanismen (Suche über Indexfelder, Suche entlang der Hierarchie der Dokumente, Volltextsuche nach Dokumenteninhalten) wird der Zugriff vereinfacht. Damit werden Einsparung bei Raumkosten (Papierarchive entsorgen) sowie bessere Prozesse realisiert, da zeitaufwendiges Suchen nach benötigten Dokumenten durch das System in wenigen Sekunden durchgeführt werden kann. Zudem wird die Sicherheit des Informationsbestands erhöht, da Dokumente schneller dupliziert werden können (Ausfallschutz) und bessere Verrechtung implementierbar ist (Lese-, Schreib- und Löschrechte: Wer darf Dokumente einsehen, wer bearbeiten?). Weitere Produktivitätssteigerung ergeben sich durch die schnelle Weiterleitung und Möglichkeit der digitalen Verarbeitung (keine Transport- und Liegezeiten wie bei herkömmlicher, manueller Weitergabe an andere Arbeitsplätze oder Abteilungen). Im Bereich der Rechnungsverarbeitung wird der gesamte Verarbeitungsprozess beschleunigt, sodass die Vermeidung von Mahngebühren bis hin zur Ausnutzung von Skontogewährung möglich wird. Es stellt sich also nicht die Frage, ob ein solches Projekt umgesetzt werden soll, sondern ob selbst die Einführung des Systems durchgeführt oder die Aufgabe einem Spezialisten übertragen werden soll. 3 Beurteilung Ist die Entscheidung für einen Systemeinsatz gefallen, müssen die Anforderungen an die Lösung detailliert ausgearbeitet werden. Neben technischen und funktionalen Merkmalen der Software sind die betroffenen Aufgabengebiete und Prozesse zu beachten. Hier gilt es, e- benso wie bei der Analyse der IT-Infrastruktur, neben der aktuellen Ist-Situation die mit den Möglichkeiten der Software erreichbare Soll-Konzeption zu berücksichtigen. 3.1 Pro Outsourcing Durch die Beauftragung eines Spezialisten schon in frühen Projektphasen muss kein eigenes Know-how hinsichtlich Software-Auswahl und Prozessdesign entwickelt werden. Der Dienstleister unterstützt das Unternehmen bei der Formulierung der Anforderungen und lässt sein themenspezifisches Wissen über die Möglichkeiten der Systeme einfließen. Im Software-Projekt selbst müssen keine eigenen Aufwendungen zum Aufbau von Wissen über Einführung, Betrieb und Wartung der Systeme vorgenommen werden, ebenso sind keine Investitionen in die Bereitstellung erforderlicher Arbeitsstationen notwendig (Hardware, Fachpersonal). Sofern wie oben beschrieben nur die Endergebnisse der Aufgaben an den Auftraggeber geliefert werden, lassen sich zudem verschiedene Bearbeitungsschritte vermeiden, was zumeist zu einer Entlastung des bestehenden Personals führt. Die eigenen Mitarbeiter können sich auf die Kernkompetenzen des Unternehmens fokussieren und dort über Weiterentwicklungen die Marktposition ausbauen. Da Spezialisten zumeist über eine besser an das Aufgabengebiet angepasste Infrastruktur sowie Erfahrungen mit verschiedenen Kunden verfügen, haben diese die Möglichkeit, die durchschnittlichen Kosten zu senken, bspw. indem Spitzen- und Leerlaufzeiten besser ausgeglichen werden. Erfolgt eine zumindest teilweise Weitergabe dieser Einsparungen an den Kunden, führt dies zu einem günstigeren Betrieb des Systems. Zudem verspricht man sich durch die Auslagerung einen Zugriff auf das Know-how des Dienstleisters und damit eine 3
