Industrie 4.0 Chancen und Risiken aus gewerkschaftlicher Sicht Industrie 4.0 jetzt die Arbeitswelt für morgen gestalten Tagung der Arbeitskammer des Saarlands am 15.10.2014 Dr. 1
These 1 Mit Industrie 4.0 ist nicht das Ende der Industriearbeit angebrochen. Aber: Industrie 4.0 birgt erhebliche Veränderungspotenziale für die Industriearbeit (neue Themen, Risiken, Chancen). Constanze Kurz; Ressort Zukunft der Arbeit 2
Grad der Komplexität Von der ersten zur vierten industriellen Revolution Verschmelzung der physischen Produktionswelt mit der virtuellen Welt der IT und des Internet ( Maschinenbau trifft Softwareindustrie ) 4. Industrielle Revolution auf der Basis von Cyber- Physischen Systemen Industrie 4.0 3. Industrielle Revolution durch Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren Automatisierung der Produktion Industrie 3.0 2. Industrielle Revolution durch Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion mit Hilfe von elektrischer Energie Industrie 2.0 1. Industrielle Revolution durch Einführung mechanischer Produktionsanlagen mit Hilfe von Wasser- und Dampfkraft Industrie 1.0 Ende 18. Jhdt. Beginn 20. Jhdt. Beginn 70er Jahre 20. Jhdt. Heute Quelle: DFKI/Bauer IAO 3
Trend: Von zentraler Steuerung zu dezentraler Selbstorganisation Aufgabe an das Produktionssystem - Kundenauftrag: 500 Stück innerhalb einer Woche Schalt mich an! Samstag geht leider nicht. Magazin auffüllen übernehme ich. Magazin leer, bitte auffüllen! Kapazität bis Freitag ausgebucht! Ich kann diesen Samstag arbeiten. Muss in 2h am Warenausgang sein! Aufträge steuern sich selbst durch dynamische Wertschöpfungsketten. Autonome, sich selbst organisierende Produktionseinheiten ersetzen passive, vorgeplant betriebene Produktionssysteme. Schnelle Vernetzung auf Produktions- und Geschäftsebene. Hohes Potenzial, die herrschende deterministische Produktions- und Arbeitsorganisation zu überwinden. Quelle: Bauer/ IAO
Perspektiven von Industrie 4.0 Es entstehen neue Wertschöpfungsnetzwerke (Datenaustausch über Firmengrenzen hinweg, neue Akteure und Anwendungen) Es entstehen neue Geschäftsfelder (insbesondere Dienstleitungen, Services) Es entstehen engere Formen der Verbindung von Arbeits- und Lebenswelt Es entstehen neue Formen der Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen 5 Constanze Constanze Kurz, Kurz, VB Ressort 02, Ressort Zukunft Zukunft der Arbeit der Arbeit
Trend: Mehr und engere Mensch-Maschine- Interaktionen in der digitalisierten Produktion Roboter werden aus ihren Käfigen geholt und kooperieren mit den Werkern heute morgen Die neue Generation von Leichtbaurobotern arbeitet als Assistenzsystem mit dem Beschäftigten hautnah zusammen. Die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Arbeit werden durchlässiger Constanze Kurz, VB 02, Ressort Zukunft der Arbeit
Anwendungsfälle von Mensch-Maschine Interaktionen nach Einsatzbereichen Planung/ Steuerung CPS-Monitoring im Produktionsumfeld Interaktion mit IT-Systemen Selbstorganisierte Kapazitätsflexibilität durch Mobilgeräte (App/ Doodle) Visualisierung Arbeitsfortschritt Lernende Maschinen/ Anlagen M2M Kommunikation Unterstützung & Entlastung? E-Learning (in Leerlaufzeiten) Predictive Maintenance Fertigung Instandhaltung Service Maschinenwartung per Datenbrille Störungs-, Experten Twitter Predictive Maintenance Enteignung von Fähigkeiten & neue Belastungen? Kommissionierung per Datenbrille Digitale Arbeitsanweisung Utility Films Arbeitsanweisung per Datenbrille Individuelle (automatische) Einstellung des Arbeitsplatzes Mensch-Maschine Kollaboration Montage Lager/ Logistik Quelle: IAO/ eigene Recherchen
