Filmgeräusch. Wahrnehmungsfelder eines Mediums. Frieder Butzmann / Jean Martin. wolke

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Transkript:

Filmgeräusch Wahrnehmungsfelder eines Mediums Frieder Butzmann / Jean Martin wolke

Erstausgabe 2012 bei den Autoren Alle Rechte vorbehalten, Wolke Verlag, Hofheim 2012 Gesetzt in der Garamond Premier Umschlaggestaltung: Frieder Butzmann, Berlin und Friedwalt Donner, Alonissos unter Verwendung eines Filmstills von Thomas Kiesel ISBN 978-3-936000-97-9 www.wolke-verlag.de

Inhalt Die Autoren Dank...................................................... 9 1 Fi l m e bet r ac h t e n.............................................. 13 Die Realitäten Betrachtunsgweise Ton im Film Die Filminterpretation Über Geräusche sprechen Aussicht 2 G e r äusch w e lt e n............................................... 19 Ein Filmgeräusch Störgeräusche Im Alltag Aussicht Geräusche entdecken Eine Suche im Hördschungel.................... 24 Definitionen Pythagoras Geschichte (Musik 1) Umwelt (Hören 1) Datenbanken Hörspiel Kunst Pop (Musik 2) In der Vorstellung Klangkunst (Hören 2) Echtzeit (Musik 3)... und beim Film Die menschliche Stimme.............................................. 49 Ton und Emotion Entwicklung der Wiedergabetechnik................................... 52 Ton High Fidelity Digitalisierung Ton mobil Filmtontechnik Bewegte Bilder im Raum 3 Da s Wa h r n e h m u ngs f e l d...................................... 60 Der Seherhörer im Fluss der Bilder und Töne Ton im Wahrnehmungsfeld Aussicht: Bild, Geräusche, Musik, Sprache im Wahrnehmungsfeld Künstliche Klänge Sound Design vor dem Film....................... 65 Orte, Räume Akustische Imitation Audio Branding Sound Design im Film................................................ 69 Die Metaphorik der Bewegung........................................ 73 Die Musik als Teil des Films Musik als Metapher Die menschliche Stimme im Film...................................... 77 Die Stellung des gesprochenen Wortes Dialog Kommentarstimme Im Dokumentarfilm Synchronstimmen Innerer Monolog Off-screen Stimmen Emotionaler Ausdruck Expressive Stimmen Schrei Projektion Behinderte Stimmen Mediale Stimmen Mystische Stimmen Perspektiven Murch, Chion u. a...................................... 92 Sound Design Die Praxis von Murch Die Theorien von Michel Chion Surround Klangbad in 6 Kanälen................................... 104 Spektakulärer Ton und Raum Von der Technik zur Ästhetik In der Immersion Surround Sound Dramaturgie Superfeld der Sinne Ultrafeld: von der raumakustischen zur diegetischen Immersion Das neue Cut-up Cinema Surround als Dramaturgie Die filmische Kopfverschachtelung von John Malkovich Das menschliche Grundgefühl des Zorns: Katalin Varga

