MEHR AUTONOMIE WAGEN QUALITÄT, DATENSCHUTZ UND SOLIDARSYSTEM SICHER- STELLEN

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Transkript:

MEHR AUTONOMIE WAGEN QUALITÄT, DATENSCHUTZ UND SOLIDARSYSTEM SICHER- STELLEN Forderungen des vzbv zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung 19. Oktober 2016 Impressum Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. Team Gesundheit Markgrafenstraße 66 10969 Berlin gesundheit@vzbv.de Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

2 l 8 INHALT I. NUTZERBEFRAGUNG 3 II. DATENZUGANG / PATIENTENORIENTIERUNG 4 III. TRANZPARENZPORTAL / APPS 5 IV. TELEMEDIZINISCHE VERSORGUNGSANGEBOTE 6 V. FAZIT 7

3 l 8 I. NUTZERBEFRAGUNG Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat bei forsa im Sommer 2016 eine qualitative Studie zum Thema Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Auftrag gegeben. Dabei wurden Erfahrungen und Wünsche von Verbrauchern in vier Fokusgruppen diskutiert. Die differenzierten Ergebnisse zeigen, dass Nutzerinnen und Nutzer 1 überwiegend eine aktivere Rolle bei medizinischen Entscheidungen einnehmen wollen. Dreiviertel der Befragten begrüßt die Digitalisierung und sieht Vorteile hinsichtlich Zeitersparnis, Beschleunigung von Diagnostik und Therapie, einer besseren Informationslage und bedarfsgerechten Hilfestellungen für Patienten. Datenschutz ist für die Befragten ein wichtiges Thema und viele bezweifeln, dass sie als Nutzer tatsächlich die Autonomie über ihre Daten haben, beziehungsweise behalten werden. Laut forsa haben viele Patienten das Gefühl, gut versorgt und aufgehoben zu sein. Doch bei der Mehrheit herrscht der Eindruck vor, immer mehr an Geld und Zeit zu investieren und immer weniger an Leistungen und vor allem an Aufmerksamkeit zu erhalten. Die empfundene distanzierte Kommunikation oder der fehlende Informationsfluss hinterlässt das Gefühl der Geringschätzung und führt zu Unsicherheit und Angst vor Fehldiagnosen und Fehlentscheidungen. Die Mehrheit der Befragten will Zugang zur ärztlichen Dokumentation und wünscht sich zusätzlich zum persönlichen Arztkontakt digitale Versorgungsangebote wie die Videosprechstunde, die Kommunikation mit dem Arzt per E-Mail oder App. Insgesamt ist eine große Aufgeschlossenheit gegenüber neuen technischen Möglichkeiten bei den Nutzern zu konstatieren, wenn gleichzeitig gewohnte Versorgungsangebote aufrecht erhalten bleiben. Die am 19. Oktober 2016 in Berlin vorgestellte Studie zeigt, dass viele Patienten sehr differenzierte Urteile zum Thema Patientenakte abgeben. Überwiegend wollen die Befragten nicht, dass nachbehandelnde Ärzte wahllos alle Daten der Vorbehandler sehen können. Sie wollen selbst entscheiden, welcher Arzt welche Daten sieht. Die Vorteile einer Patientenakte sind aus Sicht der Befragten: geringerer Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen ganzheitliche Diagnostik und Behandlung bessere Verfügbarkeit der Daten in Notfällen Datenzugang unabhängig von Raum und Zeit Daten werden nicht vergessen, gehen nicht verloren und werden von Patienten nicht fehlerhaft übermittelt Langzeitentwicklungen können beobachtet werden (Abrechnungs-)Verhalten der Ärzte wird transparent, so dass eine bessere Kontrolle möglich ist. Folgende Nachteile sehen oder befürchten die Befragten mit Blick auf die elektronische Patientenakte: 1 Im Folgenden bezieht sich die männliche Form immer zugleich auf weibliche und männliche Personen. Wir bitten um Verständnis für den weitgehenden Verzicht auf Doppelbezeichnungen zugunsten einer besseren Lesbarkeit des Textes.