Neue soziale Infrastrukturen der Arbeit Bedeutung von Systemkompetenz nimmt zu Alle Beschäftigtengruppen sind betroffen (Angelernte, Facharbeiter, Hochqualifizierte) mehr und neue Formen der Kommunikation Kooperation Transparenz Interaktion Intelligenz Alle Funktionen sind betroffen (Produktion, Indirekte, IT, FuE, Service, Vertrieb) 8
Wandlungstendenzen der Arbeit Dimensionen Industriearbeit 4.0 Arbeitsinhalte Qualifikations- anforderungen Qualifizierung/ Weiterbildung Datenschutz Arbeitszeit/ Arbeitsort Integration neuer IT-, Multimedia-, Cloud-Technologien, Assistenzsysteme; mehr Kooperation, Interaktion komplexer, interdisziplinärer, mehr Problemlösung (Requalifizierung) zugleich Tendenz zur Vereinfachung von Tätigkeiten (Dequalifizierung) mehr & beständige Qualifizierungsaktivitäten on the job auf Basis neuer Lerntechnologien neue Möglichkeiten der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Personendaten & Nutzerprofilen (Match mit Technologiedaten) erheblich flexibler Leistung Verdichtung, Entlastung von Routinetätigkeiten; mehr Selbststeuerung, mehr indirekte Steuerung 9
Industrie 4.0 Risiko oder Chance für die Beschäftigten? Risiken Arbeit als passives Element im System hohes Stresspotenzial forcierte Flexibilisierung Abkopplung Un- und Angelernte Entgrenzung Arbeit & Leben Beschäftigungsabbau Zunahme Leiharbeit/ Dumping- Strategien Aushebelung Mitbestimmung (BetrVG) Chancen Arbeit mit hohen Handlungsspielräumen erweiterte Partizipation beständige Entwicklung von Kompetenzen Alter(n)sgereche Arbeitsgestaltung Verbesserung Ergonomie Bessere Vereinbarkeit Arbeit & Leben Beschäftigungssicherung durch Hightech-Strategie 10
These 2 Die Chancen werden sich nicht im Selbstlauf realisieren. Entscheidend wird die Einmischung und Gestaltung durch IG Metall und Betriebsräte sein getragen von Gestaltungswille, Durchsetzungsmacht und Gestaltungswissen. 11
These 3 Die Herausforderungen einer Industrie 4.0 brauchen eine neue Humanisierungspolitik, deren wichtigste Bestandteile Arbeits-, Qualifizierungs- und Technikgestaltung sind. 12
Leitbild: Menschen nutzen Systeme/ Assistenten 13
Der sozio-technische Gestaltungsansatz für Industriearbeit 4.0 Technik soziotechnische, beteiligungsorientierte Gestaltungs- Perspektive lernförderliche Arbeitsorganisation/ Arbeitsgestaltung (einschließlich Arbeitszeit) Arbeitspolitik breitflächige Qualifizierung (Aus- & Weiterbildung) Systemelemente (Technologie, Organisation, Qualifizierung) von Beginn an aufeinander abstimmen, Gestaltungswissen vernetzen 14
Was wir nicht wollen: Fremdsteuerung durch Assistenzsysteme Bild: Markus Brönner 2014 Eintönigkeit der Arbeit nimmt zu Gefahr der Entwertung von Qualifikationen steigt (Eingruppierung?!) Geringe Möglichkeiten zur Belastungsregulation und Qualifizierung 15
Was wir wollen: Humanorientierte Unterstützung durch Assistenzsysteme Bilder: Markus Brönner 2014 Vielfältige Lernfunktionen für alle Beschäftigtengruppen (Einbezug Angelernter) Interessante Tätigkeitsfelder Ergonomisch orientierte Lösungen Alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung Innovative Unterstützungsmöglichkeiten für Schwerbehinderte 16