bessere Prozessunterstützung sowie eine anhaltend hohe Aktualität der gemieteten Software. Zusammengefasst ergeben sich folgende Vorteile: 1. Geringe Ressourcenbindung, 2. Kein Aufbau eigenen Know-hows notwendig (Prozess + Handhabung Soft- und Hardware), 3. Vermeidung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bei Änderungen/Updates, 4. Entfall von Wartung/Einspielen Updates, 5. Keine Investitionen in Hard- und Software, 6. Kürzere Projektlaufzeit bei der Einführung und Zugriff auf aktuellere Technologien, 7. Ausnutzung von Skaleneffekten sowie 8. Konzentration auf Kernkompetenzen. 3.2 Contra Outsourcing Die Auslagerung wichtiger Teilaspekte der Leistungserstellung kann nur auf der Grundlage eines Vertrauensverhältnisses erfolgen. Das Unternehmen verliert in einzelnen Bereichen an Flexibilität, da der Prozess nicht mehr unter der alleinigen, direkten Kontrolle steht. Ebenso werden oft datenschutzrechtliche Bedenken genannt, da der Transport schutzwürdiger, geschäftskritischer Daten zum Dienstleister und zurück sowie Bearbeitung außerhalb des eigenen Unternehmens erfolgt. Verschlüsselungstechnologien und Verifikationen (bspw. über digitale Signatur) können hier Abhilfe schaffen. Ein weiterer Aspekt ist die Begutachtung der Neutralität des Dienstleisters bzw. seiner Konformität mit den unternehmenseigenen Zielen. Die Überprüfung, ob dieser bei der Auswahl der Software sowie dem Design der Prozesse die Situation des Unternehmens in den Vordergrund gestellt, und nicht die für ihn selbst mit dem geringsten Aufwand verbundene Alternative gewählt hat, gestaltet sich als schwierig, da dem Auftraggeber zumeist das umfassende Wissen über die verfügbaren Alternativen fehlt. Den beschriebenen Nachteilen ist entgegenzuhalten, dass kaum ein Projekt vollständig ohne den Einsatz von Spezialisten oder Beratern auskommt. Diese helfen durch die Bereitstellung und den Transfer von Wissen, die Phasen des Prozessdesigns und der Software-Auswahl zu verkürzen und die unternehmenseigenen Anforderungen an die Software genauer zu formulieren. Durch die daraus resultierenden kürzeren Projektlaufzeiten sowie die genauere Abstimmung der Systeme mit der unternehmensspezifischen Situation amortisieren sich die Ausgaben für Beratung zumeist schnell im weiteren Projektverlauf. Im laufenden Projekt entstehen auf der Unternehmensseite Nachteile durch das absichtlich nicht aufgebaute Wissen über Software und Prozesse, was insbesondere im letzteren Fall zu einem Verlust der Kontrolle über Teile der unternehmenseigenen Leistungserstellung führen kann. Zudem entsteht ein Zeitverlust bei der Übertragung der Dateien vom Dienstleister zum Auftraggeber, der im Allgemeinen aber zu vernachlässigen ist. Damit sind folgende Nachteile festzuhalten: 1. Enge Bindung an Dienstleister, 2. Unsicherheit hinsichtlich der Neutralität der Empfehlungen, 3. Datenschutzrechtliche Bedenken, 4. Fehlendes Know-how über eingesetzte Software (und deren Möglichkeiten), 5. Verlust der Kontrolle und des Wissens über Teilprozesse sowie 6. Evtl. Zeitverzögerungen durch die Übertragung der Daten. 4
4 Fazit: Strategische Tragweite Outsourcing-Projekte dürfen insbesondere bei Systemen, die Kernprozesse des Unternehmens unterstützen, nicht unter kurzfristigen Kostenaspekten entschieden werden. Es handelt sich um langfristige Projekte, welche die strategische Planung des Unternehmens berücksichtigen müssen. Neben bestehenden Kernkompetenzen muss die erwartete Entwicklung der Anforderungen der Kunden und Partner sowie die Ausgestaltung des eigenen Leistungsangebots untersucht werden. Dazu werden Prognosen erarbeitet, in welchen Bereichen zukünftig eine schnelle und flexible Reaktion auf Marktbewegungen möglich sein muss und welche Kompetenzen erweitert werden müssen. Dazu können strategische Partnerschaften einen großen Beitrag leisten. Dabei darf Wissen über kritische Prozessbestandteile und ihre Auswirkungen auf die gesamte Leistungserstellung aber nicht verloren gehen. Zumindest in der Phase der Anforderungsdefinition und System-Einrichtung ist der Zukauf von Fachwissen aber generell sinnvoll, um Anfängerfehler zu vermeiden und diese Projektphasen zu verkürzen, d. h. Geld zu sparen. Kontakt: Martin Böhn mboehn@barc.de www.barc.de 5