4 Fi l mg e r äusch e................................................. 117 Aussicht: Atmosphäre, Stille, Sprache, Sound im Film Atmo............................................................... 118 Der Raum als Klanglandschaft Leere, Physik, Künste Dimensionen Charakteristika der Atmo Duftkino und Illusionsmaschine Situationen der Atmo im Film Doku-Dröhnen und Atmosprünge (We Feed The World) Krieg als Toninstallation (The Hurt Locker) Der definierte Raum (Alien) Silent Movies....................................................... 130 Die Stille als Generalpause Die Stille als Hintergrund Vermeidungsstille Grabesstille Die kühle Stille Die geteilte Stille Dort sein Ton im Dokumentarfilm................................. 142 Einleitung Die Synchronisation von Ton und Bild Die O-Ton-Praxis Die Rezeption von Dokumentarfilmen: Auswirkungen auf den Ton Postproduktion Musik Evokative Geräusche................................................. 151 Einleitung Wasser, Regen und Gewitter Radio Glocken, Uhren Wind Telefonklingeln Eine animistische Theorie des Reifenquietschens....................... 162 Verfolgungsjagd in San Francisco Kill! Kill! & Death Proof Cruising 1962 Unhörbares Reifenquietschen Engel, Urmenschen, Roboter......................................... 173 Sprachen fremder Welten Engel Language Design 1 (Gestik und Phonetik) Language Design 2 (Semantik) Maschinenwesen Der fremde Klang................................................... 191 Science Fiction Horror Der Klang von SF und Horror Annäherungen von musikalischem Ton und Geräusch Forbidden Planet Elektronische Musik, Sampling Culture und Filmhistorie 5 D e r a n de r e Fi l m ton I n di v i dua l s t i l e.................. 203 Aussicht Rauschen 1979...................................................... 205 Die Dritte Generation Eraserhead Komischer Ton in Play Time......................................... 213 Technische Voraussetzungen Bilder als Geräuschkomposition Möwen und Krähen: Hitchcock...................................... 221 Geräusche springen für Musik ein Alltagshorror....................................................... 225 The Exorcist Halloween Filmtonfilme........................................................ 229 Romanze gegen den Krieg Hollywood reflektiert sich selbst Blow Up Blow Out Geräusche suchen

Werner Herzog: sehen, hören, tasten, wahrnehmen..................... 242 Das Land des Schweigens und der Dunkelheit So wie eine Fata Morgana A n h a ng Bibliographie........................................................ 247 Filmregister......................................................... 257 Personenregister..................................................... 261 Sachregister......................................................... 267

Die Autoren Die Autoren dieses Buches waren in den 1970er Jahren Kommilitonen im Fach Musikwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Tagsüber lauschten sie den Ausführungen der Professoren, des Nachts streunten sie West-Berlins Ku damm hinauf und wieder hinab. Sie spürten eine undefinierbare Unruhe über das, was ihnen tagsüber im Studium erzählt wurde. Der Boulevard indes schien ihnen realer als die Musikgeschichte, er war die Straße der Uraufführungskinos. Beide Autoren sind keine Cineasten, sie lieben die Musik, sie ist ein Teil ihres Lebens. Beide waren damals jeweils gerade 20 Jahre alt und wollten das Leben erkunden. Ab und zu flüchteten sie sich in eines der Kinos. Beide Autoren wollten sich nie selbstvergessen in die Welt eines Films fallen lassen, eher hegten sie Bewunderung für die Komplexität der Filmkunstwerke. Sie staunten und diskutierten hin und wieder den Ton und das Bild der Werke. Sie schauten Filme von Herbert Achternbusch sehr gerne, staunten über das allgegenwärtige Brummen im Film Eraserhead von David Lynch, freuten sich auch über die Special Effects, die animierten Dinosaurier und mit Schwertern kämpfenden Skelette eines im Berliner Kino Filmkunst 66 anwesenden Gastes mit Namen Ray Harryhausen (1920). Die Kassenschlager dieser Zeit Der weiße Hai, Alien, Apocalypse Now, Rocky waren höchst unterschiedlich in ihren Erscheinungen und dabei recht offensiv in ihrer Lautheit bzw. komplex in der Tonspur. Der Gang ins Kino wandelte sich damals von einer Art erweitertem Theaterbesuch zu einem Erlebnis in fremden Welten. Es gab da beispielsweise ein tiefes infrasonisches Wabern im Kino. Es war der Kata - s trophenfilm Earthquake, der erste Film in Sensurround. 1975 wurde den Machern des Films ein Oscar für den besten Sound beschert. Und bald, nämlich 1997 gab es das Dolby-Stereo-Geräuschbadereignis Star Wars. Man saß nun mittendrin im Sound, der Kinosaal wurde durch vier Lautsprecher dreidimensional und die Roboter erhielten Seelen. Das Geräusch im Film mutierte vom anhängenden akustischen Schatten zu einem mitbestimmenden Element. Das Kinopublikum hatte nun viel mehr an Geräuschen, Atmos, unbekannten Sprachen und abstrakten Klängen zu hören. Zuvor hatte die Filmmusik die Seherhörer zuweilen leicht sediert, denn es war der Musik im Kino wiederholt nachgesagt worden, dass sie am besten sei, wenn sie nicht wahrgenommen wird. Die Autoren beobachteten, dass durch diese kopernikanische Wende im Kino die Sensibilität für das Filmgeräusch geweckt wurde. Und so schauten sie auch in die Vergangenheit und entdeckten manches Geräusch, das sie zuvor vielleicht nicht beachtet hatten. Die Autoren erlebten 1976 in einer Vorführung des Films Vom Winde verweht in einem Kino im Berliner Stadtteil Wedding, wie der Vorführer den Film nicht 9

