Erinnern, erzählen, dokumentieren - Biografiearbeit mit Pflegekindern

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Transkript:

Erinnern, erzählen, dokumentieren - Biografiearbeit mit Pflegekindern Ringvorlesung Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege Wolfenbüttel 24.04.2014

Übersicht Warum Biografiearbeit mit Pflegekindern? Biografiearbeit in der Praxis Beispiel: Erinnerungsbuch Rolle der Fachkräfte 2

Warum Biografiearbeit? xx 3

Warum Biografiearbeit Recht auf Identität Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten. UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 8 Abs. 1 4

Warum Biografiearbeit Wirkung von Geheimnissen Warum glaubten Erwachsene, dass Kinder Gemeinnisse besser ertragen als die Wahrheit? Wussten sie nichts von den dunklen Geschichten, die man sich zusammenspinnt, um die Geheimnisse zu erklären? Cornelia Funke, Tintenherz 2001 5

Warum Biografiearbeit Biografiearbeit bietet die Chance: Lebensgeschichte zu re-konstruieren Brücken zwischen verschiedenen Bezugspunkten der Biografie zu bauen komplexe Zusammenhänge der Biografie zu verstehen 6

Warum Biografiearbeit Effekte der Biografiearbeit Unterstützung der Identitätsfindung Einklang zwischen Phantasien und überprüfbaren Fakten Stärkung des Selbstwertgefühls Vorbeugung (unbewusster) Wiederholungen 7

Warum Biografiearbeit Entscheidendes Merkmal gelingender Identitätsentwicklung Wie gelingt es Pflegkindern Widersprüchliches, Verschiedenartiges und Sich-Veränderndes in ihr Leben zu integrieren. Bruno Hildenbrand u. Walter Gehres / Netz 2-2002 8

Warum Biografiearbeit Bindungstheorie Die Bedeutung der Trennung hängt davon ab: wie groß der reale Verlust ist (Personen, Sachen, Umgebung) welche Erfahrungen dadurch reaktiviert werden wie die Qualität des neuen Ortes beschaffen ist inwieweit es gelingt, alt und neu zu integrieren und mit einem lebensgeschichtlichen Sinn zu versehen Dr. Jörg Maywald / 1998 9

Biografiearbeit in der Praxis 10

Formen der Biografiearbeit unstrukturierte strukturierte 11

Biografiearbeit bedeutet immer Reden Zuhören 12

Dokumentierte Biografiearbeit Beständigkeit Selbstverständlichkeit enttabuisiert ist schön anzusehen hilft beim Erinnern 13

Methoden und Beispiele 14

Praxisbeispiel Erinnerungsbuch 15

Das Erinnerungsbuch ist ein Ordner mit folgendem Inhalt: ein Inhaltsverzeichnis mit allen Themen, die 43 Seiten zum individuellen Gestalten ein einführendes Begleitheft und eine CD mit alle Seiten des Erinnerungsbuches 16

Unterschied gestaltete Fotoalben Was wird dokumentiert? vorwiegend schöne Erlebnisse Erinnerungsbücher verschiedenste Themen, die für Pflegekinder von Bedeutung sind existenzielle Themen Wer ist beteiligt? Pflegeeltern Pflegekinder Pflegeeltern Pflegekinder Eltern beteiligte Fachkräfte Ziel? In erster Linie Erinnerung Erinnerung Begleitung Erklärung Verstehen 17

Kleiner Exkurs: Biografiearbeit mit Pflegekindergruppen mit Jugendlichen in der Verwandtenpflege 18

Anforderungen an biografisches Arbeiten 19

Anforderungen an biografisches Arbeiten Grundverständnis Biografiearbeit ist eine Form der Lebensbegleitung und keine therapeutische Methode. Sie beansprucht nicht vorab definierte Probleme zu lösen. In vielen Fällen hat biografisches Arbeiten heilsame Effekte, ohne selbst als Therapie angelegt zu sein 20

Anforderungen an biografisches Arbeiten Grundhaltung Anerkennung und Würdigung der Biografie des Gegenübers in ihrer gesamten Vielfältigkeit, aber auch: Anerkennung des eigenen biografischen Gewordenseins 21

Anforderungen an biografisches Arbeiten Anforderungen an die Erwachsenen Kenntnisse über Biografiearbeit Feinfühligkeit Zuverlässigkeit Vertraulichkeit Selbstreflexion Respekt vor dem Willen u. den Erfahrungen des Kindes Kooperationsfähigkeit 22

Anforderungen an biografisches Arbeiten Aufgaben von Fachkräften Klima für Biografiearbeit schaffen als Ansprechpartner da sein wichtige Themen aktiv einbringen schwierige Themen einfach und aushaltbar zu formulieren 23

Das Leben ist nicht das, was man gelebt hat, sondern das, woran man sich erinnert und wie man sich daran erinnert um davon zu erzählen. Gabriel Garcia Márquez, Leben, um davon zu erzählen 24