Was wir für eine echte Priorität des Menschen in der Industrie 4.0 brauchen Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu möglichen gesundheitsschädlichen Folgen der neuen Generation von Assistenten Modellierung von lernförderlichen Assistenzsystemen, Wissensdiensten Industrie 4.0-Labore, in denen gute Arbeit modelliert, realitätsnah mit Akteuren getestet und optimiert werden kann Konzepte der Autonomie, Vernetzung und Selbstorganisation sowohl für Menschen & Maschinen als auch für die Interaktion zwischen beiden Konzepte und Werkzeuge, die informationelle Selbstbestimmung/ Datensicherheit sicherstellen AO-Maßnahmen, die Zugangsbarrieren für Angelernte absenken und sie in CPPS-Vorhaben einbeziehen. Use Cases für Schwerbehinderte, in denen auf Basis von CPPS-Lösungen neue Unterstützungsmöglichkeiten greifbar gemacht werden 17
These 4 Eine neue Humanisierungspolitik kann nicht allein Sache der IG Metall sein. Sie braucht Flankierung und Unterstützung sowohl von den Sozialpartnern als auch im gesellschaftlichen Raum. 18
Einfluss auf Forschungspolitik erhöhen Die IG Metall setzt sich verstärkt dafür ein, die Forschungspolitik in organisationspolitisch relevanten Ausschnitten zu beeinflussen und verstärkt Fördermittel für eine neue Humanisierungspolitik zu mobilisieren. Zukunftsprojekte der Forschungsunion (Industrie 4.0, Internetbasierte Dienste für die Wirtschaft) Inhaltliche Ausgestaltung von Bekanntmachungen zur Forschungsförderung (aktuelles Beispiel aus dem BMBF: Industrie 4.0 Forschung auf den betrieblichen Hallenboden) Programmentwicklung im Bereich Arbeiten in der digitalen Welt, Zukunft der Arbeit, Industrie 4.0 Spitzencluster it s owl (intelligente technische Systeme in Ostwestfalen-Lippe) 19
Die IG Metall wirft neue Netze aus: Kooperationen mit Wissenschaft verstärken Aktive Mitarbeit der IG Metall im Projekt APP sist (Einführung und Umsetzung cyber-physischer Assistenzsysteme) Betriebsratsstrategie/ Beteiligungsverfahren entwickeln Kriterien/ Werkzeugkoffer Arbeitsgestaltung Muster-Betriebsvereinbarung erarbeiten Aktive Mitarbeit im Innovationsnetzwerk Produktionsarbeit 4.0 (Fraunhofer IAO) Anwendungsszenarien entwickeln (Wirtschaft, Wissenschaft, IG Metall) Gestaltungskriterien entwickeln & erproben Beteiligung an der Lern- und Effizienzfabrik der TU Darmstadt Wissens- und Kompetenzaufbau für Betriebsräte/ Vertrauensleute ermöglichen Constanze Kurz, VB 02, Ressort Zukunft der Arbeit
These 5 Die Tore werden im Betrieb gemacht. Informationsrecht einfordern betriebliche Arbeitsgruppe, ggf. Ausschuss gründen sich aufschlauen, eigene Sicht auf 4.0 im Betrieb erarbeiten ggf. externe Beratung in Anspruch nehmen Einbeziehung/ Aktivierung: Informationsfluss Betriebsrat/ Arbeitnehmer/innen organisieren (neue Mitglieder gewinnen) Eigene Anforderungen entwickeln, Strategie entwickeln, Ziele festlegen Verhandeln: Regeln, Richtlinien vereinbaren Constanze Kurz; Ressort Zukunft der Arbeit 21
Kollegiale Beratung und Vernetzung fördern technisch & sozial intelligente Gestaltungslösungen umsetzen! Was passiert mit der Fabrikarbeit? Industrie 4.0@igmetall.de Aktive Beteiligung von Betriebsräten, Vertrauensleuten, Beschäftigten, Bezirksleitungen, Verwaltungsstellen an betrieblichen Umsetzungsprojekten unterstützen Mit guten Referenzprojekten starke Impulse für gute Arbeit in der Industrie 4.0 geben Aufbau Dialogplattform 4.0 in der IG Metall (1. Sitzung 30.10.2014) Constanze Kurz, VB 02, Ressort Zukunft der Arbeit 22
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Kontakt: Ressort Zukunft der Arbeit constanze.kurz@igmetall.de 069-6693-2265 23