fachgerecht in den Projektor eingelegt hatte und minutenlang die Lichttonspur am rechten Bildrand zu sehen war. Der eigentliche Ton war dumpf und vom britzelndem Knistern des zerkratzten Zelluloids obertonreich umrankt. 2007 hörten sie dieses Knistern als filmisches Element in Quentin Tarantinos Death Proof. Und da hatten sie auch schon im Film Fantasia (1940) erlebt, wie die Tonspur als Visualisierung der Musik im Film zu sehen war. Die Autoren ließen sich von der Tonspur verfolgen... Prägend wirkte sich auch folgende Erfahrung aus: 1979 saß einer der beiden Autoren im Kino Arsenal in der Fuggerstraße in Berlin und schaute sich Georg Wilhelm Pabsts Film Die freudlose Gasse von 1925 an. Der Film an sich war ein gutes Erlebnis, zeigte er doch die unvergleichliche Schauspielerin, Tänzerin und Vorahnerin der Punk-Bewegung Valeska Gert! Dennoch waren es für das Publikum zwei sehr anstrengende Stunden. Die Abwesenheit der Geräusche keine Filmmusik erschallte im Vorführraum, der Stummfilm wurde sozusagen taub vorgeführt verkrampfte jedes Hüsteln oder Schlucken, lähmte die Wahrnehmung. Und es wurde so richtig klar, wie Geräusch und Musik im Kino die offene Teilhabe an einem Film erst ermöglichen. * * * Im Laufe der Arbeit an unserem Buch kauften wir viele DVDs. Ein Glück für uns, dass es dieses Medium heute gibt! Es erlaubt uns, bestimmte Szenen mehrmals anzuschauen, zu studieren, die gesprochenen Texte durch eingeblendete Untertitel besser zu verstehen und vor allem ein Geräusch durch Anhören mit dem Kopfhörer genau ins Ohr zu nehmen. Zunächst schrieben wir spontane Beobachtungen auf, aus denen sich Themenkomplexe herauskristallisierten. Im späten Stadium haben wir die entstandenen Artikel thematisch organisiert und geordnet und dabei darauf geachtet, dass der Leser klar durch den komplexen Stoff geführt wird. Beide Autoren mussten untereinander durch wiederholte Diskussionen so manchen Gegensatz in ihrer Herangehensweise und Gewichtung bei der Arbeit überwinden. Das Buch sollte weder eine Aufarbeitung der Sekundärliteratur werden und damit zu neuer Aktivität auf dem Rangierbahnhof der Ideen und intellektuellen Worthülsen beitragen noch ein rein subjektiver Künstlerbericht zum Phänomen Filmgeräusch sein. Diese Diskussionen stellten sich jedoch für uns, und hoffentlich auch den Leser, als sehr fruchtbar heraus. Schon 2001 gab Martin Jann bei der Musikhochschule Basel seine Diplomarbeit mit dem Titel Surround und Dramaturgie in Kinofilmen 1 ab. 1 http://www.esbasel.ch/studierende/studentenarbeiten/sourround/surroundunddramaturgie.pdf (Okt 2010) 10 Die Autoren