4 l 8 Zweifel und Unsicherheit bezüglich der Datensicherheit (Diebstahl, Verlust, Missbrauch) Verlust von Privatheit und Autonomie (totale Transparenz) Zweifel an der Autonomie über die Daten (Daten können nicht gelöscht werden, sind für den Patienten nicht einsehbar, verselbständigen sich) persönliches Gespräch zwischen Arzt und Patient wird ersetzt zusätzliche Informationsflut wird produziert unvoreingenommene Zweitmeinung wird verhindert Bei einer zusätzlich im September 2016 vom vzbv beauftragten repräsentativen Befragung durch TNS Emnid sagten 54 Prozent der (1.013) Befragten, dass sie Zugang zur ärztlichen Dokumentation über eine elektronische Patientenakte haben möchten. Bei den 40- bis 59-Jährigen lag diese Zustimmungsrate mit 60 Prozent noch einmal deutlich höher. Digitale Angebote zusätzlich zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt fanden bei dieser Befragung 43 Prozent wichtig. Auch bei dieser Frage war die Zustimmung bei den 50- bis 59-Jährigen mit 54 Prozent deutlich größer. II. DATENZUGANG / PATIENTENORIENTIERUNG In Österreich sieht ein Arzt, wenn der Patient ihn autorisiert, in einem nationalen Gesundheitsportal, bei welchen anderen Ärzten oder bei welchem Krankenhaus Daten zu diesem Patienten gespeichert sind. 2 Der Patient kann gezielt den Zugriff auf die Daten einer bestimmten Behandlung gestatten. Jeder weiß, wo die Daten sind und wie er zugreifen kann. In Deutschland sind genau diese Fragen unklar. Aktuell steht nicht einmal fest, wo die auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Versichertenstammdaten von den Versicherten künftig eingesehen werden können. Gegenwärtig wird nur über ein geschütztes Terminal bei einem Leistungserbringer nachgedacht, auch wenn repräsentative Umfragen wie der aktuelle Gesundheitsmonitor zeigen, dass Versicherte sich den Zugang zu den eigenen Daten anders vorstellen, nämlich über einen geschützten Zugang zu Hause. 3 Digitale Anwendungen fokussieren auf die Nutzer und beschreiben Prozesse aus ihrer Perspektive. Insbesondere alle mobilen Angebote zeichnen sich durch die große Nähe zum Nutzer und seinen individuellen Bedürfnissen aus. Klassische Versorgungsangebote betrachten Prozesse dagegen in der Regel aus der Perspektive der Leistungserbringer. In einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung werden sechs Hürden für die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung identifiziert. Sie liegen in der nicht bedarfsgerechten Forschungsförderung, der Medizinproduktezertifizierung, dem Nutzennachweis, der Vergütung, der mangelnden Transparenz und mangelnder Interoperabilität. 4 Mangelnde Patientenorientierung ist aber das zentrale Defizit des deutschen Gesundheitswesens. Die Integration von Werkzeugen wie Smartphones und Apps, die auf das 2 https://www.gesundheit.gv.at/portal.node/ghp/public/content/elga/elga-elektronische-gesundheitsakte.html 3 Gesundheitsmonitor 2016, Bürgerorientierung im Gesundheitswesen, S. 133. 4 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/digital-health-anwendungen-transfer-von-in-denversorgungsalltag/ S. 5.