Im September 2010 fuhren wir von Eadweard Muybridges (1830 1904) Geburtsstadt Kingston upon Thames aus zur eine Autostunde entfernten University of Brighton, Faculty of Arts, um im dortigen Surround Cinema Filme mit Mehrkanalton zu studieren. Dabei wandten wir die zuvor von Martin Jann eingeführte Analysemethode an. Wir saßen im Kreis der sechs Lautsprecher, aber zeichneten die sechs einzelnen Audiokanäle mit einem Hard Disk Recording-System auf sechs Spuren auf. Das half uns, jeden einzelnen Kanal im zeitlichen Ablauf und in der Entwicklung seiner Dynamik zu beobachten. So konnten die akustischen Vorgänge im Film deutlich geortet und ihre dramaturgische Funktion eindeutiger interpretiert werden. Ansonsten sind wir so vorgegangen, dass wir beim Betrachten von Filmen stets ein Aufnahmegerät in der Hand hielten und das Gehörte und Gesehene sofort aufgesprochen haben. Damit haben wir das subjektive Erlebnis des Films im Detail für uns festgehalten. Danach mussten wir diese frischen Eindrücke nur in eine lesbare, formal und inhaltlich widerspruchsfreie Form bringen. Diese Methode scheint uns am besten dazu geeignet, die komplexen Eindrücke des multimedialen Artefakts einzufangen. Denn für beide, für die Autoren und den Leser, kann gelten: Sobald man die beschriebenen Eindrücke liest, vergleicht man sie mit anderen, älteren, vielleicht leicht zu verallgemeinernden Eindrücken und man tritt im besten Falle in einen Dialog mit den Beschreibungen ein. Man stellt sich neue Fragen und prüft das Beschriebene kritisch. Es ging uns sehr darum, den Text so übersichtlich und verständlich zu gestalten, dass es dem Leser leicht fällt, unsere Eindrücke nachzuvollziehen und gegebenenfalls, bei Kenntnis des beschriebenen Films, durch eigene Gedanken zu ergänzen. Übrigens haben wir zu diesem Zweck die Internetseite filmgeraeusch.weebly. com eingerichtet, die es dem Leser und allen am Thema Interessierten ermöglicht, an unserer Diskussion teilzunehmen und kritische Kommentare zu schreiben. Wir brauchten viel Zeit und mussten viel Mühe aufwenden, um dieses Buch zu schreiben, doch wir haben es geschafft, weil wir immer großen Spaß beim Recherchieren und vor allem beim gemeinsamen Arbeiten hatten! 11

Dank Diese Buch entstand zwischen 2008 und 2012. Und unermüdlich schrieben wir in Berlin Mitte, Berlin Kreuzberg, Brighton, Charroux im Département Poitou-Charentes (Frankreich), Dresden, Durban und Umhlanga in KwaZulu-Natal (Südafrika), Kaditzsch bei Grimma an der Mulde, Kingston upon Thames, New York, Dallas, Santa Fe de Bogotá (Kolumbien), Störshirten bei Bischofszell im Kanton Thurgau (Schweiz) und in Leipzig. Wir danken allen, die uns an diesen Orten zur Seite standen. Wir danken den Studenten, die uns in den letzten 24 Jahren immer wieder gefragt haben, ob es das, was wir in unseren Seminaren an der University of Brighton, Faculty of Arts, Fachhochschule Düsseldorf und der Universität der Künste Berlin besprochen und erläutert haben, irgendwo nachzulesen gäbe. Wir danken Johannes Ullmaier, der uns anregte, dieses Buch tatsächlich in Angriff zu nehmen. Wir danken Nicole Rother, Götz Naleppa, Wolfgang Thiel, Helga de la Motte, Jochen Köhler und Oliver Schallert, dass sie in unterschiedlichen Phasen der Entstehung des Buches unsere Texte lasen, uns mit Ratschlägen halfen und durch Kommentare ermunterten. Wir danken der Denkmalschmiede Höfgen Studios International in Kaditzsch, Sachsen, für die zwölfwöchige Beherbergung Frieder Butzmanns im Rahmen eines Arbeitsstipendiums. Nicht zuletzt möchten wir Franz und Jutta Reichrath und auch Diana Geister danken, weil sie kurz vor der Abgabe an den Verlag viele unserer Texte orthographisch redigierten. Aber vor allem danken wir unseren Frauen Alison Donaldson und Elisabeth Menne, die oft staunten und uns unterstützten. Frieder Butzmann, Jean Martin im August 2012 12