5 l 8 Handeln der Patienten abstellen, verursachen in der Praxis auch deshalb große Probleme, weil viele Ärzte nach wie vor nicht auf Augenhöhe mit Ihren Patienten kommunizieren. Vier Zielsetzungen sind für das Thema Patientenorientierung daher wichtig: Patientenorientierte Versorgungsstrukturen: Versorgungsprozesse sollten durch flexible Strukturen und patientenzentrierte, sektorübergreifende Vernetzung der Leistungsanbieter besser koordiniert werden. Zunehmend sollte eine Rolle spielen, wo, wie, wann und von wem der Patient versorgt werden will. Personalisierte Therapie und partizipative Entscheidungsfindung: Relevante Daten und Untersuchungsergebnisse, die für Arzt und Patient gleichermaßen einsehbar sind, sollten so gebündelt werden, dass eine individuell zugeschnittene Therapie auf Basis gemeinsamer Entscheidungsfindung auf Wunsch des Patienten in der Regelversorgung möglich ist. Patienten-Empowerment und -Engagement: Die aktive Einbeziehung des Patienten in die Behandlung sollte verbessert werden. Auch in die Forschung können Patienten als Partner einbezogen werden. Die aktive Rolle sollte allgemeines Ziel sein, auch wenn manche Patienten sich bisher noch nicht stärker engagieren wollen. Transparentes Gesundheitswesen und verständliche Gesundheitsinformationen: Die Stärkung von Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitskompetenz der Bürger sollte Hand in Hand gehen mit einer Stärkung der digitalen Kompetenz. Patienten müssen die eigenen Rechte und die Bestimmungen des Datenschutzes kennen, so dass Selbstschutz besser gelingt. Der vzbv fordert, den Top-down-Ansatz bei Einführung neuer Technologien zu korrigieren: Bürgerforen, Nutzerbefragungen und Akzeptanzforschung sollten in Zukunft eine sehr viel größere Rolle spielen. Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung sollte nicht primär als technische, sondern als soziale Innovation begriffen werden, in deren Zuge sich Rollen- und Verhaltensmuster ändern müssen. III. TRANZPARENZPORTAL / APPS Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern gibt es in Deutschland kein zentrales Portal, in dem die bestverfügbaren Gesundheitsinformationen zusammengefasst und verlinkt sind. Das ist schlecht für die individuellen Nutzer, die sich jederzeit rückversichern müssen, welche Interessenkonflikte ein Portalbetreiber oder ein Leistungserbringer möglicherweise hat. Diese Intransparenz ist auch schlecht für das Gesundheitswesen insgesamt, denn es sind die Patienten, die in der Regel ohne Versorgungsmanager im Hintergrund die Entscheidung treffen, einem bestimmten Informationsangebot zu vertrauen oder einen Leistungserbringer zu konsultieren. Der vzbv fordert ein nationales Transparenzportal wie es in Österreich bereits besteht, von dem jeder weiß, dass es existiert und das fortlaufend aktualisiert wird.

6 l 8 Über dieses Portal sollte der Zugang zu den eigenen medizinischen Daten sichergestellt werden. Optimal wäre es, wenn Versicherte darauf über einen geschützten Zugang von zu Hause zugreifen könnten. Vorteilhaft wäre, wenn zumindest die Websites aller Anbieter guter Patienteninformationen, die sich auf digitale Anwendungen beziehen, in Deutschland über ein nationales, steuerfinanziertes Portal zugänglich gemacht würden. 5 Nur so kann sichergestellt werden, dass gute Informationen und gute Leistungserbringer von Nutzern gefunden werden. Es reicht nicht aus, wenn sie theoretisch gefunden werden können. Auch zur Eindämmung der Menge an schlechten Apps, die in den App Stores gegenwärtig angeboten werden, könnte das Portal schnelle Hilfe bieten, in dem empfehlenswerte Angebote gelistet werden. In der regulären Gesundheitsversorgung sollten zudem Gesundheits-Apps vom Arzt verordnet werden können. Die Krankenkasse sollte Apps bezahlen, wenn deren Nutzen mit einer angemessenen Methodik und Evidenz nachgewiesen worden ist. Ein wichtiges Qualitätskriterium sollte sein, dass bei Erstellung der jeweiligen App Ärzte der betroffenen Fachrichtung und Vertreter der Betroffenengruppe einbezogen worden sind. Vor allem chronisch Kranke oder Menschen mit seltenen Erkrankungen könnten von einer App profitieren, die sie mit verständlich aufbereiteten Informationen versorgt, die Kommunikation mit dem Arzt verbessert, Daten für eine partizipative Entscheidungsfindung bereitstellt, Erinnerungsfunktionen für die Medikamenteneinnahme oder andere nützliche Elemente enthält. Dem Arzt würde ein solches Werkzeug mittelbar nutzen, weil die App wertvolle Zeit spart, indem sie Kommunikationsbarrieren beseitigt. IV. TELEMEDIZINISCHE VERSORGUNGSANGE- BOTE Der im Frühjahr 2016 vorgelegte Gesetzentwurf zu einer Novelle des Arzneimittelgesetzes bedeutet einen Rückschritt für die ohnehin rückständige Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Dort sollte das bislang nur im ärztlichen Berufsrecht geregelte Fernbehandlungsverbot in Gestalt eines Fernverschreibungsverbots ins Arzneimittelgesetz übertragen werden. 6 Gemäß Koalitionsvertrag soll mit der gesetzlichen Regelung unterbunden werden, dass deutsche Patienten von europäischen Telemedizin-Anbietern eine Verordnung lediglich auf der Basis von ausgefüllten Onlineformularen erhalten. Dem Patienten wird durch die vorgeschlagene Regelung die Möglichkeit genommen, sich für eine Behandlung im Rahmen einer Online- oder Videosprechstunde zu entscheiden, wenn er seinen Arzt nicht bereits persönlich kennt. 5 Organisationen wie das IQWiG, Cochrane Deutschland oder Deutsches Netzwerk evidenzbasierter Medizin e.v. haben Kriterien für die Qualität von Gesundheitsinformationen festgelegt. http://www.ebm-netzwerk.de/was-wir-tun/fachbereiche/patienteninformation/gpgi 6 Stellungnahme vzbv https://www.bundestag.de/blob/421994/5b9685406c1ec7ecf21443438df9e057/verbraucherzentrale-bundesverband--vzbv--data.pdf

7 l 8 Die Nutzung von Fernbehandlungen über Telefon, Video- oder Online-Sprechstunde kann aus Sicht des vzbv bei bestimmten Indikationen zu einer Vereinfachung, Verbesserung und Sicherstellung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung führen. Dabei reicht es vielfach nicht, wenn Videosprechstunden auf die Beratung beschränkt bleiben. Es gibt erfolgreiche Beispiele aus dem europäischen Ausland wie das Schweizer Portal Medgate, wo eine Medikamentenverordnung bei Bedarf stattfindet. Die telemedizinische Behandlung hat das Potential vorhandene Versorgungslücken zu schließen und kann zugleich eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung sicherstellen. Das Engagement der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, die Modellprojekte zur ausschließlichen Fernbehandlung von Patienten ermöglichen will, hält der vzbv daher für wichtig und zielführend. Der vzbv plädiert dafür, ein telemedizinisches Beratungs- und Behandlungszentrum von hoher Qualität in der Regelversorgung zu etablieren. Dies würde den Bedürfnissen vieler Versicherter in Deutschland entgegenkommen und die Patientenorientierung im System stärken. V. FAZIT Der vzbv sieht in der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung großes Potential für mehr Patientenorientierung im Gesundheitswesen. Die Digitalisierung kann auch die Qualität und Effizienz der Leistungsangebote verbessern und für die Forschung neue Möglichkeiten erschließen. Gleichzeitig nimmt das Risiko zu, dass der Schutz äußerst sensibler Daten unterlaufen wird, Daten zur Handelsware werden und an die Stelle echter Wahloptionen Kontrolle und Überwachung treten. Insbesondere Telematiktarife sieht der vzbv in diesem Zusammenhang äußerst kritisch, weil die ökonomische Notlage von Verbrauchern ausgenutzt wird und eine fragwürdige Bonifizierung von Gesundheit stattfindet. Krankenversicherungstarife, die finanzielle Anreize mit der fortlaufenden, dauerhaften Offenlegungsverpflichtung von Daten verknüpfen, darf es in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geben. Bonusmodelle sollten einem auf Landes- und Bundesebene einheitlichen, strikten Kontrollsystem unterworfen sein, damit keine Fehlanreize entstehen. Der vzbv ist der Auffassung, dass die Nutzung digitaler Anwendungen in der Gesundheitsversorgung freiwillig und ohne Einfluss auf die Höhe der Versicherungsbeiträge erfolgen muss. Auch darf seitens der Ärzte oder Krankenkassen kein anderweitiger Druck ausgeübt werden, dass Patienten ihre Daten preisgeben oder telemedizinische Angebote nutzen. Gesundheits-Apps bieten zukünftig große Chancen für eine verbesserte gesundheitliche Versorgung, bergen jedoch gleichzeitig auch ein erhebliches Schadenspotenzial, hinsichtlich Patienten- und Datensicherheit: Es bedarf transparenter, gut verständlicher Qualitätsstandards für Gesundheits- Apps.

8 l 8 Die Kostenübernahme für die Anschaffung von Wearables sowie das Angebot von medizinischen Apps durch (gesetzliche) Krankenversicherungen sollte nur erfolgen, wenn eine ausreichende und gesicherte Evidenz über die jeweilige Funktionsfähigkeit, Wirkung und Datensicherheit vorliegt. Bei medizinischen Apps sind eine Zulassung als Medizinprodukt und eine Nutzenbewertung erforderlich, wenn sie im Rahmen der ärztlichen Behandlung verordnungsfähig werden sollen. Transparenz über die angebotenen telemedizinischen Leistungen und deren Möglichkeiten muss gegeben sein nicht nur Leistungserbringern und Kostenträgern, auch Verbrauchern müssen qualitätsgesicherte Informationen in einem nationalen Gesundheitsportal zur Verfügung stehen.